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Sprechapraxie im Kindes- und Erwachsenenalter (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 3. Auflage
224 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-244700-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sprechapraxie im Kindes- und Erwachsenenalter -  Norina Lauer,  Beate Janusch
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<p><strong>Sprechapraxie - ein weites Feld</strong><br></p><p>Verschaffen Sie sich einen umfassenden Überblick über das komplexe Störungsbild der Sprechapraxie im Kindes- und Erwachsenenalter.</p><ul><li>Von den modelltheoretischen Grundlagen hin zu konkreten diagnostischen Möglichkeiten, diese komplexe Symptomatik zu erfassen</li><li>Zahlreiche Therapieansätze - verständlich, präzise und gezielt in der Praxis anwendbar</li><li>Wertvoller Begleiter für Lehrende, Studierende sowie praktisch tätige Therapeutinnen und Therapeuten</li></ul><p>Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.</p>

3 Theoretische Grundlagen der erworbenen Sprechapraxie


3.1 Definition der Sprechapraxie


In der Literatur gibt es verschiedene Definitionen der Sprechapraxie, die jeweils unterschiedliche Aspekte des Störungsbildes hervorheben.

Darley et al. ▶ [131] verstehen unter der Sprechapraxie eine Beeinträchtigung der Fähigkeit, die Stellung der Artikulationsmuskulatur und die Abfolge der Muskelbewegungen zur willentlichen Phonemproduktion zu programmieren, ohne dass Schwäche, Verlangsamung oder eine Koordinationsstörung dafür verantwortlich gemacht werden können. Damit wird neben der Feststellung, dass es sich bei der Sprechapraxie um eine Programmierungsstörung handelt, das Störungsbild von der Dysarthrie, insbesondere einer ataktischen Dysarthrie, abgegrenzt. Ziegler und von Cramon ▶ [682] stellen fest, dass die Artikulationsstörungen bei Sprechapraxie auf einer Auflösung der zeitlichen Beziehung zwischen einzelnen Komponenten komplexer artikulatorischer Bewegungen basieren. Die Sprechapraxie wird somit als zeitliche Koordinationsstörung von Sprechbewegungen bezeichnet.

Vorsicht

Duffy beschreibt die Sprechapraxie als neurologisch bedingte Sprechstörung, die eine beeinträchtigte Fähigkeit widerspiegelt, sensomotorische Befehle zu planen oder zu programmieren, die für die Steuerung von Bewegungen eines phonetisch und prosodisch normalen Sprechens notwendig sind ( ▶ [147]: S. 257).

Die Störung sprechmotorischer Programmierungsprozesse zeigt sich in Form einer parapraktischen Fehlersymptomatik, weshalb die Sprechapraxie allgemein den Apraxien zugeordnet werden kann ▶ [246], ▶ [684].

Der Begriff der Parapraxie bezeichnet Veränderungen von Bewegungsabläufen durch Entstellung, Ersetzung, Hinzufügung oder Auslassung von Bewegungen oder Bewegungsanteilen, die durch Planungs- und Programmierungsstörungen hervorgerufen werden. Die Sprechapraxie zeigt sich sowohl bei der Überprüfung willentlicher artikulatorischer Bewegungen als auch in der Spontansprache. Sie tritt häufig in Kombination mit einer bukkofazialen Apraxie auf, bei der eine Programmierungsstörung orofazialer Bewegungen vorliegt, kann aber auch isoliert von ihr vorkommen ▶ [685]. Neuere Untersuchungen bestätigen, dass die beiden Störungsbilder überwiegend parallel auftreten, während das isolierte Vorkommen eher selten ist. Auf der Basis bildgebender Verfahren wird von einer anatomischen Überlappung der für Sprechbewegungen bzw. orofaziale Bewegungen zuständigen Netzwerke ausgegangen ▶ [118].

Vorsicht

McNeil et al. definieren die Sprechapraxie als phonetisch-motorische Störung bei intakten phonologischen Fähigkeiten, bei der es zu intra- und interartikulatorischen, zeitlichen und räumlichen, segmentalen und prosodischen Abweichungen kommt ( ▶ [385]: S. 329).

Es liegen keine Störungen in der Wahrnehmung oder Verarbeitung von Sprache vor ▶ [385]. Charakteristischerweise zeigen sich eine verlängerte Dauer von Konsonanten und Vokalen sowie Pausen zwischen Lauten, Silben und Wörtern. Im Gegensatz zu anderen Definitionen ▶ [134] bezeichnen die Autoren die Fehlermuster als konsistent hinsichtlich des Fehlerortes und konstant bezüglich der Fehlerart. Dabei stehen phonetische Fehler im Vordergrund der Betrachtung. Damit entspricht die Definition Forschungsergebnissen, in denen phonetische Fehler als dominierendes Symptom sprechapraktischer Störungen gesehen werden, während phonologische Fehler seltener auftreten ▶ [385], ▶ [438].

3.2 Ätiologie und Lokalisation


Die meisten Sprechapraxien werden durch zerebrovaskuläre Ursachen im Versorgungsgebiet der linken mittleren Hirnarterie hervorgerufen ▶ [38]. Seltener werden Sprechapraxien durch Schädel-Hirn-Traumata, zerebrale Tumoren oder entzündliche Prozesse verursacht ▶ [147], ▶ [685]. Bei degenerativen Erkrankungen kann eine sprechapraktische Störung meist zusätzlich zu einer primär-progressiven Aphasie beobachtet werden (Kap. ▶ 3.4).

Bei 202 Erkrankten mit der primären Diagnose Sprechapraxie konnte festgestellt werden, dass in 61% der Fälle eine degenerative Erkrankung vorlag. 25% der Betroffenen hatten eine vaskulär bedingte Sprechapraxie, 5% eine Tumorerkrankung und 4% eine traumatische Ursache. Weitere 5% der Fälle hatten eine andere fortschreitende Erkrankung oder eine unklare Ätiologie ▶ [147]. Somit sollte bei Vorliegen einer Sprechapraxie als Hauptdiagnose auch an die Möglichkeit einer progredienten Ursache gedacht werden.

Verortet werden die sprechmotorischen Planungszentren im ventrolateralen Frontallappen der sprachdominanten, in der Regel linken Hirnhälfte ▶ [702]. Daher liegt der Schädigungsort bei einer Sprechapraxie meist in diesem Bereich. Es werden aber auch weitere Regionen beschrieben, wie z.B. der Inselkortex sowie subkortikale Verbindungen, die eine Rolle bei der Verursachung spielen könnten. Das Broca-Zentrum kann, muss aber nicht notwendigerweise einbezogen sein ▶ [560]. Da das Sprechen auf der Basis verstreuter paralleler und sequenzieller Interaktionen innerhalb weiter Teile des Gehirns zustande kommt, sind neben linkshemisphärischen Kreisläufen oft auch rechtshemisphärische Areale mit einbezogen ▶ [395]. Sofern nur ein Hirnlappen beteiligt ist, handelt es sich üblicherweise um den Frontallappen. Der Temporallappen kann ebenfalls betroffen sein, allerdings nur in Verbindung mit anderen Hirnregionen ▶ [147]. Je ausgeprägter die Läsionen und je mehr Areale beteiligt sind, umso schwerer und dauerhafter sind die beobachtbaren Symptome der Sprechapraxie ▶ [702].

In einer aktuellen Untersuchung von 137 Personen mit einem akuten ischämischen linkshemisphärischen Schlaganfall zeigte sich in 33 Fällen eine Sprechapraxie bzw. bukkofaziale Apraxie ▶ [118]. Alle diese Personen hatten eine Aphasie. In 28 Fällen lagen zusätzlich eine Sprechapraxie und eine bukkofaziale Apraxie vor, während in 2 Fällen nur eine Sprechapraxie und in 3 Fällen nur eine bukkofaziale Apraxie beobachtet werden konnte. Alle Personen mit gleichzeitiger Sprechapraxie und bukkofazialer Apraxie wiesen überwiegend eine Schädigung im Inselkortex auf, während dieser bei den isolierten Apraxien nicht beteiligt war. Bei der isolierten Sprechapraxie zeigten sich frontale Läsionen, während die isolierten bukkofazialen Apraxien auf temporoparietale und subkortikale Läsionen zurückzuführen waren ▶ [118].

3.3 Prävalenz und Prognose


Betrachtet man die Verteilung neurogener Kommunikationsstörungen ( ▶ Abb. 3.1), tritt eine Sprechapraxie in 2,4% aller Fälle als Hauptdiagnose auf. Bei der Verteilung neurogener Sprechstörungen ( ▶ Abb. 3.2) macht sie 4,7% der Fälle aus ▶ [147]. Diese Angaben beruhen auf Untersuchungen der Mayo-Klinik bei 9430 Personen mit neurogenen Kommunikationsstörungen bzw. 4756 Personen mit neurogenen Sprechstörungen.

Abb. 3.1 Verteilung erworbener neurogener Kommunikationsstörungen ▶ [147].

Abb. 3.2 Verteilung neurogener Sprechstörungen ▶ [147].

In den meisten Fällen tritt die Sprechapraxie gemeinsam mit einer Aphasie auf. Zur Schätzung der Häufigkeit des Vorkommens von Sprechapraxie bei Aphasie führten Ziegler et al. ▶ [703], ▶ [704] eine Metaanalyse bisheriger Studien durch, befragten 209 Therapeutinnen und Therapeuten nach ihrer diagnostischen Einschätzung und untersuchten eine repräsentative Stichprobe von 156 Patientinnen und Patienten aus der FCET2EC-Therapiestudie ▶ [88] mittels Expertenbeurteilungen (n = 3). Die Metaanalyse ergab einen Prävalenzschätzwert von 35% (21–51%). Bei den therapeutischen Beurteilungen wurden nur diejenigen berücksichtigt, die von Personen kamen, die große Erfahrung mit Aphasiebetroffenen anführten und sich selbst als diagnostisch sicher bewerteten (n = 17). Die therapeutische Einschätzung lag bei 21% (6–46%) und war damit vergleichbar mit den Angaben der American Speech-Language-Hearing Association (ASHA), die eine Prävalenz von Sprechapraxie bei Aphasie mit 22–23% angibt (www.asha.org/norms). Aus den Expertenbeurteilungen ergab sich ein Schätzwert von 44% (30–58%) dafür, dass bei einer chronischen Aphasie zumindest eine leichte Sprechapraxie vorliegt ▶ [703], ▶ [704]. Somit wird in der klinischen Einschätzung das Auftreten von Sprechapraxien eher unterschätzt. Dies könnte daran liegen, dass Sprechapraxien aufgrund von stärker hervortretenden aphasischen Symptomen schlechter wahrgenommen und/oder leichtere Sprechapraxien insgesamt seltener diagnostiziert werden. Es ist also davon auszugehen, dass eine die Aphasie begleitende Sprechapraxie häufiger im therapeutischen Alltag vorkommt als angenommen.

Für eine günstige Prognose...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2024
Reihe/Serie Forum Logopädie
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Gesundheitsfachberufe
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Neurologie
Schlagworte Anamnese • Artikulationstherapie • Befundbögen • Computergestützte Artikulationstherapie • Entwicklungsdyspraxie • Entwicklungsstörung • Erwachsene • Erwachsenenalter • Kinder • Kindesalter • Logopädie • Neurologische Erkrankungen • Phonologische Störungen • Sprechapraxie • Sprechbewegungen • Sprechprogrammierung • Sprechstörung • Störungsbilder • Therapiekonzepte • Verbale Entwicklungsdyspraxie
ISBN-10 3-13-244700-5 / 3132447005
ISBN-13 978-3-13-244700-4 / 9783132447004
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