Die Möglichkeit auf Resonanz im Schulsport (eBook)
158 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8313-2 (ISBN)
Ida Glingener studiert nach einem abgeschlossenen Studium »Lehramt an Grundschulen« an der Universität Duisburg-Essen Sonderpädagogik in Heidelberg. Sie forscht zu Resonanzpädagogik und innovativer Schulentwicklung.
2.Was ist Resonanz? – Die vier zentralen Momente der Theorie
Definition. Resonanz stammt von dem lateinischen Wort re-sonare ab und bedeutet zurücktönen, widerhallen oder mitklingen. In physikalischer Analogie entsteht Resonanz zwischen zwei Körpern, wenn die Schwingungen des einen Körpers die Eigenfrequenz des anderen anregen (vgl. Rosa, 2016, 191). Zwei Körper reagieren und antworten auf die Schwingungsimpulse des anderen und nach einiger Zeit kann ein Gleichklang entstehen (vgl. ebd., 284).
Überträgt man diese Erkenntnis auf den Bildungskontext, lässt sich Resonanz als wechselseitiger Prozess zwischen den Resonanzpolen Lehrer:in, Schüler:in und Sache verstehen, welche jeweils über eine „eigene Stimme“ (vgl. ebd., 282) verfügen. Demzufolge darf Resonanz auch nicht als Echo verstanden werden, da die wechselseitige Bezugnahme ausschlaggebend ist (vgl. Beljan, 2019, 124). Der Resonanzbegriff kann nun weiter ausdifferenziert werden, indem seine vier zentralen Momente nach Rosa (2016) betrachtet werden.
2.1Moment der Berührung
Definition. Resonanzerfahrungen sind daran gebunden, dass Subjekte mit etwas in der Welt in Berührung kommen, was sie subjektiv als wichtig und wertvoll erachten. Diese Berührung mit Weltbereichen ist für das Subjekt maßgeblich, um eine resonante Weltbeziehung auszubilden (vgl. Rosa, 2016, 291). Subjekt und Welt berühren sich gegenseitig und transformieren sich zugleich (vgl. ebd., 298).
Resonanz darf aber nicht als Gefühl missverstanden werden. Um Resonanzen erzeugen zu können, sind Gefühle zwar eine Voraussetzung, aber diese stellen nicht die Resonanz selbst dar. Resonanz wird durch die Qualität der Beziehung definiert, die erst durch Berührung entstehen kann (vgl. Beljan, 2019, 141). Lehrpersonen verstehen sich in diesem Kontext als „doppelte Stimmgabel“. Sie vermitteln ihren Schüler:innen die eigene Begeisterung für die Sportart oder Bewegungsform und regen zu einer begeisterten Teilnahme am Bewegungsangebot an.
Bereits Johann Gottfried Herder entwirft im Jahr 1769 die erste moderne Resonanzschule, in der die lebendige Berührung mit der Welt als Angelpunkt des Schulkonzepts verankert wird. Erste Ideen für das Konzept erlangt Herder auf Reisen. Auf einem Schiff über das Meer segelnd, erfährt er sich als „anders in die Welt gestellt“, seine Weltbeziehung ändert sich und die Vision entsteht, diese Resonanzerfahrungen auch Kindern in der Schule zu ermöglichen (vgl. Beljan, 2019, 63). Und auch Humboldts Bildungsverständnis erfasst als Ziel von Bildung die Resonanzfähigkeit. Schüler:innen sollen sich durch Begeisterung und Inspiration für die Welt öffnen. Humboldt spricht in erster Linie von Selbstbildung, bei der die Welt nicht als stumm, sondern lebendig wahrgenommen wird (vgl. ebd., 78 f.). Diese Überlegungen fließen auch heute noch in das Bildungsverständnis des Sportunterrichts ein: Sportunterricht soll möglichst lebendig, lebensnah und abwechslungsreich gestaltet werden. Die Lehrperson kann hier als Resonanzpol betrachtet werden. Sie trägt die Verantwortung dafür, den Schüler:innen eine Berührung mit der Sport- und Bewegungswelt zu ermöglichen, indem sie Spaß und Freude an Bewegung vermittelt und so bestenfalls Schüler:innen ermutigt, zusätzlich zum Schulsport Bewegung in die Freizeitgestaltung zu integrieren, beispielsweise über die Partizipation in einem Sportverein oder informelle Sportaktivitäten.
„Nur in den Bereichen, in denen Subjekte von einer Sache wirklich berührt und ergriffen werden, wo sie sich selbst aufs Spiel setzen und zur Selbstverwandlung bereit sind, können wirklich innovative und herausragende Leistungen entstehen“ (Wienecke, 2016).
2.2Selbstwirksamkeit
Definition. Selbstwirksamkeit definiert Hurrelmann (2010) als „die Herausbildung von Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein sowie personaler und sozialer Kompetenz“ (Hurrelmann, 2010, 32). Diese bildet sich bei Kindern dadurch aus, dass sie aktiv die Welt erkunden, sich in ihr bewegen können und dabei das Gefühl erleben, auf Gegebenheiten antworten und reagieren zu können (vgl. Beljan, 2019, 129).
Kinder erleben sich als selbsttätig, wenn sie sich selbst vertrauen können und die Welt als Ort von „Chancen und Hindernissen“ (Rosa, 2016, 211) wahrnehmen, die mit ihren eigenen Fähigkeiten bewältigbar sind. Rosa bringt auf den Punkt, inwiefern Selbstwirksamkeit und Resonanz zusammenhängen:
„Ich vertraue darauf, dass ich in jeder Situation, die auf mich zukommt, etwas machen kann, dann ist diese Haltung, ich nenne sie Resonanzhaltung, wie ein Schlüssel zu einem neuen Morgen“ (Endres, 2020, 126).
Dieses Zitat macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Kinder Selbstwirksamkeitserfahrungen in ihrem Leben machen, um eine resonante Weltbeziehung aufbauen zu können. Diese sind sogar die Voraussetzung für Bildung, da Kinder sich nur dann für Lernerfahrungen öffnen, wenn sie dabei selbsttätig aktiv werden und merken, dass sie in der Welt etwas verändern können (vgl. Beljan, 2019, 130). Der Schulsport birgt besonderes Potenzial, den Kindern Resonanzräume über Selbstwirksamkeitserfahrungen zu eröffnen. Sport und Bewegung können sich positiv auf das Selbstkonzept von Kindern auswirken und Selbstwirksamkeit stärken (vgl. Ruf, 2006, 32). Sport hat dabei besonderen Einfluss auf das Körperkonzept. Dieses wird als „Gesamtheit der körperbezogenen Kognitionen, Bewertungen und Handlungspläne bezeichnet, die jedes Individuum im Hinblick auf seinen eigenen Körper […] entwickelt“ (ebd., 15). In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass der „Leib als lernender Resonanzkörper“ (Beljan, 2019, 290) betrachtet werden muss und sich dementsprechend Bewegungserfahrungen direkt positiv auf die Resonanzerfahrungen von Kindern auswirken. Oft wird Bildung als rein kognitiver Vorgang betrachtet und die Leiblichkeit des Prozesses ausgeklammert. Spiel, Sport und Bewegung können Heranwachsenden Erfolgserlebnisse und somit auch sichtbar Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen. Dabei sollte eine resonanzsensible Lehrkraft darauf achten, dass Schüler:innen jedes Leistungsniveaus Erfolgsmomente erfahren.
2.3Anverwandlung
Definition. Anverwandlung bedeutet, dass das Subjekt einen Weltausschnitt so be- und verarbeitet, dass es existenziell davon berührt und verändert wird. Das alleinige Beherrschen eines Stoffes genügt dafür nicht. Vielmehr geht es um die Beziehung, die ein Subjekt im Prozess der Anverwandlung zum Weltausschnitt erwirbt (vgl. Rosa & Endres, 2016, 17).
Bildung durch Resonanz kann als „formierender Anverwandlungsprozess“ (Beljan, 2019, 126) verstanden werden, also als ein Prozess, indem sich Selbst und Welt wechselseitig verwandeln. Das gelingt dann, wenn Schüler:innen im Unterricht Bedeutung erfahren und sich vom Lehrenden und der Sache berühren lassen (vgl. ebd., 125). So stände im Sportunterricht beispielsweise nicht der Kompetenzerwerb –„Die korrekte Ausführung eines Handstandes“ – im Vordergrund, sondern die Erfahrung, die mit dem Ausführen eines Handstandes einhergeht, also das eigene Gewicht auf den Händen zu tragen, die Perspektive auf die Welt zu verändern, indem „die Welt auf dem Kopf steht“ oder die Überwindung, mit den Füßen den Boden zu verlassen und sich den helfenden Händen der Partner:innen anzuvertrauen.
Erst durch Anverwandlung kann ein transformativer Bildungsprozess...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8313-3 / 3779983133 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8313-2 / 9783779983132 |
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