Hitlers Interviews (eBook)
384 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30397-1 (ISBN)
Lutz Hachmeister, 1959-2024, arbeitete als Publizist, Filmemacher und Medienforscher in Köln. Er war u. a. Medienredakteur beim »Tagesspiegel« (Berlin) und Direktor des Grimme-Instituts, 2005-2024 Geschäftsführer des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM). Zahlreiche Sachbücher und Dokumentarfilme zu medien- und zeithistorischen Themen, u. a. »Schleyer - Eine deutsche Geschichte«, »Das Goebbels-Experiment« und »Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS«.
Lutz Hachmeister, 1959-2024, arbeitete als Publizist, Filmemacher und Medienforscher in Köln. Er war u. a. Medienredakteur beim »Tagesspiegel« (Berlin) und Direktor des Grimme-Instituts, 2005-2024 Geschäftsführer des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM). Zahlreiche Sachbücher und Dokumentarfilme zu medien- und zeithistorischen Themen, u. a. »Schleyer – Eine deutsche Geschichte«, »Das Goebbels-Experiment« und »Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS«.
Kapitel 2 Ein Monarchist für den Führer
Das Hitler-Interview von George Sylvester Viereck (1923)
»Mischrassen haben keine Lebenskraft. Mischehen würden wir künftig verbieten. Mit dem Nachwuchs aus Mischehen würden wir gemäß ihren Verdiensten verfahren. Wären sie Patrioten, würden wir sie dulden, einer Ehe mit ihnen allerdings nicht Vorschub leisten. Wir haben es hier mit der Frage Jude und Arier zu tun. Die Mischrasse stirbt aus; sie ist ein wertloses Produkt. Rom ging unter, als es nicht mehr auf den Erhalt seiner Rasse achtete. In der Literatur, im Film, in der Wissenschaft ist der Einfluss des Juden destruktiv. Wir gleichen einem Schwindsüchtigen, der nicht merkt, dass er dem Untergang geweiht ist, wenn er nicht die Mikroben aus seiner Lunge vertreibt. Wie Individuen tanzen auch Nationen in der Nähe des Abgrunds oft besonders wild. Deshalb sage ich, wir brauchen gewaltige Korrektive, starke Arznei, vielleicht Amputation.«
Hitler im Gespräch mit G.S. Viereck
George Sylvester Viereck war einer der merkwürdigsten Starpublizisten des 20. Jahrhunderts. Er war Propagandist und PR-Berater für so unterschiedliche Charaktere wie den jüdischen Berliner Sexwissenschaftler Magnus Hirschfeld, für den antisemitischen Automagnaten Henry Ford und den abgedankten Kaiser Wilhelm II. Er interviewte Albert Einstein, Sigmund Freud, Benito Mussolini und George Bernard Shaw, führte Korrespondenzen mit Prominenten in der halben Welt – und landete von 1942 bis 1947 wegen pro-nationalsozialistischer Aktivitäten für gut vier Jahre in US-Gefängnissen. Kaum ein anderer US-Journalist wurde seinerzeit härter bestraft. Sein einstiger Ruhm wurde da schon von dem seines Sohnes Peter Viereck (1916–2006) überstrahlt, einem Geschichtsprofessor und Pulitzer-Preisträger, der als eigenwilliger Vordenker der neokonservativen Bewegung in den USA gilt.
George S. Viereck, geboren 1894 in München und schon als Kind mit seinen Eltern nach Amerika übergesiedelt, fiel zuerst mit expressionistischer Lyrik auf (»Niniveh and Other Poems«, 1907), beschäftigte sich dann im Ersten Weltkrieg eingehend mit politischer Propaganda und entdeckte seine germanophilen Neigungen. Er tat alles dafür, als mystery man zu gelten – so dementierte er das Gerücht nicht, ein illegitimer Enkel von Kaiser Wilhelm I. zu sein, war mit dem Sexmagier und Hexenmeister Aleister Crowley befreundet und schrieb Bücher mit so seltsamen Titeln wie »Meine ersten 2000 Jahre. Autobiografie des Ewigen Juden« (1928). Nachdem er, jedenfalls außerhalb spezialisierter Historikerzirkel, über Jahrzehnte vollkommen in Vergessenheit geraten war, widmete die prominente amerikanische Fernsehmoderatorin Rachel Maddow ihm wie auch einigen damals NS-freundlichen Abgeordneten und Senatoren im US-Kongress 2022 einen achtteiligen Podcast unter dem Titel »Ultra«, der inzwischen auch in Buchform erschien; Steven Spielberg optionierte die Filmrechte. So könnte es sein, dass wir von Viereck demnächst auf großer kinematografischer Bühne mehr sehen werden. Das Interview, das er im Jahr 1923 mit Hitler führte, hatte der britische Guardian schon 2007 nachgedruckt – als wertvolle zeithistorische Quelle. Und das ist es auch.
Das Gespräch gibt es in zwei Versionen, die sich allerdings nur in Nuancen unterscheiden. Zuerst, 1923, hatte Viereck es diversen US-Zeitungen angeboten, aber keine wollte es drucken. So musste er es in dem kleinen, vom ihm selbst verlegten Monatsblatt The American Monthly bringen, am 8. Oktober jenes Jahres, einen Monat vor dem Bierkeller-Putsch. Obwohl Hitler im politisch instabilen Bayern[30] mit seiner jungen NSDAP zu der Zeit schon unter intensiver Beobachtung amerikanischer, französischer und italienischer Diplomaten stand, war er noch kein interessantes Sujet für die internationale Berichterstattung. Vierecks ursprüngliche Überschrift lautete – durchaus vorausschauend – »Hitler the German Explosive« (»Hitler, der deutsche Sprengstoff«). Im Juli 1932 veröffentlichte Viereck das Gespräch noch einmal in der Zeitschrift Liberty,[31] damals recht auflagenstark, nun lautete die Überschrift: »When I Take Charge of Germany« (»Wenn ich in Deutschland die Macht übernehme«). Da konnte sich der Interviewer schon rühmen, Hitler, der inzwischen ganz andere Machtoptionen hatte, als einer der Ersten auf die internationale politische Landkarte gesetzt zu haben. Die frühe Hitler-Bekanntschaft trug sicherlich dazu bei, dass Viereck nun von lukrativen NS-Propagandaaufträgen profitieren konnte.
Das Interview hat mehrere interessante Aspekte – so wird Hitler schon explizit nach der Behandlung von Juden gefragt, sollte er denn einmal die Regierung übernehmen, das sozialistische Element in der nationalsozialistischen Bewegung wird angesprochen wie auch die Ideologie der »Volksgesundheit«. Das war noch vor dem Erscheinen von »Mein Kampf«. Hitler hatte diese Fragen zwar schon rituell in seinen Reden vor 1923 thematisiert, einiges dazu stand auch im 25-Punkte-Parteiprogramm der NSDAP von 1920, aber es stimmt: Damit hatte den Führer in the making vor George Sylvester Viereck kein anderer der US-Interviewer konfrontiert.
George Sylvester Viereck (1884–1962), Poet, Bestsellerautor und Publizist mit weitgespannten Interessengebieten, schwenkte mit seinen germanophilen Schriften nahtlos von der Unterstützung des abgedankten Kaisers Wilhelm II. zur NS‑Propaganda in den USA um. Er bezeichnete Hitler schon früh (1923) als »deutschen Sprengstoff«.
George S. Vierecks Vater Louis war Sozialdemokrat, Redakteur und als Reichstagsabgeordneter in der Bismarck-Ära kurzzeitig inhaftiert. Seine Mutter Laura wurde in San Francisco geboren und war eine Cousine seines Vaters.[32] Die bemerkenswerte Karriere George S. Vierecks als junger Poet kann in unserem Zusammenhang außer Betracht bleiben; die weithin angesehene Saturday Evening Post hatte ihn mit seinen latent homoerotischen Gedichten immerhin schon früh als das »meistdiskutierte literarische Talent in den USA« qualifiziert. Die Zeit definitiv politischer Sozialisation kam für Viereck aber, wie für viele andere, mit dem Ersten Weltkrieg. Lange Jahre beschäftigte er sich mit dem US-Kriegseintritt unter Präsident Woodrow Wilson, mit dessen Chefberater Colonel (ehrenhalber) Edward Mandell House und dem Versailler Vertrag. Er arbeitete an Aktionen gegen die Entente, unter anderem zusammen mit den deutschen Militärattachés Franz von Papen und »the notourious German Captain« Karl Boy-Ed. Im August 1918 vertrieb ihn ein Lynchmob aus seinem Haus in Mount Vernon nördlich der Bronx.
Nach Kriegsende war Viereck ganz auf der Verteidigungslinie von Wilhelm II., dessen Schicksal im Doorner Exil von ihm als schmachvoll empfunden wurde. Schon 1908 hatte er in seinem Bestseller »Bekenntnisse eines Barbaren« über den letzten Hohenzollern-Kaiser geschrieben: »Wie Friedrich der Große, so steht Wilhelm II. auf dem Horizont der Geschichte als Leitstern da. Im Buch des Lebens ist sein Siegel vielleicht tiefer eingeprägt als jenes Bismarcks.« Im Oktober 1922, während jenes Europaaufenthalts, bei dem er auch Hitler traf, war er dann für zweieinhalb Wochen in Doorn beim ehemaligen Kaiser. Wilhelms getreuer Doorner Chefadjutant Sigurd von Ilsemann schrieb am 2. November 1922 in sein noch heute sehr lesenswertes Tagebuch über den »Deutschamerikaner Mr. Viereck, Herausgeber der Zeitschrift American Monthly, die der Kaiser in den letzten Jahren stets mit größtem Interesse gelesen hat und in der er selbst einige Artikel veröffentlichen ließ«:
Am Morgen sprach der Kaiser über eine Stunde mit Viereck. Der kleine, schmächtige Amerikaner, nicht gewöhnt an das lange Stehen, machte schlapp und erholte sich erst wieder nach einem Kognac. Dem Kaiser ist es in seinem Leben schon öfter passiert, daß ein Herr, den er zu lange ins Gespräch zog, umfiel. An den beiden letzten Abenden las der Kaiser uns in Gegenwart von Viereck dessen Niederschriften über seinen letzten Aufenthalt in Doorn vor. Der Kaiser war strahlend und sagte: »Da seht ihr mal, daß ich nicht ganz so dumm bin, wie andere immer wieder von mir behaupten. Es ist doch sehr gut, wenn man mal wieder etwas anderes über sich selbst liest, als dieses ewige Zeitungsgewäsch.«
Selbst der ergebene Ilsemann, der alle möglichen weitschweifigen Tiraden, die stete Larmoyanz, die dauernden Illusionen einer triumphalen Rückkehr nach Deutschland und das ewige Holzhacken und -sägen seines »hohen Herrn« in Doorn tapfer ertrug, betrachtete Vierecks grob gestrickte Kaiser-Elogen, die auch in deutscher Übersetzung in der Kölnischen Zeitung publiziert wurden, zunehmend skeptisch. So machte ihn ein Freund namens Wittich aus den USA auf die randständige Position Vierecks aufmerksam. Am 9. November 1924 notierte Ilsemann: »Geschimpf und Herabsetzen von Persönlichkeiten, die in ihrem Lande vom Vertrauen weitester Kreise getragen werden, kann ich nicht als eine wirksame deutsche Propaganda ansehen. In seiner Zeitschrift führt er eine Sprache, die sich würdig den deutschen kommunistischen und sozialistischen Hetzblättern an...
Erscheint lt. Verlag | 7.11.2024 |
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Zusatzinfo | Mit zahlreichen s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Schlagworte | Diktator • Diktatoren • Fernsehen • Gaddafi • George Sylvester Viereck • Goebbels • Göring • Heideggers Testament • Hitler • Hitler-Diktatur • Hitler-Tagebücher • Internationale Presse • Journalismus • Kim Jong-Un • Mao Zedong • Medien • Mussolini • Nationalsozialismus • Nazi-Buch • Nazi-Deutschland • Nervöse Zone • Obersalzberg • Professor • Putin • Putzi • Sachbuch • Schleyer • spiegel bestseller • Stalin • Stern |
ISBN-10 | 3-462-30397-X / 346230397X |
ISBN-13 | 978-3-462-30397-1 / 9783462303971 |
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