Entspannungstraining (eBook)
170 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61506-3 (ISBN)
1 Grundlegende Gedanken und Allgemeines zur Praxis von Entspannungstrainings
1.1 Grundlegende Gedanken zu Entspannungstrainings
Vor dem Einsteigen in die Praxis der einzelnen Entspannungsverfahren sollen nun einige grundlegende Gesichtspunkte dargelegt werden, die allgemein für Entspannungstraining aufschlussreich und wesentlich sind.
Wenn jemand kaum Kenntnisse und Erfahrungen mit Entspannungstrainings hat, ist es wahrscheinlich sinnvoller, sich erst einmal mit einzelnen Verfahren (Teil 2) zu beschäftigen und danach die hier ausgeführten grundlegenden Gedanken einzubeziehen.
1.1.1 Zielperspektiven
Das Ziel Entspannung ist bei genauerer Betrachtung vielschichtig. Ich halte es für sinnvoll, vier Ebenen oder Perspektiven zu unterscheiden, um sich seiner eigenen Zielvorstellung beim Entspannungstraining bewusster zu sein und die Besonderheit einer bestimmten Entspannungsübung richtig einzuschätzen:
1.Sofortige Entspannungswirkung der durchgeführten Übung: Bin ich jetzt nach der Übung entspannt? War das eine schöne Kursstunde?
2.Entwicklung der Entspannungsfähigkeit: Habe ich etwas dazugelernt, um später, wann immer ich es brauche, punktuell selbstständig zur Ruhe kommen zu können?
3.Verbesserung der Selbstregulation des Organismus: Gerate ich, seit ich die Übungen mache, weniger in Anspannung und Unruhe?
4.Entwicklung einer Lebenshaltung der Gelassenheit: Gewinnt Gelassenheit immer mehr Bedeutung in meinem Leben?
Natürlich schließen sich die verschiedenen Zielperspektiven nicht gegenseitig aus, sondern entwickeln sich im besten Fall nach und nach mit fließenden Übergängen.
Die Frage ist allerdings:
■Worauf kommt es mir hauptsächlich an?
■Worauf ziele ich ab, wenn ich selbst eine Entspannungsübung mache?
■Was will ich vor allem vermitteln, wenn ich eine Entspannungsübung anleite?
Entspannungsübungen lassen sich fachlich-methodisch diesen Zielebenen zuordnen.
Die meisten Entspannungsübungen, wie z.B. das Autogene Training, zielen hauptsächlich auf die Fähigkeit, punktuell bei Bedarf einen Entspannungszustand entstehen lassen zu können (Stressbewältigung). Die Übung steht dann quasi bereit als Werkzeug zur bewussten Herstellung der inneren Ruhe.
Eine Entspannungsübung kann in diesem Sinn als stete Prophylaxe ritualisiert im Tagesablauf eingesetzt werden (durchaus vergleichbar mit dem Zähneputzen), oder sie findet Anwendung in kritischen Situationen, um eine aktuell erhöhte Spannung auf ein gesundes Maß „runterzufahren“.
Nach längerem Üben, wenn also die Übung gut „verankert“ ist, lässt sich manchmal eine ausreichende Wirkung auch kurz „abrufen“, ohne dass die Übung vollständig durchgeführt werden muss. Bei einer Imaginativen Entspannung genügt dann etwa die einfache Vergegenwärtigung des eingeübten Bildes.
Andere Entspannungsübungen zielen weniger auf die Bereitstellung einer unmittelbar wirkungsvollen Übung, sondern sind eher zu verstehen als Training zum Aufbau einer guten Entspannungsselbstregulation des Organismus (Schutz vor Stress). Dafür ist die Progressive Relaxation ein Beispiel.
Manche Übungen, vor allem der meditativen Richtung, zielen von Anfang an sehr stark auf die Entwicklung einer Lebenshaltung der Gelassenheit, was mehr ist, als im Rahmen eines Entspannungstrainings normalerweise erwartet werden kann.
Wellness-Entspannungen, wie z.B. Entspannungsmusik im Ruheraum des Saunabereichs, sind praktisch nur auf die sofortige Wirkung orientiert.
Durch ein klares Verständnis der Zielebenen lässt sich mancher Enttäuschung im Teilnehmerkreis und bei der Leitung eines Entspannungstrainings vorbeugen. Wer z.B. lediglich das Ziel 1 oder allenfalls 2 vor Augen hat, wird in einem fachgerechten Kurs der Progressiven Relaxation kaum zufrieden sein. Ein verständnisvolles Besprechen und Erklären könnte eventuell die Motivation „retten“.
Ein Entspannungstraining sollte meiner Ansicht nach vor allem auf den Zielebenen 2 und 3, also Entspannungsfähigkeit und Selbstregulation, angesiedelt sein.
Die Ziele des Entspannungstrainings
Ein fachgerechtes Entspannungstraining dient der systematischen Entwicklung der Entspannungsfähigkeit als Hilfe zur Selbsthilfe.
Es ist gedacht für Menschen, die spontan und natürlich nicht mehr ausreichend zur Ruhe kommen bzw. die für solche Zeiten prophylaktisch etwas lernen möchten.
Die Teilnehmenden sollen also eine Entspannungsübung so lernen und üben,
■dass sie befähigt sind, selbstständig und sicher einen wirklich erholsamen Entspannungszustand herbeizuführen, d.h. möglichst unabhängig von
-anderen Personen (Anleitung, Berührung),
-äußeren Hilfsmitteln (Smartphone, CD, Musik),
-speziellen situativen Bedingungen (Liegestuhl, Duft);
■dass die unbewusste Selbstregulation des Organismus bezüglich Entspannung/Erholung sich deutlich verbessert,
■dass sich in der Person eine gesunde Lebenshaltung der Gelassenheit entwickelt.
Bedenke:
■Entspannung behebt nicht die Ursachen von übermäßigem Stress.
■Entspannung ist mehr als kurze Ablenkung und etwas anderes als Sich-Verwöhnen-Lassen.
1.1.2 Entspannungszustand
Gemeinsames Ziel aller Entspannungsverfahren ist es, der Person in ausreichendem Maß wirkliche Entspannung zu ermöglichen. Die Person soll (nach einiger Zeit) imstande sein, oft und lang genug einen richtigen Entspannungszustand zu erreichen, punktuell durch die jeweilige Entspannungsübung und/oder durch die verbesserte Selbstregulation des Organismus. Die Fähigkeit, diesen „Weg zur Ruhe“ erfolgreich zu gehen, wird durch das Entspannungstraining aufgebaut.
Ein Entspannungstraining, das der wirklichen Bedeutung von Entspannung gerecht wird, achtet dabei auf Individualität, Intensität und Autonomie. Es ermöglicht, den eigenen, selbstständigen Weg zur Entspannung zu finden.
Im Entspannungstraining kann die Person die jeweilige Entspannungsübung unter Anleitung kennenlernen und ausprobieren und danach zu Hause selbstständig einüben. Dann entwickelt sich daraus die erwünschte Fähigkeit.
Dazu ist es hilfreich, etwas Grundwissen, eine Vorstellung von einem Entspannungszustand, der wirkliche Ruhe und Erholung bedeutet, zu haben, das aber möglichst nicht nur theoretisch, sondern in Verbindung mit praktischer Erfahrung. So sollte eine gerade durchgeführte Entspannungsübung zumindest ansatzweise einen Entspannungszustand herstellen. Das motiviert auch zu konsequentem Weiterüben.
Was sind die Merkmale eines Entspannungszustandes? Natürlich ist er Gegenstück zu Anspannung, Nervosität und Stress. Physiologisch lässt also im Bereich des vegetativen Nervensystems die Aktivität des (für Stress zuständigen) Sympathikus nach. Im Wesentlichen ist im Entspannungszustand der (für Erholung zuständige) Teil bestimmend, der Parasympathikus genannt wird.
Die Gehirnaktivität ist vor allem gekennzeichnet durch Alpha- und Theta-Wellen im EEG. Durch Biofeedbackgeräte lässt sich z.B. auch zeigen, dass sich die Hautleitfähigkeit, die bei Stress meist erhöht ist (feuchte Hände), in der Entspannung verringert.
Solche Gerätemessungen und fachmedizinische Beschreibungen sind allerdings eher für wissenschaftliche Untersuchungen relevant. In der Praxis von Entspannungstrainings steht im Vordergrund, die Entwicklung eines Entspannungszustandes konkret und unmittelbar selbst wahrzunehmen und zu beobachten – und ihn (trotz Überschneidungen) vom Schlafzustand zu unterscheiden.
Obwohl Schlaf meist auch Entspannung und Erholung bedeutet, hat der Entspannungszustand einen eigenen Wert, der sich nicht durch Schlaf ersetzen lässt. Entspannung ist zu verstehen als ein Zustand zwischen Wachen und Schlafen, ein Ruhezustand bei Bewusstsein, und das wache, bewusste Leben braucht in sich einen guten Rhythmus. Es ist sogar so, dass tagsüber fehlende oder unzureichende Erholungsphasen die nächtliche Schlafqualität beeinträchtigen.
Einschlafen bei einer Entspannungsübung ist zwar insofern ein gutes Zeichen, als sich da schon eine beträchtliche Entspannung entwickelt haben muss (sonst könnte man nicht einschlafen), und eine gelernte Entspannungsübung lässt sich tatsächlich eventuell auch als Einschlafhilfe nützen. Dennoch ist Einschlafen nicht das Ziel einer richtig verstandenen Entspannungsübung, und Teilnehmern sollte immer klar sein, dass sie bei einem Entspannungstraining sind, nicht bei einem Einschlaftraining.
Der Unterschied zwischen Entspannungszustand und Schlaf lässt sich im EEG zuverlässig nachweisen (Petermann/Vaitl 2014, 44). Die sichersten praktischen Anzeichen für Schlaf in einer Entspannungsgruppe sind Schnarchen und fehlende Reaktion auf die Anleitung zur Beendigung der Übung. Bei unerfahrenen Personen kommt es öfter vor, dass sie glauben, geschlafen zu haben, während sie „nur“ einen intensiven Entspannungszustand erreicht hatten. Zum angemessenen Umgang mit Einschlafen als Störung im Entspannungstraining in 1.2.3 „Durchführung“.
Wie lässt sich nun ein Entspannungszustand im Einzelnen wahrnehmen, insbesondere spüren (für jemand, der selbst die...
Erscheint lt. Verlag | 12.7.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Esoterik / Spiritualität |
Geisteswissenschaften | |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Achtsamkeit • Atem-Entspannung • Ausbildung • Autogenes Training • Coach • Entspannung • Fantasiereise • Gelassenheit • Gesundheit • hygge • Hypnose • Hypnotherapie • Jacobson • Kursgestaltung • Meditation • Phantasiereise • Praxis • Progressive Relaxation • Psychologie • Psychotherapie • Selbsthypnose • Seminar • Therapeut • Therapeutin • Therapie |
ISBN-10 | 3-497-61506-4 / 3497615064 |
ISBN-13 | 978-3-497-61506-3 / 9783497615063 |
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