Im Widerstand (eBook)
556 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-73361-1 (ISBN)
Zwischen Wegducken und Mut zum Handeln schwankte nach 1933 die Haltung jener Deutschen, die keine überzeugten Nazis oder gleichgültige Mitläufer waren. Einfache Leute brachten sich in Gefahr, weil sie aus Anstand Unschuldigen Hilfe leisteten, Kommunisten wurden im Untergrund aktiv, Kirchenleute, Aristokraten oder Intellektuelle verweigerten sich und planten sogar den Regimewechsel. Aber weit mehr fürchteten um ihre Sicherheit und die ihrer Familien und ballten deshalb nur die Faust in der Tasche. In dichten Szenen erzählt Wolfgang Benz von der Wirklichkeit im NS-Regime und den Motiven und Bedingungen der Opposition in einem Terrorstaat.
Wolfgang Benz war bis 2011 Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Er hat zahlreiche Werke zur Geschichte des Dritten Reiches vorgelegt. 1992 erhielt er (zusammen mit Barbara Distel) den Geschwister-Scholl-Preis.
Cover 1
Titel 2
Impressum 3
Inhalt 4
Prolog: Widerstand ohne Volk oder Volk ohne Widerstand? 8
Auflehnen gegen die Obrigkeit 8
Phasen der Hinnahme 14
Widerstand als Haltung 15
Definition und Deutung 18
Handeln gegen das Regime 19
1. Widerstand gegen den Nationalsozialismus vor Hitlers Machterhalt: Publizisten, Politiker, Künstler, Wissenschaftler 22
Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Ernst Toller 24
George Grosz, John Heartfield, Lion Feuchtwanger 28
Emil Gumbel, Theodor Lessing 31
Walter Gyßling 33
Theodor Heuss, Konrad Heiden 34
Ernst Niekisch, A. Paul Weber, Erich Ohser 37
Theodor Wolff, Fritz Michael Gerlich 44
Der Klub vom 3. Oktober 47
Erich Mühsam, Werner Hegemann, Emil Ludwig 48
Hans Achim Litten 52
SPD, Reichsbanner, Eiserne Front 54
Friedrich Franz von Unruh, Paul Kampffmeyer 59
2. Statt Hitler lieber einen König: Bayerische Monarchisten 63
3. Widerstand aus der Arbeiterbewegung 74
Die Kommunistische Partei 74
Verfolgung und Widerstand der Kommunisten Alfred und Lina Haag 78
Die Sozialdemokratische Partei 85
Gewerkschaften 98
Linke Sozialisten und rechte Kommunisten 102
Der Internationale Sozialistische Kampfbund 106
Illusionen des Widerstands: Volksfront aller Demokraten oder wenigstens die Einheitsfront der Arbeiter 110
4. Misslungenes Aufbegehren: Konservative Opposition nach dem Scheitern des Zähmungskonzepts 116
5. Der Mann aus dem Volk: Georg Elser 128
6. Widerstand von Christen: Anpassung und Kollaboration der Kirchen 155
Bekennende Kirche und «Deutsche Christen» 161
«Mit brennender Sorge» 163
Widerstand aus dem Glauben 167
Die «Reichskristallnacht» 1938 und das Christentum 176
Die Kirchen und der Krankenmord 180
Vom Kirchenkampf zum Widerstand 187
Jehovas Zeugen (Ernste Bibelforscher) 189
Kirchen und Juden 193
Das Schuldbekenntnis der Protestanten 204
Katholische Martyrologie und christliche Barmherzigkeit 206
7. Intellektuelle: Die Rote Kapelle 213
8. Jüdischer Widerstand und Rettung von Juden 244
Selbstbehauptung 244
Der Protest in der Rosenstraße 254
Widerstand für Juden 257
9. Nonkonformes Verhalten: Opposition und Widerstand der jungen Generation 283
Edelweißpiraten, Meuten, Swing-Jugend 287
Junge Arbeiter: Die Herbert-Baum-Gruppe 289
Widerstand an der Universität: Die Weiße Rose 301
Die Flugblätter der Weißen Rose 307
Die Geschwister Scholl 316
Alexander Schmorell 322
Willi Graf 326
Christoph Probst 330
Kurt Huber 333
Sympathisierende und Unterstützer 336
Die Weiße Rose und die Juden 338
Epigonen in München 342
Nachhall in Hamburg 349
Verklärung nach dem Untergang: Der Nachruhm der Weißen Rose 351
10. Gesellschaftliche Eliten 354
Liberale: Der Robinsohn-Strassmann-Kreis 355
Milieu und Widerstand 358
Politischer Katholizismus 366
Konservatives Bürgertum: Johannes Popitz 373
Einig als Opposition: Der Solf-Kreis 375
Gelehrte: Der Freiburger Kreis 377
Carl Goerdelers Weg zum Widerstand 378
Die Berliner Mittwochsgesellschaft 380
Der Goerdeler-Kreis 381
Der Kreisauer Kreis 387
Staatsziel und Gesellschaftsordnung 393
11. Widerstand von Soldaten 396
Hitlers Kriegspläne und die Anfänge der Militäropposition 405
Tyrannenmord: Das verschobene Attentat 406
Unternehmen Sieben 409
Schwarze Kapelle 411
Zentren und Akteure des Widerstands der Offiziere 412
Der 20. Juli 1944 415
Hitlers Rache 424
Das Nationalkomitee Freies Deutschland 429
Kriegsdienstverweigerung und Fahnenflucht als Widerstand 437
12. Widerstand in letzter Stunde 446
Die Männer von Brettheim 446
Das Kriegsende in Ansbach 451
Aufstand in Dachau 454
Die Freiheitsaktion Bayern 456
Epilog: Widerstand in Deutschland und im Exil 462
Dank 482
Anhang 484
Anmerkungen 486
Literatur 533
Bildnachweis 538
Personenregister 540
Tafelteil 556
Zum Buch 576
Über den Autor 576
Prolog:Widerstand ohne Volk oder Volk ohne Widerstand?
Auflehnen gegen die Obrigkeit
Wer sich gegen fremde Herrschaft erhebt wie Andreas Hofer 1809 in Tirol gegen Bayern und Franzosen oder der preußische Offizier Ferdinand von Schill, der im gleichen Jahr in Stralsund eine Volkserhebung gegen Napoleon forderte und den Preußenkönig zum Krieg gegen Frankreich zwingen wollte, geht als Freiheitskämpfer in die Geschichte ein. Der Pole Tadeusz Kościuszko gewann im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Ruhm und Ehre, führte 1794 den polnischen Aufstand gegen Preußen und Russland und wird als Nationalheld verehrt; der höchste Berg Australiens trägt den Namen des polnischen Patrioten. Giuseppe Garibaldi und Giuseppe Mazzini wurden im Risorgimento zu Gründern der italienischen Nation, nicht anders Mahatma Gandhi, der im gewaltfreien Widerstand die britische Herrschaft über Indien beendigte. Einmütige Zustimmung ist allen Patrioten sicher, die gegen fremde Usurpatoren und Okkupanten kämpfen, die sich gegen ein Gewaltregime, das von außen kommt, auflehnen und den Heldentod riskieren.
Ganz anders ist es, wenn der Feind kein Fremder ist. Gegen Diktatur aufzustehen und deren Unrecht zu benennen, wenn der «Führer» behauptet, als Diener der Nation zu handeln, seine Taten als notwendig für das Vaterland erklärt, sich als Retter und Erlöser feiern lässt, findet nicht den Beifall der am Regime Mitwirkenden, der Nutznießer, der Claqueure. Widerstand gegen die Obrigkeit findet auch keine Zustimmung bei den Naiven, den Teilnahmslosen, den Betörten und schon gar nicht das Verständnis derer, die die Augen vor Rechtsbruch und Missachtung der Menschenrechte schließen, weil sie von der «Ehre der Nation», dem militärischen Erfolg, dem Triumph über andere Nationen berauscht sind oder einfach den Propagandaphrasen glauben wollen.
Zur Verinnerlichung von Werten wie Ruhe und Ordnung, Gefolgschaft und Treue, Befehl und Gehorsam erzogen, fiel es den Zeitgenossen Adolf Hitlers schwer, sich gegen die Herrschaft des Nationalsozialismus zu wehren. Sie glaubten sich, auch wenn sie in zunehmendem Maße vieles missbilligten, doch einig in der Liebe zum Vaterland und geborgen in einer Volksgemeinschaft, die ihnen als erstrebenswerte Gemeinsamkeit vorgegaukelt wurde. Gegen den äußeren Feind zusammenzustehen war auch erklärten Gegnern des NS-Regimes das erste Gebot. Je länger, desto mehr – aber nie in der nach dem Zusammenbruch behaupteten Unbedingtheit und schon gar nicht von Anfang an – wurde Terror gegen Andersdenkende das Mittel, das Kritiker schweigen ließ.
Wer sich, aus welchen Motiven auch immer, zum Widerstand gegen das NS-Regime entschloss, wählte die Einsamkeit des Außenseiters und nahm das Unverständnis der Mehrheit auf sich. Das änderte sich auch nach dem Ende des «Dritten Reiches» nicht gleich. Ob der Widerstand von Kommunisten überhaupt legitim und ernst zu nehmen sei, wurde im Zeichen des Kalten Krieges im Westen Deutschlands lange diskutiert, während im Osten der Widerstand der KPD Moskauer Observanz mit allen Mitteln glorifiziert wurde, weil er den Neubau von Staat und Gesellschaft legitimieren sollte. Aber auch Graf Stauffenberg und seine Mitverschwörer gegen Hitler mussten lange warten, bis sie als Akteure des 20. Juli 1944 als Helden und nicht mehr als Verräter gesehen wurden. Der Widerstand des Kreisauer Kreises, der Roten Kapelle, des Goerdeler-Kreises, die Militäropposition um Admiral Canaris fanden lange Zeit nicht die Anerkennung, die diese Vertreter des «anderen Deutschland» als moralische Aktiva in der überwiegend negativen Bilanz des Verhaltens deutscher Bürger unter der Diktatur zu beanspruchen hatten. Georg Elser, der schlichte Mann aus dem Volke, der früher als die anderen das Böse erkannte und im Alleingang beseitigen wollte, fand Jahrzehnte nach seiner Tat keine Beachtung, galt als Marionette in fremder Hand oder wunderlicher Einzelgänger, den niemand ernst nahm. Inzwischen steht er in der öffentlichen Wahrnehmung und Wertschätzung etwa auf Augenhöhe mit Claus Schenk von Stauffenberg. Auch die Studenten der «Weißen Rose» in München waren eine kleine einsame Gruppe. Sie wurden aber, wie in anderem Zusammenhang das Mädchen Anne Frank, früh denkmalwürdig. Nicht zuletzt deshalb, weil die Nazi-Barbarei so gegen sie gewütet hatte, dass die Identifizierung mit ihnen – nach dem Ende des Regimes – leicht fiel.
Die Fragen, die der Widerstand der Wenigen auslöst, die ihn als Angehörige der gesellschaftlichen Eliten, als Christen, als Militärs, als Politiker, Bürokraten, als einzelne Bürger geleistet haben, lauten: Warum waren es so wenige, die sich gegen das Gewaltregime aufbäumten? Warum hat es so lange gedauert, bis bei den wenigen die Erkenntnis reifte, die sie zum Handeln trieb? Warum blieb die schweigende Mehrheit bis zum letzten Atemzug des Tyrannen und länger tatenlos? Das sind die Fragen, die dieses Buch stellt.
In der nationalen Euphorie des Jahresbeginns 1933, als Aufbruchstimmung, jedenfalls die Bereitschaft mitzumachen oder mindestens abzuwarten, die politischen Emotionen in Deutschland prägte, tolerierte die Mehrheit die ersten Rechtsbrüche der Hitler-Regierung. Es gab keinen Protest gegen die Übergriffe auf Juden oder Kommunisten, die als patriotischer Überschwang Einzelner ohne Wissen der Machthaber abgetan wurden («Wenn das der Führer wüßte» lautete eine Formel der Selbstbeschwichtigung). Die Verordnung des Reichspräsidenten «zum Schutz von Volk und Staat», die nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 erlassen wurde und die pseudolegale Methode der Verfolgung politischer Gegner oder Missliebiger durch «Schutzhaft» einführte, wurde hingenommen. Ebenso das Instrumentarium der «Schutzhaft», die Konzentrationslager, die wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schossen. Das Gesetz «zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums» im April, der Sturm der SA auf die Gewerkschaftshäuser im Mai 1933 und weitere Maßnahmen, die weder durch die Weimarer Reichsverfassung noch durch das «Ermächtigungsgesetz» legitimiert waren, wurden nicht mit Verweigerung, Protest, Demonstration erwidert. Die nachträgliche Beteuerung, man habe nichts machen können, kann aber für die Frühzeit der Koalition aus NSDAP und Deutschnationaler Volkspartei nicht gelten.
Deutliche Regungen des Unmuts, der Verwahrung, der Missbilligung – die von der Hitler-Regierung sogar erwartet wurden – blieben auch aus, als Hitler die Morde anlässlich des sogenannten Röhm-Putsches im Juni 1934 damit rechtfertigte, er habe als «oberster Gerichtsherr» der Deutschen nach uraltem germanischen Recht einschreiten müssen gegen eine Meuterei. Die hatte aber gar nicht stattgefunden. In Wirklichkeit war es die Ausschaltung der SA in Form einer mörderischen Säuberung der eigenen Reihen und die durch die gebotene Gelegenheit mögliche Abrechnung mit Gegnern und Kritikern gewesen. Reichswehrminister Blomberg, der schon im Februar 1934 als Beweis seiner Ergebenheit die «Hoheitszeichen der NSDAP» bei der Wehrmacht eingeführt hatte, erließ am 1. Juli 1934 einen Tagesbefehl, in dem er die «soldatische Entschlossenheit» pries, mit der der Reichskanzler «die Verräter und Meuterer» niedergeschmettert habe. Die Wehrmacht danke ihm dies «durch Hingebung und Treue». Der Vorgang war ungeheuerlich – nicht so sehr, weil das deutsche Volk in seiner Mehrheit die Ereignisse als rettende Kraftanstrengung des Regierungschefs gegenüber der SA und ihres Anführers Ernst Röhm empfand, sondern weil Rechtsempfinden und politische Moral im nationalistischen Taumel von «Deutschlands Erneuerung» so rasch verkümmert waren, dass der Rückfall in den archaischen Zustand der Tyrannei nicht beklagt, sondern freudig begrüßt wurde.
Auch die Reichswehr, die bei dem Massaker zwei hoch angesehene Generale durch gezielten Mord verloren hatte, nahm die Ereignisse hin. Die Kirchen hüllten sich in Schweigen. Und warum hat die Justiz den anschließenden Verfassungsbruch Hitlers toleriert, mit dem er nach dem Tod Hindenburgs das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinigte? Warum hat die Wehrmacht ihn bejubelt? Die letzte Barriere, die Hitler von der unumschränkten Diktatur noch trennte, war der Reichspräsident, weniger als Person, denn Hindenburg lag im Sterben, sondern als Institution, deren Existenz und deren Rechte ausdrücklich vom «Ermächtigungsgesetz» nicht tangiert waren. Am 1. August 1934 suchte Hitler das Staatsoberhaupt noch einmal auf und ließ, nach Berlin zurückgekehrt, ein Gesetz verabschieden, das ihn zum Nachfolger machte: Das Amt des Reichspräsidenten wurde aufgelöst und Hitler die Position «Führer und Reichskanzler» zuerkannt. Das geschah unmittelbar vor Hindenburgs Tod.
...Erscheint lt. Verlag | 14.3.2019 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | Alexander Schmorell • Christoph Probst • Deutschland • Georg Elser • Geschichte • Graf Stauffenberg • Hans Scholl • Hitler • Kurt Huber • Nationalsozialismus • Opposition • Sachbuch • Sophie Scholl • Untergrund • Weiße Rose • Widerstand • Widerstandskämpfer • Willi Graf |
ISBN-10 | 3-406-73361-1 / 3406733611 |
ISBN-13 | 978-3-406-73361-1 / 9783406733611 |
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