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Hitlers vergessene Kinderarmee (eBook)

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2014 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-50701-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hitlers vergessene Kinderarmee -  Harald Stutte,  Günter Lucks
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Im Frühjahr 1945 wirkten sie als Statisten im letzten Kapitel des untergehenden Nazi-Reiches mit. Sie waren Teil einer «Kinderarmee», Hitlers letzten Aufgebots. In einem «Reichsausbildungslager» (RAL) der Hitlerjugend im südmährischen Bad Luhatschowitz waren die 16- und 17-Jährigen in Schnelllehrgängen zu Soldaten geschliffen worden, zusammen mit über 1000 Gleichaltrigen. Anschließend kassierte die Waffen-SS die Kindersoldaten und verheizte sie in einem Krieg, der zu diesem Zeitpunkt längst verloren war. Im September 1944 ordnete die NS-Führung, ihr nahes Ende vor Augen, die «Erfassung aller zwischen 16 und 66 Jahren» an. Erzogen treu im Glauben an Führer und Vaterland, folgten Tausende diesem Aufruf. In Wahrheit waren diese Kinder jedoch nicht «wehrfähig», geschweige denn «Männer». Acht ihrer Geschichten werden hier erzählt. Zu «Ich war Hitlers letztes Aufgebot»: «Das Verdienst dieses ehrlichen Buches liegt darin, dass es die ganze Komplexität dessen offenbart, was Krieg bedeutet. Es ist sorgfältig, spannend und sachlich erzählt und historisch gut recherchiert.» Welt am Sonntag «Der Text hat mich berührt.» Günter Grass

Harald Stutte, Jahrgang 1964, studierte Politikwissenschaft und Geschichte. Er arbeitet als Redakteur im Medienverlag RedaktionsNetzwerk Deutschland. Texte von ihm sind in diversen überregionalen Zeitungen wie der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung', der 'Süddeutschen Zeitung' oder der 'Welt am Sonntag' erschienen. Geboren in Leipzig, lebt er seit 1985 in Hamburg.

Harald Stutte, Jahrgang 1964, studierte Politikwissenschaft und Geschichte. Er arbeitet als Redakteur im Medienverlag RedaktionsNetzwerk Deutschland. Texte von ihm sind in diversen überregionalen Zeitungen wie der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", der "Süddeutschen Zeitung" oder der "Welt am Sonntag" erschienen. Geboren in Leipzig, lebt er seit 1985 in Hamburg. Günter Lucks, Jahrgang 1928, war nach der Ausbildung bis 1955 bei der Post tätig. Danach arbeitete er im graphischen Gewerbe, ab 1962 bis zur Rente im Axel Springer Verlag. Dort war er lange Jahre Betriebsrat. Eine Einladung der Bundeswehr in Gründung, ihr als Offizier beizutreten, hatte er abgelehnt. Er lebte in Hamburg, wo er im Dezember 2022 starb.

Der Soldat-Darsteller


Willi Witte: Plötzlich saß Göring im Lager-Theatersaal

Einer dieser jugendlichen Soldaten, die der Krieg zunächst nach Tschechien, später nach Österreich verschlagen hatte, war Willi Witte, geboren in Westerland auf der Nordseeinsel Sylt, die schon im nationalsozialistischen Deutschland als Urlauberparadies der NS-Ferienorganisation «Kraft durch Freude» beliebt war. Anfang Dezember 1944 erhielt der 15-Jährige Behördenpost – es war die Einberufung in ein Reichsausbildungslager (RAL). Zusammen mit seinen Jugendfreunden Harald Koopmann und Harald Voigt sollte er sich am 8. Dezember um 9 Uhr auf dem Bahnhof in Hamburg-Altona einfinden. Dort wurden ihnen die neuen Bestimmungsorte mitgeteilt, eine mehrtägige Irrfahrt über Dresden, Bernsdorf in der Oberlausitz, Breslau und Hranice na Moravě (Mährisch Weißkirchen) schloss sich an. Am 18. Januar 1945 kamen sie schließlich im ebenfalls mährischen Kurort Bad Luhatschowitz an.

Nachdem sie ihre Quartiere in von den tschechischen Eigentümern geräumten Villen bezogen hatten, begann eine straffe militärische Ausbildung. Sie wurden bei Eis und Schnee durch das Gelände gescheucht, lernten das Schießen mit dem MG 42 und der Panzerfaust. Die bessere Variante dieser berüchtigten Panzerbekämpfungswaffe war mit Gefechtskopf etwa 15 Kilo schwer und konnte Panzer auf bis zu 60 Meter Entfernung knacken. Besonders begeisterten sich die Jungen für das Schießen – noch schien alles ein unterhaltsames Spiel. Sie waren im Geiste des NS-Regimes erzogen, fast jeder von ihnen wäre blindlings in sein Verderben gerannt, wäre ein solcher Befehl als Dienst am Vaterland ergangen. In ihren jungen Jahren fühlten sie sich wie ihre Idole, Hitlerjunge Utz zum Beispiel, ein «Plakatheld», mit dem das Regime überall für den Dienst bei der Waffen-SS warb. Mit Panzerfaust bewaffnet, attackiert dieser Utz einen sowjetischen Panzer. Die Propaganda, Schule und Erziehung hatten ganze Arbeit geleistet. Die Jungen glaubten tatsächlich, sie könnten die Sowjetarmee zurück bis hinter die Wolga jagen.

Sie machten die Erfahrung, dass sich die gleichaltrigen Tschechen im Ort ihnen gegenüber kühl distanziert bis feindlich ablehnend verhielten. Am 8. März 1945 endete die Ausbildung im Lager. Versprochen worden war, dass die Jungen nun wieder nach Hause kämen. Doch welch Enttäuschung, als ein Bannführer der Hitlerjugend, Moritzen mit Namen, vor die versammelte Mannschaft trat und meldete, dass der Ausbildungslagerabschluss mit 1400 Hitlerjungen der SS übergeben werde. «Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen!», hieß es da. Zuvor faselte er mit gestelztem Pathos davon, dass sich Deutschland in höchster Gefahr befände.

Dann wurden sie aufgeteilt: 200 Mann sollten nach Wien, 50 Mann zur Panzernahkampfbrigade nach Berlin, der Rest auf den Truppenübungsplatz Beneschau bei Prag. Nach dieser Nachricht gab es lange Gesichter und auch so manche heimliche Träne. Nicht nur, dass der erhoffte Urlaub in der Heimat ausfiel, hinzu kam, dass sie von der Waffen-SS kassiert worden waren. Dabei hatten fast alle bereits einen Wehrpass für das Heer, die Marine oder die Luftwaffe in der Tasche. Auch bei Willi Witte stellte sich Enttäuschung ein. Im Zug ging die Reise in die Nähe von Prag nach Prosečnice, zu Deutsch Kienschlag. Schon beim Aussteigen sahen sie lauter SS-Uniformen. Noch auf dem Bahnhof wurden sie in Kompanien aufgeteilt. Glücklicherweise blieben Harald Koopmann und Willi zusammen. Dann ging es in die Quartiere. Tschechen gab es kaum noch auf dem Truppenübungsplatz. Es war alles verlassen und grausam öde. Ein Schneesturm tobte. Sie lagen in dem Dorf Networschitz in einem kleinen Tal. In einer ehemaligen Lederfabrik war die Großküche eingerichtet.

Ihr Zug kam in einer ehemaligen Schule unter. Es waren Doppelbetten in den Klassen aufgestellt worden. Bereits am nächsten Morgen wurden Gewehre verteilt, anschließend wurde ihnen das Blutgruppenmerkmal in den linken Oberarm tätowiert. Doch die weitere militärische Ausbildung erfolgte noch immer in HJ-Uniformen. Es war ein unwahrscheinlich harter und erbarmungsloser Schliff dort, erinnert sich Witte. Es wurde das Letzte aus ihnen herausgeholt. Am 12. März marschierte das ganze Regiment zur Vereidigung auf. Der Kommandant hielt eine Ansprache und ließ durchblicken, dass der Fronteinsatz unmittelbar bevorstand. Das Regiment nannte sich: «Konopacki, Kampfgruppe Böhmen SS Division ‹Hitlerjugend›». Man nahm ihnen auch die Wehrpässe ab und drückte dann einen Stempel der SS mit Namen und Einheit hinein.

Die Ausbildung konzentrierte sich vor allem auf Panzerbekämpfung. Die Jungen sollten mit einer Tellerhaftmine auf einen schnell fahrenden Panzer springen und sie dann am Turm befestigen. Das erforderte viel Mut, denn bei einem Absturz drohte man von den Ketten zermalmt zu werden. Ein letztes «Kriegsspiel» fand am 30. März statt, eine Großübung, die zwei Tage dauerte. Es wurde marschiert, belauert und viel herumgeballert – natürlich mit Platzpatronen. All das spielte sich zwar in einer einmalig schönen Gegend ab, aber für solche Betrachtungen war nicht viel Zeit. Als sie wieder im Quartier waren, wurden sie feldgrau eingekleidet, scharfe Munition wurde ausgehändigt.

Am 5. April um 16 Uhr nachmittags erreichte sie der Befehl zum Abmarsch. Vorher waren Essensrationen und die Waffen verteilt worden – überwiegend altmodische Schießgeräte vom Typ «Karabiner 98», die Standardwaffe des 1. Weltkriegs. Die Ausbilder blieben als Kommandeur bei der Truppe. Mit den hochdekorierten «alten Frontschweinen», teils Ritterkreuzträger, war leicht auszukommen. Sie hatten schon viel erlebt, strahlten auf die Jungen eine abgeklärte Besonnenheit aus. Anders die ehrgeizigen, fanatischen jungen Fahnenjunker, Offiziersanwärter also. Willis Spieß war einer dieser Fanatiker, der sich bereits während der Ausbildung am gnadenlosen Drill der Jugendlichen ergötzt hatte. Auf mit Holzgas betriebenen LKW ging die Fahrt durch Böhmen in Richtung Niederösterreich nach Krems. Dort an der Donau gruben sie sich ein, die Front verlief ganz in der Nähe. Witte genoss den Blick auf die Donau. Die Szene wirkte absolut friedlich, beinahe idyllisch. Sie lagen neben einer ehemaligen Flakeinheit, die überwiegend aus älteren Männern bestand. Diese schüttelten beim Anblick dieser Milchgesichter in den viel zu großen Uniformen nur die Köpfe und meinten: «Jungs, geht bloß nach Hause!» Daraufhin verbot der Spieß den Jugendlichen, mit den alten Männern zu reden.

Neun Tage lagen sie dort, ohne dass etwas passierte. Am 16. April bestiegen sie wieder die Lastkraftwagen, und die Fahrt ging in Richtung Osten bis Laa an der Thaya. Dort war es gerade zu schweren Gefechten gekommen. Und sie spürten sofort: Hier brannte es, das war der wahre Krieg. Witte und drei Kameraden erhielten den Befehl, einen verwundeten Soldaten zu bergen, dem die ganze Bauchdecke weggerissen worden war, sodass die Eingeweide herausquollen. Ihre Trage bestand aus einer Decke, jeder griff sich einen Zipfel. Der Rückzug geriet zu einem Höllenkommando, denn plötzlich wurden sie mit Granatwerferfeuer eingedeckt und überlebten wohl nur durch eine glückliche Fügung.

Sie mussten sich entlang einer der Kellergassen eingraben, einem dieser typischen Hohlwege. Willi Witte hatte Glück, sein Loch lag an der tiefsten Stelle des Wegs, die für die Feinde nicht einsehbar war, weil sie durch eine zwei Meter hohe Erdkante geschützt wurde. Von seinem Loch aus wurde diese Kante in beide Richtungen niedriger, bis sie etwa 20 Meter weiter links und rechts von Willi gar nicht mehr existierte. Etwa 30 Meter Luftlinie trennten sie in östlicher Richtung von den sowjetischen Stellungen. Vor allem ein befestigtes Nest mit einem schweren Maschinengewehr machte den Jungen zu schaffen. So sehr, dass in der folgenden Nacht Wittes gesamte Gruppe hinweggemäht wurde. Nur sein Schützenloch, in dem er sich mit einem Kameraden eingegraben hatte, war aufgrund seiner Lage verschont geblieben. Das Gefecht glich einem Tontaubenschießen, einem Massaker! Nur wenige der kriegsunerfahrenen Jugendlichen hatten die Nacht überlebt. Erst im Morgengrauen gelang es einem Trupp, das MG auszuschalten.

Nun erhielten sie ihren ersten Kampfauftrag, ein von den Russen besetztes Dorf sollte angegriffen werden. Die Minuten vor Beginn der Operation zogen sich dahin, die Jungen litten unter lähmender Angst. Nach den Erfahrungen der vergangenen Nacht hatten sie das Gefühl, in den sicheren Tod geschickt zu werden. Denn schon hatten sie gemerkt, dass sie in diesem Krieg die Gejagten waren, dass hier David vergeblich gegen Goliath kämpfte, dass hier nichts zu gewinnen war. Doch zum Kampf kam es nicht. Wider Erwarten rückten sie kampflos in den zuvor heftig umkämpften Ort Altlichtenwarth ein. Sie durchkämmten Häuser, Scheunen, Gehöfte. Auf der Straße lag ein toter russischer Offizier mit gespaltenem Schädel. Willi nahm ihm die Pistole ab, war für einen Moment stolz auf seine «Trophäe», eines der begehrten Tokarew-Modelle. «Nix da, die gehört mir», sagte ein Offizier, der hinzukam und die Pistole einsteckte. Am...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2014
Zusatzinfo Mit 16 s/w Fotos
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Adolf Hitler • Hitlerjugend • Kindersoldaten • Nationalsozialismus • Soldat • Volkssturm • Waffen-SS
ISBN-10 3-644-50701-5 / 3644507015
ISBN-13 978-3-644-50701-2 / 9783644507012
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