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Von Oberlin nach Ostberlin (eBook)

Als Amerikaner unterwegs in der DDR-Literaturszene
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
224 Seiten
Links, Ch (Verlag)
978-3-86284-239-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Von Oberlin nach Ostberlin - Richard A. Zipser
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Seine Recherchen zur DDR-Literatur führten den amerikanischen Germanisten Richard Zipser ab 1973 wiederholt von Oberlin im US-Bundesstaat Ohio nach Ostberlin, Hauptstadt der DDR. Zeitgleich wurde seine Stasi-Akte angelegt, die bis 1988 auf viele hundert Seiten anwuchs. Diese Geheimdienstberichte gaben den Anstoß zu seinen Erinnerungen an die Literaturszene und den Alltag in der DDR.
Aus den Kontakten zu zahlreichen Schriftstellern wurden mitunter Freundschaften wie die mit Jurek Becker, Elke Erb, Karl-Heinz Jakobs, Bernd Jentzsch, Sarah Kirsch, Ulrich Plenzdorf, Klaus Schlesinger und Christa Wolf. Zu denen, die über Zipser berichteten, zählen die Schriftsteller Uwe Berger, Fritz Rudolf Fries und Paul Wiens, der Verleger Konrad Reich, ein Juristen-Ehepaar sowie Stefan Heyms Haushälterin.
Durch genaue Beobachtung, interessante Episoden und prägnante Zitate entsteht ein höchst persönliches Werk der Literaturgeschichte, das überraschende Einblicke gewährt.

Jahrgang 1943, US-Germanist mit dem Forschungsschwerpunkt DDR-Literatur, in den 1970er und 80er Jahren Professur am Oberlin College, Ohio, seit 1986 an der University of Delaware, Newark; zahlreiche Veröffentlichungen u.a.: "DDR-Literatur im Tauwetter. Wandel - Wunsch - Wirklichkeit", 3 Bände, New York/Bern/Frankfurt a.M. 1986; "Fragebogen: Zensur - Zur Literatur vor und nach dem Ende der DDR", Leipzig 1995.

»Feind ist, wer anders denkt« Anmerkungen eines ersten Lesers


Vorwort von Heinz-Uwe Haus


I

Mehr als zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung legt Richard Zipser, Zeuge eines besonderen Gebiets der Teilungsgeschichte, der »DDR-Literatur«, seine Erinnerungen vor. Es sind die Erinnerungen eines Forschers, Lehrers und Anwalts der unter dem SED-Regime entstandenen Literatur; Veröffentlichungen wie »DDR-Literatur im Tauwetter« (1985), »Contemporary East German Poetry« (1980) sowie »Fragebogen: Zensur« (1995) gehören zum Kanon der amerikanischen Germanistik. Doch muss der Leser keines der vorgenannten Werke kennen, um das Buch mit Gewinn zu lesen. »Von Oberlin nach Ostberlin. Als Amerikaner unterwegs in der DDR-Literaturszene« eröffnet zwar dem Kenner der Arbeiten Zipsers einen überraschenden geschichtlichen Kontext, doch es ist ein Thema für sich, das vom Verfasser selber handelt. Wie jedes erzählerische Werk den Leser einlädt, sich der wiedergegebenen Wirklichkeit zu bemächtigen, hat es etwas so Provozierend-Radikales, dass es sich lohnt, Zipsers Rückschau zu folgen.

Es liegt im Wesen von Erinnerungsliteratur, dass sie hinnimmt, ob man sie vom Ganzen oder vom Einzelnen der Sachverhalte, Ereignisse oder Figurenkonstellationen her erschließt: Der Leser steht stets Rede und Antwort!

II

Der Autor, als einziger amerikanischer Germanist vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) des SED-Regimes als »operativer Vorgang« erfasst – dokumentiert in seiner Opferakte –, hatte es sich in den 1970er Jahren in den Kopf gesetzt, das Denken und Schaffen von Schriftstellern, die allesamt Mitglieder des systemkonformen Berufsverbandes waren, zu erkunden und die Ergebnisse anschließend in den USA zu veröffentlichen. Angesichts des propagierten gesellschaftspolitischen »Tauwetters« nach dem Sturz Walter Ulbrichts (1971) und Erich Honeckers Absage an die deutsche Einheit schien das kein aussichtsloses Unterfangen, ganz im Gegenteil, denn das Regime lechzte nach internationaler Anerkennung.

Die vorab vom Schriftstellerverband gebilligten Interviewfragen verwandten den gebotenen Wortschatz und waren ideologisch korrekt. Offensichtlich vertraute Zipser darauf, dass – bei aller Selbstzensur – unterschiedliche Persönlichkeiten auch unterschiedliche Auffassungen vom neuerdings verordneten »Konflikthelden« ans Licht bringen würden. Dass die Antworten über ihren Gestus auch von Abweichendem, Gegensätzlichem, Unvereinbarem, kurz: von Widersprüchen zum »Von-oben-her-Eingeflößten« berichten könnten, war dem an Klemperer und Brecht geschulten Literaturwissenschaftler durchaus recht. Immerhin war der »sozialistische Held« passé und die »sozialistische Menschengemeinschaft« von der »entwickelten sozialistischen Gesellschaft« abgelöst worden. Den Intellektuellen und Künstlern wurden »tabulose Zonen« in Aussicht gestellt, sofern sie nicht an den Grundfesten des Sozialismus zu rütteln beabsichtigten.

Zweifelsohne ein »weites Feld«, doch das belegt jede der 114 Episoden, ganz nach der Art des Germanisten aus Oberlin (Ohio), der sich sein Wissen vor Ort, durch Fakten und in persönlichen (vertraulichen) Begegnungen mit den Schriftstellern beschaffen wollte. »Von oben herein sieht man alles falsch«: Diese ketzerische Äußerung des jungen Goethe könnte über Zipsers subversiver Erkenntnissuche stehen. Er sah sich Veränderungen auf der Spur, die es festzuhalten galt. Da er mit diesem Anliegen im Überwachungsstaat »feindlich-negativen Handlungen« nahekam, wurde den Richtlinien entsprechend »die ständige politisch-operative Einschätzung, zielgerichtete Überprüfung und analytische Verarbeitung der gewonnenen Informationen« veranlasst. Allein in den nicht endenden Irritationen der Stasi-Mitarbeiter, wie denn »der Zipser« einzuordnen sei – akademischer Einfaltspinsel oder schlitzohriger CIA-Agent –, entlarvt sich, wes Geistes Kind das »Schwert und Schild« ist – das einer Partei, die weiß, dass sie sich nur als allumfassende Diktatur an der Macht halten kann. Dass sich jemand für Literatur aus ihrem Herrschaftsbereich interessiert, ohne dabei etwas Umstürzlerisches im Schilde zu führen, und als Ausländer aus freien Stücken die Ankündigungen des VIII. Parteitages der SED ernst nimmt, löste in den Hirnen ihrer Tschekisten das übliche Warnsignal aus: Feind ist, wer anders denkt!

III

Wer nur halbwegs freiheitlich-demokratisch sozialisiert, kein Kenner oder Apologet des Marxismus-Leninismus ist, kann nur angewidert über die geheimdienstliche Inbesitznahme des Literaturbetriebs im SED-Regime den Kopf schütteln. Auch wie schamlos manch ein Dichter seine Spitzeltätigkeit als Ausdruck einer überlegenen Moral, die sich als Klassenkampf ausgab, in seinen Berichten zelebriert, »bleibt«, ist »DDR-Literatur«. Zur Erinnerung, auf welch vermintem Feld Zipser seine Erkundungen einholen musste: Von den 19 Präsidiumsmitgliedern des Schriftstellerverbandes hatten sich zwölf als Spitzel verpflichtet. In den Bezirken sah es nicht anders aus: Auf 39 Verbandsschriftsteller in Halle waren 14 inoffizielle Mitarbeiter (IM) angesetzt!

Wie das System Angst, Feigheit und menschliche Niedertracht produzierte, weiß jeder, der ihm unterworfen war. Ohne die allgemeine Furcht vor Verhaftungen, Repressionen und Zersetzung hätte das SED-Regime nicht existieren können. Zipser entdeckte peu à peu, dass mit dem »Woodstock des Ostens«, den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973, auch der Durchbruch zum schrankenlosen Überwachungsstaat markiert war. (Als Ulbricht gestürzt wurde, hatte das MfS 45500 hauptamtliche Kräfte, als das Regime fiel, verfügte es über 91015 hauptamtliche und 173000 inoffizielle Mitarbeiter.)

Indem er in seinen Interviews Autoren jener Generation, die unter diesen Bedingungen zu schreiben begonnen hatten und zumeist die Nachkriegsordnung als »durch den Kampf der Systeme« gegebenen Gestaltungsraum akzeptierten (so hegten viele die Erwartung auf eine »Verbesserung« der Verhältnisse, eine der Illusionen hieß: »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«), zu Wort kommen lässt und im Verlauf der Begegnungen über Jahre deren individuelle Selbstbehauptung und Emanzipation von der herrschenden Ideologie und Indoktrination wahrnimmt und dokumentiert, entsteht zunehmend ein Dialog, in dem der Fragesteller von den Befragten ins Vertrauen gezogen wird. Die Erinnerungen reflektieren die wachsende Widerstandskraft eines auch durch ihn mobilisierten und um sich greifenden »anderen« Denkens, das sich der Freiheit, demokratischen Identität und Zukunft der Gesellschaft und jedes Einzelnen verpflichtet.

Zipsers Buch erfasst von den Strukturen und Folgewirkungen einer Diktatur »von der Wiege bis zur Bahre« mehr als alle wohlfeilen Äußerungen von »Abscheu und Empörung«, weil er die Systeme nicht vergleicht, sondern sie für sich sprechen lässt. Anhand von Begegnungen mit Künstlern wie Ulrich Plenzdorf, Jurek Becker, Elke Erb, Sarah Kirsch und Bernd Jentzsch macht er Widersprüche einer Gesellschaft sichtbar, in der ausgeprägte Solidarität neben Stasi-Terror, Einordnung neben Widerstand, Alltagspragmatismus neben enttäuschtem Idealismus standen.

Es gebietet den Nachgeborenen Demut und Verantwortung für das mit dem Fall der Mauer errungene Leben in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft. Heute ist kaum noch vorstellbar, dass das, was Zipser bezeugt, über Jahrzehnte zwischen Elbe und Oder grausamer Alltag war.

IV

Zipser diente sich zu keinem Zeitpunkt den SED-Machthabern an. Das sollte eigentlich nicht der Erwähnung wert sein, möchte man meinen. Doch die Praxis war eine andere. Eine nicht unbedeutende Anzahl von amerikanischen Germanisten hatten »DDR-Literatur« zu ihrem akademischen Gegenstand erhoben. Oft aber war nicht zu unterscheiden, ob sie sich für die Literatur oder doch mehr für die Kollaboration mit dem Regime entschieden hatten. Das jedenfalls war mein Entsetzen, als mich 1980 zum ersten Mal eine Vortrags- und Werkstattreise auch an Germanistikabteilungen von Universitäten an der Ostküste und bis weit in die Mitte und den Westen der USA führte.

Sie sprachen von ihrem Hass auf den »Raubtierkapitalismus«, waren voller Verachtung für den »hässlichen Amerikaner«, sielten sich rührselig im Glauben an eine »sozialistische Alternative« und gaben sich als willige Parteigänger ganz dem »anderen Deutschland« hin. So wählten sie denn zumeist auch jene Texte aus, die »repräsentativ« für ihren Kumpan waren. Sie suchten ihre Kontakte und Aufgaben lieber im Reich der »Ingenieure der menschlichen Seele« als bei denen, die den Gulag beschrieben als das, was er war.

Einer von ihnen hielt mir neun Jahre später, die Mauer war einen Tag zuvor gefallen, unverfroren entgegen: »Aber die Utopie! Wo bleibt die Utopie!« Sie wussten also sehr wohl, wie das Regime verfasst war: »Im Schutz der gesicherten Grenze errichten wir den besseren Staat!« Für jeden, der es wissen wollte, lag es auf der Hand: Allein durch die Todesdrohung erhielt die Mauer ihre politische Wirkung: Wer überleben wollte, hatte sich zu arrangieren, im Partei-Hegel-Verschnitt hieß das: Einsicht in die Notwendigkeit! Auch in Zipsers Erinnerungen passieren sie Revue.

In den ersten Wochen und Monaten hielten sie sich zurück, waren auf der Hut, was und wie viel die Stasi-Akten von ihrem vorsätzlichen Tun offenlegen würden. Bald aber...

Erscheint lt. Verlag 20.9.2013
Reihe/Serie DDR-Geschichte
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Akte • Amerikaner • Bericht • Berlin • Bernd Jentzsch • Christa Wolf • DDR • Deutsche Demokratische Republik • Elke Erb • Fritz Rudolf Fries • Germanistik • Hauptstadt • IM-Bericht • Inoffizieller Mitarbeiter • Jurek Becker • Karl-Heinz Jacobs • Klaus Schlesinger • Konrad Reich • Literatur • Literaturszene • Oberlin • Ohio • Ostalgie • Ostberlin • Paul Wiens • Richard A. Zipser • Sarah Kirsch • Schriftsteller • Staatssicherheit • Stasi • Tauwetter • Ulrich Plenzdorf • USA • Uwe Berger • Wolf Biermann
ISBN-10 3-86284-239-8 / 3862842398
ISBN-13 978-3-86284-239-1 / 9783862842391
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