Diesseits der Mauer (eBook)
592 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01569-0 (ISBN)
Katja Hoyer, geboren 1985, ging nach ihrem Geschichtsstudium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena nach England. Dort kommentiert sie u.a. für die BBC, den Telegraph und den Spectator geschichtliche und politische Themen. Heute forscht sie am King's College London und ist Fellow der Royal Historical Society. Als Kolumnistin der Washington Post schreibt sie regelmäßig über deutsche und europäische Gesellschaft und Politik. Ihr erstes auf Deutsch erschienene Buch 'Diesseits der Mauer' war direkt ein Spiegel-Bestseller.
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 35/2023) — Platz 19
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 33/2023) — Platz 15
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 31/2023) — Platz 16
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 30/2023) — Platz 15
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 29/2023) — Platz 13
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 27/2023) — Platz 5
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 26/2023) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 25/2023) — Platz 5
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 24/2023) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 23/2023) — Platz 4
- Spiegel Bestseller: Belletristik / Hardcover (Nr. 22/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 21/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 20/2023) — Platz 10
Katja Hoyer, geboren 1985, ging nach ihrem Geschichtsstudium an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena nach England. Dort kommentiert sie u.a. für die BBC, den Telegraph und den Spectator geschichtliche und politische Themen. Heute forscht sie am King's College London und ist Fellow der Royal Historical Society. Als Kolumnistin der Washington Post schreibt sie regelmäßig über deutsche und europäische Gesellschaft und Politik. Ihr erstes auf Deutsch erschienene Buch "Diesseits der Mauer" war direkt ein Spiegel-Bestseller.
Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
Vorwort
Kapitel 1 Gefangen zwischen Hitler und Stalin (1918–1945)
Kapitel 2 Auferstanden aus Ruinen (1945–1949)
Kapitel 3 Geburtswehen (1949–1952)
Kapitel 4 Der Aufbau des Sozialismus (1952–1961)
Kapitel 5 Stein auf Stein (1961–1965)
Kapitel 6 Das andere Deutschland (1965–1971)
Kapitel 7 Planmäßige Wunder (1971–1975)
Kapitel 8 Freunde und Feinde (1976–1981)
Kapitel 9 Existenzielle Sorglosigkeit (1981–1986)
Kapitel 10 Alles nimmt seinen sozialistischen Lauf (1987–1990)
Epilog: Einheit
Dank
Karten
Bildteil
Abbildungen
Bibliographie
Endnoten
Über Katja Hoyer
Impressum
Vorwort
Halle, Sachsen-Anhalt, 3. Oktober 2021. Eine 67-jährige Frau in einem cremefarbenen Blazer und einer schwarzen Hose betrat die Bühne. Sie war die vielleicht mächtigste Frau der Welt, und man erkannte sie sofort. Ihre Hosenanzüge, ihr blonder Kurzhaarschnitt und ihr nüchternes Auftreten waren längst zum Markenzeichen geworden. Als sie ihren Platz zwischen den Flaggen Deutschlands und der Europäischen Union einnahm und die Mikrofone am Rednerpult justierte, spürten viele im Publikum, dass sie einem historischen Moment beiwohnten. Nach 16 Jahren an der Spitze der größten europäischen Demokratie war die scheidende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gekommen, um über nationale Einheit zu sprechen.
Der 3. Oktober ist das, was einem deutschen Nationalfeiertag am nächsten kommt. Der Tag der Deutschen Einheit erinnert an die Wiedervereinigung des Landes im Jahr 1990, nachdem 41 Jahre lang zwei getrennte deutsche Staaten existiert hatten: die Bundesrepublik Deutschland im Westen und die Deutsche Demokratische Republik im Osten. Auf den Tag genau 31 Jahre waren seitdem vergangen. Nach dieser historisch relativ kurzen Zeitspanne war die Ära der deutschen Teilung jedoch keinesfalls Geschichte. Ganz im Gegenteil: Die Wiedervereinigung, so begann die scheidende Kanzlerin ihre Ansprache, sei ein Ereignis, »das die meisten von uns bewusst erlebt haben und das […] unser Leben verändert hat«.[1]
Das Jahr 1990 war nicht nur für die deutsche Nation, sondern auch für Merkel persönlich ein Wendepunkt. Es markierte den Beginn ihres steilen Aufstiegs an die Spitze der deutschen Politik. Im Jahr 1954 war ihr Vater mit der Familie von West- nach Ostdeutschland umgezogen, als sie gerade drei Monate alt war. Die ersten 35 Jahre ihres Lebens hatte Merkel östlich der innerdeutschen Trennungslinie verbracht. In diesen Jahren hatte sie sich von der Pastorentochter zur selbstbewussten Wissenschaftlerin entwickelt, was sie mindestens ebenso geprägt hatte wie die drei Jahrzehnte seit 1990.
Angela Merkels lange Karriere an der Spitze der deutschen Politik steht exemplarisch für die vielen Erfolge der Wiedervereinigung. Als der ostdeutsche Staat, der ihre Heimat gewesen war, plötzlich zerfiel und Teil des westdeutschen Systems wurde, welches man bislang als den »Klassenfeind« angesehen hatte, machte sich Merkel unverzüglich an die Arbeit, ohne zurückzuschauen. Oder zumindest, ohne dies öffentlich zu tun. Sie erkannte, dass ihre ostdeutsche Herkunft auf dem Papier einen politischen Vorteil in einem Land darstellte, das zeigen wollte, dass es nun eine geeinte Nation war. Tatsächlich aber galt dies nur, solange ihre Herkunft nicht vordergründig ihre Identität bestimmte. Das Establishment wollte nicht ständig daran erinnert werden, dass es länger dauern würde, die Mauern in den Köpfen der Ost- und Westdeutschen niederzureißen als die physische Mauer.
In den seltenen Fällen, in denen Merkel Einzelheiten über ihr Leben in der DDR preisgab, wurde dies in den Machtzirkeln, die auch heute immer noch weitgehend von ehemaligen Westdeutschen dominiert werden, mit Feindseligkeit aufgenommen. Als sie 1991 erzählte, sie habe 1978 für ihre Doktorarbeit einen Aufsatz mit dem Titel »Was ist sozialistische Lebensweise?« schreiben müssen, setzten Journalistinnen und Journalisten Himmel und Hölle in Bewegung, um die Arbeit zu finden. »Sie glaubten, da gäbe es Gott weiß was für einen Skandal zu enthüllen«, sinnierte Merkel später.[2] Solche politischen Arbeiten gehörten zum Universitätsleben in der DDR und wurden von vielen als lästig empfunden, so auch von Merkel selbst, die für diesen Aufsatz die einzige schlechte Note in einer ansonsten glänzenden akademischen Laufbahn erhielt. Wie viele andere Aspekte des Lebens in der DDR zeigte auch diese Episode, dass »es offenbar unheimlich schwer ist, heute zu verstehen und begreiflich zu machen, wie wir damals gelebt haben«, wie Merkel kurz vor ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin im Jahr 2005 anmerkte.[3]
Merkel hatte sich zwar damit abgefunden, ihre ostdeutsche Vergangenheit am besten für sich zu behalten, doch blieb sie trotzdem ein Teil von ihr, den sie nicht loslassen konnte. Im Oktober 2021, als ihr politischer Ruhestand in Sicht war, nutzte sie die Gelegenheit ihres letzten Tages der Deutschen Einheit im Amt, um sich damit auseinanderzusetzen, dass ostdeutsche Lebensgeschichten wie die ihre als eine Art Leiche im nationalen Keller behandelt wurden. Eine Publikation der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung hatte die politische Anpassungsfähigkeit der Kanzlerin angesichts des »Ballasts« ihrer DDR-Biographie gelobt.[4] Diese unglückliche Formulierung ärgerte die Kanzlerin sichtlich. »Ballast?«, empörte sie sich über diese Bewertung ihres früheren Lebens. Der Duden definiere Ballast als »schwere Last […] bestenfalls zum Gewichtsausgleich tauglich, im Grunde aber als unnütze Last abzuwerfen«.[5] In diesem ungewöhnlich persönlichen öffentlichen Moment, so betonte sie, spreche sie nicht als Kanzlerin, sondern auch »als Bürgerin aus dem Osten […], als eine von mehr als sechzehn Millionen Menschen, die ein Leben in der DDR gelebt haben und die immer wieder solche Urteile erleben […], als ob dieses Leben vor der deutschen Wiedervereinigung nicht wirklich zählte […], egal welche guten und schlechten Erfahrungen man gemacht hat«.[6]
Merkels Frustration darüber, dass ihr früheres Leben in Ostdeutschland als unerheblich abgetan wurde, teilen viele ihrer ehemaligen DDR-Mitbürger. Seit 1990 haben Umfragen gezeigt, dass die Mehrheit sich im wiedervereinigten Deutschland weiterhin als »Bürger zweiter Klasse« behandelt fühlt. Zwei Drittel empfinden dies auch heute noch so.[7] Viele haben explizit oder implizit Druck erfahren, ihren ostdeutschen »Ballast« abzuwerfen und sich nahtlos einer für sie neuen Kultur anzupassen. Selbst Merkel, die sich äußerst erfolgreich an die Welt nach der Wiedervereinigung anpasste und eine steile politische Karriereleiter bis an die Spitze erklomm, wurde von der Presse stets daran erinnert, dass es gelegentlich »durchscheine«, dass sie »keine geborene Bundesdeutsche und Europäerin« sei[8] – als ob sie keine »gebürtige«, keine »ursprüngliche« Bürgerin des Landes sei, zu dessen Führung sie gewählt worden war. Nach 16 Jahren im höchsten politischen Amt des wiedervereinten Deutschlands musste sie als Ostdeutsche immer noch ihre Zugehörigkeit beweisen, indem sie ihre Vergangenheit verleugnete.
So wie einzelne Ostdeutsche gehalten sind, die Spuren ihrer Vergangenheit vor 1990 möglichst zu verwischen, scheint sich die Nation als Ganzes mit der DDR als Kapitel ihrer Geschichte äußerst unwohl zu fühlen. In vielerlei Hinsicht begann der Prozess, die DDR aus der nationalen Erzählung herauszuschreiben, schon vor ihrem endgültigen Untergang. Nach dem Mauerfall 1989 erklärte der ehemalige westdeutsche Bundeskanzler Willy Brandt: »Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.« Für viele Deutsche in Ost und West erschien die Teilung ihres Landes, die während des Kalten Krieges eine Tatsache gewesen war, nun als unnatürlicher Zustand, als Produkt des Zweiten Weltkriegs und vielleicht als Strafe für dessen Auswirkungen. Hatte Deutschland bis 1990 nicht genug getan, um dieses dunkle Kapitel seiner Vergangenheit zu überwinden? Hatte es nicht einen Neuanfang verdient, ohne ständig daran erinnert zu werden? Francis Fukuyamas Einordnung vom Ende des Kalten Krieges als »Ende der Geschichte« schien auf Deutschland besonders zuzutreffen. Die Nation wollte, ja, musste die Wiedervereinigung als glückliches Ende des wechselvollen 20. Jahrhunderts definieren. In den fortbestehenden Auswirkungen der jahrzehntelangen Teilung Deutschlands etwas anderes als ferne Geschichte zu sehen, zerstört diese tröstliche Illusion. Wenn die DDR überhaupt in Erinnerung bleiben soll, dann als eine der deutschen Diktaturen – ebenso weit entfernt, unheimlich und unverzeihlich wie der Nationalsozialismus.
Einen Schlussstrich unter beide deutsche Staaten zu ziehen und 1990 als Neuanfang für alle Deutschen zu begreifen, stand ebenfalls nicht zur Debatte. Die Westdeutschen hatten sich zu sehr mit der Vorstellung von 1945 als ihrer »Stunde Null« angefreundet, dem Zeitpunkt, an dem aus der Asche des Zweiten Weltkriegs die zarten Triebe der Demokratie erwuchsen. Welche Probleme die junge Bundesrepublik auch gehabt haben mochte, der Wohlstand und die Stabilität, die sie hervorgebracht hatte, waren wie ein Trostpflaster für eine Bevölkerung, die seit 1914 nichts anderes als Unruhen und Umbrüche erlebt hatte. Das war ein Deutschland, auf das man stolz sein konnte. Westdeutschland wurde zum Kontinuitätsstaat erklärt und Ostdeutschland zur Anomalie. Die Wiedervereinigung 1990 schien deshalb ein befriedigendes Ende der erzwungenen Trennung zu sein. Und für zahlreiche Ostdeutsche war sie auch genau das. In den Jahren 1989 und 1990 stimmten viele in Wort und Tat für die...
Erscheint lt. Verlag | 4.5.2023 |
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Übersetzer | Franka Reinhart, Henning Dedekind |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 |
Schlagworte | Alltag • Berlin • DDR • Diktatur • Familie • Familien • Flucht • Integration • Kapitalismus • Mauer • Mauerfall • Nachkriegsgeschichte • Oschmann • Ostdeutschland • Sowjetunion • Sozialismus • Stasi • Telegraph • Trabi • Washington Post • Westdeutschland • Zeitgeschichte • Zeitzeugen |
ISBN-10 | 3-455-01569-7 / 3455015697 |
ISBN-13 | 978-3-455-01569-0 / 9783455015690 |
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