Der Salon der kühnen Frauen (eBook)
288 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-3618-0 (ISBN)
Frauen widersetzen sich der Übermacht der Männer am Hof des Sonnenkönigs.
Versailles zu Zeiten Ludwig XIV. Am Hof des Sonnenkönigs herrschen Pomp und Verschwendungssucht. Wer einen Blick hinter die Kulissen wagt, findet Intrigen, Missgunst Klatsch und Tratsch. Das wissen vor allem die Frauen, die sich regelmäßig in Marie d'Aulnoys Kaminzimmer in Paris treffen und dort zusammen flirten, lachen, Champagner trinken und sich Märchen erzählen. Doch das Geschichtenerzählen ist riskant und droht die Frauen eine nach der anderen in große Gefahr zu bringen ...
Sexy, scharfsinnig, zeitgemäß: ein schillernder historischer Roman, der von wahren Begebenheiten inspiriert ist und von der Kraft des Geschichtenerzählens unter mutigen Frauen handelt.
»Elegant und dekadent, vulgär und klug, bezaubernd und dunkel. Das Buch, das ich dringend gebraucht habe.« Sarah Perry
Clare Pollard ist eine vielfach ausgezeichnete Autorin, Lyrikerin und Dramatikerin aus London. Sie hat fünf Gedichtbände verfasst und ist Herausgeberin der Zeitschrift Modern Poetry in Translation. 2023 erschien bei Aufbau ihr Roman »Delphi«, der von der Kritik gefeiert wurde. »Der Salon der kühnen Frauen« ist ihr zweiter Roman. Anke Caroline Burger lebt in Berlin und Zürich. Sie ist die Übersetzerin von Ottessa Moshfegh, Jon McGregor, Naoise Dolan, Te-Ping Chen, Sharlene Teo und vielen weiteren.
1.
Das Märchen von der Eselshaut
erster Teil
Es war einmal ein großer König. Manche sagten, vielleicht sei er sogar der mächtigste Herrscher, der je gelebt hatte. Außerdem sagte man – natürlich –, er habe in Friedenszeiten gerecht regiert und in Kriegszeiten großen Schrecken verbreitet. Seine Untertanen lebten in vollkommener Zufriedenheit, und seine Feinde bebten vor Furcht. Dieser König hatte – natürlich – die tugendhafteste und schönste Gemahlin, die man sich nur vorstellen kann. Aus ihrer Ehe erwuchs eine mit vielen Reizen und Tugenden gezierte Prinzessin. Das glückliche Paar der Landeseltern lebte in schönster Eintracht.«
So beginnt Charles Perrault sein Märchen von der »Eselshaut«. Und so wollen auch wir unsere Geschichte beginnen.
Im Salon der Madame d’Aulnoy beugt sich Perraults kleine Schar von Zuhörerinnen gespannt auf den Polsterstühlen vor, um zu hören, welche Katastrophe über diese perfekte Familie hereinbrechen wird. Denn die Kraft, die hinter allen Geschichten steckt, ist eine zerstörerische Kraft – das Verlangen, das, was ist, für das, was sein könnte, niederzubrennen. Es ist Spätherbst im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert, während der Regierungszeit von Ludwig dem XIV. Man sitzt versammelt in einem luxuriösen Zimmer an der Rue Saint-Benoît in Paris, hat es gemütlich zwischen schwerem, besticktem, korallenrotem Brokat; Kerzenflammen tanzen dicht an jedem Ärmelsaum.
Kurz zuvor ist Charles Perrault den Mitgliedern dieses elitären, intellektuellen Zirkels vorgestellt worden, der regelmäßig in dem Salon zusammenkommt und sich Geschichten erzählt, die zu dieser Zeit meist noch »Geschichten von Mutter Gans« genannt werden; manche bezeichnen sie als Erzählungen vom Storch oder von der Eselshaut. Uns sind sie vielleicht unter ihrem moderneren Namen bekannt: contes de fées, die Märchen. Ja, es war Madame d’Aulnoy selbst, die diesen Begriff geprägt und damit für ein wahres Märchenfieber gesorgt hat.
Normalerweise kann Charles sich Namen gut merken, aber als er jetzt den Blick über die Gesichter schweifen lässt, merkt er, dass er etliche schon wieder vergessen hat. Da sitzt seine Cousine, Marie-Jeanne L’Héritier de Villandon, temperamentvoll und ein wenig frömmelnd – er muss sie einfach mögen, auch wenn er sich von ihrem wohlwollend glänzenden, gewöhnlichen Gesicht ein wenig abgestoßen fühlt. Seine Cousine hat ihn in diese Runde eingeführt, weil sie hofft, ihn damit etwas aus seiner Melancholie zu reißen. Hier möchte sie Télésille genannt werden – die Mode verlangt einen Salonnamen, und sie hat sich nach der griechischen Dichterin Telesilla benannt, die die Frauen von Argos im antiken Hellas in den Kampf führte. Charles empfindet das Ganze als ein wenig absurd, versucht aber aus Höflichkeit mitzuspielen.
Während er sich umsieht, bemerkt er auch eine der außerehelichen Töchter des Königs, die Fürstin von Conti, die mit der Selbstverständlichkeit einer mächtigen Frau dasitzt, als habe sie unter den Röcken die Beine weit gespreizt. Die Prinzessin, eine Blondine mit reiner Haut und starkem Kinn, trägt weder Perücke noch Make-up. Sie ist attraktiv, aber mehr in der Art eines schneidigen jungen Prinzen als einer Prinzessin – verwegen raucht sie eine Tabakspfeife.
Die reiche Erbin Madame Angélique Tiquet erkennt er sofort – dekadent lümmelt sie sich auf dem Sessel zu seiner Linken in einem rosa Schäferinnenkleid, das sie aus der Kostümkiste des Salons geborgt hat (für die Darstellung in einem vorherigen Märchen an diesem Abend), ihren Hirtenstab hält sie immer noch wie ein Zepter in der Hand. Angélique Tiquet ist die Art Frau, die trotz fortschreitenden Alters aus jedem Kleid zu platzen droht; Zuckerkristalle kleben in den Winkeln ihres üppigen Mundes mit dem fauligen Schneidezahn. Begleitet wird sie von einer weißen Katze mit juwelenbesetztem Halsband, die sie oft unter dem Arm mit sich herumträgt.
Daneben sitzt einer der wenigen Männer, die in diesem Zirkel zugelassen worden sind – Abbé Cotin, ein mittelmäßiger Geistlicher, der gähnend langweilige Sonette verfasst. Und er sieht die scharfzüngige Madame Henriette de Murat, deren Nasenflügel sich über die reine Anwesenheit des Abtes empört blähen. Dann ist da noch die hübsche, in der allerneuesten Mode gekleidete, aber schrecklich eitle Charlotte-Rose Caumont … de La Irgendwas – ach ja, richtig, Force –, die er als Zofe vom Hof her kennt. Und die anderen? Niederer Adel. Wer ist der hochgewachsene junge Mann mit den langen Wimpern?
Dickflüssige heiße Schokolade wird in sehr schönem, hellgrün glasiertem Porzellan serviert. Nach jedem Kakaoschlückchen lecken sich die Damen über Zähne und Oberlippe, weil sie braune Rückstände fürchten.
Es ist Perraults erster Besuch im Salon, und er will die Herzen für sich gewinnen, um seiner Cousine und seiner selbst willen. Das Märchen von der »Eselshaut« – Peau d’Âne – hat ihn schon immer entzückt, seit sein Kindermädchen es ihm am glimmenden Kaminfeuer erzählt hat. Als eines der vierzig hoch geachteten Mitglieder der Académie française, der Institution zur Pflege der französischen Sprache, bekannt als les immortels, nach dem Motto der Akademie, À l’immortalité (»Zur Unsterblichkeit!«), glaubt er, eine kleine, literarisch interessierte Zuhörerschaft wie diese leicht für sich gewinnen zu können – die Geschichte muss nur kurz und spritzig sein: ein Glas Champagner, ausgetrunken, bevor man es in der Hand bemerkt hat.
Wer sich einen Augenblick Zeit nimmt, Perrault näher zu betrachten, sieht einen Mann Anfang sechzig vor sich, mit einer braunen Perücke, die an einen wohlfrisierten Cockerspaniel erinnert. Man sagt, er sei in sein Gesicht hineingewachsen, das offen ist, mit glänzenden Augen, die nicht anders können, als vergnügt in die Welt zu schauen. Er ist ein weltgewandter Mann mit echtem Charisma, der über die große Gabe verfügt, an jedem interessiert zu sein, vom Kronprinzen bis zur Köchin. Ein paar funkelnde Momente lang seine Aufmerksamkeit zu genießen, bedeutet für gewöhnlich, ihn zu mögen, ein Effekt, der ihm insgeheim sehr wohl bewusst ist.
»Man stelle sich nur den prächtigen Palast des Königs vor!«, fährt er jetzt fort. »Höflinge kommen aus aller Welt, um die Gemälde von Rubens und Leonardo zu bewundern, die Statuen von Bernini, den verschwenderischen Spiegelsaal …« Das sorgt für Gelächter, sein Publikum versteht, dass er sich auf den Spiegelsaal Ludwigs des XIV. im hinreißenden Schloss von Versailles bezieht, eines der Wunder des Abendlandes – den Saal, den Charles Perrault persönlich mit über dreihundert großen Spiegeln ausstatten ließ. Es ist der vermutlich berühmteste Raum in ganz Frankreich, eine Aladinshöhle voll vorteilhaft beleuchteter Schönheiten, die auf unendliche Spiegelungen ihrer Selbst blicken. Damit, dass Perrault Versailles anspricht, bekennt er sich zu dem, was in dieser Runde sowieso allgemein bekannt ist: dass er seit dem Tod seines Freundes Colbert bei Ludwig dem XIV. in Ungnade gefallen ist. Niemand soll glauben, das Thema Versailles dürfe seinetwegen nicht erwähnt werden. Immerhin bezieht er nach wie vor seine Pension und ist stolz auf das, was er dort erreicht hat. Einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, ist keine Schande.
Perrault blickt Madame d’Aulnoy beim Erzählen direkt in die Augen, weil er vor allem seiner Gastgeberin eine Freude machen will. Marie d’Aulnoys vor Kurzem veröffentlichter Roman »Historie des Hipolytus, Grafen von Duglas« war eine Sensation in der Pariser Gesellschaft, und er möchte die Verfasserin sehr gern kennenlernen – aber in ihrem Blick ist etwas Kühles, Zurückweisendes. Kurz hat Perrault einen Turm mit gläsernen Wänden vor Augen und sich selbst als fahrenden Ritter, der verzweifelt an dem glatten Turm hochzuklettern versucht. Das ist kein ihm vertrautes Gefühl. Er versucht, einen verspielten Tonfall anzuschlagen, merkt aber, dass es neu und beunruhigend für ihn ist, so leichthin über Könige und Paläste zu sprechen. Ist das der Grund, warum die Damen sich hier Märchen erzählen? Um rebellische Gedanken unter dem Deckmantel von Kindergeschichten am Zensor vorbeizuschmuggeln?
Wenn man anderen eine Geschichte erzählt, improvisiert man bis zu einem...
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2024 |
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Übersetzer | Anke Caroline Burger |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Modern Fairies |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Bridgerton • Buchschnitt • Empowerment • Erotik • Erzählen • farbiger Buchschnitt • Farbschnitt • Feminismus • Frankreich • Frauen • Freundschaft • Gefahr • Geschichten • Historischer Roman • Humor • Intrigen • Klatsch • LGBTQ • Liebe • Literatur • Ludwig XIV. • Märchen • Neuerzählung • Paris • Poor Things • Queer • Retelling • Salon • Schwesternschaft • Sexy • the favourite • Unterdrückung • Versailles • Zusammenhalt |
ISBN-10 | 3-8412-3618-9 / 3841236189 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3618-0 / 9783841236180 |
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