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So weit uns Träume tragen (eBook)

Schicksalsreise auf der Titanic

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
313 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2977-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So weit uns Träume tragen - Christiane Lind
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Eine Reise ohne Wiederkehr.

Berlin, im Frühjahr 1912: Die Schauspielerin Paula und ihre Freundin, die Kostümbildnerin Luise, stehen am Beginn einer glänzenden Theaterkarriere. Von einem Tag auf den anderen zerplatzen jedoch ihre Träume: Sie verlieren Arbeit und Wohnung. Zu allem Überfluss taucht ein gefälschter Schuldschein auf. Unerwartete Rettung bietet eine Einladung nach New York, verbunden mit zwei Erste-Klasse-Tickets für die Titanic.

So lassen die Freundinnen ihr Leben in Berlin zurück und begeben an Bord des luxuriösen Schiffs. Doch die Vergangenheit holt sie auch auf der Titanic ein, denn die Vorfälle in Berlin waren keine Zufälle, sondern wurden von jemandem geplant. Und diese Person hat Paula bittere Rache geschworen ...  



Christiane Lind, geboren 1964, ist Sozialwissenschaftlerin und wuchs in Niedersachsen auf. Nach Zwischenstationen in Gelsenkirchen und Bremen lebt sie heute mit ihrem Ehemann und fünf Katern in Kassel. Bei atb ist ihr Roman 'Die Heilerin und der Feuertod' lieferbar; 2015 erschien 'Die Medica und das Teufelsmoor'.

Kapitel 1


Ostpreußen, 1899

»Sie wartet auf dich.« Die Tochter der Köchin lächelte. Franz konnte sie nicht leiden, weil sie stets um sein Mädchen war und ihnen nie gemeinsame Zeit allein ließ. »Ich soll dir die Augen verbinden.«

Er schaute ihr ins Gesicht. Ihr Lächeln wurde breiter. Voller Falsch, wie er fand. Eine wie sie gehörte nicht hierher. Nicht ins Herrenhaus. Was die Tochter einer Köchin sich nur vorstellte. Ging im großen Haus ein und aus, als wäre es ihr Geburtsrecht. Nur weil sein Mädchen freundlich zu ihr war, bildete sich das Köchinnenkind wer weiß was ein. Er versuchte, sie von oben herab anzuschauen, aber leider war sie einen halben Kopf größer als er.

»Wieso? Warum soll ich mir die Augen verbinden lassen? Von dir?« Franz traute dem Mädchen nicht. Domestiken muss man an ihren Platz verweisen, pflegte sein Vater zu sagen. Sonst geht die Weltordnung vor die Hunde. Die Aufgabe einer adligen Familie war es, dafür zu sorgen, dass alles so blieb, wie es war, dass alles seine Ordnung hatte. Das war hier dringend nötig: Dieser Ort brauchte jemanden, der aufräumte und für Regeln sorgte. Wenn er hier erst einmal das Sagen hätte, würde die Tochter der Köchin da bleiben, wo sie hingehörte: in der Küche.

Sie zuckte mit den Schultern. So herablassend, dass ihm heiß und kalt vor Zorn wurde. Doch noch musste er sich beherrschen. Noch musste er sich an das Leben und die Unsitten hier anpassen. Aber wenn er und sein Mädchen erst verheiratet wären, dann würde sich alles ändern. Zwölf Jahre war seine zukünftige Braut jetzt alt. Sechs Jahre musste er noch warten, bis er sie heiraten konnte. Aber das machte nichts. Warten konnte er. Wenn das Ziel wichtig war. Wenn das Ergebnis es wert war. Und sie war es auf jeden Fall wert – seine Braut.

»Zeig dich in den Ferien von deiner besten Seite«, hatte sein Vater ihm gesagt, als er ihn zum Zug brachte. Seine kalten blauen Augen hatten den Sohn gemustert, als erwarte er nur wenig von ihm. Die scharfe Adlernase schien Franz aufspießen zu wollen. »Ich will, dass ihr heiratet. So ist es abgemacht. Also zerstöre unser Vorhaben nicht.«

»Ja, Vater«, hatte er gesagt. Mit piepsender Stimme, was ihm einen verachtungsvollen Blick seines Vaters eingebracht hatte. »Ich werde dich nicht enttäuschen.«

Das eisige Schweigen, mit dem der Alte ihn bedachte, sagte mehr als jedes Wort. Franz hatte seine Hände zu Fäusten geballt und die Fingernägel in die Handfläche gebohrt. Er wollte nicht mit einer Entschuldigung herausplatzen, was sein Vater nur noch mehr als Schwäche ausgelegt hätte. Egal, was Franz sagte oder tat, es war nie richtig.

Aber dieses Mal würde er keinen Fehler machen. Dieses Mal würde er seinem Vater beweisen, dass auf ihn Verlass war, dass er ihre Zukunft sichern konnte. Das große Gut hier im Herzen Ostpreußens zu besitzen, das wünschte sich Franz‘ Vater. Wie gut, dass der Gutsherr nur ein Kind hatte. Eine Tochter. Sein Mädchen. Franz lächelte. Mit der Zunge befeuchtete er seine trockenen Lippen, was ihm einen aufmerksamen Blick des Köchinnenkinds einbrachte. Franz bemühte sich um ein Lächeln. Sie durfte nicht ahnen, was er von ihr hielt, welche Pläne er für sie hegte. Sonst würde sie es ihrer Freundin petzen, die sich sicher auf ihre Seite und gegen Franz stellen würde.

Obwohl er es zu verhindern suchte, entglitt ihm ein kleiner Seufzer. Warum nur mochte sein Mädchen ihn nicht so, wie er es verdiente? Sie ging ihm aus dem Weg, sprach bei den gemeinsamen Essen im eleganten Herrenzimmer nur wenig mit ihm. Und wenn sie das Wort an ihn richtete, dann meist mit höhnischem Unterton.

Als sie mit ihm ausritt, weil ihr Vater es ihr zu Franz‘ Leidwesen und Schande befohlen hatte, hatte sie ihn zu einem Wettrennen überredet und ihn um Längen geschlagen. Die Niederlage hatte Franz so beschämt, dass er drei Tage krank darniedergelegen hatte. Danach hatte er immer das Gefühl, dass ihre dunkelblauen Augen ihn spöttisch betrachteten, als wäre er ein Witz.

Warum also hatte sie das Köchinnenkind heute zu ihm geschickt mit dem Versprechen, ihn am Rosenbusch zu treffen? Für den ersten Kuss.

Franz‘ Herz schlug bis zum Hals. Sah ihm das andere Mädchen, das vor ihm von einem Fuß auf den anderen trat, seine Aufregung an? Ihre Augen, von einem biederen Braun wie ihr Haar, ließen nichts erkennen. Woher nahm diese Dienstbotin nur ihre verflixte Selbstsicherheit? Er fühlte sich klein unter ihrem Blick, fühlte sich schuldig, als wüsste sie, was Franz gestern aus Zorn getan hatte.

Aber das konnte nicht sein. Niemand hatte ihn sehen können. Dessen hatte Franz sich vergewissert. Und dennoch … etwas in der ausdruckslosen Miene seines Gegenübers ließ ihn zögern. Auf einmal erschien es ihm zu leicht. Zwei Wochen lang hatte sein Mädchen sich ihm verweigert, hatte ihn links liegen lassen, nur um ihm heute einen Kuss zu versprechen. Franz witterte Verrat und Täuschung.

»Ich lass mir die Augen nicht verbinden.«

»Dann eben nicht.« Die Tochter der Köchin zuckte mit den Schultern. »Mir doch egal.«

Sie drehte sich um. Schlaksig und langbeinig war sie wie eines der Fohlen, die auf den Weiden rund um das Gutshaus und die weißgetünchten Stallungen herumtollten und sich ihres Lebens freuten.

»Warte!« Einen Augenblick noch war er hin- und hergerissen, wusste nicht, ob er den Zweifeln nachgeben oder sich von seinem Wunsch, sein Mädchen zu berühren, treiben lassen sollte. »Aber erst am Stall.«

Von dort aus war es nicht mehr weit bis zu dem großen Rosenbusch, von dem der Gutsherr stundenlang schwadronieren konnte. Weil seine Ehefrau, die so gut wie nie etwas sagte, damit bereits mehrfach Preise gewonnen hatte. Bei kleineren Blumenausstellungen in der Umgebung – als ob das von Bedeutung wäre!

»Gut. Wir gehen durch die Scheune.« Das Mädchen wartete, ihren Kopf hielt sie leicht schief gelegt wie eine der Schwalben, die ihre Nester unter dem Dach der Ställe gebaut hatten. »Dann komm.«

Mit langen Schritten ging sie voran, sodass er sich sputen musste, ihr zu folgen. Seine Gedanken kreisten nur um eins: Vater wird stolz auf mich sein.

»Halt.« Die Köchinnentochter stellte sich ihm in den Weg, als er die Tür neben dem verschlossenen Scheunentor aufstoßen wollte. »Mit verbundenen Augen oder gar nicht.«

Einige Augenblicke überlegte er, sie einfach zur Seite zu stoßen, um an ihr vorbei in das Halbdunkel des Stalls zu treten. Doch immer noch klangen ihm die Worte seines Vaters im Ohr: »Enttäusch mich nicht.«

Daher gab er nach, obwohl es ihn unendlich ärgerte, vor einer Dienstbotin kapitulieren zu müssen. Aber für sein Mädchen, für seine Zukunft und für die Anerkennung seines Vaters drängte Franz den Zorn zurück. Er musste sich beugen und nickte.

Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf, als das Mädchen hinter ihn trat. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sie einen buntgemusterten Schal aus der Tasche ihrer Schürze holte. Instinktiv rümpfte Franz die Nase. Er wollte nichts an seiner Haut spüren, das der Köchinnentochter so nahe gewesen war. Ach, was sollte es. »Stell dich nicht so an«, meinte er den harschen Bariton seines Vaters zu hören.

Stocksteif stand Franz da und ließ sich den Schal über die Augen legen. Obwohl sich der Stoff leicht und weich anfühlte, war er undurchsichtig. So sehr Franz sich bemühte, er konnte nichts sehen. Die Vorstellung, sich ganz in die Hände der Dienstbotin zu begeben, behagte ihm nicht. Aber er war ein Mann, die Hoffnung seines Vaters. Franz stieß die Luft aus.

Tief atmete er den Duft des Schals ein. Blumig und schwer. Ob er der Mutter seines Mädchens gehörte? Der Geruch war zu süßlich, als dass er zu ihr passen würde. Die Vorfreude auf den Kuss ließ ihn schaudern.

»Hier, nimm meine Hand.« Sanft spürte er eine Berührung an seinen Fingern. »Ich führe dich.«

Erstaunlich rau war ihre Hand und kühl, trotz der Sommersonne. Was Vater wohl sagen würde, wenn er Franz so sehen könnte? Mit einem buntgemusterten Frauenschal über den Augen, dirigiert von einer Dienstbotin. Alles nur, um seiner zukünftigen Braut zu gefallen. Das würde sie büßen, wenn sie erst verheiratet waren. All die kleinen Stiche, all die Beleidigungen, die Verachtung, die sie ihn hatte spüren lassen. Er notierte sie sich im Kopf, legte sie dort ab, um sie ab und zu hervorzuholen, zu polieren, damit sie glänzten und er sie nicht vergaß. Sein Mädchen ahnte nichts von den Plänen, die er für ihre gemeinsame Zukunft schmiedete.

Plötzlich blieb das Köchinnenkind stehen. So abrupt, dass Franz das Gleichgewicht verlor und gegen sie prallte. Sie schüttelte seine Hand ab und stieß ihn von sich. »Geh einfach geradeaus. Zehn Schritte.«

»Was soll das?«, begehrte er auf. »Ich bin doch kein Kind, mit dem du Blindekuh spielen kannst. Wir sind noch nicht bei den Rosen.«

Deren schweren Duft hätte er sofort erkannt. Noch waren sie in der Scheune. Panik schoss in ihm hoch und sein Herz schlug schneller. Automatisch riss er die Hände hoch, um den verdammten Schal von seinen Augen zu reißen.

»Ach, Franz, ist dir mein Kuss so wenig wert?«, erklang die Stimme seines Mädchens. »Hab ein wenig Geduld.«

Neckend und süß klang ihr Tonfall, sodass er einfach weiterging. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Nicht auszudenken, dass er vor ihr einen unfreiwilligen Kniefall machte.

»Bleib stehen.« Wenn sie wollte, konnte ihre Stimme die reinste Verlockung sein. Erneut...

Erscheint lt. Verlag 28.12.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Christiane Lind • Eismeer • Historische Liebesgeschichte • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Kälte • Karin Seemayer • Klassenunterschiede • Liebe • Meer • Opernsängerin • Reise • Rettung • Saga der Albatrosse • Schiff • Schiffbruch • Schiffsunglück • Starke Frau • Titanic
ISBN-10 3-8412-2977-8 / 3841229778
ISBN-13 978-3-8412-2977-9 / 9783841229779
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