Die Farbe Lila (eBook)
320 Seiten
Ecco Verlag
978-3-7530-5009-6 (ISBN)
Die junge Schwarze Celie wächst Anfang des 20. Jahrhunderts in Georgia auf. Während ihre Mutter im Sterben liegt, wird sie mit vierzehn zum ersten Mal von ihrem Vater vergewaltigt und in den Folgejahren zweimal schwanger. Er gibt die Kinder weg, sie weiß nicht, ob sie noch leben oder tot sind. Als sie in die Ehe mit einem Mann gezwungen wird, der sie schlägt, wendet sich Celie in verzweifelten Briefen an Gott, da sie keinen anderen Ausweg mehr weiß.
Erst als ihr Mann seine Geliebte Shug Avery ins Haus holt, verbessert sich Celies Situation. Sie verliebt sich in Shug und lernt von ihr, dass echte Liebe nichts mit Gewalt zu tun hat. Durch Shugs Liebe und die Freundschaft weiterer Frauen geht Celie endlich gegen alle Widerstände ihren Weg.
»Eine starke neue Übersetzung.« Paul Ingendaay, FAZ, 30.12.2021
»Es ist eine großartige Idee des jungen Ecco Verlags, dieses Buch neu herauszubringen. [...] Eine mehr als lohnende Wiederentdeckung.« Verena Auffermann, Deutschlandfunk Kultur, 22.01.2022
»Den lakonischen Ton, den das Original vorgibt, hat [Cornelia Holfelder-Von der Tann] in einer kunstvollen, aber nie zu aufdringlichen Umgangssprache gut getroffen.« Julian Weber, taz, 10.02.2022
Alice Walker wurde 1944 in Eatonton, Georgia geboren. Sie ist eine der renommiertesten amerikanischen Autorinnen, ihre Werke haben sich weltweit über fünfzehn Millionen Mal verkauft. Ihr bekanntester Roman, »Die Farbe Lila«, erschien 1982, wurde mit dem Pulitzer-Preis und dem National Book Award ausgezeichnet und von Steven Spielberg mit Whoopi Goldberg in der Hauptrolle verfilmt.
Liebe Celie,
vom Schiff hat uns ein Afrikaner abgeholt, einer aus dem Dorf, wo wir uns niederlassen. Sein Taufname ist Joseph. Er ist klein und dick, und seine Hände scheinen keine Knochen zu haben. Sein Händedruck fühlte sich an, als ob mir was Weiches, Feuchtes gleich wieder aus der Hand flutschte. Er spricht ein bisschen Englisch, das, was sie hier Pidginenglisch nennen. Es ist ganz anders als das Englisch, das wir sprechen, aber irgendwie doch vertraut. Er half uns, unsere Sachen vom Schiff in die Boote umzuladen, die gekommen waren, um uns an Land zu bringen. Es sind Einbäume, wie die Kanus der Indigenen früher, die man auf Bildern sieht.
Drei brauchten wir für uns und unsere persönlichen Sachen, und ein viertes transportierte unsere Arznei- und Unterrichtsmittel.
Im Boot unterhielten uns die Gesänge unserer Bootsleute, die um die Wette an Land paddelten. Sie behandelten uns und unsere Sachen ziemlich achtlos. Als wir das Ufer erreichten, hielten sie es nicht für nötig, uns beim Aussteigen zu helfen, und stellten sogar einige unserer Kisten einfach ins Wasser. Kaum hatten sie dem armen Samuel ein Trinkgeld abgepresst, das laut Joseph viel zu hoch war, fuhren sie schon rufend und winkend auf eine andere Gruppe von Leuten zu, die am Ufer stand und darauf wartete, zum Schiff gebracht zu werden.
Der Hafen ist hübsch, aber nicht tief genug für große Schiffe. Darum machen die Bootsleute hier in der Zeit, in der die Schiffe vorbeikommen, ein gutes Geschäft. Diese Bootsleute waren viel größer und kräftiger als Joseph, aber alle hier, einschließlich Joseph, sind von einem dunklen Schokoladenbraun. Nicht schwarz wie die Senegalesen. Und Celie, sie haben alle so kräftige, saubere, weiße Zähne! Ich hab auf der Schiffsreise hierher viel über Zähne nachgedacht, weil ich fast die ganze Zeit Zahnweh hatte. Du weißt ja, wie schlecht meine Backenzähne sind. Und in England sind mir die Zähne der Engländer aufgefallen. So krumm und schief meistens und dunkel von der Zahnfäule. Ich hab mich gefragt, ob das am englischen Wasser liegt. Aber die Zähne der Afrikaner erinnern mich an Pferdezähne, so voll ausgebildet, gerade und kräftig sind sie.
Die »Stadt«, die zum Hafen gehört, ist so groß wie die Eisenwarenhandlung bei uns in der Stadt. Darin gibt es Stände mit Stoff, Sturmlampen und Petroleum, Moskitonetzen, Feldbetten, Hängematten, Äxten und Hacken und Buschmessern und anderem Werkzeug. Geführt wird das Ganze von einem Weißen, aber manche Stände, die Obst und Gemüse verkaufen, sind an Afrikaner vermietet. Joseph zeigte uns Sachen, die wir brauchen würden. Einen großen Eisenkessel, um Wasser und Wäsche zu kochen, einen Zinkzuber. Moskitonetze. Nägel. Hammer, Säge und Spitzhacke. Petroleum und Lampen.
Da es im Hafen nichts gab, wo man schlafen konnte, heuerte Joseph ein paar von den jungen Männern, die bei dem Handelsposten herumlungern, als Träger an, und wir machten uns gleich auf den Weg nach Olinka, gut vier Tage zu Fuß durch den Busch. Dschungel, darunter kannst du dir wohl eher was vorstellen. Oder vielleicht auch nicht. Weißt du, was ein Dschungel ist? Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Und zwar große. So groß, dass sie aussehen wie gebaut. Und Schlingpflanzen. Und Farn. Und kleine Tiere. Frösche. Und Schlangen auch, sagt Joseph. Aber Gott sei Dank haben wir noch keine gesehen, nur bucklige Eidechsen, so lang wie dein Arm. Die Leute hier fangen und essen sie.
Sie lieben Fleisch. Alle in diesem Dorf. Manchmal, wenn man sie anders nicht dazu kriegt, etwas Bestimmtes zu tun, sagt man einfach etwas von Fleisch, einem Stück, das man zufällig grade übrig hat, oder wenn es was Größeres ist, was sie tun sollen, redet man von einem Barbecue. Ja, Barbecue. Sie erinnern mich an die Leute bei uns daheim!
Jedenfalls, wir kamen hier an. Und ich dachte, ich hätte jetzt auf ewig einen Knick in den Hüften von der Hängematte, in der sie mich den ganzen Weg getragen hatten. Das ganze Dorf kam angelaufen. Aus kleinen, runden Hütten mit Dächern aus etwas, was ich für Stroh hielt, aber in Wirklichkeit ist es eine bestimmte Sorte Blätter, die hier überall wächst. Die Blätter werden gesammelt und getrocknet und so übereinandergelegt, dass die Hütte regendicht ist. Das ist Frauenarbeit.
Die Männer treiben die Pfähle für die Hütten in den Boden und helfen manchmal mit, die Wände zu bauen, aus Lehm und Steinen aus den Bächen.
So neugierige Gesichter wie die, die uns im Dorf umringten, hast du noch nie gesehen. Zuerst guckten die Dorfbewohner nur. Dann fassten ein, zwei Frauen Corrines und mein Kleid an. Meins war von den drei Abenden, an denen es beim Kochen am Lagerfeuer auf den Boden gehangen hatte, unten so dreckig, dass ich mich geschämt habe. Aber dann hab ich mir die Kleider angeguckt, die sie anhatten. Die meisten sahen aus, als hätten die Schweine sie durch den Hof geschleift. Und passen tun sie auch nicht. Dann kamen sie noch ein bisschen näher – wobei immer noch keine etwas sagte – und berührten unser Haar. Dann guckten sie auf unsere Schuhe. Wir sahen Joseph an. Da erklärte er uns, dass sie sich so benahmen, weil alle Missionare vor uns Weiße waren und umgekehrt. Die Männer waren in dem Hafenort gewesen, manche jedenfalls, und hatten den weißen Händler gesehen, daher wussten sie, dass Weiße auch etwas anderes sein konnten. Aber die Frauen waren nie am Hafen gewesen, und der einzige Weiße, den sie kannten, war der Missionar, den sie vor einem Jahr begraben hatten.
Samuel fragte, ob sie die weiße Missionarin zwanzig Meilen weiter schon mal gesehen hätten, und Joseph sagte Nein. Zwanzig Meilen durch den Dschungel seien eine sehr lange Reise. Die Männer würden bis zu zehn Meilen ums Dorf herum jagen gehen, aber die Frauen blieben nah bei ihren Hütten und Feldern.
Dann fragte eine der Frauen etwas. Wir sahen Joseph an. Er sagte, die Frau wollte wissen, ob die Kinder mir oder Corrine oder uns beiden gehörten. Joseph sagte, sie gehörten Corrine. Die Frau musterte uns beide und sagte noch etwas. Wir sahen Joseph an. Er sagte, die Frau würde sagen, die Kinder sähen beide aus wie ich. Wir lachten alle höflich.
Dann hatte noch eine Frau eine Frage. Sie wollte wissen, ob ich auch Samuels Ehefrau sei.
Joseph sagte, nein, ich sei Missionarin, so wie Corrine und Samuel Missionare seien. Darauf sagte eine Frau, sie hätte nie gedacht, dass Missionare Kinder haben könnten. Und jemand anders sagte, er wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, dass Missionare Schwarz sein könnten.
Dann sagte jemand, dass die neuen Missionare Schwarz sein würden und zwei davon Frauen, sei genau das, was er geträumt habe, und zwar erst letzte Nacht.
Inzwischen ging es ganz schön lebhaft zu. Kleine Köpfe guckten hinter den Röcken von Müttern hervor und über die Schultern großer Schwestern. Und der Strom der Dorfbewohner, etwa dreihundert jetzt, schwemmte uns regelrecht mit, zu einem Bauwerk ohne Wände, aber mit einem Blätterdach, wo wir uns alle auf den Boden setzten, die Männer vorn, die Frauen und Kinder dahinter. Dann gab es lautes Geflüster zwischen einigen sehr alten Männern, die aussahen wie die Kirchenältesten bei uns daheim mit ihren ausgebeulten Hosen und glänzenden, schlecht sitzenden Jacken. Ob Schwarze Missionare Palmwein tränken?
Corrine sah Samuel an, und Samuel sah Corrine an. Aber die Kinder und ich tranken ihn bereits, denn jemand hatte uns die kleinen braunen Tonbecher in die Hand gedrückt, und wir waren zu nervös, um nicht sofort dran zu nippen.
Wir waren so um vier angekommen und saßen bis neun Uhr unter dem Blätterdach. Dort nahmen wir unsere erste Mahlzeit ein, einen Erdnuss-Huhn-Eintopf, den wir mit den Fingern aßen. Doch die meiste Zeit hörten wir Gesängen zu und sahen Tänze, die eine Menge Staub aufwirbelten.
Der größte Teil der Willkommenszeremonie drehte sich um das Dachblatt. Joseph übersetzte für uns, während ein Dorfbewohner die Geschichte vortrug, auf der das Ganze beruht. Die Dörfler glauben, dass sie schon immer auf genau dem Fleckchen Erde leben, wo jetzt ihr Dorf steht. Und dieses Fleckchen Erde ist gut zu ihnen. Sie pflanzen Maniok an, und die Felder liefern riesige Erntemengen. Sie pflanzen Erdnüsse an, und auch die bringen reiche Erträge. Sie bauen Yams an und Baumwolle und Hirse. Alles Mögliche. Aber einmal, vor langer Zeit, wollte ein Mann im Dorf mehr als nur seinen Anteil Land zum Bewirtschaften. Er wollte mehr ernten können, um mit dem, was er nicht selbst brauchte, Handelsgeschäfte mit den Weißen an der Küste zu machen. Da er zu der Zeit das Dorfoberhaupt war, nahm er sich allmählich immer mehr vom Gemeinschaftsland und auch immer mehr Frauen, damit sie es bestellten. Als seine Gier noch zunahm, fing er auch an, Land zu kultivieren, auf dem das Dachblatt wuchs. Das erschreckte sogar seine Frauen, und sie beschwerten sich darüber. Aber es waren faule Frauen, und niemand hörte auf sie. Niemand konnte sich an eine Zeit erinnern, in der es nicht Dachblatt im Überfluss gegeben hätte. Doch schließlich nahm sich der gierige Mann so viel von diesem Land, dass selbst die Ältesten beunruhigt waren. Also bestach er sie einfach – mit Äxten und Stoff und Kochtöpfen, die er von den Händlern an der Küste hatte.
Aber dann kam während der Regenzeit ein großer Sturm, der alle Dächer auf allen Hütten im Dorf zerstörte, und die Leute stellten zu ihrem Schrecken fest, dass kein Dachblatt mehr zu finden war. Wo seit Anbeginn der Zeit reichlich Dachblatt gewachsen war, war jetzt Maniok. Gerste. Erdnussfeld.
Sechs Monate lang...
Erscheint lt. Verlag | 23.11.2021 |
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Übersetzer | Cornelia Holfelder-von der Tann |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Color Purple |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | afroamerikanischen Literatur • Amerikanische Literatur • Belletristik • Beloved • Briefroman • Bücher die man gelesen haben muss • Chimamanda Ngozi Adichie • Der Wassertänzer • Feminismus • Ich Weiß • James Baldwin • Literaturklassiker • Maya Angelou • Menschenkind • National Book Award • Neuübersetzung • Pulitzer Preis • Pulitzer-Preis • Rassismus • Roman • Song of Solomon • Südstaaten • Ta-Nehisi Coates • The Color Purple • Toni Morrison • USA • warum der gefangene Vogel singt • Was für immer mir gehört • Weltliteratur |
ISBN-10 | 3-7530-5009-1 / 3753050091 |
ISBN-13 | 978-3-7530-5009-6 / 9783753050096 |
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