Wer ohne Sünde ist (eBook)
592 Seiten
C. Bertelsmann Verlag
978-3-641-12165-5 (ISBN)
»Bitte hilf mir, Rebecka!« Der Gerichtsmediziner Lars Pohjanen, der todkrank ist, bittet die Staatsanwältin Rebecka Martinsson, ihm zuliebe einen längst verjährten Mordfall wiederaufzunehmen. Aus purem Mitleid stimmt sie zu, auch wenn sie in Gedanken ganz woanders ist: Die beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben - Krister, der Führer der Hundestaffel, und Mons, der smarte Jurist aus Stockholm - haben sich wütend von ihr abgewandt, nachdem Rebecka den einen mit dem anderen betrogen hat. Doch der Cold Case, dem sie sich zuwendet, benötigt ihre volle Aufmerksamkeit, denn er fördert Unheilvolles über ihre Heimatstadt Kiruna zutage. Aber vor allem zwingt er Rebecka, sich dem dunkelsten Kapitel ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen ....
Im letzten Band der gefeierten Rebecka-Martinsson-Reihe beweist Åsa Larsson mit einer fulminanten Spannungshandlung, atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen und einem faszinierenden Porträt Kirunas einmal mehr, dass sie Schwedens unangefochtene Queen of Crime ist. Der Roman wurde mit dem Schwedischen Krimipreis ausgezeichnet.
»Knorrige Figuren, präzise Milieus, packender Plot - Åsa Larsson schreibt derzeit die besten Skandinavien-Krimis.« Hörzu
Entdecken Sie die weiteren Bände der Rebecka-Martinsson-Reihe. Alle Romane sind auch einzeln lesbar.
1. Sonnensturm
2. Weiße Nacht
3. Der schwarze Steg
4. Bis dein Zorn sich legt
5. Denn die Gier wird euch verderben
6. Wer ohne Sünde ist
Åsa Larsson, 1966 geboren, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Kiruna. Sie arbeitete als Steueranwältin, bis sie beschloss, Autorin zu werden. Mit ihrem ersten Rebecka-Martinsson-Krimi »Sonnensturm« machte sie in Schweden und international sofort Furore (ausgezeichnet als bestes Krimi-Debüt). Mit dem sechsten Band »Wer ohne Sünde ist«, der mit dem Schwedischen Krimipreis ausgezeichnet wurde, beendet die Autorin die hoch gelobte und erfolgreich verfilmte Reihe mit den Ermittlerinnen Rebecka Martinsson und Anna-Maria Mella.
RAGNHILD PEKKARI TRAF MORGENS KURZ nach neun im Dorf Kurkkio ein. Sie parkte neben Fredrikssons altem Lagerhaus, klemmte Skier und Skistöcke unter den Arm und ging zum Fluss hinunter. Der Weg war bis zur Sauna am Ufer freigeschaufelt. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie zur Insel hinüber. Inzwischen war es wärmer, mehrere Grade über null. Die Eisdecke war heimtückisch, das wusste sie, sie war zwar meterdick, aber butterweich. Brach man ein, versank man in einer Suppe aus Schnee und Eisstücken.
Einige alte Schneemobilspuren führten kreuz und quer über den Fluss und auch zur Insel hinüber. Sie glitzerten in der gleißenden Sonne wie Straßen aus Glas. Vielleicht trugen sie. Andernfalls musste sie bis zum nächsten Morgen warten und sich den Nachtharsch zunutze machen. Aber sie wollte und konnte nicht warten. Sie dachte an den Hund. Und natürlich auch an Henry, aber der war tot. Sie war sich sicher. War auch höchste Zeit.
In nur zweihundert Metern Entfernung lag ihr Elternhaus. Aus der Ferne sah es aus wie früher, aber sie konnte sehen, dass das halbe Stalldach eingestürzt war.
Ihren Rucksack hatte sie im Auto zurückgelassen, nur kein unnötiges Gewicht. Sie wagte nicht, die Skibindungen zu schließen. Falls sie einbrach, wollte sie nicht in den Skiern festhängen. Vorsichtig stieß sie sich ab und glitt in eine Schneemobilspur, die zur Insel führte.
Das Eis war nass und glatt, die Skier rutschten in alle Richtungen. Und ihre Schuhe glitten immer wieder von den Skiern. Eine richtig dumme Idee, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie schob sich mit Hilfe der Skistöcke voran und hielt dabei den einen Ski immer ein wenig vor dem anderen, um das Gewicht möglichst gleichmäßig zu verteilen.
Sie warf einen Blick auf die Wochenendhäuser am Ufer. Falls jemand zu Hause war, folgte man ihr bestimmt mit dem Fernglas. Und fragte sich, was das für eine Irre war.
Sie schwitzte unter ihrer Mütze, salzig troff es ihr in die brennenden Augen. Aber sie wagte nicht, anzuhalten, um die Mütze auszuziehen, wagte nicht, mit dem ganzen Gewicht auf ein und derselben Stelle zu verharren. Sie musste in Bewegung bleiben.
Jetzt, in der Mitte zwischen Insel und Festland, wurde die Eiskruste in der Spur dünner. Der Schatten des Uferwaldes reichte nicht bis hierher, und die Sonne schien den ganzen Tag auf das spiegelblanke Eis. Sie hörte es unter den Skiern bersten, ein leises Krachen, das Keile des Schreckens in ihre Entschlossenheit trieb. Irgendwo unter ihr verlief die Stromschnelle, und an dieser Stelle war das Eis noch dünner.
Zum Umkehren war es zu spät, dann müsste sie die Skier ablegen und würde garantiert einbrechen. Sie vertrieb den Gedanken an das kalte schwarze Wasser und an den Brei aus Schnee, der über ihr zusammenschwappen würde. Weiter jetzt!
Vierzig Meter von der Insel entfernt brach ein Ski durchs Eis. Mit einem »Schlopp!« verschwand ein Bein unter ihr, und sie fiel auf die Seite. Ein Schrei löste sich wie von selbst aus ihrer Kehle, schrill, einsam. Wie ein Insekt krabbelte sie weiter, zog das Bein aus dem Schneebrei und meinte, gleich zu versinken, schnell und hilflos. Die Todesangst schoss durch ihre Brust wie ein aufgescheuchter Hase.
Sie richtete sich auf allen vieren auf, wagte nicht, ganz aufzustehen, und kroch wie ein angeschossenes Wild mit einem Knie auf dem verbliebenen Ski weiter. Die Stöcke ließ sie zurück.
Sie fluchte sich vorwärts.
»Verdammt, verdammt, verdammt, Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
Als sie das Ufer erreichte, überfiel sie eine so große Müdigkeit, dass sie im Schnee hätte einschlafen können. Zum zweiten Mal an diesem Morgen staunte sie über ihre Angst vor dem Tod.
Genau so hatte sie ihn sich doch vorgestellt. Kaltes schwarzes Wasser. Aber als es so weit war, hatte sie sich wie ein Insekt mit abgeschnittenen Beinen an Land gekämpft.
Vielleicht eignest du dich doch eher zum Tabletten- und Alkoholjunkie, dachte sie wie ihr eigener Advokat des Teufels in schwarzer Robe. Feigling.
Nein, verteidigte sie sich gegen die höhnische Stimme. Bloß nicht hier. Nicht jetzt. Nicht auf dem Weg zu Henry.
Ragnhild schleppte sich bis zum Haus. Die Sonne brannte, blitzte mit tausendfachen Reflexen im kreideweißen Schnee auf. Schmelzwasser drang durch ihre Outdoor-Kleidung, und ihre Schuhe waren voller Schneematsch.
Schweren Herzens schaute sie sich um. Vor 31 Jahren war sie zum letzten Mal hier gewesen. Sie hatte ihren Bruder besucht, um ihn vom Tod ihrer Mutter zu unterrichten. Sie hatte versucht, ihn anzurufen, aber er war nicht drangegangen. Schließlich war sie auf die Insel gefahren. Einer der Nachbarn hatte sie mit seinem Boot übergesetzt.
Das menschliche Elend, in dem Henry sich suhlte, hatte sie eiskalt gelassen. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass er bei der Beerdigung willkommen sei, sofern er nüchtern erscheine. Mit dem üblichen Selbstmitleid der Alkis hatte er es ihr versprochen. Und dann natürlich nicht gehalten. Jemand aus dem Dorf hatte ihn vor der Kirche in Junosuando abgeladen. Ein Müllhaufen in einem Anzug, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Nicht einmal ein Hemd unter dem Jackett. Sie überredeten den Pfarrer, den Trauergottesdienst ein Weilchen aufzuschieben, und irgendjemand war nach Hause gefahren und hatte ein passendes Hemd geholt. Der Sarg kam in die Erde, und am Grab ihrer Mutter kündigte ihm Ragnhild die Verwandtschaft mit den Worten auf: »Nie wieder«, und: »Du bist nicht mehr mein Bruder.«
Trotzdem war sie ihn nicht losgeworden. Jeden Tag hatte sie irgendwann wütend an ihn gedacht. In ihrem Kopf bewohnte er eine geräumige Dreizimmerwohnung.
Virpi war nicht zum Begräbnis erschienen. Olle war da, gebügelt und mit polierten Schuhen, mit seiner gertenschlanken Frau, die Chefsekretärin bei der Stadtverwaltung war. Er war Henry gegenüber nicht so unversöhnlich wie sie. Aber Olle hatte seine Jugend auch nicht damit verbracht, jedes zweite Wochenende mit Äiti, der Mutter, auf die Insel zu fahren, um Henrys Haus zu putzen und seine Wäsche zu waschen. Irgendwann, da war sie schon über zwanzig, hatte sie sich geweigert mitzukommen. Aber ihre Mutter hatte weitergemacht. Bis ihre Krankheit dem ein Ende gesetzt hatte.
Mein verbittertes Herz, dachte Ragnhild. Was mache ich nur mit dir, jetzt wo Äiti und Isä tot sind? Und auch Virpi. Olle genießt sein gutes Leben, der Teufel soll ihn holen. Ich werde ihn nicht anrufen, um ihm zu sagen, dass Henry tot ist.
Aber vielleicht war Henry gar nicht tot. Vielleicht würde sie ihn dort drinnen betrunken und eingepisst vorfinden.
Jetzt stand sie vor dem Haus. Es war immer noch dunkelrot gestrichen, aber die Sonnenseite wies kaum noch Farbe auf. Die Mutter hatte in ihrem letzten Lebensjahr noch einen Anstrich bezahlt. Auf der Nordseite war das Dach wie eine Hängematte eingedellt. Aus der Regenrinne ragten ein paar armlange Stöcke, und erst nach einer Weile erkannte Ragnhild, dass kleine Birken dort in dem Laub, das nie entfernt wurde, Wurzeln geschlagen hatten.
Die Heuschober standen noch auf der Wiese, aber die Tore waren von den Scharnieren gefallen, und Schnee war ins Innere geweht. Jetzt sahen die Scheunen aus wie dunkle schwankende Wesen, die Toröffnungen zum lautlosen Schrei aufgerissen. Früher, in einem anderen Leben, waren diese Schober gut gepflegt und mit duftendem Heu gefüllt gewesen. Virpi und sie hatten dort gespielt, Höhlen gegraben und in dem schwachen Licht, das durch die Ritzen zwischen den Brettern drang, Mädchenbücher gelesen. Und sie waren auf dem Heu herumgehopst, obwohl das eigentlich verboten war.
Jetzt war der ganze Hof in sich zusammengesackt, vorzeitig gealtert, der Hässlichkeit zum Opfer gefallen.
Hoffentlich ist Henry tot, dachte Ragnhild. Sonst muss ich ihn doch noch totschlagen.
Zwischen Haus und Stall war der Platz notdürftig geräumt. Hier und da leuchteten gelbe Urinflecken im Schnee.
Der Hund?, überlegte Ragnhild. Oder Henry?
Auf der Außentreppe befreite sie ihre Schuhe vom Schnee. Die Tür war nicht abgeschlossen. Als sie sie öffnete, traf sie der Gestank wie eine Faust. Pisse. Alkohol. Schmutz.
Ihre vielen Jahre als Krankenschwester waren ihr jetzt eine große Hilfe. Sie verschloss ihre Nase, atmete durch den Mund und betrat das Haus.
»Henry«, rief sie.
Keine Antwort. Die winzige Diele führte in die Küche. Der Boden war von einer Schmutzschicht überzogen, seine ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen. Die modrig-feuchten Gardinen starrten vor Dreck. Auf den Fensterbrettern lagen Berge toter Fliegen, die Fensterscheiben waren fleckig von Fliegendreck. Auf der Spüle türmten sich Fertiggerichtverpackungen mit verschimmelten Essensresten. Überall leere Flaschen und Bierdosen.
Unter der Arbeitsplatte, in der für eine Spülmaschine vorgesehenen Lücke, lag eine tote, halb zerfressene Ratte. Ihre Verwandten? Oder der Hund? Auf dem Fußboden standen zwei leere Futternäpfe.
Koirariepu, dachte Ragnhild. Armer Hund. Was für ein Leben!
Bestimmt war er längere Phasen ohne Futter gewöhnt, hatte gelernt, diverse Strapazen zu überleben.
Sie pfiff zum Obergeschoss hinauf, aber kein Hund regte sich.
Dann ging sie in die gute Stube. Dort fand sie Henry.
Er lag rücklings auf dem Sofa. Reglos. Das Gesicht zur Rückenlehne gedreht. Sein abgemagerter Körper wie die Überbleibsel von Kiel und Spanten eines ausgedienten...
Erscheint lt. Verlag | 28.3.2022 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Rebecka Martinsson | Ein Fall für Rebecka Martinsson |
Übersetzer | Lotta Rüegger, Holger Wolandt |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Missgärningar |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | 2022 • abgeschlossene reihe • Abgeschlossener Fall • ARD • ARD, Serie • Arne Dahl • Bis dein Zorn sich legt • Börjlind • Denn die Gier wird dich verderben • eBooks • Eric Berg • Eva Almstädt • Hakan Nesser • In Teufels Küche • Karin Slaughter • Kiruna • Krimi • Krimibestenliste April 2022 • Kriminalromane • Krimis • Lange Schatten • Lappland • Lina Areklew • Lina Bengtsdotter • Nach alter Sitte • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Queen of Crime • Radio Bremen Krimipreis • Schwarzer Steg • Schweden • Schwedischer Krimi • schwedischer Krimipreis 2021 • Serie • Skandinavien • Sonnensturm • Thriller • Tove Alsterdal • TV-Verfilmung • Weiße Nacht |
ISBN-10 | 3-641-12165-5 / 3641121655 |
ISBN-13 | 978-3-641-12165-5 / 9783641121655 |
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