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Ritzi Mitzi -  Josef Volsa

Ritzi Mitzi (eBook)

Ein historischer Wien-Krimi aus dem Jahr 1924

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
284 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7519-2726-0 (ISBN)
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Nárcisz Nagy, ein Kriegskrüppel, todessehnsüchtiger Misanthrop und unverbesserlicher Zyniker, nimmt es mit einer übermächtigen Geheimorganisation auf. Als er fast besiegt ist, sieht er die einzige Möglichkeit, um zu überleben, darin, sich mit seinem ärgsten Feind zu verbünden und sich in dessen Hände zu begeben. Der Schauplatz dieser Geschichte ist Wien im Jahr 1924. Inmitten von Ausschweifungen, Hunger, Wohnungsnot und Hyperinflation versucht sich der Held gegen seine Gegner zu behaupten und bringt sich dabei nicht nur in Todesgefahr, sondern stellt sich auch seiner traumatischen Vergangenheit.

Josef Volsa, hauptberuflich Geomant, ist begeisterter Wiener und Hobbyhistoriker. Die authentische Wiedergabe der politischen und gesellschaftlichen Hintergründe jener Zeit sind ihm wichtig.

Kapitel 2


Dieser Depp hatte offenbar seinen Schlüssel vergessen. Harald, sein Bettgeher, kam zu dieser Zeit immer von seiner Nachtschicht zurück. Er war es vermutlich auch, der nun wie verrückt klopfte und ihn aus dem Bett holen wollte. Ein Blick auf den Wecker zeigt ihm, dass es erst kurz nach 8:00 Uhr war. Der Kerl kann etwas erleben. Traut sich so einen Radau zu machen.

Nagy begab sich, so schnell sein schmerzender Leib dies zulassen konnte, zur Tür und öffnete. Gleich darauf schreckte er zurück. »Marek!« Mareks massiger Körper füllte die ganze Tür aus. Wie damals trägt er eine zu kleine Kleidung, weil es anscheinend nach wie vor schwierig sein muss, in dieser Größe etwas Passendes zu finden.

Er bückte sich, um durch die Tür zu kommen, fiel Nagy um den Hals und begann, wie ein kleines Kind zu weinen. Hilflos hing dieses Riesenbaby an ihm. So hilflos, wie sich auch Nagy in diesem Moment fühlte.

Ihm schnürte es die Brust zu.

Nicht allein wegen der Schmerzen, die dieser Granatsplitter nach wie vor verursachte, der in seinem Bauch steckte, den sie ihm im Lazarett damals nicht rausschneiden konnten. Er fühlte sich plötzlich zurückversetzt auf den Monte San Michele am 19. Oktober 1915 und hörte wieder den Lärm, das Schreien, die Schüsse, sah seine Kameraden, das Blut und die Verletzungen klar vor sich. Zwei Tage davor haben sie die Italiener im Nahkampf abwehren können. Immer noch sieht er in seinen Alpträumen den Italiener vor sich, den er mit dem Bajonett an der Halsschlagader getroffen hat, als dieser sich auf ihn gestürzt hatte. Jener Bursch war vielleicht 19 oder 20 Jahre alt gewesen, hatte Eltern, vielleicht eine Freundin oder eine Frau gehabt, die allesamt großer Hoffnung gewesen sind, dass er gesund wieder nach Hause kommen werde. Sein Gesicht, als der Bursch Nagy angegriffen hatte, zeigte Furcht und Unsicherheit. Als Nagy ihn getroffen hatte, sah ihn der junge Mann ungläubig und mit großen Augen an. Das Blut spritzte aus dem Hals und der Soldat war gleich tot. Er hatte keine Zeit, sich um ihn zu kümmern. Dazu tobte der Angriff zu gewaltig. Aber dieses Gesicht wird er nie vergessen. Er verschoss viel Munition während des Krieges. Vorzugsweise in Richtung des Feindes. Ob er traf, wusste er nicht. Er wollte es auch später nie wissen.

Aber dieses eine Leben hatte er ausgelöscht, während er diesem Mann in die Augen sah. Direkt und unleugbar.

Zwei Tage nach dem Angriff hatte er immer noch keine Zeit, seine Uniform zu wechseln.

Das Blut klebte nicht nur sprichwörtlich an ihm und erinnerte daran, dass er Menschenleben beendet hatte. Seine Uniformhose war nur unzureichend von seinem Kot gereinigt und er stank entsetzlich. Er schämte sich für diese Körperreaktion, aber sie war nicht zu verhindern gewesen.

Am 19. Oktober rollte dann eine neue Angriffswelle an. Der Artilleriebeschuss dauerte schon Stunden an, die Italiener feuerten aus allen Rohren. Die Artillerie schoss zurück. Nagy und seine Kameraden versuchten die Köpfe, so gut es ging, unten zu halten und sich nicht aus den Schützengräben zu bewegen. Wenigstens musste er auf diese Weise niemanden eigenhändig töten oder beim Sterben zusehen. Da geschah es. Eine Granate schlug in die Rückwand des Schützengrabens ein. Von den vielen hunderten oder tausenden Granaten, welche die Italiener abfeuerten, erwischte diese eine Granate jenen Winkel, mit der sie direkt in ihre Stellung flog und sich dann an der Rückwand des Schützengrabens in ihre Bestandteile zerlegte. Ludwig, der neben ihm stand, war sofort tot. Ein Teil der Granate zerfetzte dessen Gesicht. Nagy wurde durch zahlreiche Treffer verletzt und blutete aus mehreren Wunden.

Sein Ludwig war tot! Sein geliebter Ludwig.

Nagy kroch, soweit es ihm mit seinen Verletzungen möglich war, zu ihm und umarmte den leblosen Körper. Er wollte nun umarmend liegend mit ihm sterben. Vor wenigen Tagen und Stunden waren sie einander näher gekommen. Mit dem Herzen und dem Körper.

Er war seine erste große Liebe. Ohne Ludwig erschien sein Leben nun sinnlos und nicht mehr lebenswert.

Durch den Blutverlust war er kurz vor der Ohnmacht, als er wie durch einen Schleier Marek sah. Dieser Büffel von einem Mann warf Nagy wie einen Sack über seine Schulter und trug ihn durch den Hagel aus Kugeln, Granatsplittern und Erdbrocken zum Lazarett. Er spazierte über das Schlachtfeld. Es wirkte, als ob ihn das nicht interessierte, welche Hölle rund um ihn herum im Gange war, ihn all das nicht beträfe und ihn nicht verletzen könnte.

Nagy war die Tage danach nicht ansprechbar. Sein Ellbogen des rechten Armes, der linke Fuß, das linkes Knie und seine linke Hand waren immer noch von den Granatsplittern beeinträchtigt, schmerzten und sind kaum zu gebrauchen. Sein kleiner Finger an der linken Hand war absolut gefühllos, irgendwelche Nerven unwiederbringlich zerstört. Ein Splitter steckte außerdem als Andenken an Italien immer noch in seinem Bauch zwischen den Gedärmen. Er konnte damals nicht operiert werden, im Lazarettzelt am Schlachtfeld. Bei allen möglichen Bewegungen bereitete es auch später noch Schmerzen und es bestand die ständige Gefahr, dass irgendwann der Darm dadurch verletzt werden könnte. Irgendein Faustschlag in den Magen oder ein Sturz und dieses Stück Stahl, dieses Souvenir aus Italien, würde ihn töten. Einfach langsam innerlich verbluten lassen.

Marek stand nun – so viele Jahre später – als gebrochener Mann weinend vor ihm. »Marek, was ist passiert?« »Mitzi ist weg.« Er erinnert sich dunkel daran, dass Marek damals voller Vaterstolz von einer kleinen Tochter erzählt hatte.

»Komm doch erst mal rein. Ich mache eine Flasche Branntwein auf.« Sie setzten sich in die Küche und Nagy holte von seinen geheimen Vorräten in seinem Zimmer einen Obstler, den er entkorkte. Währenddessen beobachtete Nagy Marek. Er hatte ihn noch nie in Zivil gesehen. Damals schon war ihm die Uniform viel zu klein gewesen. Dieser riesige Mann hatte nicht viele Möglichkeiten, Kleidung in seiner Größe zu bekommen. Zum Schneider gehen und sich etwas anfertigen lassen, könnte er sich wohl nicht leisten. Er kannte Marek als einen Menschen, den nichts umwerfen kann. Er ließ den Krieg genauso wie die Schikanen der Vorgesetzten stoisch über sich ergehen. Jetzt saß er hier wie ein Häufchen Elend und kippte einen doppelten Schnaps nach dem anderen wie Wasser in sich hinein. »Erzähl mal, warum bist du da. Und wie zum Teufel hast du mich gefunden?« Marek sah Nagy mit verweinten Augen an: »Mitzi ist weg. Einfach so. Die Polizei unternimmt nichts. Sie ist doch ein anständiges Mädchen und verschwindet nicht so einfach.«

Nagy hatte in ihrer gemeinsamen Zeit bei der Isonzoschlacht niemals erlebt, dass Marek irgendetwas aus der Ruhe gebracht oder aufgeregt hätte.

Er war immer komplett entspannt und in sich ruhend gewesen. Selbst im ärgsten Bombenhagel hatte man den Eindruck gehabt, dass ihn das ganze Geschehen komplett kalt gelassen hätte. Ihn nun so zu sehen machte ihn plötzlich fremd für Nagy. Als er Nagy damals gerettet hatte, ging Marek übers Schlachtfeld, als ob er sich im Wiener Prater befunden hätte. Nagy glaubte, sich zu erinnern, dass nicht mal Mareks Atem schneller geworden war.

»Marek, dann erzähl halt mal! Wie ist das passiert?« »Sie kam vor einer Woche einfach nicht mehr heim. Einfach so. Ich war bei der Polizei aber die unternehmen nichts. Weil ich wusste, dass du ja bei der Polizei bist, habe ich nach dir gesucht. Tag und Nacht. Bei der Polizei haben sie so getan, als ob sie dich nicht gekannt hätten. Ich habe dich aber trotzdem gefunden. Nárcisz, hilf mir. Du bist mir das schuldig. Ich habe doch sonst niemanden mehr.« Bei den letzten Worten begann er wieder zu weinen.

Wenn Marek wüsste, dass er Nagy mit seiner Rettung keinen Gefallen getan hatte. Er wäre lieber in Italien in der Schlacht gestorben, um mit seinem Ludwig vereint zu sein. Nagy verstand nicht, warum Ludwig sterben hatte müssen und er das Recht bekommen hatte, weiterzuleben. Er fühlte sich schuldig.

»Marek, ich bin nicht mehr bei der Polizei. Ich bin ein Krüppel. Nach der Sache in Italien ist mein rechter Ellenbogen nur mehr unter Schmerzen zu bewegen. Mein linker Fuß ist gefühllos und mein linkes Knie schmerzt ständig.

In meinem Bauch steckt noch dieser Splitter, der bei jeder blöden Bewegung Schmerzen macht. Irgendwann wird mich dieses Teil umbringen. Dieser Granatsplitter sitzt irgendwo in meinen Gedärmen und kann nicht entfernt werden. Wenn ich mich bewege, bewegt er sich auch immer leicht mit und tut mir weh, verstehst du?«

Nachdem Nagy sich einen doppelten Obstler nachgeschenkt und runtergekippt hatte, erzählte er weiter: »Nach meiner Zeit im Spital wollte ich meinen Dienst antreten. Der Amtsarzt stellte jedoch eine Exekutivdienstuntauglichkeit fest. Die Voraussetzungen für meine Beamtenpension hatte ich noch nicht. Bei der Hyperinflation bist du mit einer Beamtenpension sowieso eine arme Sau. Ich lebe nun von dem Wenigen, das ich als Kriegsveteran bekomme. Und von dem Geld, das ich von dem...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7519-2726-3 / 3751927263
ISBN-13 978-3-7519-2726-0 / 9783751927260
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