Belmonte (eBook)
448 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99538-2 (ISBN)
Antonia Riepp ist das Pseudonym einer deutschen Bestsellerautorin, die seit über zwanzig Jahren Spannungsromane veröffentlicht. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, ihre Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt und zwei ihrer Bestseller verfilmt.
Antonia Riepp ist das Pseudonym einer deutschen Bestsellerautorin, die seit über zwanzig Jahren Spannungsromane veröffentlicht. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, ihre Bücher wurden in fünf Sprachen übersetzt und zwei ihrer Bestseller verfilmt. "Belmonte" ist ihr erster bewegender Familienroman. Die Autorin lebt im Allgäu.
Kapitel 1
Sandkörner
August 1944
Teresa
Noch war es still. Kein Hund bellte, kein Hahn krähte, sogar die Nachtigallen schwiegen. Ein Schatten löste sich von der Mauer, die den alten Dorfkern umgab, glitt lautlos zwischen Tomatenstauden, Obstbäumen und Weinreben den Hang hinab und folgte schließlich der schmalen Schotterstraße, die im Bogen um den Ort herumführte.
Vor einem Gehöft verharrte der Schatten. Ein leiser Pfiff. Zwei Gestalten verschmolzen in einer flüchtigen Umarmung, Rucksäcke wurden geschultert, ein paar geflüsterte Worte gewechselt, dann marschierten sie los. Nur der Gleichklang ihrer Schritte in den festen Stiefeln durchbrach die Stille vor dem Morgengrauen. Im Westen erhob sich der gezackte Rücken des Apennin gegen den fahlgrauen Himmel und schickte eine frische Brise in die Täler. Es würde wieder ein heißer Tag werden.
In engen Serpentinen wand sich das Sträßchen nach oben. Die Rucksäcke wogen schwer, und die Gurte schnitten in die Schultern, aber die zwei Frauen verbissen sich das Jammern und legten ein strammes Tempo vor. Über ihnen verblasste die fadendünne Mondsichel.
Bevor der Weg in den Wald eintauchte, blieben sie stehen, um zu verschnaufen. Teresa wandte sich um. Ein giftgelber Streifen über der Adria kündigte den Sonnenaufgang an. Gegenüber von ihnen lag Belmonte auf dem Hügel wie eine eingerollte Katze, die Hausdächer eng aneinandergekrallt, die Gassen unsichtbar, nur der Uhrturm ragte in den Himmel, höher und breiter als der Kirchturm. Nirgendwo brannte Licht. Die Glocke am Uhrturm schlug viermal zur vollen Stunde, dann folgten fünf Schläge.
»Wir liegen gut in der Zeit«, flüsterte Marta.
Teresa nickte. Sie spürte Stiche in der Lunge.
»Bist du sicher, dass dich im Dorf niemand gesehen hat?«, fragte sie, als sie wieder Luft bekam.
»Ja. Komm, weiter.«
Der Wald empfing sie mit nachtfrischer Kühle. Sie nahmen die Kopftücher ab und erlaubten sich, etwas langsamer zu gehen, während sich über den Baumkronen der Himmel aufhellte. An einem Felsbrocken stellten sie die Rucksäcke ab. Quellwasser floss aus einem rostigen Rohr über einen Stein, auf dem das Moos leuchtete wie ein Smaragd. Sie fingen das Wasser mit den Händen auf, tranken davon und wuschen sich Gesicht und Arme.
Teresa griff in ihre Rocktasche und zog einen Lippenstift hervor.
»Ich fasse es nicht! Woher hast du den?«, rief Marta und schlug sich sofort erschrocken auf den Mund, als wolle sie die lauten Worte zurücknehmen.
»Von deiner Mutter. Für zwei Stallhasen.« Teresa drehte den Lippenstift aus seiner Hülle. Er war nicht neu, aber es war noch gut die Hälfte vorhanden.
»Was hast du bei dir zu Hause gesagt, wo die Hasen hin sind?«
»Der Fuchs … Kannst du mal? Ich habe keinen Spiegel dabei.«
Marta schüttelte den Kopf.
Teresa las ihre Gedanken: Die Welt zerbricht in Stücke, und sie denkt an Lippenstift!
»Oder meinst du, Cesare gefällt das nicht?«
»Woher soll ich das wissen?«, brummte Marta. »Aber da sind ja auch noch andere junge Kerle …«
»Nur einen Hauch.«
»Halt still.« Martas harte Hände umschlossen Teresas Kinn, während sie die Farbe auftrug. »Steht dir. Bist die Schönste im ganzen Land.«
Nach der Rast kam Teresa ihr Rucksack doppelt so schwer vor. Sie stöhnte.
»Beschwer dich nicht«, sagte Marta.
»Tu ich nicht.«
Um sie herum erwachte der Wald. Es knackte und knisterte, Elstern und Eichelhäher meldeten die Eindringlinge. Einmal kreuzte eine Rotte Wildschweine ihren Weg und ließ sie zusammenzucken.
Sie erreichten den Bergkamm. Goldene Sonnenstrahlen brachen durch das Blattwerk, als wollte Gott persönlich ihnen etwas sagen. Es roch nach Moos und Pilzen. Von jetzt an ging es nur noch ein kleines Stück bergab.
»Diese Hasen …«, begann Marta, »die gab’s am Sonntag. Zäh wie Schuhsohlen, die nonna hat sich ihren vorletzten Zahn daran ausgebissen.«
»Keine Verdächtigungen! Ich hab extra den Kopf drangelassen. – Und ein Zahn ist doch noch besser als keiner.«
Sie sahen sich an und brachen in Kichern aus, aber Marta legte sofort den Finger an die Lippen und wisperte: »Leise! Du weißt, es geht nicht nur um uns.«
Berichte über die Gräueltaten der Deutschen kursierten in der Bar, im Frisiersalon von Martas Mutter, in Ferris Lebensmittelladen und wo immer sonst sich die Wege der Dorfbewohner kreuzten. In der Toskana hatten sie im Zuge der »Bandenbekämpfung« ein ganzes Dorf namens Sant’Anna di Stazzema ausgelöscht. Männer, Frauen, Kinder, Alte, hingerichtet mit Maschinenpistolen und Handgranaten. Fünfhundertsechzig Leichen waren auf dem Kirchplatz aufgehäuft und verbrannt worden. Nur weil die Bewohner im Verdacht standen, Partisanen zu unterstützen. Und nicht bloß dort …
Falls ihr erwischt werdet, dürft ihr unter gar keinen Umständen sagen, woher ihr kommt! Das hatte man ihnen nicht nur einmal eingeschärft.
Teresa fröstelte. Das Angsttier, das in ihr schlummerte, erwachte und streckte seine Klauen aus.
Später dann, als Cesare ihren Namen aussprach, mit einer Stimme, in der die Sehnsucht der vergangenen Tage nachklang, fühlte Teresa sich ihm so nah, wie sie sich noch nie einem Mann nah gefühlt hatte. Sein Blick, voller Verlangen, ließ ihre Haut am ganzen Körper prickeln, und als er seine Hand in ihren Nacken legte, zuckte irgendwo in ihrem Innern ein wohliger Schmerz auf.
Vom Himbeerrot ihres Lippenstifts war schon längst nichts mehr zu sehen.
Sie saßen eng nebeneinander auf dem Stamm eines umgestürzten Baums, Teresas Hand durchkämmte sein verfilztes Haar, ihr Finger fuhr über seine aristokratische Nase, berührte den Bogen seiner Lippen, strich über die Bartstoppeln, die seine ausgehöhlten Wangen bedeckten. Wie dünn er geworden war. Sogar die Schlüsselbeine zeichneten sich unter dem Hemd ab.
»Wie lange wollt ihr hier noch bleiben?«, fragte sie.
Seine dunklen Augen verengten sich. »Bis wir die verdammten Deutschen und die Faschisten von Salò besiegt haben. Und das werden wir, glaube mir. In Piemont und Reggio Emilia gibt es schon Partisanenrepubliken, wo sich kein Deutscher mehr hinwagt.«
Erneut kroch die Angst in ihr hoch und vertrieb das schmerzhaft schöne Gefühl von eben. In der Höhle hinter ihnen lagerten Sprengstoff, Munition und Waffen. Der Sprengstoff wurde eingesetzt für Sabotageakte an Durchfahrtsstraßen, Eisenbahnverbindungen, Brücken, Telegrafenleitungen, Elektrizitätswerken – für alles, was der Logistik der Wehrmacht diente. Einige Partisanenbrigaden hatten inzwischen Einheiten der Besatzungstruppen direkt angegriffen. Umgekehrt waren auch schon Stützpunkte der Widerstandskämpfer entdeckt und tagelang beschossen worden. Teresa hoffte inständig, dass es für Cesare und seine Jungs nie zu einer direkten Konfrontation mit dem Feind kommen würde.
Der kleine Partisanenverband bestand aus ehemaligen Soldaten, die sich nach Kriegsende vor die Wahl gestellt sahen, sich entweder einer der vier Divisionen von Mussolinis Kollaborationsregime anzuschließen, das weiterhin an der Seite der Deutschen am Krieg teilnahm, oder eben der Resistenza unter Führung des CLN, des Comitato di Liberazione Nazionale – dem geheimen Bündnis der Linksparteien, die sich nach Kriegsende im September 1943 zusammengeschlossen hatten. Viele Soldaten hatten den Widerstand gewählt, was nicht hieß, dass sie alle überzeugte Linke oder Kommunisten gewesen wären. So war die Resistenza seit einem Jahr zu einer Art Massenbewegung geworden.
»Sie sind nicht unbesiegbar«, sagte Cesare. »Denk an Stalingrad.«
»Dann kann man nur hoffen, dass der nächste Winter ein sibirischer wird«, bemerkte Teresa voller Sarkasmus.
»Cara, entschuldige, ich habe nicht daran gedacht. Entschuldige!« Er küsste ihre Hände, und Teresa verzieh es ihm mit einem traurigen Lächeln. Weihnachten 1942 hatte ihr älterer Bruder Claudio beim Rückzugsgefecht des dritten Bersaglieri-Regiments in der Nähe der Stadt Tschertkowo den Tod gefunden. Es verging kein Tag, an dem sie nicht daran dachte.
In der Höhle wurden Rufe laut.
»Ein Wildschweinschinken!«
»Geräucherte Forellen!«
»Eine Salami! Und noch eine!«
Es war immer wieder erstaunlich, welche geheimen Vorräte die Leute aus diversen Verstecken hervorzauberten, trotz der von den Besatzern streng überwachten Ablieferungspflicht. Vor einiger Zeit noch hatten die einheimischen Behörden die Abgaben der Landwirte geregelt, und gegen einen saftigen Schinken oder einen Laib Käse war so manches Auge zugedrückt worden. Aber jetzt musste man extrem vorsichtig sein. In Mergo war ein Bauer wegen zweier versteckter Schweine erschossen worden.
»Seht nur, eine Pulle Grappa! – Marta, lass dich küssen!«
»Pfoten weg, Gianni!«
»Gianni, ich will, dass du der Genossin mit Respekt begegnest. Ihre Arbeit für die Resistenza ist genauso wichtig wie unsere.«
»Ist ja gut. Ich hab mich doch nur so über den Grappa gefreut.«
»Ich denke, wir sollten reingehen«, seufzte Teresa und erhob sich. Widerstrebend folgte ihr Cesare.
In der Höhle roch es nach Zigarettenrauch und ungewaschenen Männerkörpern. Teresa brauchte eine Weile, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen, das von zwei Petroleumfunzeln ausging. Dann bemerkte sie Martas traurigen Blick und ihr wehmütiges Lächeln. Sie kannte ihre Freundin lange und gut genug, um zu wissen, dass sie an ihren Verlobten Salvatore dachte. Er war zuletzt in Ljubljana in Slowenien stationiert gewesen. Im Chaos des Waffenstillstands Italiens mit den Alliierten im September 1943 war er...
Erscheint lt. Verlag | 2.6.2020 |
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Reihe/Serie | Die Belmonte-Reihe |
Die Belmonte-Reihe | Die Belmonte-Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 1944 • 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Bella Germania • Bestseller • Bücher 2020 Neuerscheinungen • Bücher Bestsellerautorin • Daniel Speck • Deutsch-Italienisch • Deutschland • Familiengeschichte • Familiensaga • Gastarbeiter • Gegenwart • Generation • Generationenkonflikte • Generationenroman • historisch • Historischer Familienroman • Italien • Konflikte • Krieg • Liebe • Roman Familiengeheimnis • Roman Frauenemanzipation • Roman Italien • Roman Marken • Susanne Mischke • zeitgenössisch |
ISBN-10 | 3-492-99538-1 / 3492995381 |
ISBN-13 | 978-3-492-99538-2 / 9783492995382 |
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