Frida Kahlo und die Farben des Lebens (eBook)
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1836-0 (ISBN)
'Ich bin eine Revolution!' Frida Kahlo.
Mexiko, 1925: Frida will Ärztin werden, ein Unfall macht dies zunichte. Dann verliebt sie sich in das Malergenie Diego Rivera. Mit ihm taucht sie in die Welt der Kunst ein, er ermutigt sie in ihrem Schaffen - und er betrügt sie. Frida ist tief verletzt, im Wissen, dass Glück nur geborgt ist, stürzt sie sich ins Leben. Die Pariser Surrealisten liegen ihr genauso zu Füßen wie Picasso und Trotzki.
Frida geht ihren eigenen Weg, ob sie mit ihren Bildern Erfolge feiert oder den Schicksalsschlag einer Fehlgeburt hinnehmen muss - doch dann wird sie vor eine Entscheidung gestellt, bei der sie alles in Frage stellen muss, woran sie bisher geglaubt hat ...
»Eine Liebeserklärung an die Kunst, an die Weiblichkeit, an die Freiheit und den Mut, sie jeden Tag neu zu erringen - ein wunderbar zartes und doch kraftvolles Herzensbuch.« Nina George.
Caroline Bernard ist das Pseudonym von Tania Schlie. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und seit zwanzig Jahren freie Autorin. Neben zahlreichen Romanen hat sie etwa ebenso viele Sachbücher zu kulturhistorischen Themen veröffentlicht. Sie liebt es, sich Geschichten über starke Frauen auszudenken. Mit 'Die Muse von Wien' hat sie sich zum ersten Mal ein reales Vorbild für einen Roman genommen, und Alma Mahlers Wille zum Glück hat sie von Anfang an fasziniert. Caroline Bernard lebt in der Nähe von Hamburg. Als Aufbau Taschenbuch erschienen bereits 'Rendezvous im Café de Flore' und 'Die Muse von Wien'.
Kapitel 1
September 1925
»Jetzt hör endlich auf zu trödeln und komm!«
Alejandro griff nach Fridas Hand und wollte sie hinter sich herziehen. Frida spürte die Gänsehaut zwischen ihren Schulterblättern, die sie immer bekam, wenn sie sich berührten. Dennoch machte sie sich von ihm los. »Einen Moment. Ich habe mein Heft liegenlassen.«
Als sie zurückkam, wartete Alejandro zusammen mit ihrem gemeinsamen Freund Miguel am Ende des Flurs auf sie. Frida verlangsamte ihre Schritte, um ihn ungestört zu beobachten. Alejandro Gómez Arías war gutaussehend, großgewachsen, hatte glänzendes Haar und trug seinen Anzug mit nonchalanter Lässigkeit. Alejandro war ihr gleich am ersten Tag aufgefallen. Er war drei Klassen über ihr und gehörte zu einer Gruppe von Freunden, die sich Cachuchas nannten, nach den Schiebermützen, die sie trugen. Die Cachuchas waren klug, kannten die neueste Literatur und liebten die Malerei. Ihr großes Vorbild war der Revolutionär José Vasconcelos, der als Bildungsminister eine Alphabetisierungskampagne gestartet hatte und neue Maßstäbe in der Kunst setzte. Bevor Frida zu ihnen gestoßen war, hatte die Gruppe ausschließlich aus jungen Männern bestanden. Es gingen ja auch nur ganz wenige Mädchen auf die Preparatoria. Frida bereitete sich hier, gegen alle Bedenken ihrer Mutter, auf das Medizin-Studium vor. Sie wollte Ärztin werden. Vor allem aber bedeutet die Prepa für Frida ein Stück Freiheit. Hier konnte sie endlich aus der Enge ihrer Familie und der Aufsicht von Eltern und Nachbarn entfliehen. Täglich fuhr sie aus dem verschlafenen Vorort Coyoacán mit der Straßenbahn in die Innenstadt.
Frida zog die gestrickten Strümpfe hoch, bis sie unter dem Saum des dunklen Faltenrocks verschwanden, und rannte los. Im Vorbeilaufen stieß sie Alejandro mit dem Ellenbogen an. »Wo bleibst du?«, dann stürmte sie an ihm vorbei die Treppe hinunter.
»Frida! Jetzt warte doch. Du benimmst dich unmöglich.«
Frida nahm die Kehre der Treppe mit zu viel Schwung, ihr Rock flatterte um ihre Beine. Sie hielt sich am Geländer fest und flog halb die Stufen hinunter.
»Frida!«, rief er noch einmal. »Du ruinierst den Ruf der Frauen an dieser Schule.«
Frida verdrehte die Augen. Sie liebte Alejandro von ganzem Herzen, aber warum wollte er einfach nicht verstehen, dass jede Art von Bewegung ein Teil von ihr war? Trotz der überstandenen Kinderlähmung und des verkümmerten rechten Beines. Sie konnte sich ein Leben ohne Schnelligkeit, ohne Klettern und Tanzen gar nicht vorstellen. Das musste er doch mittlerweile wissen. Warum verlangte alle Welt von ihr, sittsam eine Treppe hinunterzugehen und niemals außer Atem zu geraten? Weil sie eine Frau war? Natürlich war sie eine Frau, und sie war genauso ungestüm, wie sie sein wollte!
Abrupt blieb sie mitten auf der Treppe stehen, und Alejandro prallte in sie hinein.
»Mir gefällt aber, wie ich bin. Du hast doch nur Angst, dass ich schneller bin als du«, rief sie.
Schwer atmend stand er eine Stufe über ihr, sein dunkles Haar fiel ihm in die Stirn, seine Lippen leuchteten rot. Er beugte sich zu ihr herunter und presste seine Lippen auf ihre. Frida ließ sich küssen, dann schlüpfte sie unter seinen Armen hindurch und lief weiter die Treppe hinunter und durch den schattigen Innenhof.
Auf der Straße empfing sie die schwüle Hitze des Nachmittags. Es war September, die Regenzeit näherte sich dem Ende, und die Luft war feucht. Am Morgen hatte es leicht geregnet, und die Gebäude wirkten wie blankgeputzt.
Sie gingen die Calle Argentina in Richtung des Zócalo hinunter. Der Zócalo war der riesige, zentrale Platz der Stadt mit der Kathedrale und dem Nationalpalast. Hier trafen sich alle, Gaukler und Mariachis, Verkäufer und Gauner, Politiker und einfache Leute. Frida trödelte, weil sie keine Lust hatte, nach Hause zu fahren. Coyoacán war ja so langweilig. Einzige Abwechslung bot die staubige Plaza Hidalgo vor der Kirche. Aber dort kannte jeder jeden, man war immer unter den strengen Augen der Nachbarn und des Pfarrers. In den Straßen der Hauptstadt drängten sich die Menschen auf den Märkten und in den Straßencafés. Auf dem Zócalo wurde Musik gespielt, Leute liefen mit Transparenten herum oder zeigten Zaubertricks. Es gab immer etwas zu sehen. Und hier konnte sie Alejandro ungestraft küssen.
Die Terrassen der Cafés waren heute wegen des Wetters nicht gut besucht. Die Indiofrauen hatten trotzdem ihre einfachen Stände aus Holzplanken aufgebaut. Frida spannte ihren kleinen Schirm auf und flanierte langsam an den Auslagen vorbei. Die Händlerinnen saßen vor dem geschmiedeten Zaun um die Kathedrale oder im Schutz der Hauswände und boten Obst und Gemüse, Stickereien und Töpferwaren feil. Sogar die ersten Totenköpfe aus buntem Zuckerguss waren schon zu sehen, obwohl es noch ein paar Wochen bis zum Tag der Toten war.
»Musst du heute nicht zu Fernando?«, fragte Alejandro und versuchte, ihrem Schirm auszuweichen. »Es regnet doch gar nicht!«
»Aber der Schirm ist so hübsch, findest du nicht?« Frida drehte ihn in der Hand, so dass die Fransen, die am Saum angebracht waren, flatterten. »Und zu Fernando gehe ich heute nicht.«
Fernando Fernández war Werbegrafiker und ein Freund ihres Vaters, bei dem sie zweimal die Woche Zeichenunterricht nahm. Als Bezahlung half sie ihm in seinem Geschäft.
Vor Fridas Lieblingsstand, an dem Amulette und kleine, auf Blech gemalte Votivbilder verkauft wurden, blieben sie stehen. Auf diesen Bildchen, die als Dankesgaben oder Bittgesuche an die Schutzheiligen dienten, wurden die verrücktesten Geschichten von den Nöten und Sorgen der kleinen Leute erzählt. Frida fuhr mit dem Finger über die einzelnen Retablos und las die Inschriften. Fast wie der gemalte Ausdruck der mexikanischen Volksseele, dachte sie ehrfürchtig. Die ältere Indiofrau erkannte sie wieder.
»Mira«, sagte sie, »sehen Sie hier, die sind neu«, und wies auf ein paar Bildchen in der Größe von Postkarten.
»Schau mal, da bedankt sich eine Frau dafür, dass ihr Mann sie nicht beim Ehebruch erwischt hat, und schwört, ihm ab jetzt immer treu zu sein! Das könnte glatt von dir sein«, sagte Alejandro.
»Ich habe dir immerhin von Fernando erzählt. Und außerdem ist es nicht bis zum Letzten gekommen. Wenn ich dich das nächste Mal betrüge, dann bitte ich vorher um göttlichen Beistand, damit du mich nicht erwischst.«
Verflixt, warum hatte sie das gesagt? Rasch nahm Frida seine Hand und drückte einen Kuss darauf. »War nur Spaß«, murmelte sie unbekümmert. Ein etwa handtellergroßes Amulett erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war leuchtend rot und hatte gelbe Einsprengsel. Daneben lag ein kleines Blechherz mit einem bunten Rand aus Emaille. In dem Herz waren ein Mann und eine Frau im Profil zu sehen, offensichtlich ein Liebespaar.
Frida nahm beide in die Hände und zeigte sie Alejandro. »Welches?«, fragte sie.
»Nimm das.« Er wies aufs Amulett.
»Ach nein. Ich nehme doch lieber das Herz.« Dabei sah sie ihn vielsagend an.
»Jetzt können wir«, sagte sie mit einem Lächeln zu ihm und hakte sich bei ihm unter, nachdem sie das Herz sorgfältig in den Taschen ihres Rocks verstaut hatte.
Neben ihnen fuhr eine von Pferden gezogene Straßenbahn, sie war kaum schneller als sie selbst. Der durchdringende Geruch der verschwitzten Tiere traf Fridas Nase.
»Das ist unsere«, sagte Alejandro und wollte einsteigen.
»Warte, ich habe meinen Schirm an dem Stand liegenlassen!«, rief sie. »Ich hole ihn schnell.«
Als sie wieder bei Alejandro ankam, war die Straßenbahn bereits abgefahren.
»Dann nehmen wir eben den Bus. Da stinkt es wenigstens nicht so«, schlug sie vor.
Die neuen Omnibusse fuhren noch nicht so lange in der Stadt. Die Fahrzeuge waren meistens alte Ford-Modelle aus Nordamerika, die umfunktioniert wurden. Aber es galt als schick, Bus zu fahren. Im selben Moment bog der rote Bus mit der Aufschrift Coyoacán um die Ecke. Frida lief neben dem Fahrzeug her, bis sie auf der Höhe der geöffneten Tür war.
»Halt! Ich will mit!«, rief sie dem Fahrer zu und sprang auf das Trittbrett.
Der Fahrer bremste, und das Bild der Heiligen Jungfrau von Guadelupe schlenkerte wie verrückt an der Frontscheibe hin und her.
»Und mein Freund auch«, sagte sie atemlos. Sie streckte Alejandro die Hand hin, auch er sprang auf.
Frida drängelte sich an den anderen Fahrgästen, die auf den langen Holzbänken zu beiden Seiten saßen, vorbei nach hinten. Der Omnibus fuhr wieder an, es ruckelte, und sie wurde gegen einen Mann mit einem dicken Bauch geschleudert. Mit Mühe fing sie sich und griff nach einer der Haltestangen. Alejandro quetschte sich neben sie. Sie konnte seinen Körper dicht an ihrer Seite spüren, sah zu ihm auf und lächelte ihn an. Durch die aufgestellten Fenster drang der Geruch von Tortillas herein. Der Fahrer nahm schwungvoll eine Kurve, und sie wurde noch enger an Alejandro gedrängt. Sie konnte spüren, wie sein Herz klopfte. In ihrem Unterleib spürte sie ein wohliges Ziehen.
»Entschuldige«, murmelte er, aber in seinem Blick las sie, dass auch er die Berührung genoss.
An der nächsten Haltestelle stiegen zwei Männer zu, ihre groben Jacken waren voller Farbkleckse. Frida konnte das Terpentin riechen, als sie sich neben sie stellten. Sie trugen Eimer mit sich, und der eine der beiden balancierte eine aus Zeitungspapier gedrehte Tüte in der Hand. Der Rand der Tüte...
Erscheint lt. Verlag | 13.9.2019 |
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Reihe/Serie | Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe | Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Die Malerin • Feministisch • Frida Kahlo • Historischer Liebesroman • Künstlerbiografien • Künstler Boheme • Künstlerehe • Liebesroman • Mademoiselle Coco • Malerin • Mexiko • Michelle Marly • Starke Frau |
ISBN-10 | 3-8412-1836-9 / 3841218369 |
ISBN-13 | 978-3-8412-1836-0 / 9783841218360 |
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