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Die Töchter der Tuchvilla (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
736 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-17382-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Töchter der Tuchvilla -  Anne Jacobs
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Eine mächtige Familie. Dramatische Verwicklungen. Ein Haus, das mehr als ein Geheimnis birgt.
Augsburg, 1916. Die Tuchvilla, der Wohnsitz der Industriellenfamilie Melzer, ist in ein Lazarett verwandelt worden. Die Töchter des Hauses pflegen gemeinsam mit dem Personal die Verwundeten, während Marie, Paul Melzers junge Frau, die Leitung der Tuchfabrik übernommen hat. Da erreichen sie traurige Nachrichten: Ihr Schwager ist an der Front gefallen, ihr Ehemann in Kriegsgefangenschaft geraten. Während Marie darum kämpft, das Erbe der Familie zu erhalten und die Hoffnung an ein Wiedersehen mit Paul nicht aufzugeben, kommt der elegante Ernst von Klippstein in die Tuchvilla. Und wirft ein Auge auf Marie ...

SPIEGEL-Bestsellerautorin Anne Jacobs bei Blanvalet:

Die Tuchvilla-Saga:

1. Die Tuchvilla
2. Die Töchter der Tuchvilla
3. Das Erbe der Tuchvilla
4. Rückkehr in die Tuchvilla

Die Gutshaus-Saga:

1. Das Gutshaus. Glanzvolle Zeiten
2. Das Gutshaus. Stürmische Zeiten
3. Das Gutshaus. Zeit des Aufbruchs

Anne Jacobs lebt und arbeitet in einem kleinen Ort im Taunus, wo ihr die besten Ideen für ihre Bücher kommen. Unter anderem Namen veröffentlichte sie bereits historische Romane und exotische Sagas, bis ihr mit der SPIEGEL-Bestseller-Reihe »Die Tuchvilla« der große Durchbruch gelang. Seit Jahren begeistert sie inzwischen auch Leser*innen in einem Dutzend Ländern von Frankreich bis Norwegen. Nach den SPIEGEL-Top-10-Bestsellern »Der Dorfladen - Wo der Weg beginnt« und »Der Dorfladen - Was das Leben verspricht« legt sie nun den dritten Teil der Reihe vor.

2

Was treibst denn so lange?«, keifte Else Hanna an. »Ich wart schon eine geschlagene Viertelstunde hier im Regen! Wenn wir heut kein Fleisch und keine Wurst mehr heimbringen, dann werd ich der gnädigen Frau schon sagen, wessen Schuld das ist.« Else war schlechter Laune, und sie hatte keine Hemmungen, Hanna ihren Gemütszustand spüren zu lassen. So war sie nun einmal, die ach so stille und unauffällige Else. Niemals wagte sie, gegen die wehrhafte Auguste oder gar gegen die energische Köchin aufzumucken. Und gegenüber der Herrschaft war sie ganz und gar devot. Aber Hanna, die sowieso ständig getadelt und gestraft wurde, die war dem Stubenmädel Else als Prügelkind gerade recht.

Hanna schleppte einen großen Henkelkorb, in dem ein Sack aus grobem Nesseltuch lag, man hoffte, vielleicht ein paar Kartoffeln zu ergattern.

»Hab noch das Geschirr waschen und einen Eimer Kohlen holen müssen«, sagte sie zu Else, die in Hut und Mantel unter dem Säulendach des Eingangsportals auf sie gewartet hatte. Wo sie eigentlich gar nicht stehen durfte, denn das Personal hatte die beiden Seiteneingänge zu benutzen. Von wegen im Regen gewartet – kein Tröpfchen war auf Elses Mantel zu sehen.

»Ein Wetter ist das«, jammerte Else nun, denn sie musste ihr trockenes Plätzchen aufgeben, um sich gemeinsam mit Hanna auf den Weg zu machen. »Das geht durch und durch. Wenn ich mich nur nicht erkältet habe. Geh doch anständig, Hanna. Du spritzt mir ja den Rock nass. Kannst du überhaupt irgendetwas vernünftig tun? Nicht einmal geradeaus laufen kannst du. Pass auf, dass der Korb nicht …«

Sie schrie auf, breitete auf komische Weise die Arme aus und taumelte nach vorn. Ein trockener Ast, den der Wind von der alten Kastanie abgerissen hatte, war auf den Weg gefallen und hatte sie ins Stolpern gebracht. Zu allem Unglück trat sie nun auch noch in eine Pfütze und durchweichte dabei ihren linken Schuh, der sowieso schon ein Loch hatte.

»Geben Sie Obacht, Else«, sagte Hanna mit ernsthafter Miene, hinter der sie ihre Schadenfreude verbarg. »Da liegt ein trockener Ast im Weg.«

Oh, wie wütend Else nun wurde! Natürlich war Hanna an diesem Missgeschick völlig unschuldig, aber ein Grund, um beschimpft zu werden, ließ sich offenbar immer finden. Ihr lautes Mundwerk. Ihre Ungeschicklichkeit. Beim Abwasch gestern Nacht hatte sie eines der teuren, geschliffenen Sektgläser zerbrochen.

Während sie durch den Park zur Straße gingen, hatte sich Hanna eine Menge Vorhaltungen anzuhören. An diesem Tag störte es sie jedoch wenig, denn sie dachte daran, wie eklig es sein musste, mit einem klatschnassen rechten Schuh herumzulaufen. Und der Saum von Elses Rock hatte auch ordentlich etwas abbekommen.

Als sie auf die Straße einbogen, konnte sie in der Ferne zwischen allerlei Fabrikgebäuden, Remisen und Apfelwiesen das spitze Dach des Jakobertors sehen. Im Nieselregen erschienen Häuser und Türme der Stadt dunkelgrau und wenig einladend. Hanna zog das Tuch zurecht, das sie als Regenschutz über Kopf und Schultern gelegt hatte. Es half nicht allzu viel, der Nieselregen drang mit Leichtigkeit durch den Stoff. In diesem Punkt hatte Else leider recht.

»Unserer jungen Herrin solchen Kummer zu bereiten. Wo sie gestern erst Mutter geworden ist …«

Was Else da für einen Blödsinn schwatzte. Der jungen Frau Melzer war es gewiss völlig gleich, ob es nun elf oder zwölf Sektgläser waren. Und überhaupt war die junge Frau Melzer immer auf Hannas Seite. Auch der junge Herr. Der hatte sie damals, als sie den schlimmen Unfall in der Fabrik gehabt hatte, ins Krankenhaus gebracht. Er war ein guter Mensch, ganz anders als sein Vater. Der war oft mürrisch und konnte die Angestellten zusammenstauchen. Nur bei der Köchin, der Brunnenmayer, da war sogar der Direktor Melzer vorsichtig. Die war was Besonderes, denn sie kannte alle Geheimnisse der Kochkunst. Die Brunnenmayer konnte zwar auch ordentlich schelten, aber sie war offen und ehrlich, und sie schwatzte nie hinter dem Rücken über jemanden. Das tat die Else und auch die Auguste. Die war überhaupt ein Luder, die Auguste. Vor der musste man sich in Acht nehmen. Besonders jetzt, wo ihr Mann, der Gustav, im Feld war. Bevor sie den eingezogen hatten, war die Auguste ganz anders gewesen. Fröhlich, manchmal sogar gutmütig. Jetzt war sie ein Scheusal.

Sie betraten die Stadt durch das Jakobertor und schauten neidisch zu, wie ein junges Ehepaar in eine schwarze Limousine stieg und davonfuhr. Die hatten es gut, brauchten sich nicht nassregnen zu lassen. Es gab nicht mehr viele Privatautos, weil der Treibstoff für das Heer benötigt wurde, aber reiche Leute, wie der Bankier Bräuer, die konnten sich Benzin beschaffen. Trotzdem hatte aller Reichtum dem jungen Herrn Bräuer nicht geholfen – er hatte ins Feld ziehen müssen, genau wie alle anderen.

In der Maximilianstraße war tatsächlich ein Stand, an dem Kartoffeln ausgegeben wurden. Eine lange Schlange hatte sich davor gebildet, vor allem Frauen, aber auch Kinder, alte Männer und Kriegskrüppel. Die kostbaren Knollen lagen in Säcken auf einem Lastwagen, zwei Männer in Uniform hatten eine Waage auf eine Holzkiste gestellt und wogen die Kartoffeln ab.

»Das sind viel zu wenig«, taxierte Else. »Du musst sagen, dass wir zehn Personen sind, darunter eine Wöchnerin, die gestern geboren hat. Hier hast du Geld. Und wehe, du lässt dich übers Ohr hauen!«

Else entriss ihr den Einkaufskorb, drückte ihr den Sack in die Hände und gab ihr einen Schubs in Richtung Warteschlange. Hanna stellte sich brav hinten an und hatte dabei das niederschmetternde Gefühl, völlig umsonst hier im Regen auszuharren. Da waren mehr als dreißig Leute vor ihr, und jetzt drängte sich noch ein altes Mütterchen dazwischen, das so schrecklich zitterte, dass niemand das Herz hatte, es davonzujagen. Neidisch sah Hanna Else hinterher, die mit dem großen Korb in den Bäckerladen ging und dort vermutlich frisches Brot und vielleicht sogar lecker duftende Semmeln kaufte. Danach würde sie Milch und Butter einholen, vermutlich aber wieder einmal nur dieses eklige »Kunstspeisefett« erhalten, über das sich die Brunnenmayer immer schrecklich aufregte.

»Da schau, das faule Pack«, sagte eine Frau im blauen Wollmantel, die ein Stück vor Hanna in der Reihe stand. »Hocken herum und schwatzen, anstatt zu arbeiten.«

Hanna blickte neugierig in die Richtung, in die der Zeigefinger der Frau wies. Dort waren Arbeiter beschäftigt, das Straßenpflaster auszubessern, regennasse Gestalten in abgerissener Kleidung, einige trugen nicht einmal eine Mütze auf dem triefenden Haar. Es waren Kriegsgefangene, die von zwei Uniformierten des Landsturms bewacht wurden.

»Die machen eine Pause«, sagte ein junger Mann. Er war sehr bleich und hielt sich kerzengerade. Wenn er sich bewegte, schwankte er jedoch bei jedem Schritt auf seltsame Weise hin und her, weil er rechts eine Beinprothese hatte. »Arme Schweine sind das. Haben auch nichts anderes getan, als für ihr Vaterland ins Feld zu ziehen.«

»Dreckige Russen«, beharrte die Frau im Wollmantel. »Verlaust und dummdreist. Wie sie nach den Mädchen schauen, diese Kerle. Nimm dich vor denen nur in Acht, Kleine!«

Damit meinte sie Hanna, die mit großen, mitleidigen Augen auf die erschöpften Männer starrte. Sie fand nicht, dass diese Kriegsgefangenen gefährlich aussahen, viel eher schienen sie ihr halb verhungert und ganz sicher krank vor Heimweh. Was für eine verrückte Sache solch ein Krieg doch war. Zuerst waren alle voller Begeisterung gewesen. »Wir hauen den Franzmännern auf die Mütze«, hatte es geheißen, und »an Weihnachten sind wir alle wieder zu Hause«. Die junge Frau Melzer und ihre Schwägerinnen waren zum Bahnhof gefahren, Else, Auguste und sie, Hanna, hatten Körbe mit belegten Broten und Kuchen geschleppt, um all die Köstlichkeiten an die Soldaten zu verteilen, die in langen Eisenbahnzügen nach Westen fuhren. Da wurden Fähnchen geschwenkt und gewinkt, alle waren wie im Rausch gewesen. Für den Kaiser. Für unser deutsches Vaterland. In den Schulen fiel der Unterricht aus, was Hanna gut gefallen hatte. Zwei ihrer Brüder hatten sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet, wie stolz waren sie gewesen, als sie nach der Musterung angenommen und eingekleidet wurden. Sie waren noch im ersten Kriegsjahr umgekommen, der ältere war an einem Fieber gestorben und der jüngere irgendwo in Frankreich gefallen, an einem Fluss, der Somme hieß. Paris hatte er nie gesehen. Und dabei hatte er Hanna damals noch versprochen, eine Ansichtskarte zu schicken, wenn er siegreich in die französische Hauptstadt eingezogen war.

Jetzt, im dritten Kriegsjahr, hatte Hanna längst begriffen, dass man sie damals angeschwindelt hatte. Von wegen zu Weihnachten wieder daheim. Der Krieg hatte sich eingenistet, er hockte wie ein böser Geist auf dem Land und fraß, was er kriegen konnte. Brot und Fleisch, Männer und Kinder, Geld, Pferde, Benzin, Seife, Milch und Butter. Es schien, als bekäme er niemals genug. Da sammelten sie alte Kleider, Metall, Gummi, Obstkerne und Papier. Auch Frauenhaar war begehrt. Demnächst würden sie wohl noch ihre Seelen haben wollen – wenn sie die nicht schon längst hatten …

»Träum nicht, Kleine«, sagte der junge Mann mit dem Holzbein. »Du bist gleich dran.«

Sie erschrak und stellte fest, dass sie tatsächlich nicht umsonst gewartet hatte, der Mann wog zwei Pfund Kartoffeln ab und machte eine auffordernde Kopfbewegung in ihre Richtung.

»Macht vierundzwanzig Pfennige.«

»Ich brauche aber mehr Kartoffeln«, sagte Hanna. »Wir sind zehn Personen, darunter eine Wöchnerin, die gestern Zwillinge geboren hat …«

Hinter ihr...

Erscheint lt. Verlag 16.11.2015
Reihe/Serie Die Tuchvilla-Saga
Die Tuchvilla-Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1916 • Abenteuerroman • Augsburg • Bestseller • Das Adlon • Das Erbe der Tuchvilla • Das Gutshaus • Die Tuchvilla • Downton Abbey • eBooks • Erster Weltkrieg • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frauenromane • Historische Liebesromane • Kleid • Liebesromane • Nähen • spiegel bestseller • SPIEGEL-Bestseller • Stoff • Weltkrieg
ISBN-10 3-641-17382-5 / 3641173825
ISBN-13 978-3-641-17382-1 / 9783641173821
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