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Was uns frei macht (eBook)

Ein Versuch über die Autonomie des Willens

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1., Originalausgabe
408 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77926-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was uns frei macht - Dietmar Hübner
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Können unsere Handlungen frei und verantwortlich sein, wenn sie kausal determiniert sind? Ja, sagt Dietmar Hübner in seinem faszinierenden Buch, aber sie müssen dabei zugleich durch etwas geleitet sein, das jenseits der kausalen Ordnung liegt. In der modernen Debatte ist man sich vielfach einig, dass Gründe diese Rolle spielen können. Wenn Gründe - seien sie moralischer oder logischer, mathematischer oder ästhetischer Art - jedoch keine kausalen Größen sind, was genau ist dann ihr Wesen? Wie werden sie wirksam in unserem Tun? Und welche Bedeutung kommt hierbei dem menschlichen Bewusstsein zu? Hübners Buch bietet eine fundierte Einführung in ein unverändert aktuelles Thema und entwickelt hieraus eine eigenständige und originelle Theorie des freien Willens.



Dietmar Hübner ist Professor für Praktische Philosophie, insbesondere Ethik der Wissenschaften, an der Leibniz Universität Hannover.

9Einleitung


Auf den ersten Blick betrachtet, kommt dieses Buch reichlich spät. Die große Welle öffentlicher Aufmerksamkeit und Beunruhigung, die das Problem des freien Willens noch vor wenigen Jahren erzeugt hat, insbesondere aufgrund neurologischer Forschungen und ihrer populärwissenschaftlichen Deutung, ist inzwischen spürbar abgeebbt. Unabhängig hiervon hatte bereits das vergangene Jahrhundert vor allem in seiner zweiten Hälfte eine Reihe von Arbeiten hervorgebracht, in denen Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten, die sich mit dem Thema Willensfreiheit verbinden, in ihren wesentlichen Zügen skizziert und in zahlreichen Details ausformuliert worden waren. Schließlich hält die philosophische Tradition spätestens seit den aufklärerischen Bewegungen und der jüngeren Neuzeit ein beträchtliches Arsenal von begrifflichen Zugängen und argumentativen Figuren bereit, die hilfreich und unerlässlich sind, um ein vertieftes Verständnis und eine begründete Meinung dahingehend zu entwickeln, was Freiheit des Willens in der natürlichen Welt und für menschliche Wesen bedeuten könnte und was nicht.

Mit einem Wort: Das Thema scheint durch zu sein.

Indessen kann sich ein solcher Moment fortgeschrittener Ausdifferenzierung mitunter auch als idealer Zeitpunkt für weitere Anstrengungen erweisen. Zum einen nämlich mag in den vorliegenden Ansätzen ein reicher Bestand an Materialien und Ideen versammelt sein, die unentbehrlich und wegweisend für eine Lösung des Problems sind. Zum anderen aber mögen diese Vorgaben nicht in jeder Hinsicht konsequent ausgelegt und korrekt zusammengefügt worden sein, um die Aufgabe in aller Konsequenz zu bewältigen. Genau in dieser Lage befinden wir uns nach meiner Auffassung gegenwärtig bei der Frage nach der Willensfreiheit.

In der Freiheitsdebatte muss man sich von Beginn an damit abfinden, dass die eigene Position, welche auch immer es sein mag, eine deutliche Stimmenmehrheit gegen sich hat. Dies ist zumindest so lange der Fall, wie man den eigenen Standpunkt einigermaßen präzise konturiert, statt seine Tätigkeit darauf zu beschränken, dass man fremde Ansichten zurückweist. Auch ich werde mit meinem Beitrag vornehmlich auf Widerspruch stoßen, und zwar nicht nur 10seitens jener Ansätze, die ich selbst ausdrücklich ablehne, sondern auch bei jenen Zugängen, die ich für meine Überlegungen in Anspruch nehmen und fortschreiben möchte. Ich werde also nicht nur in Opposition zu Deterministen und Libertariern geraten, die menschliche Freiheit entweder rundheraus verwerfen oder aber in allzu spekulativen Formen ausmalen, sondern mich auch im Lager der Kompatibilisten zwischen die Stühle setzen, indem ich ihre jeweiligen Positionen keineswegs durchgängig befürworte und unverändert übernehme, sondern in wesentlichen Teilen kritisiere und modifiziere.

Der aktuelle Kompatibilismus kommt vor allem in zwei Hauptvarianten daher. Die erste Version erklärt im Anschluss an Harry Frankfurt Willensfreiheit als eine reflexive Hierarchie im menschlichen Entscheiden, bei der höherstufige »Wünsche zweiter Ordnung« sich auf niederrangige »Wünsche erster Ordnung« beziehen, diese billigen oder auch durchsetzen. Die zweite Version deutet im Stil von Wilfrid Sellars Willensfreiheit als rationale Bestimmung menschlichen Handelns, das sich als solches nicht allein im »Raum der Ursachen« bewegt, sondern stets auch im »Raum der Gründe«. In beiden Fällen ist die dergestalt begriffene Willensfreiheit mit einer durchgängigen Naturkausalität verträglich, was eben die definierende Grundüberzeugung kompatibilistischer Freiheitstheorien darstellt und deren maßgeblichen Unterschied zu deterministischen oder libertaristischen Auffassungen ausmacht.

Die Ansätze von Frankfurt und Sellars zeigen in Methode und Duktus gewisse Gemeinsamkeiten, was sich nicht zuletzt daraus erklärt, dass beide ihre philosophischen Wurzeln in der analytischen Philosophie haben. Dennoch handelt es sich ihrem Inhalt nach um sehr unterschiedliche und durchaus gegenläufige Freiheitsdeutungen, indem sie einmal auf das mentalistische Modell einer Hierarchie von Wünschen setzen, einmal das logizistische Konzept eines Raums der Gründe heranziehen. Mein Programm wird darin bestehen, diese beiden Zugänge zum einen in engere Verbindung miteinander zu bringen, zum anderen aber auch an entscheidenden Stellen mit einigem Nachdruck umzudenken. Genauer werde ich Frankfurts Struktur des reflexiven Bewusstseins nicht auf subjektive Wünsche beziehen, sondern eben auf das Feld objektiver Gründe anwenden, während ich Sellars’ Betonung der rationalen Bestimmung menschlichen Handelns dahingehend zuspitzen wer11de, dass jene Gründe hierbei als platonische Entitäten aufzufassen sind.

Diese Verknüpfung und Umgestaltung wird etwas durchaus Unvertrautes entstehen lassen. Wie sehr meine Überlegungen daher zunächst auch dem gegenwärtigen Mainstream zu entsprechen scheinen, indem sie menschliche Freiheit auf reflexives Bewusstsein und rationale Gründe stützen, so deutlich wird sich meine Theorie zuletzt gegen den dominierenden Trend wenden, wenn sie diese Komponenten in ihren Rahmen integriert und auf ihre Weise akzentuiert. Zudem hat sich nach langer Lektüre und vielen Diskussionen mein Eindruck verstärkt, dass eine solche Freiheitsdeutung bislang noch nicht entworfen und verteidigt worden ist. Konventionell dürfte sie daher kaum sein, sondern vielleicht eher schon häretisch.

Also keine Sorge: Wahrscheinlich ist noch genug Arbeit zu tun.

Die Debatte um die Willensfreiheit zeichnet sich durch eine eigentümliche Konstellation aus, die bisweilen einen durchaus entmutigenden Effekt haben kann. Dies gilt zumindest für jene Teilnehmer an der Diskussion, die menschliche Willensfreiheit nicht rundheraus abstreiten, sondern an der Möglichkeit und Wirklichkeit einer wie auch immer gearteten Freiheitsidee festhalten wollen. Ein Autor mit solcher Haltung, gleich in welch geschliffenen Konzepten und über welch gewissenhafte Argumente er sein Verständnis von Freiheit auch ausarbeitet und vertritt, kann sicher sein, dass sein Vorschlag aus mindestens einem von zwei sehr gegensätzlichen und zudem gleichermaßen unangenehmen Gründen abgelehnt werden wird. Und je mehr es ihm gelingen mag, sich der einen Kritik zu entziehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass er der anderen Kritik anheimfällt.

Entweder nämlich wird seine Auslegung von Willensfreiheit als zu stark, zu gewagt, zu voraussetzungsreich erachtet werden. Solche Vorbehalte können ihm insbesondere in metaphysischer Hinsicht entgegenschlagen, speziell dahingehend, dass seine Deutung von Freiheit zwar vielleicht verbreiteten Intuitionen entgegenkomme, unter welchen Bedingungen Menschen als willensfrei gelten könnten, zugleich aber den Inhalten eines aufgeklärten Weltbildes, den Befunden der modernen Naturwissenschaften zuwiderlaufe. Nicht zuletzt libertaristische Ansätze, die menschliche Willensfreiheit und lückenlose Naturkausalität für unvereinbar halten, aber an Ersterer 12festhalten wollen und somit Letztere bestreiten müssen, sehen sich dergleichen Vorwürfen ausgesetzt. Beanstandet wird dann, dass ihr Bemühen, Unterbrechungen im natürlichen Kausalgeschehen aufzudecken, um hierdurch Spielräume für willensfreie Handlungen zu schaffen, philosophisch überspannt bleibe, wissenschaftlich unhaltbar sei, womöglich einem unglaubwürdigen Cartesianismus von Geist und Körper verschrieben sei oder einer zweifelhaften Akteurskausalität in Abgrenzung zur üblichen Ereigniskausalität anhänge.

Oder aber seine Auffassung von Willensfreiheit wird als zu schwach, zu beschränkt, zu gehaltlos eingeschätzt werden. Solche Vorwürfe können ihn namentlich in ethischer Hinsicht treffen, speziell dahingehend, dass sein Verständnis von Freiheit zwar womöglich auf keinen übermäßigen Spekulationen beruhe, wie die Welt beschaffen ist und was Menschen darin vermögen, dafür aber kaum als Grundlage moralischer Zuschreibungen dienen könne, die man bei willensfreien Personen in der Regel vornimmt. Vor allem kompatibilistische Ansätze, die lückenlose Naturkausalität und menschliche Willensfreiheit für vereinbar halten, also auch in einer vollständig determinierten Welt noch von freien menschlichen Handlungen sprechen möchten, sind oft von derartigen Vorbehalten betroffen. Bezweifelt wird dann, ob ihre theoretischen...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte aktuelles Buch • Bücher Neuererscheinung • Freier Wille • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Neuererscheinung • neuer Krimi • neues Buch • Philosophie • STW 2443 • STW2443 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2443 • Willensfreiheit
ISBN-10 3-518-77926-5 / 3518779265
ISBN-13 978-3-518-77926-2 / 9783518779262
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