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Deutsche Geschichte - die letzten hundert Jahre (eBook)

Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
656 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60225-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Deutsche Geschichte - die letzten hundert Jahre -  Horst Möller
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Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist geprägt von Zerrissenheit: In das 20. Jahrhundert fallen zwei Weltkriege, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und der Holocaust, die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und seine Wiedervereinigung 40 Jahre später. Gleichzeitig ist es die Zeit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der längsten Friedensperiode der europäischen Geschichte. Der renommierte Historiker Horst Möller zeichnet in diesem Werk das 20. Jahrhundert in all seiner Widersprüchlichkeit nach und wagt auch einen Ausblick in das 21. Jahrhundert.

Horst Möller, Professor Dr. phil., geboren 1943 in Breslau, gilt als einer der führenden Historiker in Deutschland. Fast zwei Jahrzehnte leitete er das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen »Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763 - 1815«, »Europa zwischen den Weltkriegen« und »Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell«.

Horst Möller, Professor Dr. phil., geboren 1943 in Breslau, gilt als einer der führenden Historiker in Deutschland. Fast zwei Jahrzehnte leitete er das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen »Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763 – 1815«, »Europa zwischen den Weltkriegen« und »Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell«.

I Fin de Siècle und Erster Weltkrieg – ein Untergang des Abendlandes?


»La guerre, ce sont nos parents«: Unter dieses Motto stellte der Schriftsteller Ernst Glaeser sein autobiografisches Buch Jahrgang 1902. Und tatsächlich: Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die deutsche und die europäische, ist ohne diesen großen Krieg nicht erklärbar. Keineswegs zufällig handelte es sich um den ersten Krieg in der Geschichte der Menschheit, der als »Weltkrieg« bezeichnet wurde. Die ungeheure Bedeutung dieses Kriegs resultierte allerdings weniger aus den geschichtswissenschaftlichen Analysen, die Historiker im Hinblick auf Ursachen, Kriegsziele und Verlauf des Krieges lieferten, auch wenn sie damit zum Teil heftige Kontroversen innerhalb ihrer Zunft und in der öffentlichen Diskussion auslösten. Vielmehr geht es um die Konsequenzen, die dieser Krieg für Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik der beteiligten europäischen Staaten gewann. Ausschlaggebend wurden nicht allein der Verlauf, sondern überdies die Perzeption des Krieges, seine Wirkung auf Gesellschaft, Kultur und Mentalität in den Jahrzehnten nach 1918. Heute stellen sich neue Fragen: Welches Gewaltpotenzial setzte der Erste Weltkrieg innenpolitisch während der Zwischenkriegszeit frei? Welche Rolle spielte er für die Entgrenzung der Gewalt im Zweiten Weltkrieg?

Der Weg zum Weltkrieg


Das Jahr 1917 mit dem Kriegseintritt der USA und der Oktoberrevolution in Russland gilt als Epochenjahr der Zeitgeschichte und markiert mit dem Kriegsende 1918 den Beginn des 20. Jahrhunderts, deshalb spricht der britische Historiker Eric Hobsbawm vom »kurzen«, nur bis 1989 dauernden 20. Jahrhundert. Doch demonstrierte schon der Prolog: Eine solche Interpretation überzeugt nur auf den ersten Blick, besaßen doch wesentliche, das 20. Jahrhundert prägende Tendenzen weit frühere Ursprünge. Der Krieg bildete in mancher Hinsicht den Kulminations- und Wendepunkt, er setzte in gleichem Maße Entwicklungen frei und verschärfte sie, wie er andere abschloss. Nicht ereignisgeschichtlich, aber wirkungsgeschichtlich muss der Erste Weltkrieg in die Darstellung einbezogen werden. Und dies gilt in pointierender Weise ebenso für die weiterwirkenden Ideen, seien sie nun konstruktiv oder destruktiv. Zwar lagen die Ursachen des Ersten Weltkriegs in der vorhergehenden Epoche[22] der europäischen Geschichte, in erster Linie dem ökonomischen Imperialismus, dem immer aggressiveren Nationalismus, der Nationalitätenproblematik in Ost- bzw. Südosteuropa, der politischen Mentalität von Führung und Bevölkerung, in der Struktur der Bündnissysteme, schließlich in Belastungen, die der Krieg von 1870/71 für die deutsch-französischen Beziehungen hinterlassen hatte. Form und Verlauf des Krieges aber, der Einsatz von Menschen und Material, Finanzen und Propaganda machten den Ersten Weltkrieg zu einem neuartigen Krieg. Er führte eine Epochenwende herbei, wie es in der politischen Kriegsgeschichte seit den Revolutionskriegen am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr der Fall gewesen war. Ohne jeden Zweifel gehört der Erste Weltkrieg also militärisch zum 20. Jahrhundert, so sehr er politisch eine Epoche, vielleicht gar ein Jahrhundert beendete. Und in Bezug auf die Geistes- und Kulturgeschichte bildet er nur in Grenzen eine Zäsur, da die Jahrzehnte um 1900 mehr mit den 1920er- und frühen 1930er-Jahren verbunden waren als die Weimarer Jahre mit der folgenden Periode des Nationalsozialismus, der faschistischen und autoritären Diktaturen.

In Hinblick auf die internationalen Beziehungen handelt es sich ohne jeden Zweifel um eine Epoche der Weltkriege, die 1914 begann und erst 1945 endete; fast also um einen neuen dreißigjährigen Krieg, der von einem stets gefährdeten Frieden lediglich unterbrochen wurde: Und dieser martialische Charakter selbst der Zwischenkriegszeit besaß erhebliche Rückwirkungen auf das innenpolitische Klima, seine Gewaltbereitschaft, seine wenig zivilisierten Formen des politischen Kampfes. Die Dialektik der Innen- und Außenpolitik der beteiligten europäischen Staaten, zumindest der Großmächte, ist überall mit Händen zu greifen.

Die Voraussetzung dafür, dass der große europäische Krieg zum Weltkrieg werden konnte, lag nicht zuletzt darin, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ihren weltpolitischen Isolationismus gemäß der Doktrin ihres Präsidenten James Monroe (1823) lange vor 1914 aufgegeben hatten, obwohl diese Leitlinie der amerikanischen Außenpolitik in den USA vor allem während des imperialistischen Zeitalters diskutiert worden ist. Die Flügelmächte der Weltpolitik waren nun die USA und Japan, die europäischen Kolonialmächte waren auf nahezu allen Kontinenten engagiert, insbesondere Großbritannien. Eine Reihe von Konflikten brachten Europa und die Welt schon vorher mehrfach in Kriegsgefahr. Imperiale Ziele griffen schon vor 1914 über die klassischen Kolonialmächte und die europäischen Großmächte hinaus. Das deutsche Kaiserreich war zwar ebenfalls Kolonialmacht, aber doch in vergleichsweise bescheidenem Ausmaß, selbst im Vergleich zu kleineren europäischen Staaten wie Belgien, den Niederlanden und Portugal. Nach einer Ausdehnung infolge der Marokkokrisen umfasste der deutsche Kolonialbesitz im Jahr 1911 ungefähr 3 Millionen qkm mit 13,69 Millionen Einwohnern. Die wirtschaftliche Bedeutung für das Deutsche Kaiserreich war mäßig.

Die Nationalitätenkonflikte insbesondere in Ostmittel- und Osteuropa, resultierten aus einer neuen historischen Entwicklung: Seit Jahrhunderten lebten unterschiedliche Volksgruppen gleicher Sprache und Kultur nebeneinander in Vielvölkerstaaten. Seit dem 19. Jahrhundert forderten die größeren dieser Nationalitäten ihren eigenen Nationalstaat, dessen Prinzip es war, Staat, Nation und Territorium zu vereinen. Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts verschärfte dieses Ziel und orientierte sich an früheren Nationalstaatsbildungen als Vorbild, beispielsweise an Frankreich. Doch kollidierte dieses Ziel vor allem im Osten Europas mit der historisch gewachsenen Realität: Die habsburgische Doppelmonarchie Österreich-Ungarn war ohnehin ein Vielvölkerstaat, aber auch in den Ostgebieten des Deutschen Reiches sowie im Ruhrgebiet lebten viele Millionen Polen. 1900 hatte das Deutsche Reich 56,367 Millionen Einwohner, unter denen 4,463 Millionen nicht deutscher Herkunft waren, darunter 3,086 Millionen Polen sowie als nächstgrößere Nationalität knapp über 212 000 Franzosen, die überwiegend im »Reichsland« Elsass-Lothringen lebten. Polen gehörte nach einem seit dem 18. Jahrhundert andauernden, mehrfach modifizierten Teilungsschicksal seit dem Wiener Kongress 1815 überwiegend zum russischen Zarenreich. Erst seit 1918 wurde Polen wieder ein eigenständiger Staat. Das Zarenreich kannte aufgrund mangelnder Reformfähigkeit Bauernrevolten und Arbeiterproteste, die mit der politischen Kritik am autokratischen Regime des Zaren zur Revolution von 1905 führten. In den Randgebieten des Zarenreichs verbanden sich ökonomische mit nationalen Forderungen.[23]

Die Nationalitätenproblematik schnitt sich mit außenpolitischen Interessen, die beispielsweise zwischen Russland und Österreich-Ungarn im Südosten Europas, unter anderem auf dem Balkan, seit Jahrzehnten aufeinanderprallten. Hier wiederum gerieten sie in eine Gemengelage mit panslawistischen bzw. großserbischen Bestrebungen. Mit anderen Worten: Scheinbare Regionalkonflikte entwickelten aufgrund imperialer außenpolitischer Interessen, differenzierter und konkurrierender Bündnissysteme sowie eines übergreifenden Nationalismus eine inhärente Dynamik, die sich schnell zum europäischen, wenn nicht zum weltpolitischen Problem ausweitete.

Wenngleich der zunächst preußisch-französische, dann deutsch-französische Krieg von 1870/71 durch beide Kriegsparteien verursacht worden ist, also von einem einseitigen Verschulden keine Rede sein kann, belastete der für Frankreich ebenso verlustreiche wie demütigende Friedensschluss die Beziehungen beider Staaten doch schwer: Das Elsass und Teile Lothringens, in denen eine großenteils deutschstämmige Bevölkerung lebte, wurde nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zu Frankreich – das sich diese Gebiete seinerseits im 17. Jahrhundert angeeignet hatte – annektiert. Frankreich musste erhebliche Reparationen bezahlen, die Gründung des Deutschen...

Erscheint lt. Verlag 29.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte 1. Weltkrieg • 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • 2. Weltkrieg • Antisemitismus • Bundesrepublik • Bundesrepublik Deutschland • DDR • Demokratie • Deutsche Geschichte • Deutsches Reich • Diktatur • Erster Weltkrieg • Geschichte • Hitler • Holocaust • Judenverfolgung • Kaiserreich • Nationalsozialismus • Schoa • Shoah • Sozialismus • Terror • Terrorismus • Weimarer Republik • Weltkrieg • Wiedervereinigung • Zeitgeschichte • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-492-60225-8 / 3492602258
ISBN-13 978-3-492-60225-9 / 9783492602259
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