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Wie wir wurden, was wir sind (eBook)

Eine kurze Geschichte der Deutschen
eBook Download: EPUB
2020
255 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75652-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie wir wurden, was wir sind -  Heinrich August Winkler
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Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Religionen. Michael Stausberg beschreibt anhand von 47 Lebensläufen, wie Heilsbringer aller Couleur — von Rudolf Steiner bis zum Dalai Lama — religiöse Energiewellen um den Globus schickten, die geographische und oft sogar konfessionelle Schranken überwanden und das schillernde religiöse Multiversum schufen, in dem wir heute leben.
Die Verwandlung der Welt im 19. Jahrhundert führte zu grenzüberschreitenden Neuaufbrüchen. Leo Tolstoi schuf den Prototyp einer Universalreligion, die westliche mit östlichen Traditionen verknüpft. Östliche Lehrer verbreiteten im Westen ihre postreligiösen Lehren von Zen, Yoga oder Achtsamkeit. Für Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Bob Marley war Religion der Ausgangspunkt für politische Befreiung, während die Beatles die innere Befreiung durch Transzendentale Meditation besangen. Neben den friedlichen Welt- und Selbstverbesserern gab es gewaltbereite Prediger wie Osama bin Laden oder Jim Jones, doch auch sie erreichten Menschen jenseits traditioneller Bindungen. Das gilt erst recht für die Literaten, Filmregisseure, Psychologen und Physiker, die als religiöse Sinnstifter auftraten. Michael Stausberg zeigt in seinem fulminanten Panorama, wie im 20. Jahrhundert neue Heilsbotschaften nicht nur die etablierten Religionen veränderten, sondern auch Politik und Kultur.

Michael Stausberg ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Bergen, Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften und europäischer Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift Religion. Bei C.H.Beck erschien von ihm «Zarathustra und seine Religion» (2018).

Einleitung: Das Jahrhundert der Religionen
1 Mary Baker Eddy: Befreiung durch Christliche Wissenschaft
2 Quanah Parker: Die Peyote-Religion der Comanche-Indianer
3 Swami Vivekananda: Das spirituelle Indien und die Wiederentdeckung des Yoga
4 Kang Youwei: Konfuzius und die Vision der Großen Gleichheit
5 Lew Tolstoi: Eine entzauberte Universalreligion
6 Annie Besant: Theosophie als eine neue Weltreligion
7 Rudolf Steiner: Höhere Erkenntnis durch Anthroposophie
8 Henry Steel Olcott und Anagarika Dharmapala: Die Synthese eines neuen Buddhismus
9 Pierre de Coubertin: Olympische Spiele und die Religion des Sports
10 William Seymour und Aimee Semple McPherson: Die Pfingstbewegung - Ekstase und Entertainment
11 Mahatma Gandhi: Wahrheit als Lebensexperiment
12 Theodor Herzl und Muhammad Iqbal: Zwei Staatsgründungen und ihre geistigen Väter
13 Veer Savarkar: Hindutva - Heiliges Indien
14 Aleister Crowley: Magick, Wille, Sex
15 Tirumala Krishnamacharya und B. K. S. Iyengar: Vom Yoga zur post-religiösen Wellness
16 Daisetz Teitaro Suzuki: Zen - Universalformel des Gelingens
17 Carl Gustav Jung: Psychologie als Heilsweg
18 Adolf Hitler: Politik als Glaube, Vernichtung als Erlösung
19 Solomon Schechter und Mordechai Kaplan: Gelehrte Rekonstruktionen des Judentums
20 Bhimrao Ambedkar: Vom Hinduismus zum Buddhismus - Religionswechsel als Emanzipation
21 Anandamayi Ma: Mutter, Göttin, Guru, Heilige
22 Hasan al-Banna und Sayyid Qutb: Märtyrer der Brüderlichkeit
23 Norman Vincent Peale: Religion als Lebenshilfe
24 C. S. Lewis und J. R. R. Tolkien: Mythos und Fantasy
25 L. Ron Hubbard: Geschäftsmodell für die totale Befreiung
26 Mao Zedong: Religionsdemontage und Vergötterung
27 Martin Luther King: Der unvollendete Kampf gegen den Rassismus
28 Alfred Loisy und Gustavo Gutiérrez: Vom Modernismus zur Befreiungstheologie
29 Karl Barth und Paul Tillich: Zwischen Kultur und Offenbarung
30 Billy Graham: Die individuelle Glaubensentscheidung als globales Medienereignis
31 Sathya Sai Baba: Göttliches Geben und Nehmen
32 The Beatles: Musik, Rausch, Meditation
33 Bob Marley: Positive Vibrations
34 Carl Sagan, Stanley Kubrick, Steven Spielberg: Außerirdische Erlöser
35 Menachem Mendel Schneerson: Der Messias und seine Ausgesandten
36 Ruhollah Musavi Chomeini: Die Herrschaft des Rechtsgelehrten
37 Johannes Paul II.: Weltreisender an der Jahrtausendwende
38 Mutter Teresa: Heiligkeit am Abgrund
39 Der 14. Dalai Lama: Jenseits von Tibet
40 Jim Jones, David Koresh, Asahara Shoku: Endzeiterwartungen und Gewaltexzesse
41 Bhagwan Shree Rajneesh: Die Lächerlichkeit der Erleuchtung
42 Madalyn Murray O'Hair: Militanter Atheismus als Lebensaufgabe
43 Benny Hinn und Reinhard Bonnke: Fernsehprediger, Wunderheiler, Kreuzzügler
44 Ikeda Daisaku: Das Lotus-Sutra und die humane Revolution
45 Paulo Coelho: Magier auf dem Weg zum wahren Selbst
46 Osama bin Laden: Der globale Krieg der Religionen
47 Thich Nhat Hanh: Engagierter Buddhismus und Achtsamkeit
zum Schluss: Religion ist auch nicht mehr, was sie einmal war
Anhang
Dank: «With a little help from my friends»
Zeitttafel
Anmerkungen
Literatur
Bildnachweis
Personenregister
Register der religiösen Gruppen und Strömungen
Geographisches Register

1

DAS REICH DER DEUTSCHEN UND DER WESTEN


In jeder Nationalgeschichte gibt es einige prägende Grundtatsachen. In England ist es die freiheitsfördernde Wirkung der Insellage. Von ihr profitierten niederer Adel und städtisches Bürgertum in ihrer Auseinandersetzung mit der königlichen Gewalt; die Machtstellung des Unterhauses ist eine mittelalterliche Errungenschaft, die im 17. Jahrhundert gegen absolutistische Bestrebungen der Krone verteidigt werden konnte. In Frankreich ist der staatliche Zentralismus ein Werk des frühneuzeitlichen Absolutismus: ein Erbe, an das die Revolutionäre von 1789 und ihre Nachfolger anknüpfen konnten und das sie weiterentwickelten. Zu den Grundtatsachen der deutschen Geschichte gehört der universalistische Anspruch des alten Reiches, das etwas anderes und mehr sein wollte als ein Nationalstaat, wie er sich seit dem hohen Mittelalter in England, Frankreich und Spanien herauszubilden begann. Die Staatsbildung vollzog sich in Deutschland auf territorialer Ebene, in fürstlichen Herrschaftsgebilden wie Württemberg, Bayern oder Brandenburg, den Keimzellen des deutschen Föderalismus.

Mit dem Reich, der wichtigsten Grundtatsache der älteren deutschen Geschichte, eng verbunden war der Reichsmythos, der bis ins 20. Jahrhundert fortwirken sollte. Mittelalterliche Autoren bemühten sich um den Nachweis, dass das römische Reich, das letzte der Weltreiche, nie zu bestehen aufgehört habe. Es habe, nachdem das weströmische Reich Ende des fünften nachchristlichen Jahrhunderts in den Stürmen der Völkerwanderung untergegangen war, zunächst im oströmischen Reich, in Byzanz, fortgelebt, sei dann im Zuge von dessen Niedergang im Jahr 800 vom Papst auf den Frankenkönig Karl den Großen und nach dem Zerfall des einheitlichen Frankenreiches 962 auf die Deutschen in Gestalt des Sachsenkönigs Otto des Großen übertragen worden. Solange das römische Reich bestehe, werde die Welt nicht untergehen, behaupteten mittelalterliche Theologen. Das römische Reich sei nämlich der «Katechon»: eine bewahrende Kraft, von der im zweiten Kapitel des zweiten (fälschlich dem Apostel Paulus zugeschriebenen) Briefes an die Thessalonicher die Rede war. Solange es den Katechon gebe, werde der Antichrist nicht zur Herrschaft gelangen, also das letzte Stadium der weltlichen Geschichte vor der Wiederkehr Christi nicht anbrechen. Das Reich der Deutschen, das fortbestehende römische Reich, hatte mithin einen göttlichen Auftrag. Es war das «Sacrum Imperium»: ein Begriff, der Mitte des 12. Jahrhunderts in der Kanzlei des Stauferkaisers Friedrich I. («Barbarossa») aufkam.

Die besondere «dignitas», eine protokollarische Vorrangstellung unter den Königen des Abendlandes, die die Kaiser für sich beanspruchten, waren die Könige von England und Frankreich zu respektieren bereit. Als Schutzherrn der christlichen Kirche, und nur auf Grund dieser Aufgabe, kam dem Kaiser ein gewisses Primat zu. In der Stauferzeit aber gewannen westeuropäische Beobachter den Eindruck, dass der Kaiser doch mehr sein wollte als der Erste unter Gleichen. Anlässlich der Anerkennung eines Gegenpapstes durch Friedrich I. und eine von ihm gesteuerte Versammlung kaisertreuer Kardinäle zu Pavia im Jahr 1160 protestierte einer der bekanntesten Kirchenmänner der Zeit, Johann von Salisbury, der Bischof von Chartres: «Wer hat die allgemeine Kirche dem Urteil einer Partikularkirche unterworfen? Wer hat die Deutschen zu Richtern der Nationen bestellt? Wer hat diesen rohen und gewalttätigen Menschen die Vollmacht gegeben, nach ihrem Belieben einen Fürsten zu setzen über die Häupter der Menschenkinder?»[1]

Der englische Widerspruch aus Chartres war ein Echo auf das, was man die staufische Reichsideologie nennen kann. Ihre Blütezeit erlebte diese Ideologie, als das mittelalterliche Kaisertum seinen Höhepunkt längst überschritten hatte. Ende des 13. Jahrhunderts hielt es der Kölner Kanonikus Alexander von Roes für das Erfordernis einer sinnvollen und notwendigen Ordnung, dass die Römer als die Älteren das Papsttum (sacerdotium), die Deutschen oder Franken als die Jüngeren das Kaisertum (imperium) und die Franzosen oder Gallier wegen ihres besonders ausgeprägten Scharfsinns das Studium der Wissenschaften (studium) als Aufgabe erhalten hätten.[2]

Der Autor stellte diese Forderungen aus der Defensive heraus auf – in Abwehr von Versuchen, einen französischen Anspruch auf das Kaisertum zu begründen. Mit der von ihm befürworteten Arbeitsteilung zwischen den Nationen sich abzufinden, kam jedoch in Frankreich niemandem in den Sinn. Es las sich wie eine Antwort an Alexander von Roes, als wenige Jahre später ein anonymer Pariser Jurist in einem Gutachten für Philipp den Schönen dem König von Frankreich bescheinigte, was französische Gelehrte schon im 12. Jahrhundert behauptet hatten: In seinem Königreich sei er der Kaiser. «Und weil der König von Frankreich vor dem Kaiser da war, kann er um so vornehmer genannt werden.»[3]

Auf einem wichtigen Gebiet aber stimmten die weltlichen Herrscher des Abendlandes zumindest im Grundsatz überein: in der Abwehr des Anspruch des Papstes, Kaiser und Könige absetzen zu können. Diesen Anspruch hatte erstmals Papst Gregor VII. in seinem «Dictatus Papae» von 1075 erhoben und damit die sogenannte «Papstrevolution» ausgelöst.[4] Er mochte damit zunächst nur die Praxis der Kaiser auf den Kopf stellen. Die Behauptung, nur der Papst könne Bischöfe absetzen oder versetzen, war dagegen ebenso eine Kampfansage an die Könige von Frankreich und England wie an den Kaiser.

Da die Bischöfe nicht nur geistliche Würdenträger, sondern auch die höchsten Beamten der Krone waren, wäre in allen drei Ländern das bisherige politische System zusammengebrochen, wenn sich der Papst im sogenannten «Investiturstreit» durchgesetzt hätte. Tatsächlich errang die Kurie nur einen Teilerfolg. Seit dem frühen 12. Jahrhundert wurden (zuerst in Frankreich, dann in England, seit dem Wormser Konkordat von 1122 auch in Deutschland) die Bischöfe entsprechend dem kanonischen Recht, aber in Gegenwart des weltlichen Herrschers gewählt, so dass dieser seinen Einfluss weiterhin geltend machen konnte.

Der Investiturstreit war nur eine Etappe in der Auseinandersetzung zwischen geistlicher und weltlicher Macht. Die historische Bedeutung dieses Konflikts liegt in der Herausbildung eines für den Okzident grundlegenden Pluralismus, der in seinem Kern zuerst ein institutioneller Dualismus war. Der ansatzweisen Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt folgte die Ausdifferenzierung von fürstlicher und ständischer Gewalt mit der englischen Magna Charta von 1215 als klassischem Dokument. Historisch betrachtet, war die Trennung von gesetzgebender, vollziehender und Recht sprechender Gewalt, die zuerst in England verwirklichte, von Montesquieu 1748 in die Form einer politischen Doktrin gegossene moderne Gewaltenteilung, die Weiterentwicklung eines Prozesses, der im hohen Mittelalter im lateinischen, dem westkirchlichen Europa begonnen und sich nur dort vollzogen hat.

Die werdenden Nationalstaaten Frankreich und England antworteten auf die päpstliche Herausforderung längerfristig mit einer weitgehenden Nationalisierung der Kirche, wobei eine rigorose Beschränkung der päpstlichen Steuereinnahmen aus Kirchengut den Anfang bildete. Das römisch-deutsche Kaisertum konnte den nationalen Weg nicht beschreiten, weil es den eigenen universalen Anspruch gefährdet und die deutschen Fürsten auf den Plan gerufen hätte, von denen manche selbst danach strebten, «Papst im eigenen Lande» zu werden und so ihre landesherrliche «Libertät» zu stärken.

Eine deutsche Antwort auf den weltlichen Machtanspruch und die äußere Machtentfaltung der Kirche gaben Mystiker wie Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Suso: Es war eine Wendung nach innen. Der katholische Philosoph Alois Dempf hat in seinem 1929 erschienenen Buch über das «Sacrum Imperium» den Kampf um die Vertiefung und Verlebendigung der Frömmigkeit in Deutschland als das Gegenstück zur «politischen Reformation» in Frankreich und England interpretiert und es als die weltgeschichtliche Nebenwirkung der deutschen Mystik bezeichnet, dass sie eine «Frömmigkeit ohne Priestertum zu einer weitgreifenden Frömmigkeitsbewegung» gemacht habe. Die Mystik als Wegbereiterin der Reformation: Der junge Luther wusste, an welche Traditionen er anknüpfte, als er den Glauben des Individuums zur alleinigen Grundlage des Verhältnisses des Menschen zu Gott erklärte.[5]

Wir sind bei der zweiten Grundtatsache der deutschen Geschichte angelangt: der Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert. Ihrem Ursprung nach war die Reformation eine deutsche, ihren...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2020
Zusatzinfo mit 50 Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Deutschland • Geschichte • Nationalgeschichte • Reichsgeschichte • Sachbuch • Standardwerk
ISBN-10 3-406-75652-2 / 3406756522
ISBN-13 978-3-406-75652-8 / 9783406756528
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