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Die Heilsbringer (eBook)

Eine Globalgeschichte der Religionen im 20. Jahrhundert
eBook Download: EPUB
2020
783 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75528-6 (ISBN)

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Die Heilsbringer -  Michael Stausberg
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Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Religionen. Michael Stausberg beschreibt anhand von 47 Lebensläufen, wie Heilsbringer aller Couleur — von Rudolf Steiner bis zum Dalai Lama — religiöse Energiewellen um den Globus schickten, die geographische und oft sogar konfessionelle Schranken überwanden und das schillernde religiöse Multiversum schufen, in dem wir heute leben.
Die Verwandlung der Welt im 19. Jahrhundert führte zu grenzüberschreitenden Neuaufbrüchen. Leo Tolstoi schuf den Prototyp einer Universalreligion, die westliche mit östlichen Traditionen verknüpft. Östliche Lehrer verbreiteten im Westen ihre postreligiösen Lehren von Zen, Yoga oder Achtsamkeit. Für Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Bob Marley war Religion der Ausgangspunkt für politische Befreiung, während die Beatles die innere Befreiung durch Transzendentale Meditation besangen. Neben den friedlichen Welt- und Selbstverbesserern gab es gewaltbereite Prediger wie Osama bin Laden oder Jim Jones, doch auch sie erreichten Menschen jenseits traditioneller Bindungen. Das gilt erst recht für die Literaten, Filmregisseure, Psychologen und Physiker, die als religiöse Sinnstifter auftraten. Michael Stausberg zeigt in seinem fulminanten Panorama, wie im 20. Jahrhundert neue Heilsbotschaften nicht nur die etablierten Religionen veränderten, sondern auch Politik und Kultur.

Michael Stausberg ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Bergen, Mitglied der Norwegischen Akademie der Wissenschaften und europäischer Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift Religion. Bei C.H.Beck erschien von ihm «Zarathustra und seine Religion» (2018).

Einleitung: Das Jahrhundert der Religionen
1 Mary Baker Eddy: Befreiung durch Christliche Wissenschaft
2 Quanah Parker: Die Peyote-Religion der Comanche-Indianer
3 Swami Vivekananda: Das spirituelle Indien und die Wiederentdeckung des Yoga
4 Kang Youwei: Konfuzius und die Vision der Großen Gleichheit
5 Lew Tolstoi: Eine entzauberte Universalreligion
6 Annie Besant: Theosophie als eine neue Weltreligion
7 Rudolf Steiner: Höhere Erkenntnis durch Anthroposophie
8 Henry Steel Olcott und Anagarika Dharmapala: Die Synthese eines neuen Buddhismus
9 Pierre de Coubertin: Olympische Spiele und die Religion des Sports
10 William Seymour und Aimee Semple McPherson: Die Pfingstbewegung - Ekstase und Entertainment
11 Mahatma Gandhi: Wahrheit als Lebensexperiment
12 Theodor Herzl und Muhammad Iqbal: Zwei Staatsgründungen und ihre geistigen Väter
13 Veer Savarkar: Hindutva - Heiliges Indien
14 Aleister Crowley: Magick, Wille, Sex
15 Tirumala Krishnamacharya und B. K. S. Iyengar: Vom Yoga zur post-religiösen Wellness
16 Daisetz Teitaro Suzuki: Zen - Universalformel des Gelingens
17 Carl Gustav Jung: Psychologie als Heilsweg
18 Adolf Hitler: Politik als Glaube, Vernichtung als Erlösung
19 Solomon Schechter und Mordechai Kaplan: Gelehrte Rekonstruktionen des Judentums
20 Bhimrao Ambedkar: Vom Hinduismus zum Buddhismus - Religionswechsel als Emanzipation
21 Anandamayi Ma: Mutter, Göttin, Guru, Heilige
22 Hasan al-Banna und Sayyid Qutb: Märtyrer der Brüderlichkeit
23 Norman Vincent Peale: Religion als Lebenshilfe
24 C. S. Lewis und J. R. R. Tolkien: Mythos und Fantasy
25 L. Ron Hubbard: Geschäftsmodell für die totale Befreiung
26 Mao Zedong: Religionsdemontage und Vergötterung
27 Martin Luther King: Der unvollendete Kampf gegen den Rassismus
28 Alfred Loisy und Gustavo Gutiérrez: Vom Modernismus zur Befreiungstheologie
29 Karl Barth und Paul Tillich: Zwischen Kultur und Offenbarung
30 Billy Graham: Die individuelle Glaubensentscheidung als globales Medienereignis
31 Sathya Sai Baba: Göttliches Geben und Nehmen
32 The Beatles: Musik, Rausch, Meditation
33 Bob Marley: Positive Vibrations
34 Carl Sagan, Stanley Kubrick, Steven Spielberg: Außerirdische Erlöser
35 Menachem Mendel Schneerson: Der Messias und seine Ausgesandten
36 Ruhollah Musavi Chomeini: Die Herrschaft des Rechtsgelehrten
37 Johannes Paul II.: Weltreisender an der Jahrtausendwende
38 Mutter Teresa: Heiligkeit am Abgrund
39 Der 14. Dalai Lama: Jenseits von Tibet
40 Jim Jones, David Koresh, Asahara Shoku: Endzeiterwartungen und Gewaltexzesse
41 Bhagwan Shree Rajneesh: Die Lächerlichkeit der Erleuchtung
42 Madalyn Murray O'Hair: Militanter Atheismus als Lebensaufgabe
43 Benny Hinn und Reinhard Bonnke: Fernsehprediger, Wunderheiler, Kreuzzügler
44 Ikeda Daisaku: Das Lotus-Sutra und die humane Revolution
45 Paulo Coelho: Magier auf dem Weg zum wahren Selbst
46 Osama bin Laden: Der globale Krieg der Religionen
47 Thich Nhat Hanh: Engagierter Buddhismus und Achtsamkeit
zum Schluss: Religion ist auch nicht mehr, was sie einmal war
Anhang
Dank: «With a little help from my friends»
Zeitttafel
Anmerkungen
Literatur
Bildnachweis
Personenregister
Register der religiösen Gruppen und Strömungen
Geographisches Register

Einleitung


Das Jahrhundert der Religionen

Was immer es sonst auch war, das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Religionen. Offiziell eingeläutet – zumindest symbolisch – wurde diese neue Ära am 11. September 1893 auf der Weltausstellung in Chicago. Zu zehn Schlägen einer riesigen Glocke wurde in der mit viertausend Menschen bis auf den letzten Platz gefüllten großen Halle des Art Institute eine Veranstaltung eröffnet, die von ihren Organisatoren schon in ihren Zielsetzungen als epochal beschrieben wurde: The World’s Parliament of Religions.[1]

Das Weltparlament der Religionen


Die Rede von einem «Weltparlament der Religionen» war ein Novum: Parlamente im Sinne von Volksvertretungen pflegten ja auf einzelstaatlicher Ebene zusammenzutreten. Ebenso neuartig war die Idee, verschiedene Religionen zu einem solchen Parlament zusammenzubringen, zumal die wenigsten Religionen demokratisch verfasst sind, ebenso wie dies seinerzeit relativ wenige Staaten waren. Das Wort «Parlament» leitet sich aus dem Altfranzösischen ab mit der Bedeutung «Unterhaltung» oder «Erörterung». Dieser ältere Wortsinn entsprach dem Anliegen der Organisatoren, die Religionen miteinander ins Gespräch zu bringen.

Das erste der zehn Ziele der Veranstaltung war: «Auf einer Konferenz, zum ersten Mal in der Geschichte, die führenden Repräsentanten der historischen Religionen der Welt zusammenzubringen.»[2] Sechzehn Tage lang wurden zweihundertsechzehn Vorträge gehalten. Einem zeitgenössischen Bericht zufolge soll dabei zeitweise eine rauschartig-enthusiastische Atmosphäre aufgekommen sein.[3]

Sitzung des Weltparlaments der Religionen am 25. September 1893 in Chicago. Das Bild wurde auch separat mit der Liste der Namen als Einzelblatt verkauft. Auf der Tafel stehen die Namen der vier Redner dieser Sitzung: allesamt Christen, darunter ein China-Missionar, der in chinesischer Kleidung auftrat.

Das Weltparlament der Religionen manifestiert die grundlegende Konstellation, die die Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts prägen sollte: die öffentlich kommunizierte und weithin geteilte Annahme, dass es auf der Welt eine Vielzahl Religionen gibt, die sich untereinander als Mitglieder einer Klasse wahrnehmen. Die Existenz von Religionen als Exemplare einer Gattung wird somit spätestens 1893 als globale Realität ausgerufen und anerkannt – zumindest in bestimmten Schichten einer sich formierenden globalen (wenngleich noch westlich dominierten) Elite. Diese pragmatische Universalisierung des Religionsbegriffs legt eine globale Perspektive auf eine Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts nahe.

Globalisierung meint nicht nur die sich beschleunigende weltumspannende Verflechtung von vormals getrennten Kulturen, Gesellschaften oder Märkten, sondern auch das Bewusstsein von diesen Verflechtungen, die manchen als Verheißung und manchen als Bedrohung erscheinen. Religionen gab es bereits seit Jahrtausenden, aber jetzt erst wurden sie routinemäßig unter diesem Oberbegriff zusammengefasst und damit vergleichbar. Religion ist damit durch Vielfalt gekennzeichnet, mit den großen Weltreligionen als den bekanntesten Ausprägungen. Außerdem trat Religion nun als distinkte Kategorie neben Wirtschaft oder Politik, Kunst oder Wissenschaft.

Die universelle Anerkennung von Religion hat sich seit dem 19. und verstärkt im 20. Jahrhundert in einer zunehmenden Berücksichtigung von Religionsfreiheit in den Verfassungen vieler Länder und im Völkerrecht niedergeschlagen. 1948 wurde Religionsfreiheit von der UN-Generalversammlung im Rahmen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sogar als universales Menschenrecht proklamiert. In Artikel 18 heißt es: «Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Praxis, Gottesdienst und Observanz zu bekunden.» Religion erhielt damit den Status einer anthropologischen Universalie und wurde zugleich, zumindest theoretisch, zum Gegenstand der autonomen Entscheidung jedes Menschen.

Ein Streitpunkt der vorbereitenden Verhandlungen war das Recht auf Religionswechsel. Dafür sprach sich neben dem libanesischen Christen Charles Malik auch der pakistanische Außenminister Muhammad Zafrullah Khan aus. Khan gehörte einer prominenten Familie der Ahmadiyya-Gemeinschaft an, einer messianischen Gruppierung, die Ende des 19. Jahrhunderts in Britisch-Indien von Gulam Ahmad begründet wurde. 1974 wurde sie vom pakistanischen Parlament als unislamisch eingestuft, ihre Mitglieder müssen seither Einschränkungen ihrer Religionsausübung hinnehmen. Das ist zugleich ein Beispiel für die faktischen Grenzen der Religionsfreiheit. Vehement gegen das Recht auf Religionswechsel sprach sich Saudi-Arabien aus. Das Land gehörte aus diesem Grund neben Südafrika, der Sowjetunion und fünf osteuropäischen Staaten zu den acht Ländern, die sich bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 1948 der Stimme enthielten.[4] Im 1966 aufgesetzten und 1976 nach Ratifizierung durch dreiundfünfzig Staaten in Kraft getretenen Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der die Erklärung von 1948 völkerrechtlich verbindlich implementieren sollte, blieb das explizite Recht auf Religionswechsel auf der Strecke: In Artikel 18(1) ist nun von der «Freiheit, eine Religion oder eine Überzeugung eigener Wahl zu haben» die Rede. Diese Formulierung scheint auch die Abkehr von Religion außen vor zu lassen. Als «Apostasie» steht die Loslösung vom Islam in einer Reihe von Ländern mit islamisch geprägter Gesetzgebung unter Strafe. Die Erklärungen von 1948 und 1966 haben dagegen gemeinsam, dass keine bestimmte Form von Religion privilegiert wird. Von daher gilt: «Die Prinzipien von Freiheit der Religion und Gleichheit aller Religionen sind unzertrennlich.»[5]

Mit dem Weltparlament von 1893 traten die USA eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet globaler religiöser Kommunikation an, nicht zuletzt durch die Festsetzung des Englischen als ausschließlicher Tagungssprache. Zu einem Parlament gehören normalerweise gewählte Volksvertreter. In dem Weltparlament der Religionen traten hingegen Religionsvertreter in Erscheinung, die teilweise formell angefragt, eingeladen oder entsandt wurden, im Einzelfall aber auch auf eigene Initiative anreisten – so etwa der hinduistische Mönch und Gelehrte Swami Vivekananda (Kap. 3).

Ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Teilnehmer war ihre «Kompetenz», die «wichtigen distinkten Wahrheiten» ihrer jeweiligen Religion für ein gebildetes Publikum zum Ausdruck zu bringen. Hier artikuliert sich das grundlegende, auch heute noch vielerorts geteilte Religionsverständnis der Organisatoren: Religionen sind in erster Linie Wahrheitsrepositorien, was Religionen, die über keine explizit artikulierten Doktrinen und keine extern anschlussfähigen Sprecherfiguren verfügten, irrelevant erscheinen ließ. Die schiere Vielfalt der vorgetragenen Wahrheiten würde – so die unausgesprochene Hoffnung – einzelne Wahrheitsansprüche zu bändigen helfen. Oder aber das Christentum würde sich als die letztlich überlegene Wahrheit durchsetzen.

Das Parlament sollte keine Weltmeisterschaft der Religionen sein, kein Jahrmarkt exzentrischer Einzelwahrheiten, sondern eher ein symphonisches Festkonzert, bei dem alle Teilnehmer freudig in die Ode auf die positive kulturelle und zivilisatorische Bedeutung von Religion einstimmen sollten. Ihr gegenüber standen die Gefahren des interreligiösen Konflikts, innerreligiöser Auflösungserscheinungen und der «Irreligion», womit wohl Materialismus, Gleichgültigkeit, Agnostizismus oder Atheismus gemeint waren.[6] Die Organisatoren wagten sich auf den schmalen Pfad zwischen der Beschwörung einer brüderlichen Verbundenheit und prinzipiellen Gleichrangigkeit aller vertretenen Religionen und ihrer faktischen Gleichwertigkeit, die alle Unterschiede nivellieren und Indifferenz Vorschub leisten würde. Die Geschäftsordnung sah vor, dass die Redner von Angriffen auf andere Religionen abzusehen hätten,[7] was allerdings nicht immer konsequent eingehalten wurde.

Dunkle Seiten einer Religionsgeschichte
des 20. Jahrhunderts


Das Projekt des Weltparlaments traf nicht überall auf Zustimmung. Die Generalversammlung der amerikanischen Presbyterianer...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2020
Zusatzinfo mit 50 Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte 20. Jahrhundert • Achtsamkeit • Autoren • Bob Marley • Dalai Lama • Filmregisseure • Geschichte • Global • Heilsbringer • Jim Jones • Lebensläufe • Mahatma Gandhi • Martin Luther King • Osama bin Laden • Panorama • Physiker • Psychologen • Religiöse Führer • Rudolf Steiner • Sachbuch • Transzendentale Meditation • Universalreligion • Welt • Weltweit • Yoga • Zen
ISBN-10 3-406-75528-3 / 3406755283
ISBN-13 978-3-406-75528-6 / 9783406755286
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