Heidegger (eBook)
312 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-3853-5 (ISBN)
Oliver Precht ist Philosoph und Literaturwissenschaftler, Mitherausgeber der Buchreihe »Neue Subjektile« und Übersetzer von philosophischen, literarischen und anthropologischen Werken aus dem Portugiesischen, Französischen und Englischen.
5. Anerkennung
Die These, dass Heideggers Philosophie von einem Bedürfnis nach Anerkennung getragen wird, meint mehr und anderes als die Behauptung, dass der Mensch Martin Heidegger als Philosoph und als Professor anerkannt werden wollte. Die Anerkennung, die ihm von seinen ›unphilosophischen‹ Mitmenschen entgegengebracht wurde, mag dem Philosophen zwar Freude und Genugtuung bereitet haben, entscheidend für seine Philosophie war sie jedoch nicht. Es geht Heideggers Philosophie nicht um ihren Autor, nicht um das ›Seiende‹ (um in Heideggers Begrifflichkeit zu sprechen), das diese Philosophie hervorbrachte, sondern um ihr eigenes Sein, um ihre aneignende Auslegung des Menschen und der Geschichte, in der sie sich realisiert. Das Bedürfnis nach Anerkennung, das seine Philosophie trägt, zielt auf die Anerkennung durch zukünftige Philosophen. Da für Heidegger, wie zu zeigen sein wird, die Philosophie das Wesen des Menschen ausmacht und daher alle Menschen Philosophen werden können und sollen, erstreckt sich dieses Bedürfnis nach Anerkennung jedoch potentiell auf alle Menschen. Und genau aus diesem Grund kennt Heideggers Text und seine philosophische Politik im Allgemeinen keine unterschiedlichen Adressaten.
Weil Heideggers Philosophie nach Anerkennung verlangt, muss sie wollen, dass sich die alltäglichen, ›uneigentlichen‹ und ›unphilosophischen‹ Menschen allesamt in Philosophen verwandeln. Sie muss wollen, dass alle Menschen gleichermaßen Philosophen werden, allerdings nur in einem ganz bestimmten Sinn von Philosophie: in einem Sinn, den Heideggers Philosophie vorgibt und präsentiert – in dem Sinn, wie sie sich scheinbar selbst bestimmt. Heideggers Philosophie muss also wollen, dass es den Menschen um die Wahrheit des Seins geht, um eine Wahrheit, die ihnen nur durch Heideggers eigene Philosophie zugänglich werden kann (am Schluss der Untersuchung wird sich zeigen, dass die ›Wahrheit des Seins‹ mit Heideggers Philosophie identisch ist). Die Menschen sollen zu ›Philosophen‹ und das heißt in Wahrheit, sie sollen zu Anhängern von Heideggers Lehre, sie sollen zu seiner Gefolgschaft werden. Den ›zukünftigen Philosophen‹ soll es um die präsentierte Sache von Heideggers Philosophie gehen – für sie soll das Philosophieren das sein, als was Heideggers Philosophie sich präsentiert: ein demütiges Sichbestimmenlassen von der ›Sache‹, radikale Fremdbestimmung statt radikaler Selbstbestimmung.
Diejenigen, die sich aufgrund der natürlichen Ungleichheit zwischen den Menschen nicht unmittelbar Heideggers Gefolgschaft anschließen, sollen sich zumindest in einem abgeleiteten, ›uneigentlichen‹ Sinn um die präsentierte Sache von Heideggers Philosophie sorgen. Sie sollen Heideggers Philosophie und ihre Gefolgschaft zumindest als etwas Edles und Vornehmes ansehen, als etwas, das sie zwar selbst nicht verstehen, vor dem sie aber Ehrfurcht und Respekt empfinden. Die aus Heideggers Perspektive ›unwesentlichen‹ und ›uneigentlichen‹ Menschen sollen durch ihre alltägliche und unphilosophische ›Sorge‹ um das ›tägliche Brot‹ die existenzielle Grundlage für die existenziale ›Sorge‹ der Philosophie sichern. Getragen werden soll ihre Sorge von einem Glauben, einem Glauben an einen zukünftigen Gott, der sich als ein Glaube an Heideggers Philosophie entpuppen wird.
In der radikalen Selbstbestimmung von Heideggers Philosophie tritt das Grundproblem zutage, das im Bedürfnis nach Anerkennung verborgen liegt. Auch wenn es auf die Freiheit des Anderen abzielt, läuft es stets Gefahr, den Anderen auf das Eigene zu reduzieren, ihn zu beherrschen und ihm eine Rolle in der eigenen Welt zuzuweisen – eine Gefahr, der die Philosophie nur durch ein selbstkritisches Verhältnis zu diesem Bedürfnis entkommen kann.
Die Behauptung, mit der Anerkennung werde stillschweigend ein Verhältnis von Herrschaft und Gehorsam eingerichtet, mag zunächst verwundern, steht sie doch im Widerspruch zu der weitverbreiteten Annahme, das Streben nach Anerkennung ziele »nicht auf Subordination«, sondern »auf Koordination« ab, auf eine »Wechselwirkung durch Freiheit« (Fichte [1794] 1971a: 307 f.) und eine in dieser Wechselwirkung sich realisierende Gleichheit. Kein Individuum könne »das andere anerkennen, wenn nicht beide sich gegenseitig anerkennen: und keines kann das andere behandeln als ein freies Wesen, wenn nicht beide sich gegenseitig so behandeln« (Fichte [1796/97] 1971b: 44).
Tatsächlich ist die moderne Vorstellung der Anerkennung unlösbar mit der Idee der Gleichheit verbunden: Anerkennung setzt Gleichheit voraus und erzeugt sie zugleich – in einem Prozess, der oft als Kampf um Anerkennung beschrieben wurde, als Kampf zwischen Ungleichen. Wenn die Philosophen der Moderne der Meinung waren, dass die Gleichheit und die damit verbundene Anerkennung die Grundlage für eine gewisse, bürgerliche Freiheit darstellen, sahen sie zugleich die mit dieser Idee einhergehende Gefahr, alle Menschen auf dieses Gleiche zu reduzieren: eine Gefahr für eine andere Freiheit, für die Freiheit, anders zu sein. So sehr sie die Gleichheit und die wechselseitige Anerkennung als politisches Prinzip bejahten, so sehr sie der Meinung waren, dass diese Gleichheit die Voraussetzung für eine politische Freiheit sei, so sehr war ihnen bewusst, dass es immer einen geben musste, der bestimmt, worin diese Gleichheit besteht, einen ›Philosoph‹, der durch diese verborgene Herrschaft gleicher war als die anderen und dadurch Gefahr lief, die menschliche Existenz auf diese Sphäre der Gleichheit zu reduzieren. Weil Rousseau die Möglichkeit der Ungleichheit, der Alterität, die Möglichkeit von Existenzweisen, die nicht in dieser Gleichheit aufgehen, bewahren wollte, warnte er in seinem Diskurs über die Ungleichheit vor dem »soziablen Menschen«, der »nur in der Meinung der Anderen zu leben« weiß. Es sollte sowohl innerhalb als auch außerhalb der auf Gleichheit und wechselseitige Anerkennung gegründeten Gesellschaft noch andere Existenzweisen geben können – zum Beispiel seine eigene oder die der »Wilden«, die nicht an der wechselseitigen Anerkennung teilhaben – denn der Wilde lebe »in sich selbst« und sei auf die Anerkennung und die Gleichheit, kurz gesagt, auf die Gesellschaft, nicht angewiesen (Rousseau [1755] 2008: 269).
In der deutschen Tradition der Anerkennungslehre, die mit Fichtes Zurückweisung von Rousseaus zweitem Discours in seiner Schrift über die Bestimmung des Gelehrten einsetzt und später von Heidegger zu ihren letzten Konsequenzen getrieben wird, blieb die Warnung vor einer Entgrenzung der Sphäre der Gleichheit ungehört. Durch eine eigenwillige Aufnahme der Lehren Kants ist der Mensch für Fichte dazu »bestimmt, in der Gesellschaft zu leben; er ist kein ganzer vollendeter Mensch und widerspricht sich selbst, wenn er isoliert lebt« (Fichte [1794] 1971a: 306). Und auch Hegel schreibt wenige Jahre später: »Der Mensch wird notwendig anerkannt und ist notwendig anerkennend. […] Als Anerkennen ist er selbst die Bewegung und diese Bewegung hebt eben seinen Naturzustand auf: Er ist Anerkennen« (Hegel [1806/07] 1969: 206; vgl. [1807] 1986b: 145). Doch wenn der Mensch nichts anderes sein soll als Anerkennen, nichts anderes als ein Mitglied der (bürgerlichen) Gesellschaft und wenn der Philosoph, oder, mit Fichte gesprochen, der »Gelehrte« bestimmt, worin diese Gleichheit besteht, ist dann nicht die wechselseitige Anerkennung in erster Linie eine Anerkennung dieser Philosophie? Ist diese Tradition dann nicht »genötigt, aus dem Menschen einen Philosophen zu machen, ehe man einen Menschen aus ihm macht« (Rousseau [1755] 2008: 57)?
Indem sie die Anerkennung zur Bedingung für das Menschsein macht, macht sie tatsächlich aus dem Menschen einen Philosophen, aber gerade keinen »Selbstdenker«, wie Kant es fordert, sondern einen »sklavisch nachahmenden« Anhänger einer Lehre (L:449).11 Der Mensch soll anerkennen, dass er seinem Wesen nach politisch ist und sein soll und dass die Politik ihrem Wesen nach Gleichheit ist und sein soll. Der Mensch, der als »Anerkennen« seinem Wesen nach über den Naturzustand hinaus sei, habe sich immer schon auf den teleologischen Weg seiner Gattungsgeschichte begeben, dessen τέλος Fichte als die »völlige Gleichheit aller ihrer Mitglieder« bezeichnet. Die wichtigste Aufgabe des Gelehrten bestehe dabei in der »obersten Aufsicht über den wirklichen Fortgang des Menschengeschlechtes im allgemeinen« und in der »steten Beförderung dieses Fortganges« (Fichte [1794] 1971: 328).
Bei Heidegger scheint dieser »Fortgang« bereits vollendet und die Totalisierung jener auf Gleichheit beruhenden politischen Freiheit ›immer schon‹ vorausgesetzt zu sein. Der Prozess des »Sichbefreiens« ist für Heidegger einerseits mit der menschlichen Existenz identisch, er ist »Bedingung der Möglichkeit« (31:303; vgl. 26:238; 29/30:28) und als solche immer schon abgeschlossen, andererseits aber setzt das Sichbefreien...
Erscheint lt. Verlag | 20.3.2020 |
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Reihe/Serie | Blaue Reihe | Blaue Reihe |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit |
Schlagworte | Existenzphilosophie • Heidegger • Martin • Metaphysik • Ontologie |
ISBN-10 | 3-7873-3853-5 / 3787338535 |
ISBN-13 | 978-3-7873-3853-5 / 9783787338535 |
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