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Mussolini und Hitler (eBook)

Die Inszenierung einer faschistischen Allianz
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
476 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76294-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mussolini und Hitler -  Christian Goeschel
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Zwischen 1934 und 1944 trafen sich Mussolini und Hitler insgesamt siebzehnmal - öfter als jedes andere Duo westlicher Staatschefs der damaligen Zeit. Die beiden Diktatoren sandten einander Glückwunschtelegramme zum Geburtstag, Hitler gratulierte Mussolini regelmäßig zum Jahrestag des »Marsches auf Rom«. Obwohl sie sich persönlich nicht ausstehen konnten, gelang ihnen die Inszenierung einer Freundschaft. Sie sollte nach außen Einheit und Macht demonstrieren und nach innen Volksnähe vermitteln.

Entlang der wichtigsten Begegnungen - von den pompösen Staatsempfängen der Anfangszeit bis zum letzten Treffen am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze - zeichnet Christian Goeschel die wechselvolle Geschichte dieser folgenreichen »Freundschaft« nach. Er untersucht die diplomatischen Taktiken und propagandistischen Techniken und wirft ein neues Licht auf die zerstörerische Allianz zwischen dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland. Am Prototyp choreographierter Diktatorenfreundschaft im Zeitalter der Massenmedien zeigt dieses Buch, was geschehen kann, wenn im Feld der Politik Performance und Macht miteinander verschmelzen.



<p>Christian Goeschel, geboren 1978, lehrt Europäische Geschichte an der Universität Manchester.</p>

1
 
In Mussolinis Schatten
1922-1933


I


Nach der deutschen Novemberrevolution 1918 und der Gründung der Weimarer Republik war München eine Brutstätte des politischen Extremismus. Von hier aus wollten Hitler und die Nationalsozialisten, eine von vielen rechtsextremen Randgruppen, Anfang der zwanziger Jahre die Macht in Deutschland erobern. Ihr Ziel war es, Deutschland von den Juden zu »säubern« und »Lebensraum« in Osteuropa zu schaffen. Um ihr nationales und internationales Ansehen zu stärken, streckten die Nationalsozialisten ihre Fühler zu den italienischen Faschisten aus, die Mussolini im März 1919 offiziell als nationale Bewegung in dem festen Entschluss gegründet hatte, Italiens angeblichen »verstümmelten Sieg« (vittoria mutilata) im Ersten Weltkrieg zu rächen und Italien zu einer Großmacht zu machen. Es ist bemerkenswert, dass die Initiative von den Nationalsozialisten, nicht von den Faschisten ausging, da es ein Schlaglicht auf die damalige Bedeutungslosigkeit der Nationalsozialisten und auf die Tatsache wirft, dass die italienischen Faschisten die offiziell erste faschistische Gruppierung der Welt waren. Während Mussolini sich auf die Eroberung der Macht vorbereitete, schickte Hitler im September 1922 den zwielichtigen Kurt Lüdecke zu dem Faschistenführer nach Mailand. Mussolini wollte allgemein gute Beziehungen zur europäischen Rechten pflegen, um Italiens Einfluss zu stärken. Daher empfing er Lüdecke, der ein Empfehlungsschreiben von Hitlers berühmtestem Unterstützer, General Erich Ludendorff, bei sich hatte.1 Damals hörte Mussolini Hitlers Namen vermutlich zum ersten Mal. Im März 1922 hatte Mussolini Deutschland besucht, da er vermutete, es werde schon bald wieder zu einer europäischen Großmacht aufsteigen, aber Hitler war zu dieser Zeit viel zu unbedeutend für ihn. Stattdessen hatte er Beziehungen zu einer Reihe politisch vielversprechenderer Organisationen und Gruppierungen geknüpft, besonders zur Reichswehr und dem paramilitärischen Veteranenbund Stahlhelm. Wegen seiner Prominenz als aufsteigender Stern der italienischen Politik empfingen ihn auch führende Politiker wie der Außenminister Walther Rathenau, der Parteivorsitzende der liberalen Deutschen Volkspartei (DVP) Gustav Stresemann und sogar Reichskanzler Joseph Wirth von der katholischen Zentrumspartei.2

Nachdem Mussolini Ende Oktober 1922 nach dem Marsch auf Rom das Amt des italienischen Ministerpräsidenten angetreten und zugleich die Leitung des Außenministeriums übernommen hatte, empfing er Lüdecke nicht mehr, weil es seine offiziellen Beziehungen zur deutschen Regierung untergraben hätte, obwohl das Auswärtige Amt Lüdecke in einer Korrespondenz mit den bayerischen Behörden, die die aufkommende nationalsozialistische Partei im Auge behielten, als unbedeutende Figur abgetan hatte. Entgegen dem faschistischen Mythos hatte die Demonstration faschistischer Stärke während des Marschs auf Rom allein nicht genügt, um Mussolini an die Macht zu bringen. Vielmehr war es König Viktor Emanuel III., der ihn zum Regierungschef einer Koalitionsregierung ernannte. Die Kombination aus faschistischer Gewalt und einem scheinbar geordneten, konstitutionellen Machtwechsel war bemerkenswert. Mussolini konnte zu Recht für sich beanspruchen, der erste faschistische Regierungschef Europas zu sein, und es sollte noch geraume Zeit dauern, bis er mehr über den Chef der Nationalsozialisten erfuhr.3

Es ist lohnend, sich mit Hitlers Ansicht über die aufkommende faschistische Regierung Italiens zu befassen. Einige Tage nach Mussolinis Ernennung erklärte Hitler einem rechten Aktivisten: »Man nennt uns deutsche Faschisten. Ich will nicht untersuchen, wieweit dieser Vergleich stimmt. Aber die unbedingte Vaterlandsliebe, den Willen, die Arbeiterschaft aus den Klauen der Internationale zu reißen, und den frischen kameradschaftlichen Frontgeist haben wir mit den Faschisten gemein.«4

Hier versuchte Hitler die Nationalsozialisten zu legitimieren und bekannt zu machen, indem er auf den offenkundigen politischen Erfolg der italienischen Faschisten hinwies, die in ganz Europa wegen ihrer brutalen Gewalt gegen die italienische Linke bei manchen berühmt-berüchtigt geworden waren. Dass Hitler auf den faschistischen Zug aufsprang, war insofern überraschend, als in Deutschland Vorurteile gegen den ehemaligen Feind im Ersten Weltkrieg verbreitet waren. Italiener galten weithin als unzuverlässig, heimtückisch und undiszipliniert. Daher vermied Hitler allzu direkte Assoziationen mit Italien, die potenzielle Anhänger der Nationalsozialisten hätte abschrecken können. Vielmehr ließ er durchblicken, die ultranationalistischen deutschen Nationalsozialisten seien keine bloßen Nachahmer der italienischen Faschisten. Es waren also nicht bloß ideologische Ähnlichkeiten, sondern strategische Erwägungen, die Hitler veranlassten, auf die italienischen Faschisten hinzuweisen und sich mit Mussolini zu vergleichen. Verbindungen zu Mussolinis Italien zu pflegen war für Hitler ein Mittel, die Nationalsozialisten in Deutschland zu legitimieren und zu fördern, während für Mussolini Kontakte zu Hitler und den Nationalsozialisten eine Möglichkeit darstellten, seine Rolle als Doyen des europäischen Faschismus zu unterstreichen und die Macht Italiens auszuweiten.5

Auch bei vielen anderen Gelegenheiten brachte der nationalsozialistische Führer seine Bewunderung für den Duce zum Ausdruck. Aber Hitler war keineswegs der einzige rechte deutsche Politiker, der Mussolini solche Reverenz erwies.6 Nach dem Marsch auf Rom verwendeten bayerische Zeitungen die neue politische Terminologie, die italienische Faschisten eingeführt hatten. Sie brachten Berichte über die »bayerischen Faschisten« und ihren Führer Hitler, den »deutschen Mussolini«.7 Bezeichnenderweise sahen nicht nur Rechte in Deutschland, sondern auch britische Diplomaten und Zeitungen Hitler schon bald als »deutschen Mussolini«. Solche Hinweise als oberflächlich abzutun hieße, das Wesentliche zu übersehen, da sie den verbreiteten Reiz widerspiegelten, der für die deutsche Rechte von Mussolinis aufkommendem Regime ausging: Offenbar gelang ihm ein idealer Pakt der antikommunistischen Faschisten mit den traditionellen Institutionen, vor allem mit dem italienischen Staat und der Monarchie, eine politische Konstellation, die Ordnung und Stabilität in das angebliche gesellschaftliche und politische Chaos der Nachkriegszeit bringen würde. Ein Jahr nach dem Marsch auf Rom gab Hitler diese Stimmung in einem Interview vom 2. Oktober 1923 mit der konservativen Zeitung Daily Mail wieder: »Wenn Deutschland ein deutscher Mussolini gegeben würde«, erklärte er, »würde das Volk auf die Knie fallen und ihn mehr verehren, als Mussolini je verehrt wurde.«8

Auch während der beispiellosen Krisen von 1923, der Hyperinflation und der französisch-belgischen Besetzung des Ruhrgebiets hielt Hitler implizit an der Überzeugung fest, Deutsche seien Italienern überlegen. Er behauptete, das deutsche Volk sei sogar empfänglicher für einen Diktator, der noch stärker wäre als der Duce. Hitler strebte ein antifranzösisches Bündnis mit Italien an, um damit einen Keil zwischen diese ehemaligen Verbündeten (beide ständige Mitglieder des Völkerbundrats) zu treiben, die Deutschland im Ersten Weltkrieg besiegt hatten.9

Allerdings verstand Hitler nicht, dass Mussolinis Herrschaft in Italien alles andere als absolut war. Entgegen dem Eindruck, den die faschistische Propaganda nährte, war Mussolini kein starker Diktator. In Wirklichkeit musste der Duce zumindest bis zur Unterzeichnung der Lateranverträge mit der katholischen Kirche 1929 seine Macht noch konsolidieren und sich in ständigen Verhandlungen mit der konservativen Monarchie und Staatsbürokratie einerseits und mit radikalen Kräften innerhalb der faschistischen Partei andererseits, die gefordert hatten, den Staat unter Parteikontrolle zu bringen, um eine zuweilen heikle Balance bemühen.10 Nach und nach trugen Hitlers Hinweise auf das faschistische Italien und auf Mussolini dazu bei, die Nationalsozialisten über...

Erscheint lt. Verlag 15.12.2019
Sprache deutsch
Original-Titel Mussolini and Hitler. A Fatal Friendship
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Antisemitismus • Deutschland • Europa • Faschismus • Fratelli d'Italia • Giorgia Meloni • Holocaust • Italien • Landtagswahl Sachsen • Mitteleuropa • Mussolini and Hitler. The Forging of the Fascist Alliance deutsch • Nationalsozialismus • Nazis • NS • NSDAP • rechte Ideologie • Rechtsradikalismus • Shoah
ISBN-10 3-518-76294-X / 351876294X
ISBN-13 978-3-518-76294-3 / 9783518762943
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