Albert Speer (eBook)
912 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-15967-2 (ISBN)
Seit 1931 NSDAP-Mitglied und bald ein Vertrauter Hitlers, wurde Albert Speer rasch zum Architekten des Rassenstaates. Im Krieg engagierte er sich als Rüstungsminister unermüdlich für den totalen Kampf und die Vernichtungsmaschinerie. Gleichwohl behauptete er nach Kriegsende, stets distanziert, ja eigentlich unpolitisch und gar kein richtiger Nazi gewesen zu sein. Magnus Brechtken zeigt, wie es Speer gelang, diese Legende zu verbreiten, und wie Millionen Deutsche sie begierig aufnahmen, um sich selbst zu entschulden.
Brechtken, renommierter Zeithistoriker und stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, beschreibt nicht nur, wie markant Speers Stilisierung als angeblich unpolitischer Techniker den historischen Tatsachen widerspricht. Auf der Basis jahrelanger Recherchen und vieler bislang unbekannter Quellen schildert er zugleich, wie Millionen Deutsche Speers Fabeln mit Eifer übernahmen, um sich die eigene Vergangenheit schönzureden, und wie sehr Intellektuelle, namentlich Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler, diese Legendenbildung unterstützten. Die verblüffende Biographie eines umtriebigen Manipulators - und zugleich ein Lehrstück für den deutschen Umgang mit der eigenen Geschichte.
Magnus Brechtken, geboren 1964, wurde an der Universität Bonn im Fach Geschichte promoviert und lehrte an den Universitäten Bayreuth, München und Nottingham. Seit 2012 ist er stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und Professor an der Universität München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen der Nationalsozialismus, die Geschichte der internationalen Beziehungen und die historische Wirkung politischer Memoiren. 2017 erschien sein Buch »Albert Speer. Eine deutsche Karriere«, das mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis ausgezeichnet und zum Bestseller wurde.
Prolog
Albert Speer ist vermutlich der am häufigsten zitierte Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts.1 Ein engagierter Nationalsozialist, Unterstützer Hitlers, Architekturmanager, Kriegslogistiker, Rüstungsorganisator, Mitbetreiber der NS-Rassenpolitik, eine Zentralfigur des Eroberungs- und Vernichtungskrieges: Das ist der reale Albert Speer bis 1945.
In der Nachkriegszeit hat sich ein anderes Bild von ihm verbreitet. Hier erscheint Speer meist als verführter Bürger, unpolitischer Technokrat, als fleißiger Fachmann, der vor allem seine Arbeit im Sinn hatte und dabei wenig wahrgenommen haben wollte von den Verbrechen, die sich um ihn herum ereigneten – während er in Wahrheit mit der SS paktierte, Zwangsarbeiter in den Tod trieb und europaweit die Kriegsrüstung organisierte. Allenfalls dunkle Ahnungen habe er gehabt von dem, was doch vor seinen Augen und nicht selten auf seine direkte Initiative hin geschah.
Es war die Legende vom unwissend-arglosen Bürger Albert Speer auf der schuldfreien Seite der Geschichte. Auf der anderen standen die ungehobelten Parteimänner mit ihrem lauten Benehmen und den groben Visagen. Das waren »die Nazis«. Irgendwie war er in deren Nähe geraten. Warum nur? Manche Historiker sprachen dann vom »Rätsel Speer« und mochten seine Verbrechen, die ein Blick in zeitgenössische Quellen offenbart hätte, nicht zur Kenntnis nehmen. Folgsam übernahmen sie viele seiner Erinnerungsbilder. Mit den dunklen Seiten des Dritten Reiches, so meinten sie unter dem Beifall all derer, die sich selbst gern in diesen Erzählungen wiedererkennen wollten, hatte der bürgerliche Speer – einer wie sie – kaum etwas gemein.
Speer schrieb und erzählte nun Geschichten von persönlicher Distanzierung und nachgeholter Reue. Als Bekenner, der sich mahnend an die Nachwelt wendet, gelang ihm damit nach 1966 eine zweite Karriere. Er wurde zum international gefragten Kronzeugen für das überwundene Böse. Ein nachdenklicher Zeitzeuge, jederzeit bereit, »authentische« Erinnerungen an eine schlimme Zeit zu liefern, in der es niemandem, selbst ihm nicht, leichtgefallen war, rechtschaffen zu bleiben und integer. Millionen Deutsche hörten und lasen das gern. Sie schienen sich fast zu sehnen nach immer neuen und doch immer ähnlichen Erzählungen angeblicher Einsicht und Läuterung.
Auch in anderen Ländern hatte der distinguierte ältere Herr mit dem zurückhaltenden Auftreten Erfolg. Vor allem in der angelsächsischen Welt war Speer wenige Jahre nach seiner Entlassung aus dem Spandauer Gefängnis ein gern gesehener, von Zeitungen, Film und Fernsehen geradezu hofierter Gast. Was wie zwei Leben vor und nach 1945 erscheint – Täterschaft hier, Reue dort – fügt sich bei Lichte betrachtet zu einem stringenten Narrativ: Nach dem Einsatz für den Nationalsozialismus und der Täterschaft als Verbrecher strebte Speer die Interpretationsherrschaft über die Geschichte an, um alles, was er getan hatte, umerzählen, vernebeln, in ablenkenden Fabeln auflösen zu können. In beiden Rollen war Speer ebenso energisch wie erfolgreich.
Gerade deshalb ist Speers Karriere exemplarisch, eine deutsche Karriere im zwanzigsten Jahrhundert, die bis in die höchsten Sphären der Macht führte, an die Schalthebel einer europäischen Kriegsmaschinerie mit Millionen Arbeitern, Soldaten und einem Arsenal von Waffen, wie sie in der Weltgeschichte zuvor nicht eingesetzt worden waren. Speer sorgte für die Verlängerung des Krieges um Jahre, opferte dabei unzählige Menschen, um den Sieg des Nationalsozialismus zu erreichen, und sah sich in der Endphase des Krieges sogar ernsthaft als möglichen Nachfolger Hitlers.
Sein Ehrgeiz und sein rascher Aufstieg verschafften Speer besondere Prominenz, zugleich jedoch war er auch repräsentativ. Nimmt man die nationalsozialistische Herrschaft als Ganzes in den Blick und befreit man sich von der Täuschung, dass »die Nazis« etwas »Fremdes« waren, eine mysteriöse Macht, die das Land im Januar 1933 irgendwie von außen überwältigte und im Mai 1945 wieder verschwand, wird klar: Albert Speer war einer von zahllosen Deutchen, die Nationalsozialisten sein wollten, die ihr Leben und ihr Streben danach ausrichteten. Sie wollten Hitler und damit auch sich selbst zur Macht verhelfen. Speer ragte heraus und ist doch zugleich exemplarisch für all jene, die sich mit ähnlichen, wenngleich bescheideneren Ambitionen so wie er für den Nationalsozialismus engagierten, ihn trugen und gestalteten.
Speer repräsentierte mit seinem Ehrgeiz, seinem Einsatz und seinem Willen zum Erfolg eine nationalsozialistische Funktionselite, wie sie auch in der Verwaltung, in der Justiz, dem diplomatischen Dienst, in der Medizin oder an den Hochschulen die Gesellschaft bestimmte. Ob als Beamte im öffentlichen Dienst – von der Finanzverwaltung bis zu den Fürsorgeeinrichtungen –, als Angestellte und Unternehmer, Landwirte und Akademiker, widmeten sie der nationalsozialistischen Idee ihre Arbeitskraft, der Partei und deren Gliederungen ihre Zeit im Dienste dessen, was sie selbst nicht selten als Idealismus verstanden. Sie glaubten an Hitler und teilten seine politischen Überzeugungen. Sie gestalteten mit ihm den Rassenstaat und organisierten den Eroberungs- und Vernichtungskrieg. Sie verkörperten den Nationalsozialismus. So wie Speer.
Speers Streben in die NSDAP ist nur ein Indikator von vielen. Seine frühe Mitgliedschaft ist ernst zu nehmen als Entscheidung eines Mannes aus dem bürgerlichen Milieu, aus dem sich weitere hunderttausend Gestalter des Regimes rekrutierten. In dieser Perspektive stand Speer für all jene NS-Bürger, die in Führungspositionen strebten, um dafür zu sorgen, dass die Herrschaft funktionierte – die den Rechtsstaat beseitigen halfen, beim Verschwinden ihrer jüdischen Mitbürger zusahen, sich nicht selten an deren Schicksal bereicherten und dabei meinten, eine ganz gewöhnliche Laufbahn zu verfolgen. Wie man das eben tut, wenn man alle Chancen nutzt, die einem das Leben in einem autoritären Selbstbedienungsstaat bietet, der Zugriff auf öffentliche Gelder und das Vermögen seiner Gegner erlaubt und in dem Skrupel oder Gewissen als Schwäche gelten.
Albert Speer war nicht gezwungen, sich für den Nationalsozialismus oder für Hitler einzusetzen. Freiwillig, zielstrebig und eifrig war jeder Schritt seines Einsatzes für dessen Herrschaft, gegen die deutschen Juden und andere Minderheiten, später für den Krieg und die Versklavung von Millionen Menschen. Speer hätte, wie sein Vater, Miets- und Privathäuser, Gewerbebauten, Villen oder das ein oder andere öffentliche Gebäude errichten können. Dabei hätte er sich nicht einmal besonders anstrengen müssen. Als Sohn reicher Eltern war er finanziell unabhängig. Das unterschied ihn von den meisten Angehörigen der NS-Funktionselite, die ihre nationalsozialistische Überzeugung mit der Notwendigkeit verbanden, ihre Familien zu versorgen. Aber auch viele Beamte und Angestellte mussten keine eifrigen Verfechter des neuen Rassenstaates sein. Selbst als führendes Mitglied der Funktionselite konnte man, als der Nationalsozialismus seine Ideologie in die Praxis umsetzte, durchaus beiseite stehen und auf überkommene Prinzipien und Grundrechte verweisen.
Niemand drängte Albert Speer zum Einsatz. Er hätte es sich leisten können, die ethischen und moralischen Grenzen seines Tuns zu definieren und sie nicht zu überschreiten – wenn solche Grenzen für ihn von Bedeutung gewesen wären. Die Freiwilligkeit macht seine Täterschaft auch deshalb besonders markant, weil ihm später ein Kunststück öffentlicher Schizophrenie gelang. Indem er seine Karriere zu einer Art Trance umdeutete, in die er zwölf Jahre lang gefallen sei, nahm er deren Leistungen für sich in Anspruch, um zugleich die Folgen seines Tuns von sich zu schieben. Er hatte beispielsweise auch dann noch unermüdlich weiter Fabriken bauen und Waffen produzieren lassen, als die Niederlage klar erkennbar war. Für diese Erfolge wollte Speer bewundert sein, die dadurch im letzten Kriegsjahr explodierenden Opferzahlen sollten anderen zugerechnet werden.
Auch in dieser Hinsicht war Speer ein typischer Exponent der nationalsozialistischen Funktionseliten: Sie alle taten ja nur ihre Pflicht. Die Generäle führten Krieg, die Euthanasie-Ärzte selektierten »lebensunwertes Leben«, Polizei und Verwaltungsbeamte bekämpften abweichendes Verhalten, enteigneten und deportierten Opfer, Richter orientierten ihre Urteile am Maßstab des »gesunden Volksempfindens«, Journalisten berichteten von tapferen Frontsoldaten, die ferne Regionen eroberten, um dem Reich die Vormachtstellung in der Welt zu sichern, die ihm nach der Natur des ideologischen Kampfes zustand; Akademiker lieferten historische Rechtfertigungen und entwarfen Pläne zur ethnischen Flurbereinigung. Im Empfinden dieser »Eliten« war das alles ganz normal. Auch Speer vermochte ohne jedes Bedenken ein Mordregime zu betreiben und zugleich die Opfer zu ignorieren.
In den 1970er-Jahren, im Glanz der Bewunderung für seine Bekenntnisse, meinte Speer, er würde alles noch einmal genau so tun. Der moralische Abgrund dieser Aussage ist derart bodenlos, dass seine Hörer nicht wahrnahmen, was Speer damit für sich reklamierte: Stolz auf die Errungenschaften seiner gesamten Vergangenheit, von deren Verbrechen er sich ansonsten gern in öffentlich zur Schau gestellter Reuepose distanzierte. Anders lässt sich kaum erklären, dass entsprechende Reaktionen der Fassungslosigkeit nicht überliefert sind.
Dass Speers Aussagen als Zeitzeuge nach 1945 durch und durch verlogen sind und wie virtuos er gegen die Fakten der historischen Überlieferung seine eigenen Fabeln verbreitete, konnte man...
Erscheint lt. Verlag | 5.6.2017 |
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Zusatzinfo | mit Abbildungen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | Arisierung • Drittes Reich • eBooks • Geschichte • Kriegsverbrecher • Lichtdom • Nationalsozialismus • NS-Architektur • Nürnberger Parteitage • Rüstungsminister • Rüstungswunder • Vergangenheitsbewältigung |
ISBN-10 | 3-641-15967-9 / 3641159679 |
ISBN-13 | 978-3-641-15967-2 / 9783641159672 |
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