Was darf die Satire?
Ille & Riemer (Verlag)
978-3-95420-015-3 (ISBN)
Bemerkenswert ist, dass in dieser Ausstellung die brisanten Themen um die Bewertung von Erich Kästners sogenannter „innerer Emigration“ (1933-1945) nur mit Nebenbemerkungen gestreift werden (Kat. S.37), die nur ein eingeweihter Leser einordnen kann.
So wird die teilweise Verbindung Kästners zum Propagandaministerium der Nazis ebenso verklausuliert wie seine zeitweise Duldung, unter Pseudonym unbehelligt und einträglich zu publizieren.
Auch die berechtigte Diskussion um die uneheliche Vaterschaft im Fall von Erich Kästner, die in der damaligen Berliner und Münchener Ausstellung zum 100. Geburtstag des Autors dokumentiert wurde, findet im Literaturhaus nur eine Randbemerkung: »Aus den Spannungen im Elternhaus heraus mag auch später das Gerücht aufgekommen sein, dass Emil Kästner nicht Erichs leiblicher Vater gewesen sei.« (Katalog S.12)
Kein Wort über den vermutlichen Vater, dem Hausarzt der Familie, dem jüdischen Sanitätsrat Dr. Emil Zimmermann. Ein Faktum, das für Kästners Biographie und sein Verhalten mehr als nur eine Randnotiz sein dürfte – ein jüdischer Vater barg doch ein erhebliches Gefahrenpotential für Leib und Leben im Deutschland der Jahre 33-45.
In seinem Buch »Was darf die Satire? Kurt Tucholsky und Erich Kästner – ein kritischer Vergleich« versucht Literaturprofessor Harald Vogel die ausgesparte Diskussion in seinen kritischen Vergleich einzubeziehen und die ausgeblendete Diskussion neu zu beleben und zu belegen. Als Diskursfolie eignet sich dabei der korrespondierende Vergleich der beiden Weltbühne-Autoren Kurt Tucholsky und Erich Kästner.
»Die Zeit schreit nach Satire«
Kurt Tucholsky (1890-1935) hat nicht nur die Zeichen der Zeit erkannt und diagnostiziert, sondern auch öffentlichkeitskritisch in der Weltbühne die Grundsatzfrage gestellt Was darf die Satire? Sein jüngerer Schriftstellerkollege in der Weltbühne Erich Kästner (1899-1974) antwortet mit einem Beitrag über Sinn und Zweck der Satire.
Beide berühmten Schriftsteller der Weimarer Zeit müssen sich messen lassen an ihren Texten, ein kritischer Vergleich ist angesagt. Dieser Diskurs muss aber auch beide Persönlichkeiten auf dem Hintergrund ihrer jeweiligen Biographie und ihres Gesamtwerkes sowie ihres Persönlichkeitskonzeptes würdigen. Ein solcher kritischer Vergleich der beiden engagierten Schriftsteller wird gerne vermieden, drängt sich aber aufgrund neuerer Erkenntnisse aus freigegebenen Nachlassquellen als notwendig auf.
Die besondere Leidenschaft und ihr Erfolg als Kabarettautoren soll gesondert und beispielgebend untersucht werden.
Der kontroverse Diskurs über Kurt Tucholskys satirischen Satz »Soldaten sind Mörder« vermittelt exemplarisch die literarische, publizistische, juristische, politische Debatte über satirische und Texte und Karikaturen. Diese kann daher auch didaktisch in der immer wieder aktuellen Auseinandersetzung um Angemessenheit und Notwendigkeit freiheitlichen Protestes gegen Unmenschlichkeit und Grundrechte mit journalistisch und medial begleiteten Mitteln erörtert werden.
Die Texte, Bildmedien sind austauschbar, ihr Anspruch auf Kritik nicht: also ein lohnenswerter Anstoß zum kritischen Dialog, den dieses Buch vielfältig und materialreich anbietet.
Der Autor Prof. Dr. Harald Vogel ist emeritierter Professor für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik, Spiel- und Theaterpädagogik. Promotion über Thomas Mann. Arbeiten u. a. zur deutschsprachigen jüdischen Literatur; Herausgeber und Autor der Reihe Leseportraits (bisher: Tucholsky, Kästner, Rose Ausländer, Brecht, Frisch und Fried). Leiter der Lyrik-Bühne Esslingen (www.lyrik-buehne.de).
Durch den Blick auf die politische Literatur der beiden Männer wird zudem das Buch nicht nur zu einer vergleichenden Studie, sondern bietet auch eine gute Einführung in das Wesen der Satire, das vor allem Kurt Tucholsky in seinem berühmten Aufsatz analysierte. Viele kennen davon nur das Schlagwort: „Was darf Satire? Alles!“, oftmals wird es auch verfälscht und verkürzt missbraucht – es lohnt sich, den Text in ganzer Länge zu lesen.
Ausgespart werden kann bei diesem Vergleich freilich keinesfalls die Rolle Kästners im Nationalsozialismus, die, wie mittlerweile durch neuere Forschungen belegt, durchaus kritischer beurteilt werden muss, zumindest, so Vogel, verfing sich Kästner in „seinen eigenen Ängsten und Widersprüchen sowie moralisch fragwürdigen Kompromissen.“
Kurt Tucholsky dagegen, man weiß es aus seiner Biographie, ging keine Kompromisse ein. Vorstellbar ist, was ihm geschehen wäre, wären die Nazi-Schergen seiner habhaft geworden. Er ging die Lebensstufen bis zum letzteren bitteren Schritt. Aber am Ende treffen sich die beiden Männer hier doch wieder in einer Art Gemeinsamkeit: Sowohl Tucholsky als auch Kästner, verzweifelten wohl letzten Endes an ihren Lebensumständen, an der Welt, die sie nicht „gut schreiben“ konnten.
(Birgit Böllinger, 29.März 2016)
https://birgit-boellinger.com/2016/03/29/erich-kaestner-tucholsky-satire/
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2015 |
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Reihe/Serie | ilri Bibliothek Wissenschaft |
Verlagsort | Leipzig, Weißenfels |
Sprache | deutsch |
Maße | 148 x 210 mm |
Einbandart | kartoniert |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Unterrichtsvorbereitung ► Sekundarstufe II |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 | |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Germanistik | |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Literaturwissenschaft | |
Schlagworte | Die Weltbühne (Zeitschrift) • Erich Kästner • Erich Kästner; Leben und Werk • Kästner, Erich; Unterrichtsmaterialien • Satire • Satire /Unterrichtsmaterial • Tucholsky, Kurt • Tucholsky, Kurt; Interpretationen |
ISBN-10 | 3-95420-015-5 / 3954200155 |
ISBN-13 | 978-3-95420-015-3 / 9783954200153 |
Zustand | Neuware |
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