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»Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin« (eBook)

Das verwaltete Verschwinden jüdischer Nachbarn und ihre schwierige Rückkehr

(Autor)

eBook Download: PDF | EPUB
2006 | 1. Auflage
280 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-40239-0 (ISBN)
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Schöneiche ist ein ruhiger, grüner Ort im Speckgürtel von Berlin. 1933 waren 170 der 5000 Einwohner jüdisch - ein paar Jahre später waren die jüdischen Nachbarn verschwunden, in ihren Häusern wohnten andere. Geschah das wirklich unbemerkt? Wer organisierte das Verschwinden der Menschen und wohin kamen ihre Möbel, ihre Fahrräder und ihr Hausrat?

Jani Pietsch, Politikwissenschaftlerin und Historikerin, lebt als freie Autorin und Sachbuchlektorin in Schöneiche bei Berlin. Sie organisierte 2001 eine Ausstellung zum Thema, die im Brandenburgischen Landtag, der Staatskanzlei Potsdam und in der Kleinen Synagoge in Erfurt zu sehen war.

Jani Pietsch, Politikwissenschaftlerin und Historikerin, lebt als freie Autorin und Sachbuchlektorin in Schöneiche bei Berlin. Sie organisierte 2001 eine Ausstellung zum Thema, die im Brandenburgischen Landtag, der Staatskanzlei Potsdam und in der Kleinen Synagoge in Erfurt zu sehen war.

Inhalt 6
I. Inmitten der Peripherie Eine Einführung 8
II. Geflüchtet 27
Daten und Fakten zur Emigration 27
Wir vier sind G’tt sei Dank gesund Briefe in die Emigration 32
Keine Kunst in Großbritannien 46
Friedhof Shanghai 53
Mit Lenin und Stalin nach Prag, Paris und London 58
III. Deportiert 72
Daten zu Deportationen und Mord 72
Nach Osten 79
Wir müssen verreisen 82
Der Tod vor der Deportation 94
IV. Untergetaucht 99
Daten zur Flucht in die Illegalität 99
Mit 67 Jahren in den Untergrund 101
Beim Maurermeister 109
Zivilcourage in Uniform 115
V. Geschützt? 118
Daten zu jüdisch-nichtjüdischen Familien 118
Karriere geht vor 124
Zu Juden gemacht 137
Ein Glück 146
Katholische Witwe mit sieben Kindern 152
VI. Verwaltet und entschädigt 162
Daten zur Entschädigung in Ost und West 162
Stadtschularzt will seinen Arbeitsplatz zurück 171
Anerkennung als rassisch Verfolgter verweigert 179
Haus gegen Leben 185
Chronologie eines Gartens 192
VII. Die Namen der jüdischenSchöneicher 208
VIII. Anhang 210
1. Anmerkungen 210
2. Archive 268
3. Nicht veröffentlichte Quellen 269
4. Interviews 269
5. Veröffentlichte Quellen 270
6. Literatur 272
7. Abbildungsnachweis 279
8. Abkürzungen 280
Dank 281

Beim Maurermeister Sally Simoni und Franz Künkel sind seit Ende der 30er Jahre beruflich miteinander bekannt.1 Franz Künkel ist Maurerpolier und lebt seit 1920 in einem Ortsteil von Schöneiche, der Villenkolonie genannt wird. Künkels Haus ist jedoch keine Villa. Franz und seine Frau Emma haben selbst gebaut, Verwandte haben mitgeholfen. Wie ein Spielzeugwürfel mit angebauter Veranda liegt ihr graues Steinhäuschen in der Lindenstraße. Der am 10. Mai 1905 geborene Sally Simoni ist Schneider und könnte vom Alter her fast der Sohn von Künkels sein. Der Junggeselle wohnt mit den Eltern in einer winzigen Schneiderwerkstatt in der Landsberger Allee 10 am Berliner Friedrichshain. Im vorderen Raum wird zugeschnitten, genäht und gebügelt, in den hinteren Zimmern wohnt die Familie. Im Jahr 1939 ist ihre Schneiderei einer von 5.800 jüdischen Handwerksbetrieben im Deutschen Reich, die unter Zwang geschlossen werden.2 Irgendwann in dieser Zeit sagt Franz zu Sally, »Wenn mal was ist, kannst du dich melden.« Sally Simoni ist Jude. Franz Künkel nicht. »Wir helfen dir, soweit möglich.« Als Sozialdemokrat hat er in etwa eine Vorstellung davon, was Verfolgung heißt. Im Frühjahr 1943 ist es soweit. Am 27. Februar wird Sally Simoni an seiner Arbeitsstelle, den Märkischen Kabelwerken in der Berliner Jungfernheide, verhaftet. Die Massenverhaftung der über 10.000 noch in Berlin verbliebenen Juden, die mit einem arischen Ehepartner verheiratet sind, einer solchen Ehe entstammen oder in einem kriegswichtigen Betrieb arbeiten, wird gefolgt von der Deportation von mehr als 6.000 Juden zwischen dem 1. und 4. März 1943.3 Hertha Bock, eine der beiden Schwestern von Sally, und ihr Mann Kurt gehören zu den Deportierten.4 Auch in Breslau, Dresden und in anderen Städten werden Juden verhaftet, die - wie Sally - in der Rüstungsproduktion Zwangsarbeit leisten. Die mit Hilfe der Waffen-SS überfallartig durchgeführte Razzia der Gestapo steht unter dem Motto »Berlin wird judenfrei«. Auf Lastwagen werden die jüdischen Zwangsarbeiter morgens um acht Uhr von ihren Arbeitsplätzen in den Hof der ehemaligen Synagoge in der Charlottenburger Levetzowstraße geschafft. Im ersten Durcheinander gelingt es Sally Simoni, sich unbemerkt unter einen der Lastwagen zu werfen. Stundenlang harrt er dort aus, ohne sich zu bewegen. Es ist bereits Nacht, als die Türen des Fahrerhauses aufgerissen werden und der Motor anspringt. Der 38-jährige Sally Simoni klammert sich an dem öligen Gestänge unter dem Lastwagen fest und schafft es, sich daran festzuhalten, während der LKW das Tor passiert und in die Straße einbiegt. An der nächsten Ecke lässt Sally los. Noch im Aufschlagen auf dem Pflaster sieht er die rot leuchtenden Schlusslichter, der Wagen rumpelt weiter. Sally Simoni verliert keine Zeit. Bereits im Gehen reißt er den Stern von der Jacke ab, dann erst klopft er den Straßenstaub von seinen Sachen. Auf direktem Weg läuft er den weiten Weg quer durch die Stadt bis zur Landsberger Allee. Er weiß, dass seine Eltern noch zu Hause und ebenfalls in Gefahr sind, deportiert zu werden. Er lässt ihnen kaum Zeit, eine Strickjacke oder Wäsche zum Wechseln in eine Tasche zu packen, bevor sie die vertraute Umgebung hinter sich lassen.

Erscheint lt. Verlag 13.3.2006
Zusatzinfo 129 s/w Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Berlin • DDR • Deutschland • Enteignung • Judenverfolgung • Jüdische Geschichte • Nationalsozialismus
ISBN-10 3-593-40239-4 / 3593402394
ISBN-13 978-3-593-40239-0 / 9783593402390
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