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Fair Pay (eBook)

EU-konforme und diskriminierungsfreie Gehaltssysteme - die EU-Entgelttransparenzrichtlinie sicher umsetzen für mehr Lohngerechtigkeit, faire Vergütung und Chancengleichheit
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
278 Seiten
Haufe Verlag
978-3-648-18075-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fair Pay -  Stefan Waschmann
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In Zeiten von Gender Pay Gap, Fachkräftemangel und Generation Z benötigen wir faire, transparente und diskriminierungsfreie Entgeltsysteme. Bisherige Vergütungssysteme sind längst nicht mehr zeitgemäß, in denen soziale Kompetenzen und Belastungen vernachlässigt wurden. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die bis Juni 2026  geschlechterneutrale Entgeltsystem vorschreibt, setzt dafür neue Standards.  Dr. Stefan Waschmann ist selbstständiger Berater für Entgeltsysteme und Vorkämpfer für 'Fair Pay'. Sein Buch hilft dabei, Schwächen in Vergütungssystemen zu erkennen, analysiert die durch die Entgelttransparenzrichtlinie erforderlichen Veränderungen und skizziert ein diskriminierungsfreies Fair-Pay-Gehaltssystem. Er versteht dabei die von der EU vorgegebenen Kriterien zur Funktionsbewertung als Chance. Diese bilden die Grundlage für eine Equal-Pay-Stellenbewertung, die heutigen Anforderungen wie Innovation, Anpassungsfähigkeit, psychosozialen Belastungen und sozialer Verantwortung gerecht wird. Inhalte: - Der hartnäckige Gender Pay Gap - Bestandsaufnahme: die zerklüfteten Gehaltssysteme Mitteleuropas - Paradigmenwechsel Entgelttransparenz-/Lohntransparenzrichtlinie (ETRL) - Fair-Pay-Stellenbewertung: Grundsätze, Struktur und Kriterien - Die optimale Lohnkurve - Abgeltung atypischer ArbeitszeitenDie digitale und kostenfreie Ergänzung zu Ihrem Buch auf myBook+: - Zugriff auf ergänzende Materialien und Inhalte - E-Book direkt online lesen im Browser - Persönliche Fachbibliothek mit Ihren BüchernJetzt nutzen auf mybookplus.de.

Dr. Stefan Waschmann ist Politikwissenschaftler, selbstständiger Berater für Entgeltsysteme und Betreiber des Infoportals 'Lohntransparenz'.

Stefan Waschmann Dr. Stefan Waschmann ist Politikwissenschaftler, selbstständiger Berater für Entgeltsysteme und Betreiber des Infoportals "Lohntransparenz".

1.1 Das Gehaltsparadoxon: Arbeitskräftemangel, Working Poor und Gender Pay Gap


Die Frage nach »fairem Gehalt« oder »dem richtigen Gehalt« ist an der sensiblen Schnittstelle von Gehaltspolitik und Gesellschaftspolitik zu Hause. Bevor wir also sagen können, was ein faires Gehaltssystem ausmacht, müssen wir uns den »Problembären« widmen, die eine Beschäftigung mit der Materie erst notwendig machen: Es geht zuallererst um die unangenehme Fragen nach dem (hartnäckigen) Gender Pay Gap, dann um die Frage, wieso sich im reichen Mitteleuropa Menschen vom Vollzeitgehalt das Leben nicht leisten können, und schließlich um die Frage: Was ist eigentlich fair?

1.1.1 Den Gender Pay Gap kann man nicht weglächeln


Männer verdienen in Europa noch immer signifikant mehr als Frauen. Die notwendige Bekämpfung dieses Gender Pay Gaps war die Hauptursache für die Entstehung der Entgelttransparenzrichtlinie (synonym: Lohntransparenzrichtlinie, abgekürzt: ETRL), da vorhergehende Maßnahmen nicht die gewünschten Erfolge lieferten. Und die letzten Jahre stagnierte die Reduktion des Gender Pay Gap im DACH-Raum weitgehend (Eurostat, 2024a):

  • Österreich und Deutschland waren lange Zeit in einer Aufholjagd zu Equal Pay und haben ihren Gender Pay Gap jeweils von über 22 % auf 18–19 % reduziert. Seit zwei Jahren verharren die Werte beider Länder nun in diesem Bereich. Und damit weit über EU-Schnitt.

  • Die Schweiz, mit einer stellenweisen Durchdringung von Stellenbewertungen (v. a. in Produktionsbereichen und der – hier irrelevanten – öffentlichen Hand) und frühen Maßnahmen zu Equal Pay, wurde damit von Österreich und Deutschland eingeholt. Der Gipfelstürmer Schweiz wurde zum Durchschnitt.

  • In der Realität liegt der Gender Pay Gap wohl noch höher als öffentlich wahrgenommen: Eurostat1 inkludiert nur Organisationen mit zehn oder mehr Angestellten, was positiv verzerren kann. In nationalen Statistiken werden oft Beamtinnen und Beamte sowie andere öffentlich Bedienstete in den Gender Pay Gap miteingerechnet. Dieser fällt dann meist niedriger aus, da öffentliche Arbeitsstellen in der Regel diskriminierungsfreier entlohnen als private Arbeitsstellen.2 In Österreich beispielsweise liegt der Gender Pay Gap 2022 bei Angestellten bei knapp 30 % (Arbeiter:innen: 26 %), bei Vertragsbediensteten (einer Vertragsart ähnlich zu einem öffentlichen Tarifvertrag) bei nur rund 5 % (Statistik Austria, 2023a).

Abb. 1: »Unbereinigter«3 Gender Pay Gap auf Stundenbasis (TZ-bereinigt), Wirtschaftsunternehmen mit zehn oder mehr Beschäftigten

Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion steht neben der (empirisch unbestrittenen) Existenz des Gender Pay Gap die Frage nach den Ursachen für dieses Gehaltsgefälle. In Deutschland kann der »bereinigte« Gender Pay Gap nur etwa die Hälfte4 des Lohnunterschieds durch Faktoren wie Bildung, Alter etc. erklären (Klammer et al., 2018, S. 66). Österreich kommt gar auf 68,4 % unerklärbaren Gender Pay Gap (Geisberger & Glaser, 2021, S. 443). Dieser restliche Anteil des Gender Pay Gap wird in aktueller Literatur (Klammer et al., 2018, S. 12) insbesondere durch den »Bewertungseffekt«5 – also die ungleiche Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit – erklärt. Der unerklärbare Anteil des Gender Pay Gap ist alsdann eigentlich erklärbar – allerdings durch diskriminierende Faktoren bzw. schief stehende Bewertungen aller Art (Klammer et al., 2018, S. 59).

Das heißt also: Wenn die üblichen erwartbaren unabhängigen Variablen (Alter, Ausbildung etc.) den Gender Pay Gap nur zu einem Drittel bis zwei Drittel erklären können – dann muss der Hund irgendwo in der Bewertung und/oder der Einreihung begraben liegen. Denn wenn Einreihungen nicht stimmen (oder die Überzahlungen), dann liegen zwei Ursachen auf der Hand:

Einerseits werden wir direkte toxische Diskriminierungen durch die Vertragserstellenden – wie geringere Überzahlungen oder Ähnliches – in einem Ursachengemisch aus Frauenfeindlichkeit, Geringschätzung oder Teilzeit-Diskriminierungen vorfinden. Diese Aspekte sind Anwendungsprobleme, die durch strengere Entgeltberichte (wie in der Lohntransparenzrichtlinie vorgesehen) aufgedeckt werden können. Denn selbst wenn ein komplett faires Bewertungssystem dahinterliegt, kann eine diskriminierende Behandlung von Frauen durch die Anwendenden (z. B. durch niedrigere Prämien bei gleicher Zielerreichung für Frauen) zu erheblichen Schiefständen führen.

Andererseits kommen wir zu des Pudels Kern: Ein Gutteil des Gender Pay Gap sollte ausräumbar sein, wenn Bewertungssysteme geschlechtsneutral werden und die Dominanz der Macho-Kriterien (physische Stärke, Verantwortungen etc.) gekappt wird. Sarah Kutzner (2016, S. 143) berichtet zu einem Vortrag von Sarah Lillemeier6, die den Bogen vom Gender Pay Gap zu den Schwächen aktueller Grading-Systeme gekonnt spannt:

»Bei der systematischen Unterbewertung der Arbeit von Frauen handele es sich demnach um evaluative Diskriminierungen als Folge vergeschlechtlichter Arbeitsbewertungen. Schon die Verfahren der Arbeitsbewertung bärgen solche evaluativen Diskriminierungspotenziale in sich. Das drücke sich u. a. darin aus, dass psychosoziale Belastungen, die häufiger im Rahmen frauendominierter Arbeitsplätze relevant seien, nicht bei der Bewertung berücksichtigt würden.«

Empirisch wurde diese Aussage 2018 durch den »Paarvergleich« (Klammer et al., 2018) eindrucksvoll belegt. Der auf den ersten Blick irreführende Begriff »Paarvergleich« bezieht sich im Übrigen darauf, dass über eine Abakaba-basierte Bewertung (siehe auch Kapitel 1.4.3) ermittelte gleichwertige Jobs mit jeweils besonders hohem und besonders niedrigem Frauenanteil finanziell verglichen wurden. Somit wurde ein Vergleich gleichwertiger Jobs vorgenommen. Das Ergebnis: Trotz Gleichwertigkeit sind typische Frauenberufe strukturell schlechter bezahlt.

Die zugrunde liegenden Bewertungssysteme sind also mit männerbegünstigenden Kriterien (wenn ein Tarifvertrag beispielsweise zwar Anforderungen an die Muskelkraft hoch bepunktet, aber psychosoziale Belastungen gar nicht honoriert) ausgestattet oder anderweitig diskriminierend – sofern überhaupt strukturierte Bewertungssysteme bestehen. In zahlreichen Tarif- und Kollektivverträgen wird mangels strukturierter Jobbewertung die Einreihung anhand von Prosa-Zweizeilern mehr gewürfelt als analytisch vorgenommen.

Genau dieses Problem wollen wir in diesem Buch angehen: Am Ende steht die Blaupause für ein faires System zur Jobbewertung und Gehaltsermittlung. Denn bisher sind männerfördernde Arbeitsbewertungen eine Hauptursache des Gender Pay Gap.

1.1.2 Faires Gehalt als Eckpfeiler der Arbeitszufriedenheit


In den vergangenen Jahren erlebten wir – ebenfalls angetrieben durch den bereits beginnenden Arbeitskräftemangel – eine Vielzahl an mehr oder weniger weit hergeholten Konzepten zur Verbesserung der gelebten oder wahrgenommenen Fairness im Job. Davon kommen einige aus der Nähe des Gehaltsbereichs (z. B. Maßnahmen zu einer besser mit der Familie verträglichen Arbeitszeit für Verkaufs- oder Schichtpersonal), andere hatten beinahe Selbsthilfe-Charakter: Von intrinsischer Motivation über sinnvolle Arbeit bis zu Typologien zur »natürlichen« Rollenfindung erstreckte sich das Buzzword-Bingo. Der Esoterik-Bauchladen feierte fröhliche Urständ. Francis Green (2006, S. 111) fasst diese teilweise irritierenden Ansätze als eine Anlass zur Sorge gebende Vision zusammen, in der das Bedürfnis nach erfüllender und kreativer Arbeit materielle Bedürfnisse – vermeintlich – in den Hintergrund drängt.

Dabei ist Arbeit, die aufs Karma einzahlt, aber nicht für die Miete reicht (mangels ausreichenden Gehalts), ungesund für alle Beteiligten, insbesondere aber die Beschäftigten. Alle Maßnahmen auf motivatorischer und kultureller Ebene benötigen als Fundament zuallererst harte Fakten – und das ist vor allem ein faires Gehalt.

Daher treten wir zunächst einen Schritt zurück und stellen uns die Frage: Was ist Fairness eigentlich? Einig ist sich die Literatur – z. B. Green (2006, S. 111), der wiederum Adams (1965) und Akerlof (1982) zitiert –, dass ein Gehalt dann als fair empfunden wird, wenn sich die Gehaltshöhe am Beitrag der einzelnen Beschäftigten zum Unternehmenserfolg orientiert. Der Teufel liegt hier allerdings im Detail – nämlich bei der Frage: Wie hoch schätzen die einzelnen Beteiligten – von den Callcenteragents bis zum CEO – ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg ein?

  • Abgehobene Managementgehälter können sonst grundsätzlich faire Gehaltssysteme in der Wahrnehmung der Arbeitskräfte übertünchen (Green, 2006, S. 112). Auch wenn das eigene Gehalt in einem solchen Fall fair hergeleitet wird, wird es nie als fair empfunden werden, wenn das Management trotz mittelmäßiger Unternehmenszahlen Boni in Millionenhöhe erhält. Erklärungsversuche werden kläglich scheitern, wenn diese Boni weder aus der Perspektive der Leistungsgerechtigkeit (Welche Leistung rechtfertigt ein 30-fach höheres Gehalt?) noch der Bedarfsgerechtigkeit (Welchen Bedarf hat das Management, der ein...

Erscheint lt. Verlag 7.8.2024
Reihe/Serie Haufe Fachbuch
Verlagsort Freiburg
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Betriebswirtschaft / Management
Schlagworte Agil • Arbeitsplatz • diskriminierungsfrei • Entgelt • Equal Pay • EU-konform • EU-Lohntransparenz-Richtlinie • Fachkräftemangel • fair pay • Gehaltssystem • Gender • Stefan Waschmann • Stellenbewertungssystem • Vergütungssystem
ISBN-10 3-648-18075-4 / 3648180754
ISBN-13 978-3-648-18075-4 / 9783648180754
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