Wirtschaft verstehen (eBook)
408 Seiten
Schäffer-Poeschel Verlag
978-3-7910-5984-6 (ISBN)
Prof. Dr. Herbert Sperber lehrt Finanzmanagement, Volkswirtschaft und Bankwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.
Herbert Sperber Prof. Dr. Herbert Sperber lehrt Finanzmanagement, Volkswirtschaft und Bankwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Markus Mändle Prof. Dr. Markus Mändle ist Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Kooperationswesen und Prorektor der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.
1.5 Der deutsche Weg: Die Soziale Marktwirtschaft
Ludwig Erhard (1897–1977) war von 1949 bis 1963 Bundeswirtschaftsminister im Kabinett des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer. In diesem Amt wurde Erhard zum »Vater des Wirtschaftswunders«. Von 1963 bis 1966 war er deutscher Bundeskanzler.
Die Aufhebung der Preiskontrollen bildete den Beginn des »deutschen Wirtschaftswunders«
Der 20. Juni 1948 gilt gemeinhin als Geburtstag der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Ludwig Erhard (1897–1977), zu dieser Zeit Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in dem Teil Deutschlands, den Briten und Amerikaner – drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – besetzt hielten, ließ bekannt geben, die Preisbindung werde weitgehend aufgehoben. Erhard war davon überzeugt, dass die am gleichen Tag in Gang gesetzte Währungsreform, die Einführung der D-Mark, alleine nichts an der Mangelwirtschaft würde ändern können, in der Waren rationiert und gehortet wurden. Er wollte die Währungsreform daher mit einer Wirtschaftsreform verbinden. Sie sollte dafür sorgen, dass sich Arbeitsleistung und Unternehmergeist entfalten konnten. Die wichtigste Voraussetzung dafür war nach seiner Ansicht, den Preismechanismus wieder zuzulassen. Der Staat sollte nicht länger die Preise diktieren, diese sollten sich vielmehr am Markt als Ergebnis von Angebot und Nachfrage bilden. Man muss sich die damalige Situation vorstellen: Die Güterpreise und Verkaufsmengen wurden gesetzlich festgelegt. Was es auf Bezugsschein gab, war billig. Zehn Reichsmark kosteten die auf Karte erhältlichen Lebensmittel für einen Monat, sie reichten aber nicht zum Leben. Konsumgüter gab es zu den verordneten Preisen nicht im Laden zu kaufen, auf dem verbotenen Schwarzmarkt hingegen gab es alles, aber exorbitant teuer. Ohne Tauschhandel und Schwarzmarkt wären viele Menschen verhungert.
Mit der Freigabe der Preise gelang Erhard eine historische Weichenstellung in Richtung Marktwirtschaft. Die Öffentlichkeit war ebenso überrascht wie die Alliierten. »Alle meine Berater sind gegen Ihr Vorgehen«, kritisierte der amerikanische Oberbefehlshaber Clay. »Meine Berater auch«, entgegnete Erhard. Unterstützung erhielt Erhard nur von wenigen, denn in allen Parteien, auch in der CDU, überwogen damals planwirtschaftliche Ansätze.
Auch wenn die Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft ihm zuerkannt wird: Ludwig Erhard plädierte keineswegs für staatliche Maßnahmen zum Zwecke des sozialen Ausgleichs. Er sprach sich vielmehr in erster Linie für eine marktwirtschaftliche Ordnung aus. Als zentrale Bauelemente der Sozialen Marktwirtschaft sah Erhard offene Märkte, eine stabile Währung und vor allem die Sicherstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbs.
Allgemeiner Wohlstand entstehe nicht durch Umverteilung, sondern nur durch wirksamen Wettbewerb und »Wachstum für alle« – dies ist nach Erhard auch die beste Sozialpolitik. Einen Widerspruch zwischen Markt und sozialer Gerechtigkeit sah er somit nicht. Im Gegenteil: Erhard wandte sich entschieden gegen den Ausbau des Sozialstaats, beginnend mit der Rentenreform 1957. Er befürchtete eine Entwicklung zum Versorgungsstaat, der die Eigenverantwortung untergrabe. Sein Widerstand war freilich erfolglos, ebenso die berühmten Appelle zum »Maßhalten«, als er Kanzler wurde und die Ansprüche der Bevölkerung weiter steigen sah. Erhards Kanzlerschaft endete 1966 als Folge einer konjunkturellen Schwächephase.
Alfred Müller-Armack Der deutsche Ökonom und Soziologe (1901–1978) leitete von 1952 bis 1957 als enger Mitarbeiter Ludwig Erhards die Abteilung Wirtschaftspolitik und die Grundsatzabteilung im Bundeswirtschaftsministerium.
Den eigentlichen Begriff der Sozialen Marktwirtschaft prägte Alfred Müller-Armack (1901–1978). Der Ökonom und Soziologe lehrte an der Universität Köln, wechselte 1952 ins Wirtschaftsministerium (unter Erhard) und wurde Staatssekretär für Europa. Müller-Armack setzte sich dafür ein, die Kraft des Marktes als Wohlstandsmotor mit dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden.
Wie Ludwig Erhard und die Vertreter des so genannten Ordoliberalismus (siehe unten) sah er es als Aufgabe des Staates an, den wettbewerblichen Rahmen zu setzen und für stabiles Geld zu sorgen. Eine wichtige Säule der Sozialen Marktwirtschaft bildet insofern das 1957 verabschiedete – und seitdem mehrfach überarbeitete – Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) – kurz »Kartellgesetz« genannt.
Kernpunkte der Sozialen Marktwirtschaft
Das GWB ist die »Magna Charta« des deutschen Wettbewerbsrechts. Es beinhaltet das Verbot von Kartellen (also von vertraglich fixierten Preisabsprachen zwischen Unternehmen), die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen und die Bekämpfung des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen.
Müller-Armack erkannte darüber hinaus der Sozialpolitik eine größere Bedeutung zu, als es die Ordoliberalen taten. Wesentliches Instrument des sozialen Ausgleichs ist heute die Verteilungspolitik, also etwa der progressive Einkommensteuertarif, und das System der sozialen Sicherung in Form der gesetzlichen Renten-, Arbeitslosen-, Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie der Sozialhilfe. Hinzu treten die so genannte Globalsteuerung, wie sie 1967 im »Stabilitätsgesetz« verankert wurde, und weitere Maßnahmen der Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Umwelt- und Strukturpolitik.
Konzeptionen der Ordnungspolitik im historischen Zusammenhang
Nachstehend werden die wichtigsten ordnungspolitischen Konzeptionen im historischen Zusammenhang dargestellt. Zum Verständnis: Eine ordnungspolitische Konzeption ist die theoretische Grundlage – sozusagen das Leitbild – eines entsprechenden Wirtschaftssystems bzw. ist – wie im Fall der Sozialen Marktwirtschaft – mit diesem gleichzusetzen. Im Zeitablauf haben sich folgende Modelle herauskristallisiert:
Merkantilismus
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Der Merkantilismus (ab Ende des 16. Jahrhunderts) hatte vor allem das Ziel, die Staatseinnahmen zu steigern und versuchte hierzu, eine positive Leistungsbilanz zu erreichen, indem einerseits möglichst viele Waren exportiert und andererseits möglichst wenig Waren ins Land gelassen wurden. Der Merkantilismus ist geprägt durch Staatseingriffe und Interventionismus. Haupteinnahmequelle des Staates waren neben den Steuern die Erlöse aus eigenen Betrieben.
Klassischer Liberalismus
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Der klassische Liberalismus (ab Mitte des 18. Jahrhunderts) ging im Zuge der Industrialisierung von England aus. Hauptvertreter waren John Locke, David Hume und Adam Smith. Als Reaktion auf die staatliche Bevormundung im Merkantilismus sollte der Staat im klassischen Liberalismus möglichst wenig Einfluss ausüben. Er hatte Eigentums- und Vertragsschutz zu gewährleisten und nur bestimmte Kernaufgaben wahrzunehmen. Ansonsten genießt die freie Preisbildung und Koordination auf Märkten oberste Priorität. Ungleiche Einkommensverteilung, soziale Härten sowie Machtkonzentration von Unternehmen waren zugunsten der allgemeinen Wohlstandssteigerung zu akzeptieren.
Sozialismus und Marxismus
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Der Sozialismus entstand im 19. Jahrhundert im Zuge der aufkommenden sozialen Notlagen und Probleme. Eine wichtige Rolle spielten Karl Marx und Friedrich Engels, die im Marxismus das Ziel der klassenlosen Gesellschaft des Kommunismus propagierten. Ihre Ideen beinhalten den Gedanken einer »Diktatur des Proletariats«, Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln sowie zentrale Planung. Privateigentum führte nach Vorstellung der Sozialisten und Marxisten zur Ausbeutung der Arbeiterklasse, unternehmerischen Gewinn erachteten sie als vorenthaltenen Lohn, dezentrale Koordination mündete ihrer Meinung nach in wirtschaftliche Krisen infolge von Überproduktion, die letztlich den Untergang des Kapitalismus bewirken sollen.
Neo- oder Ordoliberalismus
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Der Neo- oder Ordoliberalismus (beginnend Anfang der 1930er-Jahre mit der Gründung der »Freiburger Schule« durch Walter Eucken und Franz Böhm) stellte die Verwirklichung einer Wettbewerbsordnung auf der Grundlage des Privateigentums in den Mittelpunkt. Sein Ideal war individuelle Freiheit mit vollständiger Konkurrenz auf allen Märkten. Ein starker Staat sollte die dafür notwendigen Rahmenbedingungen setzen, insbesondere durch konsequente Wettbewerbspolitik wirtschaftliche Machtkonzentration verhindern. Eine wichtige Rolle wurde von Eucken zudem der Eigenverantwortung der Unternehmen und – damit verbunden – der privaten Haftung zuerkannt. Weitere Vertreter dieser Denkrichtung waren Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke. Nicht selten wird der Ordoliberalismus als deutsche Form des Neoliberalismus gedeutet, zu dem zuweilen auch andere Konzepte wie die Chicago School von Milton Friedman oder die Austrian School von Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek zählen.
Soziale Marktwirtschaft
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Die Soziale Marktwirtschaft ist das wirtschaftspolitische Leitbild Deutschlands. Wie oben ausgeführt, wird hier versucht, die Leistungsfähigkeit des marktwirtschaftlichen Systems mit dem Ziel des sozialen Ausgleichs zu verbinden. Privateigentum und Leistungswettbewerb werden als Garant von Freiheit und Wohlstand angesehen. Sie...
Erscheint lt. Verlag | 17.10.2024 |
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Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Volkswirtschaftslehre |
Schlagworte | Ausbildung • Börse • Devisenmärkte • Entwicklung • Finanzpolitik • Finanzwirtschaft • Geldpolitik • Globalisierung • internationaler Wirtschaftszusammenhang • Konjunktur • Lernmodule • Märkte • Nachhaltigkeit • Preisbildung • Produktion • Sperber • Staatshaushalt • Studium • Umwelt • Wirtschaft |
ISBN-10 | 3-7910-5984-X / 379105984X |
ISBN-13 | 978-3-7910-5984-6 / 9783791059846 |
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