Exnovation und Innovation (eBook)
252 Seiten
Schäffer-Poeschel Verlag
978-3-7910-6149-8 (ISBN)
Prof. Dr. min. Sandra Bils (GFU) ist Theologin und arbeitet als Organisationsentwicklerin seit vielen Jahren im strategisch-innovativen Bereich. Sie begleitet deutschland- und europaweit Transformationsprozesse, besonders im kirchlichen Feld. Neben ihrer Praxiserfahrung bringt Sandra Bils auch theoretische Zugänge mit. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur für Kirchenentwicklung an der CVJM-Hochschule in Kassel beschäftigt sich Sandra Bils mit Fragen der Organisationsentwicklung in Wissenschaft, Lehre und Forschung. Sie ist Mitherausgeberin der Interdisziplinären Studien zur Transformation.
Sandra Bils Prof. Dr. min. Sandra Bils (GFU) ist Theologin und arbeitet als Organisationsentwicklerin seit vielen Jahren im strategisch-innovativen Bereich. Sie begleitet deutschland- und europaweit Transformationsprozesse, besonders im kirchlichen Feld. Neben ihrer Praxiserfahrung bringt Sandra Bils auch theoretische Zugänge mit. Im Rahmen ihrer Honorarprofessur für Kirchenentwicklung an der CVJM-Hochschule in Kassel beschäftigt sich Sandra Bils mit Fragen der Organisationsentwicklung in Wissenschaft, Lehre und Forschung. Sie ist Mitherausgeberin der Interdisziplinären Studien zur Transformation. Gudrun L. Töpfer Dr. Gudrun L. Töpfer ist Geschäftsführerin und Gesellschafterin der Unternehmensberatung Wechselwerk. Ihre Schwerpunktthemen sind Organisationsentwicklung in all ihren Facetten wie z. B. Führungskräfteentwicklung, Umgang mit großen Veränderungsprozessen, Coaching/Counseling und Teamentwicklung. Im Rahmen ihrer Promotion hat sich Gudrun Töpfer mit der Frage der Strategieentwicklung durch Ambidextrie befasst und leitet den Thinktank Ambidextrie.
1.3 Wahrnehmung einer Paradoxie
Fragen zum Hineinfinden …
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Ist »Aufhören« wirklich so ein neuer Gedanke?
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Wenn das so wichtig ist: Warum habe ich davon noch nie etwas gehört?
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Welche Spuren von Exnovation lassen sich erkennen?
1.3.1 Die Exnovation ist schon da
Bei der Recherche zu diesem Buch waren wir überrascht, wie stark Exnovation schon in unser aller Leben Eingang gefunden hat. Exnovative Muster prägen unseren Alltag und unsere Diskurse – nur bisher nicht unter diesem Namen:
#Aufgeräumter
Marie Kondo, eine japanische Bestsellerautorin, hat sich intensiv mit der banalen Alltagstätigkeit des Aufräumens und Ausmistens befasst. Ihre »KonMari«-Methode (Kondo 2014) beinhaltet das intensive Nachdenken darüber, was man wirklich benötigt. Alles, was diese Schwelle nicht erreicht, wird verschenkt, gespendet oder weggeworfen. Möglicherweise hat sie Anleihe genommen am britischen Maler und Schriftsteller William Morris (1834–1896), der gesagt haben soll, dass man nicht in seinem Haus haben solle, von dem man nicht glaube, dass es nützlich oder schön sei. Diese Denkweise ist so anschlussfähig, dass es nicht nur Bücher dazu gibt, die in 27 Sprachen übersetzt wurden. Marie Kondo ist auch der Star einer Netflix-Serie geworden, in der sie Personen unterstützt, mit ihrem angehäuften und oft ungeordneten Wust an Besitztümern zurechtzukommen. In der englischen Sprache ist aus Kondos Nachname sogar ein eigenes Verb geworden: »to kondo« bedeutet »aufräumen« oder »ausmisten« (von Hof 2023).
#Weniger
Taylor Durden, die Hauptfigur im Film »Fight Club« (Fincher 1999), hat das Kernprinzip des Frugalismus in ein Zitat gegossen: »Things you own end up owning you« – abzielend darauf, dass viel Besitz viele Verpflichtungen mit sich bringt. Der Frugalismus ist eine umfassende Lebenseinstellung und meint ein genügsames Leben (von engl. frugal = sparsam), bei dem bewusst auf Konsum verzichtet wird, um z. B. unabhängiger und mit weniger finanziellen Sorgen zu leben oder auch Geld anzusparen, um früher aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Oft werden alte Produkte repariert statt ersetzt, benötigte Produkte werden möglichst aus zweiter Hand gekauft. Aktionen wie der »Black Friday« von Amazon werden kritisch gesehen. Dem »excessive consumerism« (Cohen 2003) wird die Freude an authentischen Produktionsweisen und Vintage-Produkten gegenübergestellt (Pel et al. 2022, S. 84). In der »100 Things Challenge« hat David Michael Bruno seinen Besitz bewusst auf 100 Gegenstände reduziert und seine Erfahrung in einem Buch reflektiert. Eine Kernaussage daraus ist, dass seit Beginn der Neuzeit zunehmend Überfluss als Nachweis für Erfolg angesehen wird. In diese Denkweise passt auch der Trend um die tiny houses der letzten Jahre: Man lebt auf kleinerer Fläche, die weniger Ressourcen verbraucht, und besitzt weniger Gegenstände.
#Langsamer
Die ständige Erhöhung des Tempos ist aus vielerlei Gründen problematisch (Rosa 2012). Als Reaktion auf diese Atemlosigkeit hat sich eine Anhängerschaft rund um Entschleunigung gebildet, die »Slow-Bewegung«. Sie stellt den Phänomenen der Zeit (wie z. B. »fast fashion« oder »fast food«) ein bewusst langsameres Tempo entgegen: Wir kennen inzwischen die Slow-Food-Bewegung und es gibt Städte, die sich dem Cittàslow-Netzwerk angeschlossen haben und auf Regionalität, urbane Qualität und bewussten Umgang mit den gewachsenen Strukturen Wert legen. All diese »Entschleunigungspraktiken« beinhalten ein gewisses Exnovation-Mindset (Pel et al. 2022, S. 83) und reizen nicht alles aus, »was geht«. Sie stoppen deutlich vorher.
#Dosierter
Auf viele Dinge können wir schwer verzichten, wollen wir weiterhin am sozialen Leben teilnehmen (Stichwort: Smartphone-Nutzen bzw. Social Media). Dass es für viele dieser Einflüsse einen Mittelweg geben muss, zeigen Bücher, Filme und Prinzipien, die sich mit der passenden Dosis befassen. Der Reizüberflutung durch (oder gefühlten Abhängigkeit von) Smartphones/Social Media wird z. B. mit digital detox oder »Dopaminfasten« begegnet. Das Buch »Declutter Your Mind« (Scott und Davenport 2016) befasst sich damit, wie man »im Kopf aufräumt« und Sorgen, negativen Gedanken und Ängsten nicht mehr Platz gewährt, als ihnen zusteht.
Die Fragen nach der passenden Dosis – »Wie viel ist nötig? Wie viel ist gut? Für mich, für meine Umwelt?« – kann alle möglichen Produkte und Verhaltensweisen einschließen, so z. B. Fleischkonsum, Genuss- und Rauschmittel, Sexualität, Kommunikation und viele weitere. Der (zeitweise) Verzicht ist in vielen Religionen angelegt, beispielsweise durch Enthaltsamkeit, Schweigen und Stille, Klausur, Pilgern, Exerzitien, Buße, Fasten etc. (vgl. dazu Kapitel 4). Er kann aber auch außerhalb des religiösen Lebens helfen, den Blick dafür zu schärfen, was wirklich nötig und gut ist.3
Ein in der Popkultur mittlerweile etablierter Ausdruck ist »fomo« (fear of missing out). Damit wird ein Phänomen beschrieben, das wir besonders durch Social Media erst kennengelernt haben: Beim Scrollen durch die Profile und Posts anderer Personen, die unserem Gefühl nach natürlich ihrerseits nur die schönsten und spannendsten Dinge posten, kann das Gefühl entstehen, man würde etwas falsch machen oder verpassen, weil das eigene Leben im Vergleich zum polierten Social-Media-Auftritt anderer eher unspektakulär erscheint. Die Angst, etwas im Leben zu verpassen, kann zu ernsthaften Verstimmungen bis hin zu depressiven Erkrankungen führen (AOK-Bundesverband 2021). Der »fomo« wird umgangssprachlich inzwischen das passende Pendant gegenübergestellt, nämlich »jomo« (joy of missing out). Es beschreibt das gute Gefühl, nicht alles wissen und sehen zu müssen, Dinge verpassen zu dürfen, die wahrscheinlich in Wirklichkeit ohnehin nicht so toll sind, wie sie in den sozialen Medien dargestellt werden.
#Verzicht
Der gänzliche Verzicht auf eine Praxis oder ein Produkt ist wahrscheinlich das deutlichste Exnovations-Phänomen. Neben religiösen Traditionen, wie Askese oder Fasten, können auch andere Auslöser benannt werden. Der Grund für Verzicht kann z. B. sein, dass ein Produkt auf der Ausbeutung von Tieren oder auf Kinderarbeit basiert. Auch Produkte, die schädliches Mikroplastik oder andere Schadstoffe beinhalten oder deren Anbau starke Umweltschäden nach sich zieht (wie bei der Herstellung von Palmöl), werden mehr und mehr aus dem Alltagskonsum exnoviert. Durch die sozialen Medien finden diesbezügliche Informationen schnelle Verbreitung in der Öffentlichkeit (Pel et al. 2022, S. 82), was wiederum die herstellenden Unternehmen zügig zur Entwicklung von Alternativen treibt. Dass bei der Delegitimierung von Produkten gelegentlich über das Ziel hinausgeschossen wird oder gar falsche Informationen gestreut werden, ist eine negative Kehrseite unserer intensiv vernetzten Welt: Der Schaden für ein herstellendes Unternehmen ist immens und eindrückliche Beispiele führten dazu, dass die meisten Unternehmen sich mittlerweile für öffentliche Anfeindungen – gerechtfertigt oder nicht – mit eigenen Kommunikationsteams für einen möglichen Shitstorm rüsten. Dennoch bleibt der Punkt bestehen, dass der vorübergehende oder überdauernde Verzicht auf Dinge, die uns nicht mehr »konsumierenswert« erscheinen, ein exnovatives Verhaltensmuster darstellt.
1.3.2 Warum hat Exnovation keinen Platz in unserer Kultur?
Manches Beispiel aus dem vorigen Abschnitt mag uns bekannt sein und hat schon hier und da unseren Weg gekreuzt. Obwohl Exnovation eng mit dem Verlassen schädlicher Muster verknüpft ist und von daher einen starken Bezug zur Nachhaltigkeit oder zum Wirtschaftsleben hat, kennen wir das Prinzip bisher eher vereinzelt aus dem privaten Erleben. Aus dieser Perspektive heraus können wir ableiten, warum Exnovation noch nicht in der Breite bekannt, geschweige denn als Handlungsprinzip akzeptiert ist.
Exnovation heißt: den Status quo verlassen
Beginnen wir mit dem augenfälligsten Punkt: Menschen mögen, wenn die wichtigen Dinge bleiben, wie sie sind. Veränderungen bedeuten Aufwand, Umstellen, Anpassen, Umwerten und Umdeuten. Auch wenn jedes rationale Denken für die Veränderung spricht, so neigen Menschen doch dazu, im Bekannten zu verbleiben, anstatt ins Unbekannte mit der Option auf Verbesserung aufzubrechen: »The tendency to continue doing something simply because we have always done it is sometimes called the ›status quo bias‹« (McKeown 2014, loc. 1911).
Exnovation heißt: die Schwere des Abschieds ertragen
Zuallererst: Exnovation ist eng verknüpft mit Vorgängen, die in unserer Gesellschaft nicht besonders beliebt sind: Aufhören, Abschaffen, Aufgeben, Beenden, Abschied, Niedergang, Verlust (auch finanzieller/wirtschaftlicher Art), Trauer, … ihnen allen ist gemeinsam, dass sie sich um Endlichkeit und Ende drehen. Dies sind Themen, mit denen sich in unserer Kultur traditionell eher die Literatur oder die Kunst, selbstverständlich auch die Religion befassen (vgl. dazu...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Reihe/Serie | Systemisches Management |
Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
Schlagworte | Ambidextrie • Beenden • Effektivität • Exnovation • Gudrun L. Töpfer • Handlungsfähigkeit • Innovation • Loslassen • Sandra Bils • verabschieden |
ISBN-10 | 3-7910-6149-6 / 3791061496 |
ISBN-13 | 978-3-7910-6149-8 / 9783791061498 |
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