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Die Biologie des Geldes (eBook)

Darwin und der Ursprung der Ökonomie
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
352 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-44031-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Biologie des Geldes -  László Mérö
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Geld und Gene haben viel gemeinsam - jedenfalls wenn das Geld als Kapital auftritt. Dann verhält es sich wie eine Lebensform - stets darauf versessen, sich zu replizieren. Mit Blick auf neuere Erkenntnisse der Biologie, Ökonomie, Psychologie und Mathematik beweist László Mérö, dass sich Darwins Evolutionstheorie sehr gut eignet, um elementare Prozesse unseres Wirschaftslebens zu erklären - von der Unternehmensgründung bis zur Globalisierung -, ihre Krisen eingeschlossen. Ein origineller neuer Ansatz im Darwin-Jahr.

László Mérö, Professor für ökonomische Psychologie in Budapest, wurde bekannt als Miterfinder des 'Zauberwürfels'

László Mérö, Professor für ökonomische Psychologie in Budapest, wurde bekannt als Miterfinder des "Zauberwürfels"

1. DER ZINSBRINGENDE STOCKFISCH


Gute Ideen wetteifern um Kapital, und Kapital wetteifert um gute Ideen.

 

In meiner Familie erzählt man, mein Großvater habe sich während des Zweiten Weltkriegs den Kopf darüber zerbrochen, wie er sein kleines Vermögen anlegen sollte. In den damaligen turbulenten Zeiten kam das Investieren in ein Unternehmen nicht in Frage. Das Geld sparen lohnte sich nicht, weil die Inflation es auffressen würde – und das tat sie denn auch, aber nicht einmal Großvater konnte die weltweit größte Hyperinflation in Ungarn vorausahnen; nach ihr kehrten die Straßenfeger wertlose Millionen, Milliarden und Trillionen Pengő-Geldscheine zusammen. Wie könnte er seinen Besitz bis Kriegsende wahren? Gold behält seinen Wert, kann aber leicht gestohlen werden. Sollte er ein Haus kaufen? Das lässt sich kaum stehlen, hält aber Bomben nicht stand. Sollte er Land kaufen? Dem machen Bomben nichts aus, aber ihm bekommt die Verstaatlichung nicht gut – Großvater sah diese Gefahr lange vorher. Sollte er in Salz investieren? Das widerstünde sowohl Bomben als auch der Verstaatlichung, ist aber sehr schwer.

Es gab kein Happy End. Weder mein Großvater noch der Familienbesitz überlebten den Krieg. Seine Überlegungen jedoch dauerten fort, und ich möchte sie weiterführen, diesmal als Beispiel für den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Formen, die Geld (oder genauer: Kapital) annehmen kann.

In diesem Buch geht es also um die Biologie, die Evolution des Geldes, und wir wissen seit Darwin, dass Evolution immer aus dem Wettbewerb der Arten entsteht. Seit Darwin haben wir jedoch noch vieles mehr über das Leben gelernt. In den vergangenen anderthalb Jahrhunderten ist es Biologen nicht nur gelungen, viele wichtige Einzelheiten aufzudecken, so etwa den generischen Code zu knacken oder die Struktur der DNA zu enthüllen, sie haben auch viel kompliziertere und umfassendere Fragen beantwortet. Wir sind in der Lage, die Natur der Mechanismen zu verstehen, die dem Leben zugrunde liegen.

Lebewesen werden von Dingen generiert (den Genen), die nicht als Einzelwesen lebendig sind, sondern gemeinsam, in entsprechend zusammengesetzten Gruppen, die vielfältigsten Lebensformen codieren können, und unter geeigneten Umweltbedingungen kommen die von ihnen codierten Wesen auch wirklich zur Welt. Mit dieser Entdeckung hat die Biologie des 20. Jahrhunderts einen Mechanismus aufgezeigt, der weit über solche Lebensformen hinausweist, die wir biologisches Leben nennen. Es kann sehr wohl sein, dass die Grundsätze des Geistes- oder Wirtschaftslebens im Prinzip genau derselben Logik folgen wie das biologische Leben.

Robinsons Traum

Die Weltgeschichte hatte meinen Großvater in eine schwierige Lage gebracht. Glücklicherweise lassen sich eine Reihe wirtschaftlicher Grundsätze ausgezeichnet an viel einfacheren Beispielen demonstrieren, auch an dem der unbewohnten Insel. Gesammelt ergäben all die Fabeln, die Ökonomen über Robinson geschrieben haben, einen Wälzer, der viel dicker wäre als Defoes Roman. Auch wir beginnen mit ihm.1

Robinson hat auf seiner unbewohnten Insel keine andere Nahrungsquelle als Fische, die sich in Küstennähe wagen. Mit etwas Glück gelingt es ihm, ihnen mit seiner Keule einen Schlag auf den Kopf zu versetzen und sie zu fangen. Aber Fische sind flink, und auch wenn Robinson den ganzen Tag lang aufs Wasser schlägt, fängt er pro Tag nur fünf Fische, gerade genug, um seine tägliche Ernährung zu sichern. So lebt Robinson von einem Tag zum nächsten. Todmüde fällt er abends auf sein einfaches Lager unter einem großen Baum, und ihm bleibt vor dem Einschlafen kaum die Zeit für einen kurzen Wachtraum.

Auf der Insel wachsen Bäume, die zwar keine essbaren Früchte tragen, deren faserige Rinde sich jedoch gut abschälen lässt. Aus dieser Rinde könnte Robinson ein primitives Netz flechten, mit dem er pro Tag zwanzig Fische fangen würde. Mit einem solchen Netz bräuchte er also nur jeden vierten Tag zu arbeiten und könnte an den anderen Tagen viele andere Dinge tun. Die Herstellung eines solchen Netzes jedoch erforderte dreißig Tage Arbeit – und in der Zeit würde Robinson verhungern.

Wir wissen natürlich, dass das wirkliche Leben nicht genau so abläuft. Robinson hat sicherlich gelegentlich bessere Tage: Manchmal hat er schon am frühen Nachmittag die fünf Fische gefangen, die ihm das Überleben sichern, und es kommt auch vor, dass er einen größeren Fisch fängt. An diesen Tagen könnte er einige Stunden mit der Herstellung des Netzes verbringen. Das braucht Zeit, aber früher oder später hätte er Mittel und Möglichkeit, sein Leben radikal zu verändern. Wenn wir jedoch diese vollkommen unrealistische Situation annehmen, müssen wir auch voraussetzen, dass die Fische alle gleich groß sind und dass Robinson den fünften Fisch im letzten Augenblick fängt, in dem er dem Hungertod entgehen kann.

Anscheinend wird Robinson den Rest seines Lebens mit dem Keulen von Fischen verbringen, denn die Aussicht darauf, dass ein britisches Schiff vorbeikommt und ihn nach Hause bringt, ist gering. Aber ohne Hoffnung ist schlecht leben, deswegen hofft Robinson von ganzem Herzen weiter und schlägt eifrig Tag für Tag auf Fische ein, damit ein Wunder, wenn es denn geschieht, ihn lebendig antrifft.

Eines schönen Tages taucht unerwartet ein anderer Robinson auf, ebenfalls ein einsamer Schiffbrüchiger, der auf einer Nachbarinsel lebt. Dieser zweite Robinson hat ein paar Fische zu viel, weil er im Umgang mit der Keule geschickter ist als Robinson und tagtäglich sogar sechs Fische fängt. Deswegen stellt er Stockfisch her, indem er einige seiner ungesalzenen Fische von Sonne und Wind trocknen lässt. Allmählich hat er für schlechte Zeiten einen Vorrat von 150 Stück Stockfisch angelegt.

Dieser zweite Robinson – wir nennen ihn Richson – erkennt Robinsons schwierige Lage und hat Verständnis für den Traum vom Fischernetz. Er bietet Robinson seine 150 getrockneten Fische an unter der Bedingung, dass Robinson die nächsten dreißig Tage ausschließlich mit der Herstellung des Netzes verbringt und ihm vom 31. Tag an ein Jahr lang jeden Tag fünf Fische liefert.

Robinson erwägt das Angebot mit gemischten Gefühlen. Einerseits findet er es unverschämt, dass Richson zwölf Monate lang jeden Monat 150 Fische haben will (in einem Monat mit 31 Tagen sogar 155), andererseits brauchte er, falls er das Angebot annimmt, nach dreißig Tagen nur jeden zweiten Tag zu fischen, weil er pro Tag zwanzig Fische fangen kann, von denen er zehn zurückzahlt und zehn ihn zwei Tage lang ernähren. Zudem würde sich die Lage nach einem Jahr entscheidend verbessern.

Robinson neigt immer mehr dazu, seine moralische Entrüstung über Richsons Unverschämtheit zu verwinden und das Angebot anzunehmen, versucht aber trotzdem, ein wenig zu verhandeln. Richson dagegen weiß nicht nur Robinsons gute Idee zu würdigen, er sieht auch, wie verzweifelt dessen Lage ist, und gibt nicht nach; vielmehr weist er darauf hin, welch großes Risiko er mit seinem vorbehaltlosen Vertrauen in Robinsons Vertrauenswürdigkeit eingeht, weil er ja damit die Möglichkeit ausschließt, dass Robinson seinen Teil der Verabredung nicht einhält. Möglicherweise überlebt ja Robinson die nächsten dreißig Tage nicht, während er schon eine beträchtliche Anzahl von Richsons Fischen gegessen hätte; dann hinterließe er lediglich ein halbfertiges nutzloses Fischernetz. In der Hitze der Debatte macht Robinson rasch fünfzig Liegestütze, womit er seine gute körperliche Kondition unter Beweis stellt und Richsons Sorge zu entkräften sucht, er könne seinen Fischeinsatz nicht mit Gewinn zurückbekommen.

Robinson seinerseits macht sich ebenfalls Sorgen. Wenn er Richsons Vorschlag zustimmt, müsste er alle Hoffnung fahren lassen, dass ein britisches Schiff ihn im nächsten Jahr retten könnte, denn als englischer Gentleman könnte er die Insel nicht verlassen, bevor er seine Schulden beglichen hat. Deshalb schlägt Robinson vor, Richson solle, falls ein Schiff auftaucht, Robinsons Fischernetz nehmen und dafür die Schulden erlassen. Richson entgegnet, das Netz sei nutzlos für den, der nicht damit umgehen kann, und besteht auf dem Handel Fisch für Fisch, nicht für ein unnützes Gebilde aus Rinde.

Nach mehreren spektakulären Darbietungen (Robinsons Liegestützen, Richsons gespielter Ärger) einigen sie sich schließlich per Handschlag darauf, dass Robinson vom einunddreißigsten Tag an monatlich genau 150 Fische zurückzahlt; Robinsons Schulden aber sollen, falls ein britisches Schiff erscheint, automatisch getilgt sein.

Richson wagt bei diesem Handel den Einsatz von 150 Fischen, weil er sich langfristig Profit erhofft. Er liefert Robinson alle Fische sofort, damit er sich in den nächsten dreißig Tagen nicht mehr um die Sache zu kümmern braucht. Für Richson wäre dieser vielversprechende Handel wertlos, wenn er tagtäglich Zeit darauf verwenden müsste, Robinsons Fortschritte zu verfolgen. Handel beruht auf Vertrauen, und je gewagter der Handel, umso größer der Vertrauensvorschuss.

Das Wesen der Zinsen

Laien meinen oft, Zinsen seien der Preis für die Nutzung des Geldes. Aber diese Ansicht ist falsch. Die Nutzung des Geldes ist frei: Wenn wir Geld ausgeben, zahlen wir keine Nutzungsgebühr. Man könnte einwenden, man brauche nur dann für die Nutzung von Geld zu zahlen, wenn man das Geld anderer ausgibt. Aber auch in dem Fall unterscheidet sich Geld von anderen Dingen. Wenn ich ein neues...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2011
Übersetzer Anita Ehlers
Zusatzinfo Mit 5 s/w Grafiken
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Wirtschaft
Schlagworte Biologie • Evolutionstheorie • genen • Globalisierung • Kapital • Mathematik • Ökonomie • Psychologie • Unternehmensgründung • Wirtschaftsleben
ISBN-10 3-644-44031-X / 364444031X
ISBN-13 978-3-644-44031-9 / 9783644440319
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