Ernährung des Hundes (eBook)
408 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-242727-3 (ISBN)
1 Einführung
1.1 Der Hund – ein Fleischfresser?
Der Hund stammt vom Wolf ab. Seine Domestikation liegt 16000 Jahre, vermutlich sogar länger, zurück – eine vergleichsweise geringe Zeitspanne im Verlauf der im Fall der Kaniden zehn Millionen Jahre dauernden Evolution, in der sich die anatomisch-physiologischen Besonderheiten der verschiedenen Spezies herausbildeten. Wenn sich auch äußere Gestalt und Erscheinungsbild des Hundes gegenüber denen seines Stammvater nachhaltig veränderten, so blieben doch viele physiologische Eigenschaften erhalten.
Der Hund ist wie sein Vorfahr, der Wolf, ein Vertreter aus der Ordnung der Karnivoren, der Fleischfresser. Allerdings zeigen neue Studien, dass sich der Hund im Laufe der Domestikation z. B. an stärkehaltige Nahrung adaptiert hat. Die Aktivität der Amylase, des zur Stärkeverdauung erforderlichen Enzyms aus der Bauchspeicheldrüse, ist bei ihm beispielsweise höher als bei Wölfen, wobei interessanterweise auch deutliche Rassenunterschiede in der Kopienzahl des codierenden AMY2B-Gens existieren. Offenbar haben Hunde, die in typischen Ackerbauregionen wie Zentraleuropa domestiziert wurden, eine ausgeprägtere Fähigkeit entwickelt, stärkereiche Futtermittel zu verwerten. Daraus ergibt sich der Vorteil, dass Hunde sehr vielseitig ernährt werden können und keineswegs auf das Nahrungsspektrum beschränkt sind, das dem Wolf bzw. dem wild lebenden Hund zur Verfügung steht.
Karnivore Tierarten fressen nicht Fleisch im eigentlichen Sinne, sondern Beutetiere: beim Wolf sind das je nach Jahreszeit und Verfügbarkeit Wildschweine, Elche, Rehe, Hirsche und Rothirsche, aber auch kleinere Säugetiere, wie Biber, Hasen und Nagetiere. In geringeren Anteilen werden auch Vögel, Reptilien, Insekten und Fische aufgenommen, pflanzliche Bestandteile konnten bei Analysen des Mageninhalts von Wölfen dagegen nur in sehr geringem Umfang festgestellt werden. Die Beute wird bis auf geringe schwer oder unverdauliche Reste (mineralisierte Knochen, Sehnen, Haut, Haare, Mageninhalt) fast vollständig gefressen und liefert Eiweiß und Fett über die Weichgewebe, Kalzium aus dem Skelett, Natrium aus dem Blut, fettlösliche Vitamine sowie Spurenelemente aus den Organen (insbesondere aus Leber und Niere), wasserlösliche Vitamine aus Darm und Darminhalt, essenzielle Fettsäuren aus dem Körperfett und unverdauliche Komponenten (z. B. faseriges Pflanzenmaterial aus dem Darminhalt), die für die Funktion des Verdauungskanals unentbehrlich sind. Das Beutetier „mit Haut und Haaren“ bietet somit – im Gegensatz zum sehr einseitig zusammengesetzten Fleisch ( ▶ Tab. 1.1 ) – sämtliche für den Wolf bzw. den Hund lebensnotwendigen Nährstoffe.
Tab. 1.1 Nährstoffgehalte in Beutetieren bzw. Muskelfleisch pro 100 g Trockensubstanz (Tab. basiert auf Daten aus ▶ [4], ▶ [6], ▶ [9] und ▶ [27]). Inhaltsstoffe | Einheit | kleine Nager | Broiler | Kaninchen | Schweinefleisch (Schnitzel) | Rindfleisch (Schulter) |
Fett | g | 25–30 | 25 | 25 | 7,5 | 20 |
Protein | g | 50–60 | 57 | 61 | 87 | 75 |
Kalzium | mg | 3000 | 1820 | –1) | 36 | 14 |
Phosphor | mg | 1500 | 1450 | – | 683 | 613 |
Natrium | mg | 200 | – | – | 286 | 186 |
Kupfer | mg | 1 | – | – | 1,2 | 0,3 |
1) k. A. |
Eine Ration, die ausschließlich aus Fleisch besteht, ist daher aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht vollwertig und führt insbesondere bei wachsenden Hunden schnell zu massiven Mangelsymptomen.
Der Wolf ist ebenfalls kein strikter Beutetierfresser, sondern zeigt eine gewisse Flexibilität in der Auswahl seines Nahrungsspektrums. Unter bestimmten Umständen nimmt er Früchte, Gräser, Wurzeln, Blätter, evtl. auch Exkremente anderer Tiere und sonstige Abfälle auf. Er kann sich also in gewissen Grenzen an unterschiedliche Futterarten anpassen. Auch der Hund besitzt diese Fähigkeit, sogar in stärkerem Umfang als der Wolf. Sein Verdauungskanal und Stoffwechsel sind nicht so extrem auf die ausschließliche Aufnahme von Nahrungsmitteln tierischer Herkunft fixiert wie bei anderen Karnivoren (Feliden, Musteliden). Diese Anpassungsfähigkeit von Verdauungskanal und Stoffwechsel macht ihn sehr flexibel und erleichtert die Fütterung des Haushundes erheblich.
1.2 Der Hund – ein Anpassungskünstler!
In Gemeinschaft mit dem Menschen wurde der Hund mehr und mehr zum Omnivor. Selbst die wertvollsten Meutehunde des Barocks erhielten für lang dauernde Verfolgungsjagden überwiegend „Hundebrot“, das überwiegend aus Getreide bestand. Der Hund hat sich also schon in der Vergangenheit an die verfügbare Nahrung anpassen müssen.
In der industrialisierten Gesellschaft, in einer urbanen Umgebung ohne selbst erschließbare Nahrungsquellen, beginnt schließlich ein neues Kapitel: Der Hund hängt nun in noch stärkerem Maße als in früheren Jahrhunderten von der Nahrungszuteilung durch den Halter ab. Somit ist dieser nun verantwortlich für eine artgerechte Ernährung des Hundes. Leider werden häufig menschliche Vorlieben für bestimmte Ernährungsformen oder Lebensmittel auf den Hund übertragen. Die Risiken für Fehlernährung nehmen zu, wenn Halter anfangen, den Hund zu vermenschlichen. Das Problem übergewichtiger Hunde veranschaulicht dies am deutlichsten.
1.3 Die Hundeernährung im Fokus der Forschung
Idealerweise sollten die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über Nährstoffansprüche, die Verträglichkeit und Verdaulichkeit der Futtermittel sowie den Stoffwechsel der Nährstoffe Leitlinie einer „gesunden“ Ernährung von Haushunden sein. Die Umsetzung dieses Wissens sichert nicht nur die artgemäße Ernährung – sie trägt maßgeblich dazu bei, ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten.
Die aus der Ernährungsforschung resultierenden Erkenntnisse zur Ernährung von Hunden sind umfassend und werden laufend aktualisiert. Schon im 19. Jahrhundert waren Hunde wichtige Modelltiere, um Grundlagen der Verdauungsphysiologie aufzuklären. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte, nahmen die Untersuchungen zu Ernährungsfragen des Hundes deutlich zu. Erschienen in den 70er-Jahren jährlich weltweit nur ca. 20 Arbeiten zur Hundeernährung, so ist seither eine deutlich steigende Tendenz festzustellen. Das Spektrum der veröffentlichten Arbeiten umfasst neben...
Erscheint lt. Verlag | 7.9.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Veterinärmedizin |
Schlagworte | Absetzwelpen • Barf • Beute • Beutetiere • Diät • Diätetik • Empfehlungen • Energiebedarf • Erkrankungen • Ernährungsbedingte Erkrankungen • Ernährungsempfehlungen • Futter • Futtermittel • Futtermittelkunde • Futtermittelmarkt • Fütterung • Fütterungsempfehlungen • Grundlagen • Hund • Hundefutter • Junghund • Lehre • Nachschlagewerk • Nährstoffbedarf • Physiologie • Ratgeber • Rationsgestaltung • Saugwelpen • Sporthunde • Stoffwechsel • Tierernährung • Tiermedizin • Verdauung • Verdauungsphysiologie • Veterinärmedizin • Vitamin • Welpen • Zucht • Zuchthunde |
ISBN-10 | 3-13-242727-6 / 3132427276 |
ISBN-13 | 978-3-13-242727-3 / 9783132427273 |
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