Bewegungsapparat Pferd (eBook)
224 Seiten
Thieme (Verlag)
978-3-13-244399-0 (ISBN)
2 Bindegewebe
2.1 Funktionen und Einteilung
Die Arbeit von Physio- und Osteotherapeuten zielt vorrangig darauf ab, einzelne Strukturen des Bewegungsapparats zu befunden und zu beeinflussen.
Der Großteil dieser Strukturen besteht aus Bindegewebe. Je nach Gewebeart werden unterschiedliche Therapiemethoden zur Unterstützung des Heilungsprozesses angewendet. Um einzelne Therapiemethoden zu verstehen, ist ein Wissen über die speziellen Zusammensetzungen der Gewebe und deren Wundheilungsmechanismen erforderlich.
Das Bindegewebe erfüllt im Körper folgende Aufgaben:
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Aufnahme und Übertragung von Kräften
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Formgebung/Stabilität/Stützfunktion
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Stoffaustausch/Transport und Ernährung
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Thermo- und Wasserregulation
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Abwehr- und Schutzfunktion
Bindegewebe besteht grundsätzlich aus Zellen und der extrazellulären Matrix. Es zeichnet sich dadurch aus, dass die Zellen nicht sehr dicht beieinanderliegen. Es ist also ein Gewebe, das eher arm an Zellen, aber sehr reich an extrazellulärer Matrix ist. Die Eigenschaften des Bindegewebes werden vorrangig durch die Zusammensetzung dieser Interzellularsubstanz bestimmt. Anhand dieser Zusammensetzung und des Aufbaus der Zelle selbst werden die verschiedenen Arten des Bindegewebes unterschieden ( ▶ Abb. 2.1).
Abb. 2.1 Übersicht über die Bindegewebsarten des Körpers.
(aus: van den Berg F. Angewandte Physiologie, Band 1. Stuttgart: Thieme; 2010)
2.2 Aufbau
2.2.1 Zellen
Man unterscheidet fixe (ortständige) und mobile (bewegliche) Zellen.
Zu den fixen Bindegewebszellen gehören:
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Fibroblasten und Fibrozyten (für Kapsel-, Bandapparat und Sehnen)
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Chondroblasten und Chondrozyten (für Knorpel, Bandscheiben und Menisken)
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Myofibroblasten (für Muskulatur)
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Osteoblasten und Osteoklasten (für Knochenaufbau und -abbau)
Blasten sind die jungen, synthetisch aktiven Zellen, sie treten im wachsenden Bindegewebe auf. Zyten sind die erwachsenen Zellen mit reduzierter synthetischer Aktivität. Man findet sie somit im ausdifferenzierten Bindegewebe.
Der Fibroblast ist der am meisten vertretene Zelltyp des Bindegewebes und lebenslang im wachsenden Bindegewebe zu finden. Er ist syntheseaktiv und bildet alle wichtigen Bestandteile der extrazellulären Matrix ( ▶ Abb. 2.2), Grundsubstanz, kollagene und elastische Fasern (s.u.). Fibrozyten finden sich eher im ausdifferenzierten Gewebe. Sie sind weniger aktiv und haben eine zellstabilere Form. Fibroblasten können sich durch verschiedene Faktoren verändern. Jede Spannungsveränderung wird mit Vermehrung und Ausrichtung der Fibroblasten und mit der Produktion von extrazellulärer Matrix beantwortet. Somit wird mit physiotherapeutischen Maßnahmen wie Friktionen und Dehnungen die Qualität des Bindegewebes beeinflusst.
Abb. 2.2 Fibroblast und die extrazellulären Bestandteile, die er synthetisiert.
(aus: van den Berg F. Angewandte Physiologie, Band 1. Stuttgart: Thieme; 2010)
Weitere fixe Zellen, die im Bindegewebe vorkommen, sind Mastzellen und Fettzellen. Mastzellen setzen Histamin und Heparin frei, die als Biomoleküle zu sehen sind und die der interzellulären Kommunikation dienen. Durch sie kommt es zu einer Mehrdurchblutung des umliegenden Gewebes. Therapeutisch wird Heparin z.B. in Salbenform zum Auflösen von Blutergüssen genutzt, da es blutverdünnend wirkt. Die Freisetzung von Histamin kann durch mechanische Reize wie Friktionen provoziert werden. Fettzellen sind überall im Bindegewebe zu finden und dienen als Energiespeicher sowie als Stoßdämpfer und Schutzschicht vor allem für das Nervengewebe.
Alle fixen Zellen entstehen embryonal aus den Mesenchymzellen des Mesoderms. Zu welchem Zelltyp sich die Mesenchymzellen entwickeln, wird vom Säuregrad des jeweiligen Gewebes bestimmt. Myofibroblasten und Osteoblasten befinden sich in gut durchbluteten Geweben mit hohem Sauerstoffgehalt und somit hohem pH-Wert. In schlecht durchbluteten Geweben mit niedrigem Sauerstoffgehalt und geringem pH-Wert entstehen Chondroblasten und Fibroblasten.
Mobile Zellen stammen hingegen von den Knochenmarkszellen. Sie sind die Zellen mit Abwehrfunktion und bilden einen Teil des Immunsystems. Zu den mobilen Zellen gehören Makrophagen, Leuko- und Lymphozyten.
Makrophagen betreiben Phagozytose („Zellfressen“). Sie greifen tote Zellen, kaputtes Gewebe, Bakterien, Viren und Tumorzellen an und resorbieren diese. Makrophagen, die kaputtes Knochengewebe abbauen, nennt man Osteoklasten. Leukozyten finden wir vor allem und in erhöhter Zahl bei Verletzungen des Bindegewebes. Sie phagozytieren Fremdkörper und Zellreste. Lymphozyten sind Leukozyten mit Erinnerungsfunktion. Sie erkennen Fremdkörper wieder.
2.2.2 Extrazelluläre Matrix
Zur extrazellulären Matrix (Syn.: interzelluläre Substanz = Interstitium) zählen alle Komponenten des Bindegewebes außerhalb der Zelle: kollagene Fasern, elastische Fasern, die Grundsubstanz, Wasser und nicht kollagene Proteine. Mit Ausnahme von Wasser werden alle Bestandteile der extrazellulären Matrix von den Bindegewebszellen produziert.
Diese bilden ein stabiles Netzwerk und geben dem Gewebe sein Volumen. Das Netzwerk absorbiert Belastungen, die Grundsubstanz mit ihrem gebundenen Wasser hat die Aufgabe, Stöße zu dämpfen. Somit kommt der extrazellulären Matrix eine Pufferfunktion zu. Sie befindet sich in einem solartigen Zustand mit einem Wassergehalt von ca. 70%.
Die Zusammensetzung der extrazellulären Matrix kann sehr unterschiedlich sein und richtet sich nach den mechanischen Anforderungen, denen das jeweilige Gewebe unterliegt. Diese Matrix bildet in Verbindung mit den Kapillaren die Grundlage der Ernährung bei allen Organismen.
2.2.2.1 Grundsubstanz
Alle Zellen des Bewegungsapparats produzieren Glykosaminoglykane (Polysaccharide = Mehrfachzucker) und Proteoglykane (Kohlenhydratmoleküle), die als Grundsubstanz bezeichnet werden.
Ein im Bindegewebe vorkommendes Glykosaminoglykan ist z.B. Hyaluronsäure. Hyaluronsäure findet man vor allem in den Knorpeln und den Bandscheiben. Sie hat große Ähnlichkeit mit Wasser (negative Ladung).
Proteoglykane und Glykosaminoglykane sind Moleküle, die Wasser und Kollagen binden. Somit verbinden sie Zellen und Fasern mit Hilfe nicht kollagener Proteine.
Die bürstenförmigen Proteoglykane, die sich an eine Hyaluronsäurekette binden, werden als Proteoglykanaggregat bezeichnet. Zusammen mit den Glykosaminoglykanen sehen sie aus wie eine Flaschenbürste ( ▶ Abb. 2.3). Sie geben der Matrix eine Art Pufferfunktion, wie ein Wasserbecken, das eine Hülle hat. Je mehr Druck auf dieses Becken kommt, umso mehr muss es gefüllt sein.
Das gebundene Kollagen absorbiert Kräfte, die auf das Gewebe einwirken. Es bildet ein kollagenes Netzwerk und schützt vor Überlastung. Proteoglykane und Glykosaminoglykane sind mit dem gebundenen Kollagen in der Lage, das Gewebe nach Belastung in seine Ursprungsform zurückzubringen.
Die nicht kollagenen Proteine in der Matrix sind Verbindungs- und Vernetzungsproteine. Sie sind Grundbaustoff für physiologische Crosslinks. Sie verbinden und vernetzen kollagene Fasern und Fibrillen mit Proteoglykanen oder Proteoglykanaggregaten (Proteoglykane an einer Hyaluronsäurekette). So bilden alle zusammen ein Netzwerk, welches die Funktionstüchtigkeit des Bindegewebes aufrechterhält und Spitzenbelastungen abfängt.
Durch ihre Bindung an Wasser stellen Proteoglykane und Glykosaminoglykane den Transportweg für Abfallprodukte und Nährstoffe dar. Durch ihr dichtes Netzwerk bilden sie eine Schutzbarriere gegen eindringende Bakterien.
Die an die Grundsubstanz gebundene Wassermenge verändert sich durch Bewegung. Unter Belastung des Gewebes wird Wasser abgegeben, bei Entlastung wieder aufgenommen.
Merke
Der wichtigste Reiz zur Produktion von Grundsubstanz ist die physiologische Belastung des Gewebes. Folgende Faktoren hemmen die Produktion von Grundsubstanz:
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Stress (Stresshormon Kortisol)
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Kortison
Kortikosteroide werden häufig bei Entzündungen im Bereich des Bewegungsapparats verabreicht. Lokal angewendete Steroide, die meist in Form von Infiltrationen verabreicht werden, verursachen eine starke Degeneration des Bindegewebes, lokal im infiltrierten Gebiet. Dadurch kann es bei einer Überbelastung nach Kortisonspritzen zu spontanen Rupturen des betroffenen Gewebes kommen.
Cave
Keine Friktionen nach einer lokalen Gabe von Kortison!
Erscheint lt. Verlag | 18.8.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Veterinärmedizin ► Klinische Fächer ► Orthopädie |
Veterinärmedizin ► Pferd | |
Schlagworte | Anatomische Grundlagen • Bewegung • Biomechanik • Dehnungen • Faszien • Funktionelle Anatomie • Funktionsgruppen • Lahmheiten • Muskeln • Osteopathie • Osteopathie für Pferde • Physiotherapie für Pferde • Rittigkeitsprobleme • statische Anatomie • Tierosteopathen • Tierphysiotherapeuten |
ISBN-10 | 3-13-244399-9 / 3132443999 |
ISBN-13 | 978-3-13-244399-0 / 9783132443990 |
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