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Fast zu wild, um wahr zu sein (eBook)

Spiegel-Bestseller
Unsere versteckten Biotope und wie man sie schützen kann | Das neue Buch von den YouTube-Stars von Buschfunkistan
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3177-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fast zu wild, um wahr zu sein -  Norman Glatzer,  Vanessa Braun
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Den Geheimnissen unserer wilden Natur auf der Spur! Ob nun idyllische Bergwiesen, geheimnisvolle Moore oder ein vermeintlich schnöder Acker -  in ihrem neuen Buch wollen Norman und Vanessa die alltäglichen, aber auch die verborgenen Lebensräume in den Köpfen der Leser*innen lebendig werden lassen. Sie reisen durch die verschiedenen Lebensräume, stellen das bunte Treiben der vielfältigen Lebewesen an diesen unterschiedlichen Orten vor und erklären, wie sie im Großen wie im Kleinen miteinander verbunden sind. Außerdem zeigen sie, wie wir Menschen lernen können, mit Achtsamkeit und Respekt diese Lebensräume wieder herzustellen, schätzen zu lernen und so manche wieder richtig zum Aufblühen zu bringen.

geboren 1993 in Berlin, ist Pilzsachverständiger. Als Moderator des YouTube-Kanals Buschfunkistan begeistert er Hunderttausende Menschen für Pilze, Pflanzen, Algen, Flechten, Tiere und Moose aus unseren Naturräumen. 

Norman Glatzer, geboren 1993 in Berlin, ist Pilzsachverständiger. Nach Auslandsaufenthalten in Marokko und Indien war er in Berlin als Buchhändler und in der freien Theaterszene tätig.

Schluchtwald –
Die Natur geht steil


»Alles Gute kommt von oben!«, sprach die Weinbergschnecke und starb. Sie lebte am Fuße einer tiefen Schlucht, und frisches Wasser tropfte regelmäßig auf sie herab. Doch wo Schluchten sind, da fliegen nicht nur Wassertropfen, sondern auch mal Steine durch die Luft. Große Steine.

Schluchten sind äußerst raue Lebensräume. Schon ihre Entstehung ist nichts für schwache Nerven. Alles beginnt mit einem Fluss. Wenn die Bedingungen passen, schleift sich dieser immer tiefer durchs Gestein nach unten und formt ein Tal. Dieser einschneidende Vorgang ist keine flotte Nummer. Nein, der Schnitt dauert Ewigkeiten und will einfach nicht aufhören. Ein bisschen so, als würde man mit einem Messer in der Hand zur Welt kommen und sich damit, kaum geboren, bei Tag und bei Nacht immer tiefer in einen Finger ritzen, bis ans Lebensende. Der Fluss, der sich da in sadistischster Manier ins Gestein einkerbt, leistet diesen Kraftakt nicht allein. In ihm befinden sich Sand und kleine Steine, die wiederum beim Schleifen und Schneiden helfen. So hinterlistig ist es, das Wasser. Durchtrennt gnadenlos majestätische Gesteinsschichten mithilfe von kleinen Popelsteinen. Wir Menschen nennen diesen Prozess, bei dem sich ein Fluss immer tiefer in ein Tal schneidet, Erosion. Ein Begriff, der fast so klingt, als wäre da Eros, der Gott der begehrlichen Liebe, im Spiel. Doch von Liebe kann bei diesem Akt der Gewalt wirklich keine Rede sein. Das Wort Erosion hat daher auch keine göttliche Herkunft, sondern eine lateinische. Es kommt vom Wort erosio, was so viel wie »das Zerfressenwerden« bedeutet.

Springen wir nun ein paar Jahrtausende vorwärts und schauen uns das prächtige Tal an, das entstanden ist. Das Wasser schneidet sich nach wie vor fröhlich durchs Gestein. Mittlerweile sind links und rechts vom Fluss jedoch hochaufragende Wände entstanden. Die Schlucht ist geboren! Und in ihr, da lebt’s. Es grünt und blüht und flattert und schwirrt. Zumindest aus menschlicher Sicht. Aus Sicht des Gesteins klafft da eine riesige, immer tiefer werdende Wunde, in der sich alles Mögliche an Leben angesiedelt hat. Von wegen Zeit heilt alle Wunden. Schon Jahrtausende sind vergangen, und die verfluchte Wunde wird einfach immer tiefer! Nun aber genug mit der gesteinszentrierten Sichtweise auf die Dinge. Schauen wir uns mal genauer an, wer da alles so lebt.

Abgründige Bäume


Eine Schlucht ist so wie ihre Geschichte: dunkel und feucht. Sonnenlicht ist hier ein selten gesehener Gast. Wasser hingegen ist nicht nur unten im schneidenden Fluss anzutreffen, sondern befeuchtet auch die Hänge selbst. Der Boden ist hier nicht der stabilste, er lässt sich eher als geröllig bezeichnen. Wenn es viel regnet, rutschen, rollen und fliegen die einen oder anderen Steine oder Felsen durch die Gegend. An so einem mitreißenden Ort fühlen sich Bäume am wohlsten, die sich besonders gut festhalten können. Dazu gehören insbesondere Berg-Ahorn, Berg-Ulme, Esche und Linde.

Die Linde ist wohl einer der bekanntesten dieser Bäume, denn Linden werden häufig als Straßenbäume gepflanzt. Doch hier im Schluchtwald ist ihre wahre Heimat. Eigentlich handelt es sich um zwei Lindenarten, nämlich Sommerlinde und Winterlinde. Da die beiden Arten sich aber ökologisch sehr ähneln und hin und wieder auch bastardisieren, also sich vermischen, sprechen wir hier einfach von Linden.

Sie sind der baumifizierte Zucker. Die Steine im Schluchtwald müssen echt aufpassen, dass sie keine Karies von diesen Bäumen bekommen. Aber zum Glück ist es ja feucht, und das Wasser putzt gut durch. An einer einzigen Linde können bis zu 60 000 Blüten ihren Honigduft verströmen. Gemeinsam produzieren sie bei guten Bedingungen mehrere Kilo Nektar am Tag. Wenn man dann noch bedenkt, dass eine Linde bis zu 1000 Jahre alt werden kann, kommen da ein paar Tonnen Nektar pro Baum zusammen. Darum verwundert es nicht, wenn Bienen im Schluchtwald vorbeischauen und vor lauter Ekstase komplett ausrasten. Und als wären Tonnen an Nektar nicht genug, haut die Linde noch mehr Zucker raus. In diesem Fall allerdings unfreiwillig. Denn die Lindenzierlaus saugt unglaublich gerne die leckeren Säfte aus den Lindenblättern. Lirum, larum Löffelstiel, wer viel frisst, der scheißt auch viel. Und darum scheiden auch die Lindenzierläuse Honigtau aus. Sage und schreibe 90 Prozent ihrer aufgenommenen Energie landen wieder unter der Linde. Diese süße und klebrige Honigtauschicht kennt man aus Städten, wenn sie Autos verziert, man mit den Schuhen auf dem Gehweg kleben bleibt oder wenn es bei strahlendem Sonnenschein auf einmal von oben tropft. Ja, das ist dann alles süße Läusekacke. Im Wald haben diese Ausscheidungen jedoch einen großen Nutzen. Sie regen nämlich Bodenbakterien an, die im totalen Zuckerschock ihre ganze überschüssige Energie rauslassen müssen und den Boden so fruchtbarer machen. Schön für all die vielen Kräuter, die im Schluchtwald unter der Linde wachsen.

An den Saugstellen auf den Lindenblättern siedeln sich nun wiederum Rußtaupilze an, welche die süßen Reste verwerten. Die Linde stimmt dies eher missmutig, denn die Pilze auf den Blättern sind nicht gerade förderlich für die Photosynthese. Apropos Pilze. Da gibt es einige, die die Linde besonders mögen. Zum einen versorgen eine ganze Handvoll freundlicher Symbiose-Pilze die Linde im Austausch für Zucker mit wichtigen Nährstoffen. Zum anderen gibt es aber auch noch die Pilze, die das Laub und das Holz der Linde verdauen. Und gerade unter diesen gibt es im Schluchtwald eine absolute Besonderheit.

Im späten Winter und Vorfrühling, noch bevor die ersten Frühblüher erblühen, ist so mancher Schluchtwald rot gepunktet. Keine Sorge, das sind nicht die Windpocken oder Masern, nein, jetzt fruktifiziert auf abgefallenen Lindenästen der Linden-Kelchbecherling. Dieser Pilz bildet zu dieser für Pilze wohl kaum berühmten Jahreszeit knallrote becherförmige Fruchtkörper aus. Die sind so was von rot, dass sie so unnatürlich wirken wie Kunstfingernägel an Wolfstatzen. In seltenen Fällen gibt es die leuchtenden Becher auch mal in Gelb. Die grellen Farben dienen vermutlich dazu, das Sonnenlicht besser zu absorbieren. Denn jedes bisschen Wärme zählt in dieser ungemütlichen Jahreszeit. Und wer sich keine Mütze häkeln kann, muss eben anderweitig kreativ sein. Dass man diese seltenen Pilze unter einer Dorflinde findet, ist übrigens äußerst unwahrscheinlich, denn sie benötigen den Lebensraum Schluchtwald, und zwar einen richtig kalkhaltigen.

Betrachten wir einen weiteren Baum, der gerne am Abgrund steht, nämlich die Berg-Ulme. Sie kann bis zu 400 Jahre alt und über 40 Meter hoch werden. Beachtlich, wenn man das ganze Geröll bedenkt. Noch beachtlicher, wenn man ihren Leidensdruck bedenkt. Die Berg-Ulme erfährt nämlich vorzeitigen Samenerguss – und das ganze 400 Jahre lang! Das heißt, sie bildet Jahr für Jahr ihre Samen schon aus, bevor sie überhaupt Laub trägt. An diesen Samen befinden sich kleine grüne Flügelchen, damit der Wind sie möglichst weit verbreiten kann. Diese Flügelchen haben einen Clou. Sie können nämlich Photosynthese betreiben. Somit macht die Berg-Ulme schon lecker Zucker aus Licht und Luft, bevor ihr Blätter wachsen. Ziemlich gerissen! Doch bevor die Ulme ihre Samen in alle Winde schießen kann, muss sie erst einmal geschlechtsreif werden. Und dafür lässt sie sich so richtig viel Zeit. Erst nach 30 bis 40 Jahren ist so eine Berg-Ulme überhaupt blühfähig. In dem Alterszeitraum, in dem wir Menschen so langsam aber sicher von der Quarterlife-Crisis in die Midlife-Crisis hineinrutschen, entdeckt die Ulme zum ersten Mal ihre Sexualität.

Apropos, mit ihren hübschen Blättern ist die Ulme nicht nur ein Objekt der Begierde für andere Ulmen, sondern auch eine Delikatesse für viele Insekten. Kaum sind die Blätter da, fressen auch schon die weiblichen Ulmenblattkäfer kleine Kuhlen in die Blattunterseiten, um dort ihre Eier hineinzulegen. Die Larven, die daraus schlüpfen, ernähren sich streng ulmitarisch. Was hält die Berg-Ulme eigentlich davon, dass sie so gern gegessen wird? Sie sprudelt nur so vor Abscheu und Missvergnügen! Darum verströmen die Ulmenblätter schon dann, wenn die weiblichen Käfer an ihren Eiablageplätzen knabbern, ein Duftgemisch, mit dem sie Erzwespen anlocken. Die Erzwespen wiederum bauen eine Eier-Matrjoschka, indem sie ihre eigenen Eier in diejenigen der Ulmenblattkäfer hineinlegen. Die geschlüpften Erzwespenlarven fressen dann im Ei die Larven der Ulmenblattkäfer, ehe diese überhaupt schlüpfen und losmampfen können. Wer Krieg mit Ulmen will, kriegt Krieg mit Ulmen! Zumindest wenn man ein Ulmenblattkäfer ist.

Doch viele weitere Insekten stehen ebenfalls auf Ulmenblätter, und nicht immer ist der Baum so gut gewappnet für seine Selbstverteidigung. Wenn im Sommer die Blätter richtig schön groß sind, schauen die Raupen des Ulmen-Harlekins vorbei. Genüsslich futtern sie sich am Ulmen-Salat-Buffet so richtig schön satt. Kommt dann der Herbst, verpuppen sich die schwarz-weiß-gelben Raupen unter der Erde. In der Puppe findet nun die Metamorphose statt: Aus der Raupe wird ein...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Arten • Biotop • Insekten • Landschaft • Naturschutz • Pflanzen • Tiere • Umwelt • Vielfalt • Vögel • Wald • Wandern • Wiese • Wild
ISBN-10 3-8437-3177-2 / 3843731772
ISBN-13 978-3-8437-3177-5 / 9783843731775
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