Waldwissen (eBook)
384 Seiten
Ludwig (Verlag)
978-3-641-29422-9 (ISBN)
- Tiefe Einblicke in ein komplexes Ökosystem: geballtes Wissen, verblüffende Einsichten, ungeahnte Zusammenhänge
- Das umfassendste Buch zum Thema Wald - mit vielen Fotos, anschaulich und opulent bebildert
Peter Wohlleben, Jahrgang 1964, wollte schon als kleines Kind Naturschützer werden. Er studierte Forstwirtschaft und war über zwanzig Jahre lang Beamter der Landesforstverwaltung. Heute arbeitet er in der von ihm gegründeten Waldakademie in der Eifel und setzt sich weltweit für die Rückkehr der Urwälder ein. Er ist Gast in zahlreichen TV-Sendungen, hält Vorträge und Seminare und ist Autor von Büchern zu Themen rund um den Wald und den Naturschutz, die sich allein im deutschsprachigen Raum 2,5 Millionen Mal verkauft haben. Für seine emotionale und unkonventionelle Wissensvermittlung wurde Peter Wohlleben 2019 die Bayerische Naturschutzmedaille verliehen. Seine Bücher sind in über 46 Ländern erschienen.
- Spiegel Jahres-Bestseller: Sachbuch / Paperback 2023 — Platz 17
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 37/2023) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 35/2023) — Platz 15
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 22/2023) — Platz 5
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 21/2023) — Platz 3
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 19/2023) — Platz 3
Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume
Wälder sind Ökosysteme. Der Begriff leitet sich ab vom altgriechischen Oikos, Haushalt. Systeme sind ein organisiertes und geordnetes Ganzes. Leicht zu verstehen ist das ohne Erläuterung tatsächlich nicht. Was sollen denn Haushaltssysteme in der Natur sein?
Es ist fast paradox. Die irdische Natur umgibt uns ganz direkt, und unsere Existenz hängt komplett von ihr ab. Aber es fehlen uns immer noch die allgemein verständlichen Worte, die für alle widerspiegeln, worum es geht.
Es steckt so viel in diesem Begriff und im Konzept des Ökosystems, dass er oftmals vereinfacht wird, um ihn auch jenseits von Fachkreisen verwenden zu können.
Ein Ökosystem wird häufig darüber definiert, dass es aus lebenden Organismen, einer Lebensgemeinschaft oder Biozönose, und einem Lebensraum, dem Biotop, besteht. Diese Definition wird dem Schöpfer der Idee, Arthur Tansley, allerdings nicht gerecht, der ja just das Ökosystem erfand, um den Begriff Gemeinschaft zu vermeiden. Es ging dabei doch wesentlich um das System und das Systemische, also das Zusammenwirken, und nicht nur um das Ergebnis der Teile.
Zum einen gilt: »Wald ist mehr als die Summe seiner Bäume«, zum anderen ergibt sich nicht automatisch ein Ökosystem dadurch, dass man diverse Lebewesen zusammen an einem Ort hält. Zoologische oder Botanische Gärten sind keine Ökosysteme, sondern müssen mühsam gepflegt und gewartet werden, damit sie erhalten bleiben. Was also macht einen Wald »Öko« und was zum »System«?
Das Ökosystemverständnis ist so wichtig, dass es sich lohnt, hier etwas genauer hinzuschauen. Dabei müssen nicht nur die zentralen Bestandteile von Ökosystemen verstanden werden, sondern vor allem auch die Prozesse in ihnen, der Treibstoff, der sie am Laufen hält, ihre Wirkungen und Funktionen. Ökosysteme wie Wälder zu verstehen und zu bewirtschaften, bedeutet daher weniger, die Einzelteile möglichst genau zu kennen und einzeln zu bearbeiten, als vielmehr, in Zusammenhängen zu denken. In den folgenden Abschnitten werden wir uns deshalb mit vielerlei physikalischen, chemischen und biologischen Zusammenhängen der Wälder vertraut machen. Wer von Bäumen und Wäldern leben will, darf Moleküle genauso wenig ignorieren wie das Phänomen des Lebens an sich. Und, keine Sorge, auch der Mensch kommt noch hinzu – als Teil der Ökosysteme.
Die einzelnen Teile im Verhältnis zum Ganzen
Gedacht sei an dieser Stelle des herausragenden Forschers und Denkers Alexander von Humboldt.
Folgen wir seinem »Bestreben, die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen«. Auch wenn es scheinbar »nur« um den Wald geht, mögen wir uns einem kosmischen Humboldtschen Wissenschaftsverständnis verpflichtet sehen. »Es sind (...) die Einzelheiten im Naturwissen ihrem inneren Wesen nach fähig wie durch eine aneignende Kraft sich gegenseitig zu befruchten«,1 und »in der Lehre vom Kosmos wird das Einzelne nur in seinem Verhältniß zum Ganzen, als Theil der Welterscheinungen betrachtet«.2
1A. von Humboldt (1845): Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Vollständige Ausgabe in 2 Bänden. Faksimile hrsg. von H.M. Enzensberger, Eichborn, Frankfurt, 2004. S. 3.
2Ebenda. S. 25
Wälder sind Systeme
»Es ist an der Zeit, die rein reduktionistische molekulare Sichtweise durch eine neue und wirklich ganzheitliche Sichtweise der lebenden Welt zu ersetzen, bei der Evolution, Emergenz und die der Biologie innewohnende Komplexität im Vordergrund stehen.«
Carl Woese (2004)1
Wir benutzen das Wort System recht häufig in der Alltagssprache. Im Altgriechischen bedeutet systema ein »organisiertes Ganzes, ein aus Teilen zusammengesetztes Ganzes«. Es geht aus dem Wortstamm synistanai, »zusammenfügen, organisieren, in Ordnung bringen«, hervor. Die Bedeutung gemäß einer »Reihe von zusammenhängenden Prinzipien, Fakten, Ideen usw.« kam erstmals in den 1630er-Jahren auf. Die Benutzung als »tierischer Körper als organisiertes Ganzes, Summe der Lebensprozesse in einem Organismus« ist seit den 1680er-Jahren belegt.2
Seit der Antike fragten sich Menschen, warum es in der Natur eine Ordnung gibt, wie Formen entstehen und alles zusammengehört. Erst im 20. Jahrhundert entstand eine allgemeine Systemtheorie, die von Ludwig von Bertalanffy vorgeschlagen wurde.3 Sie hat viele Wissenschaften befruchtet und führte zu einem gänzlich neuen Denken in Zusammenhängen. Systemik ist eine Grundbedingung für die Wissenschaft vom Haushalt in der Natur, die Ökologie.
Systeme bestehen aus verschiedenen Komponenten, die miteinander in Wechselwirkung treten. Sie interagieren und tauschen etwas aus, was jeweils Wirkungen hervorbringt. Die wichtigste Konsequenz ist, dass diese Komponenten ein größeres Ganzes bilden, das ganz andere Eigenschaften hat als die Einzelteile. Dieses Phänomen nennt man Emergenz. Systeme haben neu entstehende, also emergente Eigenschaften. Systeme können lebendig sein, aber auch unbelebt. Unbelebte Systeme sind zum Beispiel die Atome oder Moleküle, die jeweils aus einzelnen Komponenten bestehen. Diese können sich anziehen und Bindungen eingehen. Wenn etwa zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom miteinander reagieren und ein Molekül bilden, entsteht ein Wassermolekül. Aus unsichtbaren Gasen wird bei bestimmten Temperaturen eine sichtbare Flüssigkeit mit emergenten Eigenschaften, die nichts mit den Eigenschaften der beiden Gase zu tun haben.
Aus einzelnen Kohlenstoffatomen werden im Verbund Diamanten, Graphit oder Fullerene. Drei unterschiedliche Stoffe, weich, hart, löslich, elektrisch leitend oder eben auch nicht. Allein zwischen dem fast wertlosen Schmiermittel Graphit und den so wertgeschätzten Diamanten könnte der wahrgenommene Unterschied kaum größer sein. 20 Gramm Graphit kosten 50 Cent, 20-Gramm-Diamanten können schon mal Dutzende von Millionen Euro kosten. Im Falle des Kohlenstoffs entscheiden die räumliche Anordnung und die Art, wie die Kohlenstoffatome miteinander verbunden sind, über die emergenten Stoffeigenschaften. Hier gilt schon einmal die erstaunliche Einsicht: Nicht die Teile bestimmen die Eigenschaften dessen, was ist, sondern deren Wechselwirkungen!
Kohlenstoff ist für das Leben – im wahrsten Sinne des Wortes – von elementarer Bedeutung. Und wenn sich zu sechs Kohlenstoffatomen zwölf Wasserstoff- und sechs Sauerstoffatome hinzugesellen, kann Glucose beziehungsweise Traubenzucker entstehen. In der Natur ist eine solche chemische Reaktion die Grundlage von fast allem Leben, das wir kennen. Es sind einzellige Algen oder die Chloroplasten in den grünen Pflanzen, die schrittweise zunächst Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen und dann Kohlendioxid, ein Molekül aus einem Kohlenstoffatom und zwei Sauerstoffatomen, mit dem Wasserstoff reagieren lassen, sodass am Ende Glucose und wieder Wasser entsteht. Sie benötigen dafür Lichtenergie, die von der Sonne kommt. Außerdem wird der Sauerstoff als Abfallprodukt frei. Der Prozess heißt Photosynthese, also »Licht-Herstellung«.
Mit großer Kraft und Anpassungsfähigkeit können Wälder die unmöglichsten Standorte bezwingen. Eine »Felsenbuche« im Monte-Cimino-Urwald, Lazio, Italien, der zur UNESCO-Weltnaturerbestätte »Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas« gehört (Pierre L. Ibisch, September 2018)
Andere Organismen wie etwa die Tiere können eine Kette von chemischen Reaktionen in ihren Zellen ablaufen lassen, die die Photosynthese quasi umkehren können. Sie zerlegen Glucose mithilfe von Sauerstoff, produzieren dabei Wasser und Kohlendioxid und können so die Energie für ihr eigenes Leben gewinnen, welche zuvor von den Pflanzen im Zuckermolekül festgehalten wurde. Man bezeichnet den Vorgang als Atmung. Alle Lebewesen sind für sich genommen Systeme, die wegen der Zusammenarbeit ihrer Moleküle und Zellen existieren und funktionieren. In dem Moment, in dem diese Zusammenarbeit aufhört, sterben die Lebewesen und zerfallen in ihre Einzelteile.
Die streng organisiert ablaufenden Wechselwirkungen von Molekülen in Organismen, die etwas miteinander tun – in diesem Falle fressen die einen die anderen auf –, haben emergente Eigenschaften nicht nur des lebendigen Wesens, sondern auch des größeren Systems zur Folge. In diesem Falle bedeutet es, dass ein toter Lebensraum aus Gestein, Wasser und Gasen in der Atmosphäre belebt und damit zur Biosphäre wird. Die lebenden Organismen nehmen Einfluss auf ihre Umwelt. Wenn Pflanzen mehr Sauerstoff produzieren, als von den Tieren wieder veratmet wird, verändert sich die Zusammensetzung der Atmosphäre. Dies geschah zu Beginn der Evolution der Pflanzen auf ziemlich dramatische Weise. Nach der Entwicklung der Photosynthese reicherte sich vor etwa 2,2 Milliarden Jahren das zuvor unbekannte Gas Sauerstoff in der Atmosphäre an.4 Sauerstoff ist sehr reaktionsfreudig: Er bringt etwa Eisen zum Rosten, und wenn er auf Wasserstoff trifft, kommt es zu einer explosionsartigen Reaktion, und es entsteht Wasser. Für die frühen Organismen war dieser aggressive Sauerstoff zunächst einmal ein Gift. Sie mussten sich erst auf ihn einstellen und Strategien entwickeln, ihn unschädlich zu machen – bis sie dann sogar von ihm abhängig wurden.
Das ist typisch für Systeme: Die emergenten Eigenschaften...
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | 2023 • Biodiversität • Biologie • Biowissenschaften • Botanik • Eberswalde • eBooks • Grundlagenwerk Wald • Holz • Klima • Klimaschutz • Landwirtschaft • Landwirtschaft (Bücher) • Natursachbuch • Neuerscheinung • Ökologische Forstwirtschaft • ökologische Landwirtschaft • Öko-Politik • Ökosystem • Ökosystem Wald • Pflanzen (Bücher) • Sachbücher Wald • Sachbuch Wald • Sozialökologische Waldbewirtschaftung • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Standardwerk Wald • Waldakademie • Waldarbeit • wald buch • Waldführer • Wald Handbuch • Wald Kompendium • Wald Ökologie • Waldschutz • Waldwirtschaft |
ISBN-10 | 3-641-29422-3 / 3641294223 |
ISBN-13 | 978-3-641-29422-9 / 9783641294229 |
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