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Wanderer zwischen den Welten (eBook)

Was Vögel in Städten erzählen
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
256 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8051-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wanderer zwischen den Welten -  Caroline Ring
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Die Stadt aus der Vogelperspektive Halsbandsittiche im Rheinland, Nilgänse in Frankfurt, Nachtigallen in Berlin: Die Vogelwelt in den Städten verändert sich. Menschen vernichten Lebensräume und schaffen andernorts neue. Wie unter einem Brennglas lässt sich in Städten beobachten, was es bedeutet, dass der Mensch den Lebensraum für andere Organismen formt. Nature Writing im städtischen Lebensraum Caroline Ring bereist das Land auf den Spuren seiner Vögel und erzählt ihre bedeutendsten Geschichten: vom Verschwinden der Spatzen bis zur Rückkehr der Mauersegler. Die Biologin zeigt, wie das Zusammenleben von Mensch und Tier funktioniert - und warum wir einander brauchen. Hochwertige Geschenkausstattung mit von der Autorin gestalteten Illustrationen sowie einer Reisekarte Warum Berlin die Hauptstadt der Nachtigallen ist - Wie Uhus den Dom von Hildesheim für sich eroberten - Als Amseln in Bamberg ihren Siegeszug in die Städte begannen - Ein Grünspecht treibt in Mainz sein Unwesen - Warum eine alte Frau in Weimar ihr Heim mit Mauerseglern teilt - Auf der Suche nach Haubenlerchen in Güstrow - Als Stadttauben-Stalkerin unterwegs in Bochum - Das halbjährliche Spektakel um die Höckerschwäne von Hamburg - Was Aaskrähen in Leipzig über die Geschichte Europas erzählen - Wie Halsbandsittiche in Köln eine neue Heimat fanden - Warum Nilgänse in Frankfurt/Main gejagt werden - Wieso Spatzen aus dem Münchner Zentrum verschwinden - Harte Maßnahmen sollen die Möwen von Kiel in Schach halten - Wie sich Austernfischer in Bremerhaven neue Wohnplätze erschließen

Caroline Ring, Jahrgang 1985, studierte Biologie mit Schwerpunkt Evolutionsbiologie in Hamburg und Berlin. Nach Stationen im Berliner Naturkundemuseum, der Financial Times Deutschland und im Wissensressort der Welt arbeitet sie heute als freie Journalistin und Autorin in Berlin. 2019 wurde sie für den Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus nominiert.

Caroline Ring, Jahrgang 1985, studierte Biologie mit Schwerpunkt Evolutionsbiologie in Hamburg und Berlin. Nach Stationen im Berliner Naturkundemuseum, der Financial Times Deutschland und im Wissensressort der Welt arbeitet sie heute als freie Journalistin und Autorin in Berlin. 2019 wurde sie für den Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus nominiert. 2020 erschien im Berlin Verlag ihr Botschafter des Lebens. Was Bäume in Städten erzählen. 

Auftakt


Intramuralornis

Wenn ich etwas ehrlich und von ganzem Herzen hasse, dann ist es sehr frühes Aufstehen. Wenn mich der Wecker mit seinem Geplärre aus dem Tiefschlaf holt, in nachtschwarzer Dunkelheit. Draußen klappen die Autotüren der Leute, die zur Frühschicht aufbrechen, und ich versuche, mehr tot als lebendig, meine starren Glieder zu sortieren.

Elendig jammernd schlurfe ich ins Bad und frage mich, ob es nicht irgendeine andere Möglichkeit gegeben hätte, eine spätere Bahn, wenigstens zehn Minuten mehr Schlaf. Ich verfluche mein Leben, aber vor allem den gestrigen Abend, an dem ich wieder einmal viel zu spät ins Bett gegangen bin. Wenn Menschen entweder Lerchen oder Eulen sind, gehöre ich eindeutig zu den Letzteren. Aber es muss sein. Und wenn ich ehrlich bin, hasse ich dieses so frühe Aufstehen heute auch nur zehn Minuten lang.

Draußen hat der Mai begonnen, und das heißt: Die Hauptsaison des Vogelgesangs nähert sich ihrem Höhepunkt. Noch im Bad öffne ich das Fenster und werde sofort überwältigt. Zwitschern, Gurren, Krächzen, Trillern, alles durcheinander stürzt auf mich ein. Während sich der Himmel gerade erst blau färbt, sind die Vögel schon längst aktiv. Sie nutzen die klaren Morgenstunden, in denen die kühle Luft ihre Lieder weit trägt, und singen, wie man es zu keiner anderen Tageszeit erlebt. Ihre Lieder bereiten mir ein Bad von Lebendigkeit, in das ich dankbar eintauche.

Ich bin mit meinem Freund Mirko Thüring verabredet, um sieben Uhr am Bahnhof von Trebbin, einem kleinen Ort südlich von Berlin. Wir gehen heute auf Vogelexpedition. In den kommenden Monaten will ich herausfinden, wie Vögel es neben uns Menschen aushalten, obwohl wir doch überall, wo es nur geht, neue Städte errichten oder bestehende erweitern. Mehr als die Hälfte aller Menschen lebt heute weltweit in städtischen Ballungsräumen, und ihre Zahl steigt. Die Vögel leben dort mit uns – weil sie es können, aber auch weil sie es müssen. Wie schaffen sie das?

Damit ich überhaupt erst ein Gespür für die Vogelwelt bekomme, gehe ich raus aus der Stadt, ins Grüne, in die Natur. Im ländlichen Brandenburg wird mir Mirko zeigen, wie man Vögel erkennt, und das nicht unbedingt anhand der Eigenschaften, die für gewöhnlich in den Bestimmungsbüchern stehen. Er weiß, welche Arten wir in den unterschiedlichen Lebensräumen erwarten können, und er kann auf einen Blick seltene Vögel zwischen den häufig vorkommenden erkennen. Mirko ist Ökologe, er arbeitet bei einem Unternehmen, das unter anderem Gutachten für Bauvorhaben erstellt. Sein Spezialgebiet sind neben Lurchen und Echsen vor allem Vögel. Wenn wir uns unterhalten, lerne ich ständig dazu.

Ich bin zwar Biologin, aber was das Erkennen von Vogelarten angeht, habe ich durchaus Nachholbedarf. Doch wie wahrscheinlich alle genieße ich im Frühling das Stimmengewirr in der Luft, das sich jedes Jahr aufs Neue auf magische Weise erhebt und mit jedem Tag vielstimmiger wird. Ich freue mich über die Mauersegler, die im Mai an unserem Haus auftauchen, und bin durchaus in der Lage, Fotos von vermeintlichen Schwalben mit »Das sind doch Mauersegler!« zu kommentieren.

Ich bemerke auch, wie es im Hochsommer ruhiger wird, und träume den Kranichen und Gänsen hinterher, wenn sie im Herbst in großen Formationen über den Himmel in Richtung Süden fliegen. Und ich werde mürbe unter der stillen Leere in der Luft, in der mir die Wintermonate noch trister erscheinen, als sie es ohnehin schon sind.

In meiner wissenschaftlichen Laufbahn habe ich mich vor allem mit Tieren beschäftigt, die mehr als vier Beine haben. Zuletzt mit bestimmten Insekten, genauer: mit ihrer Evolution, noch genauer: mit ihrer genetischen Evolution. Ich habe ihr Erbgut, also ihre DNA, analysiert, weil ich verstehen wollte, wie sie zu einem Teil der biologischen Vielfalt geworden sind, die heute auf unserem Planeten existiert. Wegen dieser Insekten war ich unterwegs zwischen Wüste und Tropen, habe im Labor Proben gewonnen und anschließend Algorithmen über die gesammelten Daten laufen lassen, um den Platz dieser Tiere im Stammbaum des Lebens zu finden.

Heute bin ich Wissenschaftsjournalistin und schreibe über die lebendige Vielfalt um uns herum. Geschichten aus meinem alten Forschungsfeld nehmen zwar noch immer einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Doch reizen mich auch andere Welten, rätselhaft fremde ebenso wie die scheinbar bekannten der Vögel direkt vor der Haustür.

Vögel haben uns Menschen schon immer begleitet. In Städten sind sie die Wildtiere, denen man am häufigsten begegnet. Wie eng manche Vogelarten mit unserem Dasein verbunden sind, zeigt sich in Sprichwörtern und in den Namen, die wir ihnen gegeben haben: Haussperling. Turmfalke. Mauersegler. Stadttauben. Wir wählen lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Wir bezeichnen unsere Kinder als Dreckspatzen und schießen mit Kanonen auf Spatzen. Was in Norddeutschland dem einen sin Uhl ist, ist dem anderen sin Nachtigall. Und in Berlin hört man die Nachtigall sogar trapsen.

Doch die Vogelwelt verändert sich. Seit wenigen Jahren nimmt weltweit die Zahl der Vögel rasant ab. Sie, die doch eigentlich nur ihre Flügel aufspannen müssten, um dorthin zu gelangen, wo es ihnen besser geht, finden solche besseren Orte immer seltener. Das gilt auch für die Nahrung, die sie für sich und ihren Nachwuchs benötigen: Insekten, Amphibien und andere Futtertiere sowie Körner und Samen. Wir Menschen sind gut darin, die Lebensbedingungen der Vögel zu verändern. Wir zerstören ihre Lebensgrundlagen und ihre Nischen. Doch schaffen wir zugleich auch neue.

In den Städten vollzieht sich ein Wandel, den nur Eingeweihte bemerken. Immer mehr Vögel ziehen in unsere Nähe. Die von Menschen geschaffenen Orte werden für sie zu regelrechten Refugien. Warum ist das so? Was passiert in dieser, ihrer Welt?

 

Mirko und ich haben uns für die Expedition ins Grüne keinen beliebigen Tag ausgesucht. Heute ist in ganz Deutschland Birdrace, also Vogelrennen. Jedes Jahr an diesem Tag bilden Vogelfans überall im Land Teams und begeben sich auf Vogelsuche. Das Team, das die meisten Arten entdeckt, gewinnt. Es winken Ruhm, Ehre und das eigene Vergnügen. Schummeln ist möglich, aber damit verdirbt man sich nur selbst den Spaß.

Vorher plant man – in unserem Fall: Mirko – eine Route, packt Feldstecher ein und genug Essen für einen langen Tag. Außerdem ein Klemmbrett und eine Liste, auf der 268 von den insgesamt 552 Vogelarten notiert sind, denen man in Deutschland begegnen kann. »Schnatterente« lese ich zum Beispiel, als mir Mirko im Zug das Blatt zeigt. In meinem immer noch nicht ganz wachen Kopf erscheint das Bild einer quietschgelben Ente mit rotem Halstuch. »Die sehen wir heute wahrscheinlich auch«, sagt Mirko nur.

Mirko hat lange dunkle Haare und ist im Sommer oft auf Mittelaltermärkten zu finden. Er gehört zu jenen Menschen, die eher anderen zuhören, als von sich selbst zu erzählen. Aber wenn er etwas sagt, dann meint er es auch so. Und heute sagt er: »Hundert Arten will ich schon finden.« Ich schaue ihn verblüfft an. Erst die Schnatterente und jetzt hundert Arten? »Na klar, das sollte möglich sein«, sagt er und grinst.

Am Bahnhof von Trebbin geht es direkt los. Wir sind allein. Kein Mensch ist unterwegs, kein Auto auf den Dorfstraßen zu sehen. »Kranich«, beginnt Mirko. »Elster – Blaumeise – Feldsperling – Hausrotschwanz.« Ich versuche, ihm zu folgen. Mirko wechselt im Minutentakt zwischen Liste, Stift und Fernglas. Eigentlich bräuchte er drei Hände.

»Warte mal«, sage ich schließlich, meine Aufgabe erkennend. Von nun an bin ich die, die das Klemmbrett hält. Die hinhört, wenn Mirko auf schon wieder eine neue Melodie hinweist. Ich schaue durch den Feldstecher in die Richtung, die er mir zeigt, und trage anschließend Kreuze und Uhrzeiten in die Liste ein.

Wir sind mit Fahrrädern unterwegs, um uns schnell zwischen den Landschaften bewegen zu können. Wir fahren durch Wälder, über Wiesen, durch Feuchtgebiete, über geteerte Straßen und Feldwege. Immer wieder halten wir an, und ich notiere: Mehlschwalbe, Rotmilan, Sommergoldhähnchen und Baumpieper. Fischadler, Rohrdommel, Grünschenkel und Schwarzspecht. Kleiber, Bruchwasserläufer und – Schnatterente! Tatsächlich! Bei einem kleinen Flugplatz machen wir Mittagspause und schauen Privatmaschinen...

Erscheint lt. Verlag 27.10.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Abholzung • Amsel • Artenschutz • Artensterben • Artenvielfalt • Biodiversität • Drossel • Feldforschung • Klimawandel • Lebensraum • Nachhaltigkeit • Nachtigall • Natur • Nature writing • Ornithologe • Ornithologie • Schwalbe • Schwan • Spatz • Stadtplanung • Tauben • Umweltschutz • Vögel • Vogelkunde • Wildnis
ISBN-10 3-8270-8051-7 / 3827080517
ISBN-13 978-3-8270-8051-6 / 9783827080516
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