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Wo die wilden Tiere wohnen (eBook)

Mein Leben als Naturführer in der Lausitz - Mit außergewöhnlichen Natur- und Tieraufnahmen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
224 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-27243-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wo die wilden Tiere wohnen - Karsten Nitsch
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Die Lausitz ist eines der größten und artenreichsten Naturgebiete Europas und tief mit der Geschichte der Sorben verwurzelt. Dichter Wald und Heidegebiete wechseln sich ab mit Lichtungen, offener Feld- und Wiesenlandschaft, gefolgt von Dörfern, ehemaligen Braunkohlerevieren, Mooren und Seelandschaften, wo viele Vögel und Insekten leben. Des Nachts hört man Wölfe heulen und kann den Nachtschwalben bei der Jagd zusehen. Von klein auf verbrachte der heutige Naturführer und Fotograf Karsten Nitsch seine Zeit in diesen geheimnisvollen Wäldern und beobachtete Tiere. In seinem Debüt erzählt Nitsch anhand von Begegnungen mit Tieren wie der Nebelkrähe Max, majestätischen Seeadlern oder heulenden Wölfen von der Einzigartigkeit der Lausitz. In all den Jahren hat er es sich zur Aufgabe gemacht, sein Umfeld für die Wunder der Natur und die Historie der Region zu sensibilisieren, und betont immer wieder, dass wir Menschen Teil dieses natürlichen Kosmos sind. Die Lebensnähe seiner Schilderungen verdeutlicht die Einzigartigkeit und Kostbarkeit der Lausitz und lässt uns in eine faszinierende Welt eintauchen. Spannend, mitreißend und beinahe magisch mit fantastischen Tier- und Naturaufnahmen im Buch.

Karsten Nitsch wurde 1962 in der Lausitz geboren, wo er heute mit seiner Familie in einer selbstgebauten Blockhütte lebt. Er arbeitete unter anderem als Binnenfischer, Waldarbeiter und in der Umweltbildung, bevor er sich entschied, Naturführer zu werden. Nitsch wirkte bei verschiedenen Dokumentationen auf MDR, NDR und ARTE über die Lausitz sowie bei einer Schweizer Filmproduktion über die Rückkehr der Wölfe mit. Seine Naturfotografien erschienen in namhaften Magazinen wie der GEO. Online findet man ihn unter: spreefotograf.de

Aufbruch ins Paradies

Ein Fensterbrief war und ist für mich immer etwas Unangenehmes: eine Aufforderung, die Steuererklärung endlich abzugeben, oder die Mitteilung über eine Ordnungswidrigkeit, wenn ich zum Beispiel mal wieder falsch geparkt habe. Diesmal kommt er von der Gemeinde, und ich ahne, um was es geht. Der Wildwuchs entlang meines Grundstückes, ein schmaler Streifen, etwa einen halben Meter breit, zwischen Straße und meinem Zaun, war anderen Dorfbewohnern schon des Öfteren ein Dorn im Auge, und nun soll ich ihn umgehend entfernen. Ordnung muss sein, nur welche Ordnung, frage ich mich. Auch die Natur kennt Ordnung, nur diese schaut meist anders aus als die von Menschen gemachte.

Zugegeben, das ganze Grundstück hebt sich deutlich von den gut gepflegten Vorgärten im Dorf ab. Das schätzen auch viele hier brütende Vogelarten, das Eichhörnchen, die Kröten und Massen von Insekten auf meiner bunt blühenden Wiese. Vielleicht ist das den Dorfbewohnern nur nicht aufgefallen. Vielleicht wissen sie aber auch nicht, dass natürliche Vielfalt nur da explodiert, wo wir nicht mit ordnender Hand eingreifen. Regelmäßig wird in der Gemeindezeitung darauf hingewiesen, im Dorf auf Ordnung zu achten. Grünflächen sollten gemäht werden, und Straßenränder seien von Unkräutern zu befreien. Schließlich solle unser Dorf für Besucher ein schönes Bild abgeben. Jeden Sonnabend, wenn ich durch das Dorf fahre, sehe ich darum dessen Bewohner, bewaffnet mit Eimern, Schaufeln und Straßenbesen, in reger Betriebsamkeit vor ihren Hofeinfahrten. Was sie hier tatsächlich tun, erschließt sich mir allerdings nicht, denn für meine Begriffe ist ohnehin alles schon sehr aufgeräumt. Trotzdem wird eifrig gefegt. Vielleicht geht es nur darum, dem Nachbarn zu signalisieren, dass man seiner Pflicht nachkommt? Vielleicht sucht man Kontakt und hat keinen plausiblen Grund, nebenan zu klingeln? Wenn man mit den Nachbarn ins Gespräch kommt, hat das ja schließlich auch eine soziale Komponente. Ein Gespräch am Zaun gibt Gelegenheit zu einem frühen Bier, und man erfährt, was im Dorf gerade so läuft. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Aber scheinbar bin ich gegen diese Art Ordnung immun. Schon als Kind war ich genervt, wenn ich am Sonnabend den Hof fegen musste. Dieser war mit hartgebrannten dunkelroten Ziegeln ausgelegt, und in den Fugen zwischen den Steinen wuchs grünes Moos. Ein wunderschönes Muster. Ich hielt immer wieder inne, um es zu betrachten, wenn ich mit dem Straßenbesen vorsichtig darüberfegte. Manchmal kniete ich mich hin, um mir die Gewächse aus der Nähe anzuschauen. Kleine samtig grüne Polster, die wie ein weiches kurz geschorenes Fell flach an den Boden geschmiegt wuchsen. Erstaunlich, dass sie hier auf dem alltäglich stark begangenen Weg überhaupt existieren konnten. Meine Großmutter hatte für diese Schönheit keinen Blick. So machte sie sich wenigstens einmal im Jahr daran, die Fugen mit einem alten Küchenmesser vom Moos zu befreien. Nun dauerte es meist nicht lange, bis kleine schwarze Ameisen die Fugen als Straßen nutzten und unter den Ziegeln ihre Wohnstätten errichteten. Auch das war meiner Großmutter ein Dorn im Auge, und sie bekämpfte die winzigen Tiere mit kochendem Wasser, das sie zielsicher in die Fugen goss. Diese Arbeit macht sich heute natürlich niemand mehr, mit Herbiziden und Gasbrenner lassen sich ungewollte Wildwüchse effektiver bekämpfen, und gegen Ameisen sind diverse Insektizide auf dem Markt.

Inzwischen habe ich den Brief überflogen, und mein Verdacht hat sich bestätigt. Es geht um die Hecke und den Grünstreifen entlang der Straße, die blauen Wegwarten (meine Lieblingsblumen), die dort blühen, sind mit der Dorfsatzung nicht vereinbar. Durch das geöffnete Fenster dringt vom Nachbargrundstück das Knattern eines Benzinrasenmähers herüber, und kurz darauf beginnt ein weiterer Nachbar, gegen den seiner Meinung nach zu üppigen Grünwuchs ins Feld zu ziehen. Blühende Pflanzen haben hier keine Chance. Einmal wurde ich von jemandem aus der Nachbarschaft aufgefordert, meinen »Rasen« mal wieder zu mähen. Ich musste dann erklären, dass das, was er da vom Küchenfenster aus sehe, eine Wiese mit verschiedenen Blumen sei und keinesfalls ein Rasen. Eine solche Fläche werde ein-, höchstens zweimal im Jahr gemäht.

Wann haben wir eigentlich angefangen, unser ästhetisches Empfinden zu verändern? Im Garten meiner Kindheit war die Wiese einen halben Meter hoch. Verschiedene Gräser, zwischen denen Wiesenschaumkraut, gelbe Hahnenfüße und lilafarbene Kuckuckslichtnelken blühten, standen im Schatten der alten hochstämmigen Obstbäume, die im Herbst überladen mit Äpfeln, Birnen und Pflaumen uns Kindern ein gesundes Menü boten. Zwischen den benachbarten Gärten, die sich damals alle glichen, befanden sich keine Zäune, und so war der gesamte Bereich im hinteren Teil der Grundstücke entlang unserer Straße eine große Streuobstwiese. In den höhlenreichen alten Obstbäumen brüteten viele verschiedene Singvogelarten, und auf der ganzen Wiese wimmelte es nur so von Insekten. Zwischen den hinteren Gartenbereichen, in denen sich die Wiese befand, und den Wohnhäusern mit Nebengebäude und Hof lagen die Gemüsegärten. Bohnenbeete und Zeilen mit Mohrrüben, Kohlrabi, Erdbeeren, Porree, Schnittlauch und Petersilie wuchsen zwischen Stachel- und Johannisbeersträuchern. Am Rand standen unter einem alten Birnbaum die Rhabarberpflanzen, auf deren großen Blättern regelmäßig Laubfrösche zu finden waren. Diese Froschart sucht nur zur Paarungszeit Gewässer auf und lebt ansonsten in offenen, parkartigen, mit einigen Bäumen oder Sträuchern bestandenen Gelände. Sie ist die einzige heimische Froschart, die klettern kann. So kann man ihre Rufe nicht selten aus den Baumkronen vernehmen. Im Apfelbaum neben dem Gemüsegarten hing immer eine Zinkgießkanne, die sich eines der Laubfroschmännchen einmal als Quartier ausgesucht hatte. Sein abendliches Konzert war natürlich besonders laut, denn die Gießkanne verstärkte den ohnehin lauten Laubfroschgesang enorm.

Überhaupt waren die Geräusche in meiner Kindheit andere als die der heutigen Zeit. Vögel und Amphibien gehörten damals in meinem Dorf, vor allem am Dorfrand, wo mein Elternhaus steht, zu den lautesten Geräuschverursachern. Ich erinnere mich gern an das schnelle rhythmische »Tingtingtingting«, welches erklingt, wenn Metall auf Metall schlägt. Im Sommer schallte es regelmäßig am Sonnabendnachmittag durch die Gärten, wenn unser alter Nachbar immer seine Sense auf einem kleinen Amboss dengelte. Selbst hier in den Dörfern weiß kaum noch einer, wie man das macht. Mich erinnerte der Klang immer an ein fernes Glockengeläut. Auch das Geräusch, welches entstand, wenn mein Vater die scharfe Sense schwungvoll durch das Gras gleiten ließ, ist hier auf den Dörfern am Aussterben, genauso wie die Schleiflaute, die bei der Benutzung eines Wetzsteins zu hören sind. All diese Geräusche hatten ihren Rhythmus, und ihr Klang integrierte sich in die Gesänge der Vögel oder das Zirpen und Summen der Insekten. Es war immer ein harmonischer Sound und niemals Lärm, wenn Menschen bei ihrer Arbeit in der Natur Geräusche verursachten. Mit der Zeit hat sich das verändert, Mähbalken, Motorsensen und Rasenmäher sind die Werkzeuge der Gegenwart. Sie aber verursachen nicht nur großen Lärm, der uns krank macht und den wir merkwürdigerweise geduldig ertragen, diese Geräte verschmutzen mit ihren Abgasen zusätzlich die Luft. Manche wenden ein, dass es auch leise elektrische Mäher gäbe. Leider sorgen sie nicht nur dafür, dass jedem Gänseblümchen noch vor dem Öffnen der Blüte der Garaus gemacht wird, sie haben sich auch als todbringende Gefahr für Igel, Amphibien und viele Insekten erwiesen. In unserem Ordnungswahn haben wir nicht bemerkt, dass wir in unseren Gärten, die einstmals dazu dienten, uns zu versorgen, der Natur den Krieg erklärt haben. Wir stehen an der Front, ohne zu realisieren, dass wir diese verlustreiche Schlacht auch gegen uns selbst führen.

Mit dem Brief in der Hand schaue ich sehnsüchtig aus dem Küchenfenster des alten Forsthauses. Von hier ist die Spree kaum zu sehen. Ein etwa 150 Meter breiter Streifen aus Feld und Wiese liegt dazwischen. »Warum steht das Haus nicht da, näher am Fluss?«, denke ich. »Das wäre weit genug weg von der Dorfstraße, und keiner würde sich an meinem Paradies stören.« Meine Hand krampft sich um das Papier, und ich zerknülle den Brief: »Es muss etwas geschehen«, beschließe ich.

Das alles liegt inzwischen 20 Jahre zurück. Damals wusste ich noch nicht so recht, was ich tun sollte. Diskussionen mit den zuständigen Stellen sind in solchen Fällen meist völlig aussichtslos. Glücklicherweise konnte ich in der Nachbarschaft ein Stück Land erwerben, das mir endlich den ersehnten Zugang zum Fluss ermöglichte. Hier wollte ich meine Ideen nach und nach in die Tat umsetzen und meine Kreativität ausleben. Anfangs diente mir ein zweiachsiger Bauwagen als Unterkunft, später habe ich mir die bereits erwähnte Blockhütte gebaut und ein kleines Naturcamp mit verschiedenen Unterkünften – die meisten davon ebenfalls im Blockbaustil – für meine Gäste errichtet. Hier sollte endlich mein kleines Naturparadies entstehen, ein Freiraum, in dem Menschen und möglichst viele wilde Tiere dicht beieinander leben sollten. Dazu musste natürlich zuerst das Gelände vorbereitet werden. Viele Wiederansiedlungsprojekte mit Wildtieren sind gescheitert, weil die Bedingungen für die jeweilige Tierart nicht geeignet waren. Selbst wenn es sich um Arten handelt, die in dem entsprechenden Gebiet früher heimisch waren, muss man erst herausfinden, aus welchen Gründen sie von dort verschwunden sind. Auf dem Gelände des Spreecamps ging es aber nicht darum, gezielt Bedingungen...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2021
Zusatzinfo mit Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Braunkohlerevier • Corona • Das geheime Leben der Bäume • Deutschland • Die Genies der Lüfte • eBooks • Ellia Radinger • Geographie • Heimat • Insekten • Klima • Nachhaltigkeit • Natur entdecken • Naturgebiet • Natürliches Leben • Outdoor • Peter Wohlleben • Polen • Ratgeber • Sorben • Sport • Trapperromantik • Urlaub zu Hause • Vögel • Wald • Wolf
ISBN-10 3-641-27243-2 / 3641272432
ISBN-13 978-3-641-27243-2 / 9783641272432
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