'Gar nichts muss ich!' (eBook)
167 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61130-0 (ISBN)
Dr. phil. Marcus Damm, Dipl.-Päd., bildet Lehrende aller Schulformen fort. Als Studienrat unterrichtet er außerdem die Fächer Pädagogik, Psychologie und Ethik an der Anna-Freud-Schule in Ludwigshafen.
Dr. phil. Marcus Damm, Dipl.-Päd., bildet Lehrende aller Schulformen fort. Als Studienrat unterrichtet er außerdem die Fächer Pädagogik, Psychologie und Ethik an der Anna-Freud-Schule in Ludwigshafen.
2 Konzepte zum Umgang mit schwierigen Schülern
Gibt man auf google.de die Begriffe Lehrer, schwierige und Schüler ein, so ergibt die darauffolgende Suche nicht weniger als 3.312.000 Treffer (13.09.2018). Das ist ordentlich, und es lässt tief blicken. Noch interessanter wird es, wenn man eingibt: Gewalt gegen Lehrer. Da erscheint dann eine ungleich höhere Trefferzahl von 6.130.000 (14.09.2018).
Viele Lehrkräfte nutzen Fort- und Weiterbildungen sowie Sach- und Fachbücher, um diesem Thema professionell zu begegnen bzw. um ihre Kompetenzen zu erweitern und Konzepte zum Umgang mit schwierigen SuS kennenzulernen. Das Angebot an Maßnahmen ist sehr groß. Im Folgenden werden fünf Konzepte skizziert, die sich des Themenkomplexes annehmen und positive Effekte in Bezug auf das Classroom-Management generieren wollen. Die Auswahl basiert auf meiner eigenen theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit den Ansätzen. Außerdem besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Anzumerken ist, dass ich bei der Auswahl darauf geachtet habe, dass das jeweilige Konzept die Kriterien eines ganzheitlichen Ansatzes erfüllt, sprich die am Unterrichtsprozess Beteiligten als kognitiv-emotionale Personen begreift. Diese Ausgangslage entspricht gleichsam dem integrativen neurowissenschaftlichen Menschenbild (Roth 2015).
2.1 Konfrontative Pädagogik
„Verstehen, aber nicht einverstanden sein – gerade Linie mit Herz!“ – so lautet das Credo der Konfrontativen Pädagogik (Weidner 2010). Sie versteht sich in sozialpädagogischen Praxisfeldern als Ultima Ratio, ist geradezu der Gegenentwurf zur sogenannten „Kuschelpädagogik des reinen Verstehen-Wollens“ und richtet sich vorwiegend an aggressive und stark auffällige Jugendliche (u.a. in der Straffälligenhilfe).
Ohne Beziehung keine Resozialisierung: Obwohl der Begriff Konfrontative Pädagogik recht eindeutig in eine bestimmte Richtung weist, so wird doch von den Konzept-Vertretern der Tatsache Rechnung getragen, dass eine reine konfrontativ-provokante Methodik in Hinsicht auf Lern- und Veränderungsprozesse bei den verhaltensauffälligen Jugendlichen mittel- bis langfristig nichts bringt (Roth 2015). Man orientiert sich daher im Allgemeinen an dem Leitsatz: 80% Empathie, 20% Konfrontation (Kilb et al. 2013).
Zwei spezielle Methoden, die auch im Rahmen des Jugendstrafrechts als letzte Chancen bezüglich der Vermeidung eines Strafvollzugs häufig Berücksichtigung finden, sollen dabei helfen, aufseiten der Klienten Veränderungsprozesse auf der Denk- und Verhaltensebene anzustoßen: Das sogenannte Anti-Aggressivitäts-Training (AAT) und das Coolness-Training (CT).
Der „heiße Stuhl“: Das AAT richtet sich an etwa acht Teilnehmer und wird von ausgebildeten Trainern durchgeführt. Das AAT wird häufig richterlich angeordnet, oder aber es findet als klassische Resozialisierungsmaßnahme statt. Es besteht aus einem durchstrukturierten Training, das etwa fünf bis sechs Monate dauert – inklusive einer mehrstündigen Sitzung pro Woche. Die Teilnehmer durchlaufen eine Kennenlernphase mit Vertrauensübungen, praktizieren Biografiearbeit, Einzelgespräche, Rollenspiele und werden schrittweise mit ihrer jeweiligen Tat vor der Gruppe konfrontiert. Der sogenannte „heiße Stuhl“ ist im Rollenspiel ein Kernelement. Bei dieser Methode steht der Klient im Fokus der Aufmerksamkeit der gesamten Gruppe. Nach einer Vorbereitungsphase wird die Tat transparent gemacht, etwa durch das Vorlesen der Gerichtsakte. Empathisch-konfrontativ muss sich der Klient mit der Tat auseinandersetzen. Die Außenstehenden bohren nach, lassen keine Ausflüchte zu und bleiben hartnäckig. Durch dieses Vorgehen wird Druck aufgebaut, der zu Erkenntnisprozessen auf Klientenseite führen soll, die konstruktiv und zielorientiert sind.
Ziel des AATs ist es, die Jugendlichen mithilfe einer vertrauensvollen professionellen Beziehung konsequent und ohne Kompromisse mit ihrer Aggressionstat zu konfrontieren, das Opferleid entsprechend bewusst zu machen und gemeinsam zukünftige Lösungsstrategien zu entwickeln, die in späteren ähnlichen Situationen eine (prosoziale) Verhaltensalternative ermöglichen sollen.
Konfrontative Pädagogik in der Schule: Der Transfer der konfrontativen Methodik in den Bildungskontext erfolgte bereits (Kilb et al. 2013).
Das CT, quasi das Kernelement des Transfers, ist als Ergänzung zum AAT zu verstehen (Weidner/Kilb 2011). Es basiert auf einer konfrontativ-prophylaktischen Grundlage und wird in Jugendhilfeeinrichtungen und vor allem an Bildungseinrichtungen durchgeführt.
Für teilnehmende SuS ist es sehr gewinnbringend, dass das CT nicht nur potenzielle oder auch schon in Erscheinung getretene Täter fokussiert, sondern auch entsprechend strukturierte Opfer und auch scheinbar unbeteiligte Beobachter. In Rollenspielen und Diskussionsrunden werden Ursachen von Gewalt sowie typische Auslöser gemeinsam reflektiert und auf den Prüfstand gestellt (Weidner / Kilb 2011). Weitere Methoden sind Visualisierungstechniken, körperbetonte Spiele, konfrontative Feedback-Runden (adressiert an Täter), Entspannungs- und Vertrauensübungen sowie die Entwicklung von Opfer-Perspektiven.
Ziel des Trainings ist es, zukünftige Situationen, die Täter-Opfer-Konstellationen beinhalten, zu minimieren.
TIPP
In Bezug auf den Umgang mit narzisstischen SuS ist das Konzept der Konfrontativen Pädagogik sicherlich ein Ansatz, der sich zielführend in Schulklassen einsetzen lässt, sei es in präventiver oder auch konfrontativer (Nachbearbeitungs-)Form. Einige Elemente des AATs und des CTs erinnern didaktisch-methodisch an ausgewählte Interventionen, die im Umgang mit narzisstischen SuS im vorliegenden Rahmen empfohlen werden und die in Kap. 5.4ff. beschrieben werden.
2.2 Der Ansatz von Petermann / Petermann
Franz Petermann und seine Frau Ulrike Petermann sind Professoren für Klinische Psychologie an der Universität Bremen. Gemeinsam haben sie ein Gewaltpräventionsprogramm für Kinder (2012) wie auch für Jugendliche (2017) entwickelt; die beiden Konzepte weisen zahlreiche Parallelen auf. Das letztgenannte Training richtet sich u.a. auch an SuS zwischen 13 und 20 Jahren, die aggressiv-dissoziales Verhalten an den Tag legen und/oder Arbeits- und Motivationslosigkeit offenbaren.
Kernbereiche des Trainings: Im Fokus der Didaktik und Methodik stehen u.a. Selbstbeobachtung, Lebenseinstellungen und Gefühle. Mithilfe von Übungen und Arbeitsmaterialien lernen die Jugendlichen schrittweise die Metaebene kennen; sie werden gewissermaßen psychologisch gecoacht. Die Lehrkräfte, die das Training inszenieren, führen auch Einzelinterviews durch und verwenden Fragebögen zur Selbsteinschätzung. Während des Gruppentrainings erwerben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch Kompetenzen im Umgang mit Frustrationen und Kritik. Dieser Kompetenzerwerb soll ihnen später im Schul- und insbesondere im Berufsalltag hilfreich sein.
Ziele: Weitere Ziele können wie folgt benannt werden:
■ verbesserte Selbst- und Fremdwahrnehmung
■ Stärkung der Selbstkontrolle und Ausdauer
■ vernünftiger Umgang mit dem eigenen Körper und den eigenen Gefühlen
■ Förderung der Selbstsicherheit und des Selbstbildes sowie des Einfühlungsvermögens
TIPP
Der Ansatz von Petermann / Petermann passt sehr gut in die Arbeit mit narzisstisch strukturierten SuS. Gerade die angestrebte Förderung der Selbst- und Fremdwahrnehmung kann durchaus zur Verringerung des typisch narzisstischen Größenselbst beitragen. Zudem werden mit der Förderung des Einfühlungsvermögens und der Frustrationstoleranz narzisstische Phänomene wie z.B. Abwertungstendenzen bearbeitet.
2.3 Das Dreikurs-Konzept
Der Psychologe Rudolf Dreikurs (2009) war einer der ersten Wissenschaftler, die damit begonnen haben, (tiefen-)psychologische Erkenntnisse in das Praxisfeld Schule zu übertragen. Der 1972 in Chicago verstorbene Autor von Psychologie im Klassenzimmer zeigte ein starkes Interesse an den Prozessen auf der Beziehungsebene zwischen Lehrkräften und Schülern. Das Buch besticht durch seine Praxisrelevanz. 64 konkrete (problematische) Schulsituationen werden mitsamt tiefenpsychologischen Erklärungsansätzen und praxisbezogenen Handlungsempfehlungen beschrieben. U.a. geht es um demotivierte, vernachlässigte, aggressive oder auch um durch übertriebene elterliche Verwöhnung überforderte Kinder und Jugendliche.
Was steckt hinter Unterrichtsstörungen? Die theoretische Grundlage seiner Ausführungen bzw. Deutungen ist die Individualpsychologie Alfred Adlers (Tymister 2003). Der Tiefenpsychologe suchte als Seelenarzt in der Arbeit mit Klienten die wahren Ursachen von Neurosen. Ähnlich wie auch Dreikurs, der Adlers Diagnostik anhand von sehr klugen Ausführungen für Lehrkräfte fruchtbar machte. Er interessierte sich im Falle von problematischen bzw. herausfordernden Verhaltensweisen im Klassenraum für folgende Kernfrage: „Was will Schüler XY mit seinem Verhalten bezwecken – was ist das Ziel?“ Das Verhalten des betreffenden...
Erscheint lt. Verlag | 11.3.2019 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik | |
Technik | |
Schlagworte | Narzissmus • narzisstische Schüler • Schulsozialarbeit • Selbstdarsteller |
ISBN-10 | 3-497-61130-1 / 3497611301 |
ISBN-13 | 978-3-497-61130-0 / 9783497611300 |
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