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Im Universum der Zeit (eBook)

Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014
416 Seiten
DVA (Verlag)
978-3-641-10492-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Universum der Zeit - Lee Smolin
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Wie wirklich ist Zeit?
Zeit ist etwas völlig Selbstverständliches für uns, wir erleben, wie sie vergeht, wenn wir auf die Uhr schauen, Kindern beim Älterwerden zusehen oder Wettrennen beobachten. Und doch haben Physiker von Newton über Einstein bis zu den heutigen Quantenphysikern eine andere Auffassung der Zeit. Für sie ist sie nicht real, sondern eine Illusion. Für sie wird das Universum von Gesetzen beherrscht, die außerhalb der Zeit stehen, zeitlos sind, von Newtons Gravitationsgesetz bis zur Formel e=mc².
Lee Smolin hingegen sieht Zeit als die einzige fundamentale Größe des Universums. Alles andere, auch die vermeintlich unabänderlichen Gesetze, unterliegen seiner Auffassung nach der Veränderung in der Zeit. Newtons Gesetze werden vielleicht nicht immer so grundlegend bleiben, wie wir sie heute verstehen. Mit dieser revolutionären Auffassung stellt er die Zeit in den Mittelpunkt unseres Denkens über die Welt und erklärt, welche Auswirkungen das auf uns, auf die Welt, auf das Universum hat.

Lee Smolin, geboren 1955 in New York, ist Professor für theoretische Physik, lehrte u.a. in Princeton und Yale und ist einer der Begründer des kanadischen Perimeter Institute for Theoretical Physics, wo er heute arbeitet. Er ist einer der bedeutendsten theoretischen Physiker unserer Zeit und ein profilierter Autor. Bei DVA erschienen zuletzt »Die Zukunft der Physik« (2009) und »Im Universum der Zeit« (2014).

Prolog

Was ist Zeit? Diese täuschend einfache Frage ist das wichtigste Einzelproblem, das sich der Naturwissenschaft stellt, während wir immer tiefer in die Grundlagen des Universums eindringen. Alle Rätsel, mit denen Physiker und Kosmologen ringen – vom Urknall bis zur Zukunft des Universums, von den Rätseln der Quantenphysik bis zur Vereinheitlichung von Kräften und Teilchen –, laufen auf das Wesen der Zeit hinaus.

Der Fortschritt der Naturwissenschaft ist seit jeher durch das Abstreifen von Illusionen gekennzeichnet. Materie scheint kontinuierlich, also glatt zu sein, erweist sich aber als aus Atomen bestehend. Atome scheinen unteilbar zu sein; es stellt sich jedoch heraus, dass sie aus Protonen, Neutronen und Elektronen bestehen, wobei sich die ersten beiden aus noch elementareren Teilchen, den sogenannten Quarks, zusammensetzen. Die Sonne scheint sich um die Erde zu drehen, aber es ist umgekehrt – und wenn man es genau betrachtet, zeigt sich, dass alles sich relativ zu allem anderen bewegt.

Zeit ist der allgegenwärtigste Aspekt unserer Alltagserfahrung. Alles, was wir denken, empfinden oder tun, erinnert uns an ihre Existenz. Wir nehmen die Welt als einen Fluss von Augenblicken wahr, aus denen sich unser Leben zusammensetzt. Aber sowohl Physiker als auch Philosophen sagen uns schon seit Langem, dass die Zeit die ultimative Illusion ist (und viele andere Leute meinen das auch).

Wenn ich die Nicht-Wissenschaftler unter meinen Freunden nach ihrer Meinung über das Wesen der Zeit frage, antworten sie häufig, dass ihr Vergehen trügerisch ist und dass alles, was eigentlich wirklich ist – Wahrheit, Gerechtigkeit, das Göttliche, wissenschaftliche Gesetze –, außerhalb von ihr liegt. Die Vorstellung, dass Zeit eine Illusion ist, hat den Status eines philosophischen und religiösen Gemeinplatzes. Jahrtausendelang haben sich Menschen mit der Mühsal des Lebens und ihrer Sterblichkeit versöhnt, indem sie an die Möglichkeit eines letztendlichen Entrinnens in eine zeitlose und wirklichere Welt glaubten.

Einige unserer berühmtesten Denker behaupten die Unwirklichkeit der Zeit. Sowohl Platon, der größte Philosoph der antiken Welt, als auch Einstein, der größte Physiker der modernen Welt, lehrten uns eine Sicht der Natur, in der das Wirkliche zeitlos ist. Sie betrachteten unsere Zeiterfahrung als eine zufällige Eigenschaft unserer Verfasstheit als Menschen – eine zufällige Eigenschaft, die die Wahrheit vor uns verbirgt. Beide glaubten, dass die Illusion der Zeit überwunden werden muss, um das Wirkliche und Wahre wahrzunehmen.

Früher glaubte ich an die wesentliche Unwirklichkeit der Zeit. Tatsächlich kam ich zur Physik, weil ich mich als Jugendlicher danach sehnte, die an die Zeit gebundene menschliche Welt, die ich als hässlich und unwirtlich betrachtete, gegen eine Welt der reinen, zeitlosen Wahrheit einzutauschen. Später im Leben stellte ich fest, dass es ganz schön war, Mensch zu sein, und das Bedürfnis nach einem transzendenten Ausweg verblasste.

Genauer gesagt, ich glaube nicht mehr daran, dass die Zeit unwirklich ist. Tatsächlich habe ich mich der entgegengesetzten Ansicht angeschlossen: Die Zeit ist nicht nur wirklich, sondern nichts, was wir kennen oder erleben, kommt dem Herzen der Natur näher als die Wirklichkeit der Zeit.

Meine Gründe für diese Kehrtwende liegen in der Naturwissenschaft – insbesondere in den zeitgenössischen Entwicklungen in der Physik und der Kosmologie. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Zeit der Schlüssel zur Bedeutung der Quantentheorie und ihrer letztlichen Vereinheitlichung mit dem Raum, der Zeit, der Gravitation und der Kosmologie ist. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir die Wirklichkeit der Zeit auf neue Weise annehmen müssen, um dem Bild des Universums, das uns von kosmologischen Beobachtungen nahegelegt wird, einen Sinn abzugewinnen. Das ist es, was ich unter der Wiedergeburt der Zeit verstehe.

Ein Großteil dieses Buches legt das naturwissenschaftliche Argument für den Glauben an die Wirklichkeit der Zeit dar. Wenn Sie einer der vielen Menschen sind, die glauben, dass die Zeit eine Illusion ist, beabsichtige ich, Ihre Meinung zu ändern. Wenn Sie bereits glauben, dass die Zeit wirklich ist, hoffe ich, Ihnen triftige Gründe für Ihre Ansicht zu liefern.

Dies ist ein Buch für jedermann, weil es niemanden gibt, dessen Vorstellung der Welt nicht dadurch geformt wird, wie er die Zeit versteht. Auch wenn Sie nie über ihre Bedeutung nachgedacht haben, ist doch Ihr Denken – allein schon die Sprache, mit der Sie Ihre Gedanken ausdrücken – von alten metaphysischen Vorstellungen der Zeit geprägt.

Wenn wir die revolutionäre Auffassung annehmen, dass die Zeit wirklich ist, werden sich unsere Vorstellungen von allem anderen ändern. Insbesondere werden wir tendenziell die Zukunft auf eine neue Weise verstehen, nämlich so, dass dadurch sowohl die Chancen als auch die Gefahren deutlich hervorgehoben werden, denen die menschliche Spezies gegenübersteht.

Ein kleiner Teil der Geschichte dieses Buches ist die persönliche Reise, die mich zur Wiederentdeckung der Zeit führte. Meine ursprüngliche Motivation lässt sich vielleicht am besten in der Sprache der Vaterschaft und nicht in der der Naturwissenschaft ausdrücken, nämlich durch die Gespräche, die ich mit meinem kleinen Sohn hatte – besonders wenn ich ihn abends zu Bett brachte. »Papi«, fragte er einmal, als ich ihm vorlas, »hattest du meinen Namen, als du so alt warst wie ich?« Da war ein Kind, dessen Verständnis erwachte, dass es eine Zeit vor ihm gab, und das die bisherige kurze Geschichte seines Lebens mit einem längeren Epos verknüpfen wollte.

Jede Reise hält eine bestimmte Lektion bereit, und meine war es zu begreifen, was für eine unglaublich radikale Vorstellung die einfache Aussage enthält, dass die Zeit wirklich ist. Nachdem ich mein Leben in der Naturwissenschaft damit begonnen habe, nach der Gleichung jenseits der Zeit zu suchen, glaube ich jetzt, dass das tiefste Geheimnis des Wesens des Universums darin besteht, wie es sich Augenblick um Augenblick in der Zeit entfaltet.

?

Unserem Denken über die Zeit wohnt etwas Paradoxes inne. Wir nehmen uns selbst als in der Zeit lebend wahr, doch wir stellen uns oft vor, dass die besseren Aspekte unserer Welt und unserer selbst über die Zeit hinausgehen. Was etwas wirklich wahr macht, so meinen wir, ist nicht, dass es jetzt wahr ist, sondern dass es immer wahr gewesen ist und immer wahr sein wird. Was ein moralisches Prinzip zu etwas Absolutem macht, ist, dass es zu jeder Zeit und unter allen Umständen gilt. Wir scheinen die tief verwurzelte Vorstellung zu haben, dass etwas, das Wert besitzt, außerhalb der Zeit existiert. Wir sehnen uns nach »ewiger Liebe«. Wir sprechen von »Wahrheit« und »Gerechtigkeit« als etwas Zeitlosem. Was wir am meisten bewundern und verehren – Gott, die Wahrheiten der Mathematik, die Naturgesetze –, ist mit einer Existenz ausgestattet, die die Zeit übersteigt. Wir handeln zwar in der Zeit, aber beurteilen unsere Handlungen nach zeitlosen Maßstäben.

Infolge dieser Paradoxie leben wir in einem Zustand der Entfremdung von dem, was wir am meisten schätzen. Diese Entfremdung betrifft jede unserer Bestrebungen. In der Naturwissenschaft sind Experimente und ihre Analyse zwar zeitgebunden wie alle unsere Naturbeobachtungen, doch wir stellen uns vor, dass wir Belege für zeitlose Naturgesetze aufdecken. Die Paradoxie betrifft auch unsere Handlungen als Individuen, Familienmitglieder und Staatsbürger, weil unsere Auffassung von der Zeit bestimmt, wie wir uns die Zukunft vorstellen.

In diesem Buch hoffe ich, die Paradoxie des Lebens in der Zeit und des Glaubens an das Zeitlose auf neue Weise aufzulösen. Ich werde vorschlagen, dass die Zeit und ihr Vergehen grundlegend und wirklich sind, und die Hoffnungen und Überzeugungen hinsichtlich zeitloser Wahrheiten und zeitloser Reiche in die Welt der Mythologie gehören.

Wenn man die Zeit annimmt, bedeutet das, dass die Wirklichkeit nur aus dem besteht, was zu jedem Zeitpunkt wirklich ist. Das ist eine radikale Vorstellung, denn dadurch wird jede Art von zeitloser Existenz oder Wahrheit geleugnet – sei es im Bereich der Wissenschaft, der Moral, der Mathematik oder der Politik. All diese Dinge müssen begrifflich neu gefasst werden, um ihre Wahrheiten innerhalb der Zeit zu formulieren.

Wenn man die Zeit annimmt, bedeutet das auch, dass unsere Grundannahmen darüber, wie das Universum auf der fundamentalsten Ebene funktioniert, unvollständig sind. Wenn ich auf den folgenden Seiten behaupte, dass die Zeit wirklich ist, meine ich Folgendes:

• Alles, was in unserem Universum wirklich ist, ist zu einem bestimmten Zeitpunkt wirklich, der zu einer Abfolge von Zeitpunkten gehört.

• Die Vergangenheit war wirklich, ist es aber nicht mehr. Wir können die Vergangenheit jedoch interpretieren und analysieren, weil wir in der Gegenwart Belege von vergangenen Prozessen finden.

• Die Zukunft existiert noch nicht und ist deshalb offen. Manche Vorhersagen können wir zwar vernünftigerweise treffen, aber wir können die Zukunft nicht vollständig vorhersagen. Tatsächlich kann die Zukunft Phänomene generieren, die in dem Sinne genuin neu sind, dass kein Wissen über die Vergangenheit sie hätte vorhersehen können.

• Nichts geht über die Zeit hinaus, nicht einmal Naturgesetze. Gesetze sind nicht zeitlos. Wie alles andere sind sie Eigenschaften der Gegenwart und können sich über die Zeit hinweg entwickeln.

Im Laufe dieses Buches werden wir sehen, dass diese Hypothesen in eine neue Richtung in der Grundlagenphysik weisen – eine...

Erscheint lt. Verlag 12.5.2014
Übersetzer Jürgen Schröder
Zusatzinfo mit Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Time Reborn: From the Crisis in Physics to the Future of the Universe
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Albert Einstein • eBooks • Elementarteilchenphysik • Illusion oder Realität • Isaac Newton • Quantenkosmologie • Quantenphysik • Raum und Zeit • Relationalismus • Relativitätstheorie • Vergangenheit und Zukunft • Wissenschaftsgeschichte • Wissenschaftsgeschichte, Quantenphysik, Albert Einstein, Isaac Newton, Relativitätstheorie, Quantenkosmologie, Raum und Zeit, Illusion oder Realität, Vergangenheit und Zukunft, Relationalismus
ISBN-10 3-641-10492-0 / 3641104920
ISBN-13 978-3-641-10492-4 / 9783641104924
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