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Lexikon des Unwissens (eBook)

Worauf es bisher keine Antwort gibt
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-10211-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lexikon des Unwissens -  Kathrin Passig,  Aleks Scholz
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Wir glauben heute, unsere Welt sei weitgehend erforscht: So wie die Erde bis in die entlegensten Regionen hinein vermessen ist, sei fast alles irgendwann von irgendwem analysiert, erklärt, entschlüsselt und beschrieben worden, man müsse nur in dem Wust von Informationen herausfinden, wann und von wem. Doch die Landkarte des menschlichen Wissens weist erstaunlich viele weiße Flecken auf. Selbst auf Gebieten, auf denen wir es nicht vermuten würden, gibt es eine Fülle ungeklärter Fragen: Die Fortpflanzung der Aale ist ebenso rätselhaft wie die Wirkungsweise halluzinogener Drogen, über weibliche Ejakulation weiß man nicht mehr als über die Entstehung von Hawaii, über Dunkle Materie oder darüber, wie man sich einen Schnupfen holt. Warum klebt Klebeband? Wie kam das Leben auf die Erde? Was sind Kugelblitze? Niemand kennt die endgültigen Antworten darauf. Das «Lexikon des Unwissens» versammelt die erstaunlichsten Wissenslücken. Nie wurde das geballte Unwissen der Menschheit auf so engem Raum präsentiert.

Kathrin Passig, geboren 1970, ist eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin sowie des Blogs «Techniktagebuch». 2006 gewann sie in Klagenfurt sowohl den Bachmann-Preis als auch den Publikumspreis. Die «Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin» (Passig über Passig) veröffentlichte u. a. 2007 das «Lexikon des Unwissens» (mit Aleks Scholz) und 2012 «Internet - Segen oder Fluch» (mit Sascha Lobo). 2016 wurde Kathrin Passig mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ausgezeichnet.

Kathrin Passig, geboren 1970, ist eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin sowie des Blogs «Techniktagebuch». 2006 gewann sie in Klagenfurt sowohl den Bachmann-Preis als auch den Publikumspreis. Die «Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin» (Passig über Passig) veröffentlichte u. a. 2007 das «Lexikon des Unwissens» (mit Aleks Scholz) und 2012 «Internet – Segen oder Fluch» (mit Sascha Lobo). 2016 wurde Kathrin Passig mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ausgezeichnet. Aleks Scholz lebt in Schottland und ist Astronom mit dem Forschungsschwerpunkt Entstehung und Entwicklung von Sternen und Planeten. Zudem ist er Autor, schrieb für den «Merkur», die «taz», «Spiegel Online» und die «Süddeutsche Zeitung»; 2010 gewann er mit seinem Text «Google Earth» beim Bachmann-Wettbewerb den Ernst-Willner-Preis.

Wissenswertes über Unwissen


There are known knowns:

There are things we know that we know.

There are known unknowns: that is to say

there are things that we now know we don’t know.

But there are also unknown unknowns:

there are things we do not know we don’t know.

And each year we discover

a few more of those unknown unknowns

Donald Rumsfeld

Was ist Unwissen?

Wissenslücken entstehen gewöhnlich durch die alte Kulturtechnik des Vergessens. Auf deutlich weniger beschämende Art und Weise wird dieses Buch bei jedem Leser 42 zusätzliche Wissenslücken ausbilden. Jede einzelne davon ist eine Qualitätswissenslücke, an der nicht nur wir uns die Zähne ausbeißen, sondern auch der Rest der Menschheit samt vielen überdurchschnittlich intelligenten Forschern. Das Lexikon des Unwissens ist das erste Buch, nach dessen Lektüre man weniger weiß als zuvor – das aber auf hohem Niveau.

Stellt man sich den Erkenntnisstand der Menschheit als eine große Landkarte vor, so bildet das gesammelte Wissen die Landmassen dieser imaginären Welt. Das Unwissen verbirgt sich in den Meeren und Seen. Aufgabe der Wissenschaft ist es, die nassen Stellen auf der Landkarte zurückzudrängen. Das ist nicht einfach, manchmal tauchen an Stellen, die man schon lange trockengelegt glaubte, wieder neue Pfützen auf. Ein Beispiel ist die Frage, wann und durch wen Amerika besiedelt wurde: Sie galt mehr als ein halbes Jahrhundert als geklärt, ist seit einigen Jahren aber wegen neuer Funde wieder vollkommen offen. Forscher vermehren eben nicht nur das Wissen der Menschheit, sondern auch das Unwissen. So waren Ende des 19. Jahrhunderts viele Physiker davon überzeugt, die Welt vollständig erforscht zu haben und nur noch Detailfragen klären zu müssen. Bis sich durch Quantenmechanik und Relativitätstheorie herausstellte, dass sie einfach in vielerlei Hinsicht zu kurz gedacht hatten – ein riesiges neues Meer aus Unwissen schwappte heran.

Unwissen lässt sich nur entlang seiner Ränder beschreiben – indem man sich an den letzten Gewissheiten entlanghangelt. Ein Beitrag im Lexikon des Unwissen funktioniert daher, um zum Landkartenbild zurückzukehren, wie die Umrundung eines Sees: Man blickt von allen möglichen Perspektiven auf das Unbekannte, versinkt gelegentlich in sumpfigen Bereichen, läuft vielleicht einmal auf einem Steg etwas weiter hinaus, kann aber trotzdem nie sagen, was genau sich dort draußen verbirgt. Die Uferlinie zwischen Wissen und Nichtwissen ist dabei nicht eindeutig auszumachen, denn fast immer konkurrieren mehrere Theorien zur Lösung eines bestimmten Problems.

Das Unwissen, mit dem wir uns hier beschäftigen, muss drei Kriterien erfüllen: Es darf keine vorherrschende, von großen Teilen der Fachwelt akzeptierte Lösung des Problems geben, die nur noch in Detailfragen Nacharbeit erfordert. Das Problem muss aber zumindest so gründlich bearbeitet sein, dass es entlang seiner Ränder klar beschreibbar ist. Und es sollte sich um ein grundsätzlich lösbares Problem handeln. Viele offene Fragen aus der Geschichte etwa werden wir – wenn nicht doch noch jemand eine Zeitmaschine erfindet – nicht mehr beantworten können.

Die eingangs zitierte Beschreibung von Donald Rumsfeld wurde zu Unrecht häufig belacht, denn sie ist ein Meilenstein in der öffentlichen Darstellung des Unwissens. Demnach lässt sich Unwissen in zwei Kategorien einteilen, Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen, und Dinge, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie nicht wissen. In diesem Buch kann es nur um die erste Kategorie, die «known unknowns», gehen, weil es zur zweiten zu diesem Zeitpunkt noch nichts zu sagen gibt.

Warum ausgerechnet Unwissen?

In Douglas Adams’ «Per Anhalter durch die Galaxis» entwickeln pandimensionale, hyperintelligente Wesen den Computer Deep Thought, der die Antwort auf die Frage nach «dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest» liefern soll. Siebeneinhalb Millionen Jahre später ist diese Antwort fertig berechnet und lautet «42». Erst jetzt wird Deep Thoughts Erbauern klar, dass sie gar nicht wissen, wie die Frage lautet. Bis die berechnet ist, dauert es weitere zehn Millionen Jahre. Daraus kann man zweierlei lernen: Erstens sollte man die Frage kennen, wenn man die Antwort verstehen will. Und zweitens ist es oft schwieriger, die richtige Frage zu stellen, als sie zu beantworten – dasselbe Phänomen kann man beobachten, wenn man unerfahrenen Google-Nutzern über die Schulter schaut. Der Physiker Eugene Wigner erhielt 1963 die Hälfte des Physiknobelpreises dafür, dass er die richtige Frage – nämlich die nach dem Grund für die «magischen Zahlen» im Periodensystem der Elemente – gestellt hatte. Die andere Hälfte ging an die beiden Forscher, die die Antwort fanden.

Die richtigen Fragen zu stellen und damit das Unwissen zu enthüllen, das ist eine wichtige Aufgabe der Wissenschaft. Denn das Unwissen ist immer schon da, nur nicht für jeden offenkundig; es ist wie das schwarze Tier, das in einem Vexierbild den Raum um das weiße Tier herum füllt und das man erst erkennt, wenn man das Bild eine Weile betrachtet hat. Dann aber ist es nicht mehr zu übersehen. Wenn es diesem Buch gelingt, ein bisschen Aufmerksamkeit auf das schwarze Tier Unwissen zu lenken, hat es seinen Zweck erfüllt. Der Leser wird Unwissen dann auch erkennen, wenn es ihm in freier Wildbahn begegnet.

Wie hätte ein Lexikon des Unwissens vor 100 Jahren ausgesehen?

Unwissen ist ein flüchtiges Ding. Es verschwindet, taucht an anderer Stelle wieder auf, kurz: Man kann ihm noch weniger über den Weg trauen als dem Wissen. Darum kann ein Lexikon des Unwissens nicht für die Ewigkeit gebaut sein. Vergleicht man dieses Buch mit seinem 100 Jahre alten Vorgänger, der leider nie geschrieben wurde, so stößt man auf Interessantes: Einige Unwissensthemen waren damals noch nicht einmal bekannt, man denke an Plattentektonik oder die Dunkle Materie. Andere offene Fragen lagen zwar für jeden zugänglich in der Weltgeschichte herum, wurden aber aus verschiedenen Gründen gar nicht oder nicht mit rationalen Mitteln angegangen, das Rätsel um die weibliche Ejakulation zum Beispiel. Wieder andere Probleme sind nach wie vor ungelöst und könnten daher mit einiger Berechtigung in beiden Versionen des Lexikons auftauchen, unter anderem die Riemann-Hypothese oder der Aufbau der Materie. Am optimistischsten stimmen aber diejenigen Unwissensfelder, die in diesem Buch gar nicht auftauchen, obwohl sie vor 100 Jahren große Rätsel darstellten: So hatte man noch keine Ahnung davon, warum Sterne strahlen. Man ahnte zwar schon, dass der Erdkern nicht einfach aus Erde besteht, erfuhr aber erst zwei Jahrzehnte später, dass er flüssig ist, eine ziemlich beunruhigende Tatsache. Es war unbekannt, warum Zitrusfrüchte gegen Skorbut helfen. Ja, man wusste nicht einmal, wo die Laichgründe der Aale liegen.

Würde man heute ein hundertjähriges Lexikon des Unwissens lesen, man käme sich vermutlich sehr klug vor. Genauso wird es hoffentlich auch unseren Urenkeln gehen, wenn sie einst dieses Buch in der Hand halten. Dunkle Materie, werden sie sagen, natürlich sind das die linksgedrehten Superaxoquattrionen, das weiß doch jeder, und wie konnte man jemals glauben, Schlaf hätte irgendeine Funktion? Katzen schnurren natürlich gar nicht, das ist eine akustische Täuschung, und was Rattenkönige sind, steht ganz genau erklärt im Voynich-Manuskript. So wird dieses Buch im Laufe der Zeit immer weniger echte Unwissensthemen enthalten, bis sich eine Neuauflage der verbleibenden zwei Seiten nicht mehr lohnt. Zum Glück wird das voraussichtlich nicht zu Lebzeiten der Autoren geschehen.

Wie findet man Unwissen?

Wie findet man Löcher? Indem man so lange weitergeht, bis man keinen Boden mehr unter den Füßen hat. So ähnlich ist es auch mit dem Unwissen, man fragt und fragt, bis es irgendwann – und oft geht das sehr schnell – keine Antwort mehr gibt. (Und wir meinen hier nicht «keine Antwort» im üblichen Sinne von «Hätte ich nur damals in Chemie besser aufgepasst», sondern wirklich keine Antwort.)

Das sicherste Anzeichen für gutes Unwissen ist es, wenn Experten auf Konferenzen Wetten darüber abschließen, aus welcher Richtung die Lösung für ein bestimmtes Problem zu erwarten sei. Ideal wäre es also, Experten so lange mit Fragen zu quälen, bis sie einhellig bekunden, nicht weiterzuwissen. Leider ist das nur in wenigen Fällen praktikabel. Stattdessen muss man Unwissen mühevoll und indirekt anhand der Leerstellen in Abhandlungen über Wissen heraussuchen, die in den meisten Fällen sorgsam um das Unwissen herum erklären. Nur ganz selten findet man direkte Hinweise auf Unwissen. Dafür hat fast jede Zeitung einen Wissensteil, und mit Artikeln, die stolz von der Lösung eines Problems X berichten, könnte man ganze Ordner füllen – selbst wenn es sich bei X immer wieder um dasselbe Problem handelt. So wurde zum Beispiel allein in den letzten zehn Jahren ungefähr dreimal endgültig geklärt, wie Kugelblitze funktionieren. Solche Meldungen sind ein sicheres Zeichen für das Vorhandensein von Unwissen.

Warum hört man so viel über Wissen, aber viel weniger über Unwissen?

Ein Grund ist sicherlich die Arbeitsweise des Wissenschaftlers: Um sich nicht in haltlosen Spekulationen zu verzetteln, muss er sich an das halten, was er schon weiß, und steht daher sozusagen mit dem Rücken zum Unwissen. Nur ab und zu dreht er sich um, damit er nicht ganz aus den...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Allgemeinwissen • Antworten • Nachschlagewerk • Wissenschaft
ISBN-10 3-644-10211-2 / 3644102112
ISBN-13 978-3-644-10211-8 / 9783644102118
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