Studentische Partizipation (eBook)
306 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-3416-6 (ISBN)
Eik Gädeke4 & Sabrina Schaper5
Über die (Un-)Möglichkeit studentischer Partizipation: Verständigungen und Spannungsfelder im Erfahrungsraum Hochschule
Zusammenfassung
Der Artikel fokussiert auf Partizipation im Hochschulstudium unter Berücksichtigung organisationaler und soziokultureller Bedingungen. Dazu werden zunächst anhand von Spannungsfeldern im Partizipationsdiskurs, polykontexturalen Partizipationsmöglichkeiten und Erfahrungen von Studierenden als Partizipierende empirische Leerstellen und Paradoxien aufgezeigt. Anschließend wird die Verflechtung von lebensweltlichen und organisatorischen Herausforderungen, insbesondere bei hochschulischen Übergängen, beleuchtet. Aus beiden Argumentationslinien ergibt sich schließlich ein Fokus auf unterschiedliche „Problematiken“ des Partizipierens, deren Bearbeitung zur erziehungswissenschaftlichen Reflexion und zum Transfer in die Lehrpraxis anregen soll.
Schlüsselwörter
Übergangsforschung, Studieren, Partizipation, Bologna, Hochschule
On the (im)possibility of student participation: Understandings and areas of tension in the university experience
Abstract
This paper focuses on participation in higher education studies, taking into account organisational and sociocultural conditions. Firstly, it highlights empirical gaps and paradoxes by examining areas of tension in the discourse on participation, polycontextual participation possibilities, and students' experiences as participants. Secondly, it sheds light on the interweaving of everyday life challenges and organisational challenges, especially during transitions in higher education. Both lines of argumentation ultimately lead to a focus on various "problems" with participation, with the aim of stimulating educational reflection and transfer into teaching practice.
Keywords
transition research, higher education, participation, Bologna
1. Einführung
Überlegungen, Diskussionen und Programme zur Partizipation finden sich in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder (aktueller: Achour & Gill, 2023; Lorenz et al., 2020). Ihnen ist gemein, dass sie auf der Annahme handlungsfähiger Subjekte beruhen, die ihre eigene Lebenswelt produktiv und in kritischer Auseinandersetzung mit den an sie adressierten Problemlagen (mit-)gestalten (z.B. Harles & Lange, 2015). Dies setzt voraus, dass die Teilnahme an gesellschaftlichen oder organisationalen Prozessen von Akteur:innen beherrscht wird oder ohne größere Anstrengungen hergestellt werden kann. Auch in der Erwachsenen- und Hochschulbildung werden dergestalt Annahmen zur Partizipation reproduziert und erscheinen höchst anschlussfähig an das konsensfähige und tradierte Bildungsziel der Förderung mündiger Subjekte. Der Appell „Partizipiere“ gründet an Hochschulen auf teils idealistischen, teils programmatischen Vorüberlegungen, die es in Auseinandersetzung mit dem Möglichkeitsraum studentischer Partizipation zu reflektieren gilt.
Diesen Beitrag verstehen wir daher als einen kritisch-problemorientierten Kommentar zur Idee und Umsetzung von Partizipation an Hochschulen. Dabei sollen weder affirmativ noch programmatisch deren Ermöglichungsbedingungen einfach vorgetragen werden. Ziel ist es stattdessen, den Anforderungen an Partizipation im Hochschulkontext auf den Grund zu gehen. Wir verfolgen die These, dass die Auseinandersetzung mit dem „Problem“ der Partizipation selbst eine wesentliche Bedingung für gelingende Partizipation in der Hochschulbildung darstellt, die zur Reflexion und zum Transfer in die Lehrpraxis anregen soll.
Um diesen Voraussetzungen in ihren Ambivalenzen nachzugehen, betrachten wir erstens Spannungsfelder, in denen der Partizipationsdiskurs (in und außerhalb der Erziehungswissenschaft) eingebettet ist, zweitens wenden wir uns den polykontexturalen Bedingungen der Hochschule als Partizipationsraum zu. Drittens fragen wir, inwieweit und warum Studierende sich (nicht) als Partizipierende erfahren. Unter Einbezug eigener empirischer Studien wird aufgezeigt, wie lebensweltliche Verstrickungen und organisatorische Herausforderungen – insbesondere an den hochschulischen Übergängen – in der studentischen Alltagspraxis häufig so ineinandergreifen, dass sie spezifische Studienorientierungen und damit auch hochschulische Teilhabemöglichkeiten prägen. Beitragsübergreifend werden wir sowohl empirische Leerstellen als auch programmatische Paradoxien rund um Partizipation im Studium offenlegen (Zirfas, 2015).
2. Partizipation?!
„Schlüsselbegriffe, in denen sich die Signatur einer Zeit paradigmatisch verdichtet, sind selten rein deskriptiv. Ihr Anspruch ist gleichermaßen diagnostisch wie transformativ: Sie bündeln die Herausforderungen, denen sich eine Epoche ausgesetzt sieht, und geben zugleich an, wie diesen zu begegnen wäre. Sie fordern zum Handeln auf und weisen ihm die Richtung.“ (Bröckling, 2017, S. 113)
Partizipation gehört in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zweifellos zu jenen politisch grundierten Begriffen, die für die Gestaltung von (repräsentativer) Demokratie unverzichtbar erscheinen. Dabei eröffnet die Annäherung an den Partizipationsdiskurs eine Reihe von Spannungsfeldern.
Zunächst erweist es sich als herausfordernd, dass sich Partizipation zu den Begriffen Teilhabe, Teilnahme, Integration und Inklusion selten trennscharf unterscheiden lässt. Vielmehr vermischen sich die Diskurse, wobei problematische Motive, Widersprüche und blinde Flecken meist unausgesprochen bleiben. Denn Partizipation betont einerseits autonome Zielvorstellungen von einem mündigen und selbstbestimmten Subjekt und impliziert damit einen emanzipatorischen Anspruch, andererseits enthält der im Begriff angelegte Appell die Machtmittel zur Integration und Systemstabilisierung. Einige erkennen im Ruf nach mehr Partizipation eine postdemokratische Regierungsform (Harles & Lange, 2015), in der das Leben mittels gouvernementaler Handlungs- und Rationalitätsmuster arrangiert und verwaltet werden soll. Mit dem obigen Zitat von Bröckling (2017) weitergedacht, gehören Partizipationsadressierungen zu den „sanften“ Regierungskünsten und „weichen“ Disziplinierungstechniken, die als Schlüsseltechnologien des Selbst auf freiwillige Mitwirkung, personelle Bindungen und den zwanglosen Zwang des besseren Arguments setzen. Aus diskursanalytischer Perspektive ließe sich Partizipation wohl deswegen zu Bröcklings Liste der zeitgenössischen Dispositive der Menschenführung problemlos hinzufügen, zu denen er Prävention, Resilienz, Nudging, Feedback etc. zählt. Solche Dispositive bringen Subjekte hervor. Sie bieten übergreifende Handlungsorientierungen, Verfahren zur Konfliktbearbeitung und sind immanent auf eine Vorsorge für die Zukunft ausgerichtet. In erziehungswissenschaftlichen Diskursen wird ihr idealisierter Kern zuweilen übernommen, ohne sich der eigenen disziplinären Grundlagen hinreichend zu versichern.
Ein zweites Spannungsfeld ergibt sich im Hinblick auf die intendierten Effekte pädagogischen Handelns. Hierbei stellt sich die Frage, ob Forderungen und Versprechen partizipativer Pädagogik tatsächlich geeignet sind, den in Erziehungs- und Bildungsprozessen eingeschriebenen Antinomien von Nähe und Distanz, Autonomie und Heteronomie, Organisation und Interaktion (Helsper & Lingkost, 2013) oder schlicht dem „Diskurs zwischen Ungleichen“ (Reichenbach, 2005) angemessen Rechnung zu tragen. Denn hierbei gilt es zu beachten, dass die Einhegung des Partizipationsbegriffs in erziehungswissenschaftliche Theoriebildung und Diskurse per se schon nicht frei von Widersprüchen und Ambivalenzen ist (Jergus, 2020): Partizipation stellt eine Vereindeutigung bzw. einen Verlust an Mehrdeutigkeit her, wohingegen pädagogisches Wissen sonst üblicherweise als umstritten gilt und rezeptförmige Handlungsanweisungen durch den grundbegrifflich-reflexiven Kanon selbst ausgehebelt werden (Koller, 2004).
In Anbetracht dieser beiden Spannungsfelder steht die generalisierende und motivationale Inanspruchnahme des Partizipationsbegriffs als Konsens- und Versöhnungsformel im Verdacht, strukturelle Schwächen und Mängel demokratischer Institutionen und in ihr herrschende Machtasymmetrien auszublenden. So sind Bildungsinstitutionen – insbesondere Schulen und Hochschulen – stets selektiv und bereits an ihren Übergängen exklusiv und segregativ gestaltet (Ahrens & Wimmer, 2014). Aus Perspektive einer erziehungswissenschaftlichen Hochschulforschung ergibt sich daraus forschungsseitig die Notwendigkeit, zum einen nach den organisationalen Besonderheiten von Hochschulen als Partizipationsraum zu fragen (vgl. Kapitel 3) und zum anderen empirisch den Fokus auf Über- und Eingänge ins Hochschulstudium zu richten (vgl. Kapitel 4). Dies soll nachfolgend dargelegt werden.
3. Hochschule als Möglichkeitsraum für Partizipation?
Der Debatte um Partizipation voraus gehen grundsätzliche Fragen der Gestaltung sowie der Organisier- und Steuerbarkeit von Lehre und Forschung: Hochschulen sind geprägt durch „polykontexturale Verhältnisse“...
Erscheint lt. Verlag | 17.12.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik |
ISBN-10 | 3-7693-3416-7 / 3769334167 |
ISBN-13 | 978-3-7693-3416-6 / 9783769334166 |
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