Wohnmonitor Alter (eBook)
244 Seiten
StudienVerlag
978-3-7065-6446-5 (ISBN)
Prof. Dr. Franz Kolland: Leitung des Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems Dr.in Vera Gallistl: wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung Rebekka Rohner BA MA: wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung
Prof. Dr. Franz Kolland: Leitung des Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems Dr.in Vera Gallistl: wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung Rebekka Rohner BA MA: wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Kompetenzzentrums für Gerontologie und Gesundheitsforschung
Krisen und ihre Bedeutung für das Wohnen im Alter
Vera Gallistl1, Franz Kolland1 & Rebekka Rohner1
1Kompetenzzentrum Gerontologie und Gesundheitsforschung, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems
Wohnen im Alter ist heute ein dynamisches Geschehen, das im Verlauf des Älterwerdens im ständigen Wandel begriffen ist. So wie sich die Bedürfnisse und Orientierungen im Verlauf eines langen Lebens laufend ändern und neu an Lebenssituationen und -kontexten orientieren, so verändern sich auch Wohnwünsche und Wohnorientierungen mit dem Eintritt in die nachberufliche Lebensphase und dem Fortschreiten des Älterwerdens. In der Forschung zum Wohnen im Alter und der gesellschaftlichen Debatte dazu wird diese Dynamik allerdings häufig übersehen. Das Sprichwort „Einen alten Baum soll man nicht verpflanzen!“ scheint dabei leitend für die aktuelle gesellschaftliche Debatte zum Wohnen im Alter zu sein und der Verbleib in den „eigenen vier Wänden“ ein Ideal, das es individuell im Alter zu erreichen gilt. Der Fokus auf Stabilität und Verbleib in der gewohnten Umgebung übersieht allerdings, dass sich Wohnbedürfnisse im Alter laufend ändern und Umzüge damit eine positive Wirkung im Alter entfalten können.
Dass Wohndynamiken und Wohnveränderungen sich positiv auf das Leben im Alter auswirken können, hat die Forschung mittlerweile gut belegt. Wohnmobilität im Alter wird dabei aus der Perspektive der ökologischen Gerontologie seit einigen Jahrzehnten erforscht. Dabei hat sich gezeigt: Seit den 1970er-Jahren ist der negative Zusammenhang zwischen Wohnortwechsel und Gesundheit im Alter widerlegt. Wohnveränderungen wirken sich nicht negativ auf das Leben und die Gesundheit im Alter aus. Im Gegenteil geht man heute davon aus, dass unter bestimmten Bedingungen ein positiver Einfluss des Umzugs auf die Gesundheit im Alter gegeben ist (Teti et al. 2014) – etwa dann, wenn sich Pflegebedürfnisse ändern und an einem neuen Wohnort bedürfnisorientierter erfüllt werden können. Auf Basis solcher und ähnlicher Ergebnisse kommt die gerontologische Forschung zu Wohnmobilität heute zu dem Schluss, dass das Älterwerden in den eigenen vier Wänden (Ageing in Place) nicht mehr als einzige sinnvolle Botschaft betrachtet werden kann (ibd.). Viel eher geht es heute darum, danach zu fragen, wie Wohnmobilität im Alter unterstützt werden und gelingen kann.
Fragen wir danach, was Wohnmobilität im Alter begünstigt oder ermöglicht, so wird zunächst deutlich, dass Wohnmobilität im Alter nicht nur eine individuelle Entscheidung ist, sondern auch ein Brennglas für aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse und Krisen. Wohnmobilität im Alter ist in hohem Maße von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren abhängig. So zeigt etwa eine Studie zur Wohnmobilität im Alter (Teti et al. 2012): Einerseits ist die Wohnmobilität im Alter vom kalendarischen Alter und dem Geschlecht der befragten Person abhängig. So weisen jüngere Alte und Frauen eine höhere Umzugsbereitschaft im Alter auf. Andererseits macht diese Studie deutlich, dass das Einkommen einen signifikanten Einflussfaktor auf die Umzugsbereitschaft im Alter darstellt. So geben Personen mit einem hohen Haushaltseinkommen deutlich häufiger an, für einen Umzug bereit zu sein, als Personen mit geringeren Einkommen. Wohnmobilität ist im Alter also einerseits eine Frage der Einstellung und Orientierung, andererseits eine Frage der Ressourcen und sozialen Ungleichheiten. Das macht deutlich: Wohnmobilität im Alter ist nicht nur ein individuelles Geschehen, sondern auf eine komplexe Art und Weise mit unseren gesellschaftlichen Verhältnissen und Fragen der sozialen Absicherung verknüpft.
So eine soziologische Perspektive auf die Wohnmobilität und die Umzugsbereitschaft im Alter fragt also danach, wie gesellschaftliche Verhältnisse Wohndynamiken im Alter kennzeichnen. In den letzten Jahren haben dabei multiple Krisen als gesellschaftliche Dynamiken an Bedeutung gewonnen. Die Corona-Pandemie und damit verbundene Krisenbewegungen, die Teuerungswelle des Jahres 2022 als Auswirkung des Krieges in der Ukraine oder die aktuell an Geschwindigkeit gewinnende Klimakrise sind nur drei Beispiele, die kennzeichnen, dass wir uns gesellschaftlich in einer Zeit der Krisen befinden. Diese teilweise drastischen gesellschaftlichen Veränderungen wirken sich auch auf das Wohnen im Alter aus, verlangen nach neuen Ideen und kreativen, innovativen Zugängen. Sie machen es neben einer erhöhten Wohnflexibilität älterer Menschen auch notwendig, dass wir als Gesellschaft neu über das Wohnen im Alter nachdenken und neue Lösungen finden.
Ziel des folgenden Kapitels ist es, zu diskutieren, welche Auswirkungen aktuelle gesellschaftliche Krisen auf das Wohnen im Alter, die Wohnmobilität und Umzugsorientierungen älterer Menschen nehmen. Dafür werden im Folgenden drei aktuelle Krisen identifiziert und anhand von aktuellen Forschungsergebnissen danach gefragt, wie diese auf das Wohnen im Alter in Österreich wirken. Zuvor wird allerdings noch grundlegend der Begriff der „Krise“ erläutert und diskutiert, welche Implikationen ein solcher Begriff für die Wohnforschung im Alter hat.
Zum Begriff der Krise im Kontext des Wohnens
Was bedeutet es also, wenn wir von multiplen Krisen sprechen, die das Wohnen im Alter heute kennzeichnen? Der Begriff der Krise wurde in der Soziologie unterschiedlich verwendet, in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt hat sich dabei ein Verständnis von Krise als einen „offenen Übergangszustand einer Gesellschaft, der der Traditionsorientierung diametral entgegengesetzt ist.“ (Makropoulos, 2005, S. 50).
Krisen, so können wir aus einer solchen Charakterisierung mitnehmen, kennzeichnen also erstens eine gesellschaftliche Veränderung, in der traditionelle Muster infrage gestellt, (teils gewaltsam oder rapide) verändert werden und so einen Übergang in eine neue Phase gesellschaftlicher Entwicklung kennzeichnen. So ist dem Krisenbegriff inhärent, dass einerseits Orientierungen infrage gestellt werden, gleichzeitig aber durch die Krise neue soziale Praktiken entstehen, die die Gesellschaft langfristig – nachdem die unmittelbare Krise vorbei ist – verändern. Sichtbar wurde eine solche Dynamik etwa in der Covid-19-Pandemie, die es durch ihre schnelle Verbreitung notwendig gemacht hat, Arbeits- und Bildungsprozesse schnell umzuorganisieren. Neben anderen Dingen wurden dabei Homeoffice und Homeschooling verstärkt eingefordert und umgesetzt – und auch nach der Pandemie teilweise aufrechterhalten. Kurzfristige Anpassungsleistungen an die aktuelle Krise – damals die Covid-19-Pandemie – haben also auch langfristig zu gesellschaftlichen Veränderungen geführt, da nun verstärkt von zu Hause aus gelernt und gearbeitet wird. Das Eigenheim – als Lebens-, Arbeits- und Ausbildungsmittelpunkt – hat damit in der Covid-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen und damit auch die (räumlichen) Grenzen zwischen Beruf, Privatleben und Ausbildung nachhaltig verschoben.
Aus Sicht der Soziologie ist es – zweitens – zentral danach zu fragen, ob Krisen dabei ein singuläres Ereignis gesellschaftlicher Entwicklung sind oder krisenhafte Bewegungen moderne Gesellschaften generell kennzeichnen, wir uns also nicht in einer singulären Phase der Krise, sondern in einem Zeitalter der (multiplen) Krisen befinden. Krisen haben dabei an sich, dass eine Dauer vor allem zu Beginn der Krise nicht absehbar ist, da sie einen Zustand kennzeichnet, „von dem weder gesagt werden kann, wohin er führt, noch wie lange er dauern wird, und der dahin tendiert, sich in einer Gesellschaft strukturell zu verfestigen, wenn er nicht beendet wird.“ (Makropoulos, 2005, S. 51). Die Enden von Krisen sind dabei allerdings nur selten im Moment selbst erkennbar. So gab es – etwa im Fall der Covid-19-Krise – kein eindeutiges Ende der Krise, das sicht- und erlebbar war. Eher haben sich die Auswirkungen der Pandemie für manche langsam und schleichend aus unserem Alltag verabschiedet und sind für andere (etwa Long-Covid-Patient:innen) nach wie vor jeden Tag spürbar.
Es hat sich deswegen in der Soziologie die Deutung durchgesetzt, dass wir heute nicht von einzelnen, singulären Krisen sprechen können, die sich nacheinander einen Beginn und ein Ende nehmen. Viel eher spricht die Soziologie nun von Krisen als „jene[m] Übergangszustand, der modern zum Dauerzustand wird.“ (Makropoulos, 2005, S. 50). Mit einem solchen Krisenbegriff lassen sich postmoderne Gesellschaften generell als krisenhaft beschreiben, da diese sich genau dadurch kennzeichnen, dass sie sich nicht mehr durch Traditionen bestimmen lassen und nicht auf eine einzige klare Zukunft hin orientiert sind. Die Spätmoderne, in der wir leben, kennzeichnet sich gerade dadurch, dass das Allgemeine (wie Traditionen) an Bedeutung verloren hat, während das Besondere (die individuellen Erfahrungs- und Bedeutungshorizonte) gesellschaftlich aufgewertet wurde. Statt mehreren Krisen, die wir nacheinander erleben, weist uns eine solche Gesellschaftsdiagnose also darauf hin, dass wir in spätmodernen Gesellschaften in einer dauerhaften Krise leben, da die aktuelle Orientierung an Singularität (in Abgrenzung zur Tradition) und die Erfahrung der Ambivalenz besonders bedeutsam sind (Reckwitz, 2019).
Welche Relevanz hat...
Erscheint lt. Verlag | 21.10.2024 |
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Verlagsort | Innsbruck |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie |
Schlagworte | Alltagstechnologien • Alter • Altersheime • Gerontologie • Psychologie • Soziale Praxis • Wohnbedürfnisse • Wohnen im Alter • Wohnformen • Wohnpsychologie |
ISBN-10 | 3-7065-6446-7 / 3706564467 |
ISBN-13 | 978-3-7065-6446-5 / 9783706564465 |
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Größe: 9,9 MB
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