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Macht braucht Kontrolle (eBook)

Warum wir unsere Demokratie neu denken müssen - Erfahrungen mit 75 Jahren Parteienstaat - Ansichten eines streitbaren Demokraten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
368 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-32384-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Macht braucht Kontrolle -  Hans Herbert Arnim
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Fesselnder Bericht über den aufhaltsamen Niedergang unserer Parteiendemokratie

Die »politische Klasse« gestaltet die Regeln, die sie eigentlich zügeln sollen, selbst und oft in ihrem Sinne. Den Parteien geht es meist weniger um die Lösung der Probleme als um die Sicherung ihrer Interessen an Macht, Posten und Einkommen. Am deutlichsten wird die Missbrauchsgefahr, wenn die Parteien ihren eigenen Status festlegen. Das hat Folgen auf allen Ebenen: für die Auswahl des politischen Personals ebenso wie für die Qualität der Politik. Die Kluft zwischen Demokratie und Wirklichkeit wächst, politisches Unbehagen breitet sich aus.
Über 40 Jahre lang hat der als »Parteienkritiker« bekannte und gefürchtete Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim zahlreiche Fälle von Machtmissbrauch, viele unmögliche Gesetze der Parteien in eigener Sache aufgedeckt. Und er hatte durchschlagenden Erfolg: Diätenerhöhungen mussten zurückgenommen, überzogene Pensionsregelungen auf ein vernünftiges Maß reduziert, Mehrfachbezüge eingeschränkt werden, der Selbstbedienung aus der Staatskasse wurde ein Riegel vorgeschoben - vor dem Bundesverfassungsgericht hat er die Sperrklauseln bei Europawahlen gekippt, und seine Gutachten trugen zum Diäten- und zum Parteienfinanzierungsurteil bei. Dank Arnim und einer wachgerüttelten Öffentlichkeit stießen Missbrauchs-Versuche - im Bund, auf Länderebene wie auch in der EU - auf empörten Widerstand. Doch mit den Jahren ließ die »politische Klasse« Kontrollen immer raffinierter ins Leere laufen und brachte sogar ganz offensichtlich missbräuchliche Gesetze durch.
Jetzt zeichnet Hans Herbert von Arnim die Ursachen dieser fatalen Entwicklung nach und zeigt, wie es dazu kommen konnte und warum die Öffentlichkeit müde geworden ist, dieser äußerst effektiven Aneignung der Macht durch die Parteien wirksam entgegenzutreten Er legt den Finger in die Wunde, deckt auf, woran es fehlt - und wie die notwendige Kontrolle der Macht wiederhergestellt werden kann.
Die faszinierende Bilanz eines Lebens für eine demokratische Gesellschaft.

Hans Herbert von Arnim, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, früherer Rektor der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und Verfassungsrichter in Brandenburg, war mit vielen Bestsellern, u.a. »Staat ohne Diener« und »Fetter Bauch regiert nicht gern«, einer der Ersten, der Machtmissbrauch, Inkompetenz und Opportunismus in den politischen Parteien anprangerte. Er gehört zu den versiertesten Kennern unserer Wahlsysteme und Parteienstrukturen.

Einleitung:
Konstruktive Kritik hält Demokratie lebendig

Von der Zukunft unserer Demokratie: Warum es jede Mühe wert ist, um dieses Gut zu streiten

Politik über die Köpfe der Menschen hinweg

Als ich im Frühjahr 2019 damit begann, diesen Text zu verfassen, wurde viel über die Erosion der Demokratie diskutiert. Zeitungen und Talkrunden im Fernsehen waren voll davon. Ein allgemeines Unbehagen am Funktionieren der zentralen Mechanismen unserer politischen Willensbildung machte sich unter den Menschen breit.1 Immer mehr Bürger meinten, Politik werde über ihre Köpfe hinweg gemacht2 und dringende Maßnahmen würden verschleppt. Ein unübersehbares Beispiel, wenn auch vielleicht nicht das wichtigste, war die lange überfällige Verkleinerung des viel zu großen Bundestags. Ganz im Gegensatz zu diesem lang andauernden Findungsprozess gingen und gehen Erhöhungen von Diäten oder Parteienfinanzierung oft blitzschnell über die parlamentarische Bühne, ohne dass der Bürger darauf auch nur den mindesten Einfluss besitzt.

Bundespräsidenten hatten immer wieder zu Reformen aufgerufen, so Richard von Weizsäcker mit seinem Vorwurf, die meisten würden die zentrale »Rolle der Parteien entweder nicht durchschauen oder lieber mit Schweigen übergehen«. Roman Herzog hatte einen Ruck gefordert, der durch Deutschland gehen müsse, ohne allerdings eine Lösung der Probleme aufzuzeigen. Im Herbst 2018 hatte Frank-Walter Steinmeier zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen »call for papers« ausgerufen, mit dem er vor allem junge Politikwissenschaftler animieren wollte, sich Gedanken über unsere Staatsform zu machen und entsprechende Analysen und Vorschläge zur Verbesserung der Demokratie vorzulegen.3 Doch der Demokratiepessimismus hat seither nicht nachgelassen,4 wie auch die Rechtswissenschaftlerin Angelika Nußberger 2021 in ihrem Mannheimer Referat auf der Staatsrechtslehrertagung darlegte5 und Umfragen es bestätigen.

Mich erinnert das gegenwärtige Unwohlsein über den Status quo unserer bundesrepublikanischen Demokratie unwillkürlich an die öffentliche Rede, die ich am 2. November 1993, also vor rund 30 Jahren, bei Übernahme des Rektorats der Speyerer Hochschule gehalten hatte. Bereits damals beschäftigte ich mich mit der Ausgestaltung dieser – trotz aller Mängel – immer noch besten aller Staatsformen. Angesichts der momentanen Verfasstheit unserer Republik erscheint meine damalige Kritik heute umso mehr berechtigt. Viele der seinerzeit georteten Defizite bestehen immer noch, und neue sind hinzugekommen. Umso wichtiger, dieses wertvolle Gut wieder zu stärken, selbst wenn das notwendigerweise bedeutet, bestehende Schwachstellen im Sinne einer positiven Veränderung genau auszuleuchten.

»Hat unsere Demokratie Zukunft?«,6 hieß mein Vortrag 1993 nicht von ungefähr: Drei Jahre zuvor war das kommunistische Regime zusammengebrochen, der 80 Jahre währende Kampf der Systeme schien endgültig für Marktwirtschaft und freiheitliche Demokratie entschieden. Doch mit dem Triumph des Westens und der Abwendung der Menschen vom totalitären Kommunismus und seinen Verheißungen waren auch die von ihm ausgehende existenzielle Bedrohung und die Bindungen entfallen, die uns bis dahin zusammengehalten hatten. Im Vergleich zur Praxis des ideologischen Gegners hatte das westliche System immer noch gut ausgesehen. Doch mit dem Wegfall der Alternative wurden wir freier, auch nach seinen Schwächen und seiner Zukunft zu fragen und es auf den Prüfstand zu stellen.

Bei meinem Vortrag damals war die Aula der Hochschule brechend voll; die Veranstaltung wurde sogar in das benachbarte Auditorium Maximum übertragen. Der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte gerade seine viel beachtete Parteienkritik7 veröffentlicht und mich in die von ihm berufene Parteienfinanzierungskommission geholt, deren Bericht8 inzwischen vorlag. Ich selbst hatte, zusammen mit dem Bund der Steuerzahler, in zähem öffentlichem Kampf eine Reihe von Versorgungsskandalen aufgedeckt, etwa in Hessen und im Saarland, worüber die Medien ausführlich berichtet hatten (siehe hier, hier). Kurz vor Antritt des Rektorats hatte ich zudem zwei Bestseller geschrieben9 und eine Sammlung von Aufsätzen in Buchform publiziert.10 Kurzum, ich war mit meinen Themen öffentlich präsent.

Und auch mit der Resonanz auf meine Rektoratsrede hätte ich eigentlich zufrieden sein können. Die FAZ druckte sie ab11 und die Teleakademie des Süddeutschen Rundfunks sendete sie in voller Länge.12

Weniger erfreulich aber war die Reaktion unter Politikern. Hier erhob sich ein ebenso unerwarteter wie heftiger Sturm der aufgesetzten Entrüstung. Sogar im Plenum des Deutschen Bundestags – es ging in der Sitzung vom 12. November 199313 um eine neue gesetzliche Regelung für die Fraktionen (siehe hier) – überboten sich die Volksvertreter in Beschimpfungen und unverhohlenen Drohungen gegen den Professor aus Speyer: »Wir müssen uns diesen Kritiker etwas genauer ansehen«, kündigte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Joachim Hörster damals an.14 Und Torsten Wolfgramm, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, wurde – unter »Heiterkeit im ganzen Haus« und »lebhaftem Beifall der FDP, der CDU/CSU und der SPD«, wie das offizielle Protokoll vermerkt, – noch deutlicher: »Wenn mir Hans Herbert ›ohne Bindestrich‹ vor’s Schienbein tritt«, dann haut »Torsten ohne ›h‹ … ihn … auf die Nase.«15 Statt auf meine Kritik einzugehen und Gegenargumente anzuführen, drohte man mit Repressalien. »Das Hohe Haus«, so kommentierte der Staatsrechtler Hans Meyer, konnte sich »nicht genug tun, ein Scherbengericht […] auf Kosten eines abwesenden Dritten […] abzuhalten und dabei die Grenzen […] des guten Geschmacks weit hinter sich zu lassen.«16 Sarkastisch merkte der Abgeordnete Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) an, man hätte meinen können, »das Gespenst derer von Arnim« schwebe »über dieser Debatte«. Die »Unbelehrbarkeit« der großen Mehrheit des Hauses »in Sachen Geld« kenne »offenbar keine Grenzen«.17

Die Äußerungen der Abgeordneten, die hier wörtlich wiedergegeben werden, um das Niveau der Diskussion zu illustrieren, und der Applaus ihrer Fraktionen zeigten: Wer Kritik äußert und dabei Dinge anspricht, die der Politik unangenehm sind, der muss mit Beschimpfungen und Drohungen rechnen. Heute klagen viele über Populismus und abwegige Parolen, die sich der Realität verweigern. Genau damit aber wurde ich immer wieder konfrontiert. Statt sich mit meinen Argumenten auseinanderzusetzen, erlebte ich persönliche Diskreditierung, man stellte mich in die populistische Ecke – und zwar seitens der etablierten Politik selbst.18

Das war übrigens kein Einzelfall. Auch bei anderen Auseinandersetzungen zeigte sich immer wieder, wie sklavisch die Verteidiger aufgedeckter Kungeleien Arthur Schopenhauers ironisch-sarkastischem Ratschlag für Streitgespräche folgen, man solle, wenn sachliche Argumente fehlen, zu persönlichen Beleidigungen des Gegners übergehen und seine Motive in Zweifel ziehen (siehe hier): Für denjenigen aber, der etwas bewegen will, darf eine derartige »Rhetorik« kein Grund sein, sein Engagement einzustellen. Ein Grundsatz, der mein Handeln stets geleitet hat.

»Das Imperium schlägt zurück«

…überschrieb die Hamburger Morgenpost ihren Artikel, als kurz nach den geradezu kindlich-albernen Verlautbarungen und Drohungen von 1993 aus dem Bundestag der Bundesrechnungshof nach Speyer in Marsch gesetzt wurde, um das vom Bund mitfinanzierte Forschungsinstitut der Hochschule zu durchleuchten.19 Den Leuten vom Rechnungshof war ihr Auftauchen in Speyer spürbar peinlich, als sie mir dann im Rektoratszimmer gegenübersaßen. Schließlich ist ihre Unabhängigkeit im Grundgesetz verankert. Wenn aber der Bundestag sie bitte, meinten sie, könnten sie sich dem kaum versagen.

Der Rechnungshof hielt die Hochschule zwar wochenlang in Atem, konnte aber nichts Anstößiges feststellen. Er empfahl im Gegenteil eine Aufstockung des Personals der Hochschule und des Speyerer Forschungsinstituts. Das kam uns in den Folgejahren bei Haushaltsverhandlungen mit der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei (und später mit dem Wissenschaftsministerium) sehr zupass. Der Schuss, mit dem der Bundestag als Reaktion auf meine Rektoratsrede auf die Hochschule gezielt hatte, ging also nach hinten los. Als die Universität (wie sie neuerdings heißt) im Jahre 2022 ihren 75. Geburtstag feierte, habe ich daran wieder erinnert.20

Sicher war es auch kein Zufall, dass ich persönlich einer Steuerprüfung des Finanzamts unterzogen wurde, die aber ohne Beanstandung blieb. Vielleicht um Nadelstiche der Politik gegen mich etwas zu kaschieren, wurden, wie man mir berichtete, auch andere Speyerer Professoren geprüft. Ein ebenfalls vom Finanzamt heimgesuchter...

Erscheint lt. Verlag 14.8.2024
Zusatzinfo nur Text
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • Ämterpatronage • Bestseller-Autor • demokratie/parteiensystem • Direkte Demokratie • eBooks • Finanzbuch • Finanzen • Gemeinwohl • Gewaltenteilung • Kartellbildung • Machtmissbrauch • Machtpolitik • Neuerscheinung • Parteibuchwirtschaft • Parteienstaat • Parteispenden • Politikfinanzierung • politikverdruss • politische kartelle • Politische Klasse • politischer Wettbewerb • Privilegien • Repräsentative Demokratie • staatliche parteienfinanzierung • verfassungswidrig • Volksbegehren • Volksentscheid • Wahlmüdigkeit • Wirtschaft
ISBN-10 3-641-32384-3 / 3641323843
ISBN-13 978-3-641-32384-4 / 9783641323844
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