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Verletzendes Verhalten von Fach- und Lehrkräften in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen -  Nina Kölsch-Bunzen,  Rebecca Traub

Verletzendes Verhalten von Fach- und Lehrkräften in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen (eBook)

Studierende und Fachschüler*innen setzen sich mit dem Recht auf Gewaltfreiheit in Bildungsinstitutionen auseinander
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
149 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8064-3 (ISBN)
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Das Thema 'verletzendes Verhalten von Fach- und Lehrkräften gegenüber Kindern in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen' darf kein Tabu sein. Bereits in Ausbildung und Studium müssen Praktikant*innen in die Lage versetzt werden, bei grenzüberschreitendem Verhalten angemessen zu intervenieren. Dieses Buch bietet hierfür eine theoriebasierte und praxisbezogene Grundlage, die von Lehrenden und Lernenden an Fachschulen und Hochschulen gleichermaßen genutzt werden kann.

Prof. Dr. phil. Nina Kölsch-Bunzen lehrt Soziale Arbeit und Kindheitspädagogik an der Hochschule Esslingen. Arbeitsschwerpunkt: diskriminierungs-, barriere-, rassismus- und antisemitismuskritische, menschenrechtsorientierte, demokratische Bildung mit Kindern in der Migrationsgesellschaft.

1.Einleitung


Dieses Buch entstand aus einer intensiven Zusammenarbeit zwischen mir als Professorin der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik sowie Studierenden, die in Seminaren von ihren Erfahrungen im Praktikum berichteten. Unterstützend konnte Rebecca Traub Erkenntnisse aus ihrer Masterarbeit zum Thema ‚Professioneller Umgang von Studierenden der Kindheitspädagogik im Praktikum mit verletzendem Verhalten pädagogischer Fachkräfte gegenüber Kindern‘ in die Bildungsimpulse miteinfließen lassen.

An der Hochschule Esslingen, in der Fakultät Soziale Arbeit, Bildung und Pflege, im Studiengang der Kindheitspädagogik werden im Studium insgesamt vier Praktika in Kindertageseinrichtungen, in Grundschulen sowie in weiteren Institutionen, die mit Kindern und deren Familien zusammenarbeiten, durchgeführt. In den ersten drei Semestern wird pro Semester jeweils ein Kurzpraktikum mit 25 Stunden absolviert und im 4. Semester steht ein Praktikum an, das sich über das gesamte Semester erstreckt. Alle Praktika werden vorbereitet und nachbereitet. Im 4. Semester wird darüber hinaus noch Supervision auf freiwilliger Basis angeboten.

Viele Studierende, die ihr Praktikum in einer Kindertageseinrichtung bzw. einer Grundschule absolviert hatten, kamen erfüllt mit vielen neuen positiven Eindrücken und Anregungen zurück an die Hochschule. Sie hatten es, so ihre Einschätzung, gut getroffen. Die pädagogischen Fachkräfte und die Lehrkräfte pflegten einen freundlichen, offenen Umgang mit Kindern, Eltern, Angehörigen und auch mit der Studentin oder dem Studenten der Kindheitspädagogik im Praktikum. Einige Studierenden wussten von innovativer Architektur in Kindertageseinrichtungen zu berichten, andere von fantasievoller Gestaltung des Außenbereiches einer Grundschule. Studierende schilderten pädagogische Schlüsselsituationen wie die Gestaltung der morgendlichen Begrüßung bzw. der Verabschiedung von Kindern, Eltern, Angehörigen und Mitarbeiter*innen, von pädagogischen Aushandlungsprozessen zwischen Fachkräften und Kindern im Blick auf Arrangements der Essensituationen, Schlafsituationen und Spielsituationen, Studierende berichten von für Kinder bildungsrelevanten Alltagshandlungen wie dem Wickeln oder dem Gang zur Toilette. Studierende berichteten von innovativen Bildungsangeboten, die in der Grundschule zur Anwendung kamen. Studierende waren beeindruckt, wie gut es den Kindern bereits in Kindertagesstätten und Grundschulen gelingen kann, demokratische Entscheidungen zu treffen über Fragestellungen, die unmittelbar auf ihre Lebenswelt bezogen sind.

Nicht in jeder Kindertageseinrichtung oder Grundschule waren alle Bildungsbereiche qualitativ gleich gut abgedeckt. Jedoch die Vielfalt der positiven Erfahrungen zu unterschiedlichen Bereichen, welche die Studierenden untereinander austauschen konnten, verdeutlichten uns allen im Seminar, wie Kindertageseinrichtungs- oder Grundschulalltag zu einer demokratischen Bildungserfahrung werden kann. Diese Erfahrungen aus der Praxis stärkten die Weiterentwicklung professionellen Wissens und einer professionellen Haltung der Studierenden.

Dass die hohe Fachlichkeit in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen nicht immer umfänglich realisiert ist, darauf waren die Studierenden vom ersten Praktikum ihres Studiums an eingestellt. Intensiv hatten sie sich zuvor mit Fragen der Qualität in Kindertageseinrichtungen befasst. Die Relevanz der professionellen Ausgestaltung von Schlüsselsituationen in Kindertageseinrichtungen und Lernprozessen in der Grundschule als Bildungsangebote konnten sie exemplarisch erarbeiten.

Viel Wert wird im Studiengang Kindheitspädagogik an der Hochschule Esslingen gelegt auf ein Verständnis von Demokratie als Lebensform (Dewey 2011). Bereits kleine Kinder ab Geburt sind in der Lage, Demokratie konkret in ihrem Alltag zu erfahren. Ausgehend von einem Bild vom Kind, das bereits den Säugling als kompetent begreift (Dornes 1993), sind demokratische Aushandlungsprozesse von Anfang an möglich. Das Kind ist von Anfang befähigt, mitzuarbeiten bereits in pädagogischen Schlüsselsituationen wie dem Wickeln, Schlafen oder beim Essensvorgang sowie dann in zunehmend komplexeren Lernprozessen, sofern diese als demokratische Bildungsangebote konzipiert sind.

Auch die politische Dimension des gesellschaftlichen Umgangs mit Kindern und Kindheit wird vor Praktikumsbeginn schon einmal eröffnet, beispielsweise durch die Diskussion über Fragen der Ausstattung von Kindertageseinrichtungen bezogen auf die objektiven Bedarfe aller Akteur*innen dieser Bildungsinstitution. Erörtert werden die Unterschiede zwischen der Berechnung eines Personal-Schlüssels und der Berechnung einer Fachkraft-Kind-Relation (Viernickel et al. 2015, 75 ff). Auch wenn der Personalschlüssel sich an wissenschaftliche Anforderungen allmählich und in einzelnen Bundesländern noch in ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit annähert, so ist doch entscheidend, ob dies beim Kind auch ankommt. Studierende wissen bereits, dass die Fachkraft-Kind-Relation, die konkret in der Kindertageseinrichtung vorhanden ist, ein sehr wichtiger Einflussfaktor für die tatsächliche Qualität vor Ort darstellt. Auch um die Notwendigkeit einer guten Ausstattung von Grundschulen mit Lehrkräften wissen die Studierenden vor dem Antritt der Praktikumsstellen.

Im Bereich der Kindertagesstätten muss derzeit von einer chronischen Unterbesetzung ausgegangen werden und auch im Schulbereich wird insbesondere der Aufgabe einer professionellen Bildungsarbeit, die Heterogenität von Schüler*innen als Bildungschance aufzugreifen, nicht umfänglich nachzukommen sein, wenn fachlich gebotene Standards der Besetzung der Klassen mit Lehrkräften nicht gegeben sind. Dies erfordert einen Prozess des gesellschaftlichen Umdenkens im Bereich der Kindheitspädagogik, welcher sich auf die Arbeit im Kindertageseinrichtungs- und im Grundschulbereich bezieht. (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022)

Studierende der Kindheitspädagogik in Esslingen lernen somit, ihre Aufgabe auch politisch zu verstehen, sich verbandlich bzw. gewerkschaftlich zu orientieren und selbständig zu verorten.

Die Studierenden waren auch schon vor ihrem Praxisstart durch einen Prozess der Sensibilisierung gegangen u. a. durch die Auseinandersetzung mit den Kinderrechten und durch Diskussionen zu § 1631 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Einige Studierende kamen mit diesen Berichten aus der Praxis zurück:

Bericht 1:


In einer Freispielsituation saßen zwei Fachkräfte mit drei Kindern auf dem Boden, unterhielten sich und hatten jeweils ein Kind auf den Schoß genommen. Das dritte Kind schichtete Bausteine aufeinander. Schließlich fiel sein, mit den Bausteinen errichtetes Gebäude um. Daraufhin sagte eine Fachkraft zur anderen, das Kind sei „auch ein bisschen dumm“. Die andere Fachkraft erwiderte „Ja, ganz normal ist der nicht, auch seine Eltern haben einen Knall.“

Bericht 2:


Es ist Fasching. Im Gruppenraum läuft Musik und alle Kinder tanzen zusammen. Ein fünfjähriger Junge geht auf eine pädagogische Fachkraft zu, um ihr zu sagen, er habe zu spät gemerkt, dass er auf Toilette muss und sich eingenässt hat. Die pädagogische Fachkraft verdreht die Augen, macht die Musik aus und tadelt ihn vor der Gruppe. Er sei doch alt genug, um rechtzeitig auf Toilette zu gehen. Sogar die Kleinsten in der Gruppe könnten das schon. Nur weil er zu faul sei, auf Toilette zu gehen, müsse sie sich jetzt darum kümmern.

Bericht 3:


Die Fachkraft-Kind-Relation in einer Kindertageseinrichtung ist angespannt, weil für eine vakante Stelle noch keine neue Fachkraft gefunden werden konnte. Das Team beschließt im Blick auf die Kinder mit Behinderung: „Die I-Kinder sollen zuhause bleiben.“ (mit den ‚I-Kindern‘ werden hier Kinder mit Behinderung bezeichnet.)

Bericht 4: ...


Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-7799-8064-9 / 3779980649
ISBN-13 978-3-7799-8064-3 / 9783779980643
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