Selbstgesteuertes Lernen neu denken (eBook)
282 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8429-0 (ISBN)
Klaus Konrad, Jg. 1958, Dr. phil. habil, ist Professor im FB Psychologie der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Lern- und Motivations- bzw. Willenspsychologie. Aktuelle Forschung: Vom Wissen zum Handeln und Lernförderung unter besonderer Berücksichtigung der Selbstregulation.
2.Selbstgesteuertes Lernen – eine neue Lernkultur
2.1Fragen, die in diesem Kapitel beantwortet werden
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Welche gesellschaftlichen, wissenschaftlichen sowie wirtschaftlichen Entwicklungen machen vermehrtes selbstgesteuertes Lernen erforderlich?
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Wie verändert sich Lernen angesichts der rasanten Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Flexibilisierung in der Arbeitswelt?
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Welche Folgen für das selbstgesteuerte Lernen leiten sich aus der Vielfalt und Erweiterung von Wissensbeständen, der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und der Erfordernis stark individualisierter Bildungswege ab?
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Inwiefern sprechen lern- und bildungstheoretische Argumente für die vermehrte Anwendung von selbstgesteuertem Lernen?
2.2Warum ist selbstgesteuertes Lernen wichtig?
Hauptverantwortlich für die Wiederbelebung und Weiterentwicklung diverser Ansätze des selbstgesteuerten Lernens ist ein grundlegender Paradigmenwechsel. Wir befinden uns in einer Umbruchphase. Offensichtlich und für alle Beobachter nachvollziehbar, belegt die stark gestiegene Zahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Vorträgen und Fortbildungen die Bedeutung des selbstgesteuerten Lernens. Nachhaltige Gründe für die vermehrte Diskussion dieser Lernformen finden sich in aktuellen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen sowie wirtschaftlichen Entwicklungen.
2.2.1Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft
Die Lebens- und Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts verändert sich in hoher Geschwindigkeit. Die digitalisierte Wissensgesellschaft löst die rohstoffgetriebene Industriegesellschaft ab. Als Treiber der Veränderung können der technologische Fortschritt, die globale Vernetzung und die neuen digitalen Kommunikationswege, die sich zum Ende des 20. Jahrhunderts entwickelt haben, angesehen werden (Sliwka, Klopsch & Beigel, 2023). Neuer Rohstoff dieser Welt sind die mannigfaltigen Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung und der Umgang damit. Wissenserwerb und Wissensanwendung dienen zunehmend als Quellen für Problemlösungen und Kreativität.
Seit den 1970er Jahren wird diskutiert, dass insbesondere die Entwicklungen in der Arbeitswelt ein lebenslanges Lernen erforderlich machen und bereits in der Schule stärker das „Lernen lernen“ erreicht werden muss. Mit den rasanten Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie, den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen und der Zuspitzung im Berufsleben (z. B. Home-Office) setzt sich die Erkenntnis zunehmend durch, dass eine veränderte Lernkultur in allen (Bildungs-)Institutionen erforderlich ist. Diese neue Perspektive hat Auswirkungen sowohl auf Lernende und Lehrende als auch auf die dahinter stehenden Institutionen (Dietrich, 1999, S. 14).
Mit der Einführung neuer Arbeitssysteme, die durch hohe Flexibilisierung und Dezentralisierung gekennzeichnet sind, korrespondieren vor allen Dingen veränderte Anforderungen an die Bewältigung offener Handlungsvollzüge und die Strukturierung von Arbeitsabläufen. Unter dem Eindruck des skizzierten permanenten und beschleunigten Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft erfährt daher die berufliche Bildung eine Erweiterung um Elemente des selbstgesteuerten Lernens (Pätzold, 2008, S. 4).
Beobachtbar ist dieser Trend am Beispiel von Fachkräften in unterschiedlichen Handlungsfeldern. Experten benötigen in hohem Maße Methoden der Selbststeuerung und Eigenverantwortlichkeit (Pätzold, 2008, S. 4). Vom einzelnen Mitarbeiter wird eine immer größere Bereitschaft erwartet, sich den veränderten Gegebenheiten der Arbeitswelt selbstständig zu stellen, an den Veränderungen mitzuwirken, stärker Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und sich aus eigener Initiative neues Wissen anzueignen, wenn dies erforderlich ist. Neben diesen enger gefassten Tendenzen in der Berufswelt verdient eine zusätzliche – nicht weniger weitreichende – Veränderung in der Gesellschaft Erwähnung: Die Erhöhung der Mobilität, ein schneller und stetiger Wertewandel, fehlende Verlässlichkeiten und Planungssicherheiten sowie Veränderungen des familiären Gefüges münden in eine zunehmende Individualisierung. Diese kann nur mit Hilfe adäquater Strategien der Selbststeuerung gelingen. Zur erfolgreichen Gestaltung der eigenen Lebensführung sind offenbar in hohem Maße Fähigkeiten zur Selbstreflexivität und Selbstorganisation (z. B. Zeitmanagement) notwendig, die von den meisten Akteuren jedoch erst noch erworben werden müssen (Konrad & Traub, 2019, S. 23).
Die prominente Taxonomie der „four C’s“ greift die skizzierten gesellschaftlichen Überlegungen ebenfalls auf. Das 4K-Modell (kurz: 4K) formuliert vier Kompetenzen, die für Lernende im 21. Jahrhundert von herausragender Bedeutung sind: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Die Kompetenzen gelten als Grundlagen für selbstgesteuertes Lernen und Adaption; sie können nur gemeinsam gedacht werden. Das (passive) Wissen kann nur mit (aktiver) Beteiligung der 4K zu einem Können werden, das in neuen Situationen anwendbar ist. Wer lernt, in dem er Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken kombiniert, erwirbt ein wichtiges und notwendiges Rüstzeug für die Zukunft. Das Modell der 4K bildet selbstgesteuertes Lernen als eine elementare gesellschaftliche Anforderung an Individuen und Gruppen ab (Dietrich, 1999, S. 17). Angesichts der skizzierten Trends bleibt festzuhalten: Selbststeuerung ist keineswegs eine vorübergehende Mode. Ungeachtet von Alter, Schulbildung und Status sind Menschen zunehmend gefordert, ihre Entwicklung und speziell ihre Lernprozesse im Lebensverlauf zielgerichtet selbst zu bestimmen und selbstgesteuert zu organisieren.
2.2.2Wissenschaftsinterne Perspektiv(en)wechsel
Auch lerntheoretische Begründungen bestätigen die Notwendigkeit des selbstgesteuerten Lernens. Verwiesen wird auf die vorhandene Unterschiedlichkeit der Lernvoraussetzungen, ebenso wie der Fähigkeiten und Präferenzen vonseiten der Lernenden (siehe die weiteren Hinweise in Abschnitt 3.5).
Angesichts heterogener Lernausgangslagen bei Schülerinnen und Schülern setzen viele Verantwortliche auf individuelles Lernen in nahezu offenen Lehr-Lern-Umgebungen. Diese Arrangements und die daran geknüpfte Anwendung von Lernstrategien vonseiten der Beteiligten setzen häufig ein hohes Maß an Selbststeuerung und die Verwendung von Lernstrategien beim Aufgaben- oder Problemlösen voraus. Nach dem aktuellen Kenntnisstand hat die persönliche Lernförderung unweigerlich auch eine Bedeutung für den Erfolg eines als modern zu bezeichnenden Unterrichts.
Einigkeit besteht darin, dass eine anspruchsvolle individuelle Förderung von Kindern oder Jugendlichen bereits an frühen Stufen ihrer Entwicklung ansetzen muss (Hellmich & Wernke, 2009, S. 13-14). Schon in der Grundschule sind differenzierende und individualisierende Anregungen erforderlich, die die Lernenden in...
Erscheint lt. Verlag | 19.6.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8429-6 / 3779984296 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8429-0 / 9783779984290 |
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