Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten in der Kita (eBook)
113 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61520-9 (ISBN)
Prof. Dr. Klaus Sarimski, Dipl.-Psych., lehrt sonderpäd. Frühförderung und allg. Elementarpädagogik an der PH Heidelberg.
Prof. Dr. Klaus Sarimski, Dipl.-Psych., lehrt sonderpäd. Frühförderung und allg. Elementarpädagogik an der PH Heidelberg.
2Sozial-emotionale Entwicklung
! | Nach dem Konzept der „Positiven Verhaltensunterstützung“ ist davon auszugehen, dass die meisten Verhaltensweisen, die von den Bezugspersonen als auffällig beurteilt werden, aus Sicht des Kindes einen „Sinn“, d. h. eine kommunikative Funktion haben. |
Sie werden von den Kindern eingesetzt, weil es ihnen an kommunikativen, emotionalen und sozialen Kompetenzen fehlt, um ihre Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken und ihre Ziele in sozialen Alltagssituationen auf sozial verträglichere Weise zu erreichen. Problematisches Verhalten wird dann aufrechterhalten, wenn es erfolgreich ist, d. h. das Kind erlebt, dass es damit seine Ziele erreichen kann. Seine Häufigkeit und Ausprägung variiert mit dem sozialen Kontext.
Verhaltensauffälligkeiten sind daher immer in Zusammenhang mit den emotionalen und sozial-kognitiven Kompetenzen sowie den Selbstregulationsfähigkeiten zu beurteilen, über die das Kind verfügt. Diese Kompetenzen entwickeln Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren.
DEFINITION
Emotionale Kompetenzen umfassen Emotionswissen (Erkennen und Benennen von Emotionen bei sich selbst und anderen) und die Fähigkeit zur Emotionsregulation (flexible und situationsangepasste Strategien zur Regulation von Emotionen bei sozialen Anforderungen).
DEFINITION
Sozial-kognitive Kompetenzen umfassen die Fähigkeit, soziale Hinweisreize zu erkennen, Absichten anderer Menschen zutreffend einzuschätzen und Zusammenhänge ihres Verhaltens zu verstehen. Zu ihnen gehört die Fähigkeit, die Perspektive des anderen einzunehmen, Handlungsoptionen für die Lösung sozialer Konflikte zu bewerten und eigene Wünsche und Vorschläge mitzuteilen.
Emotionale und soziale Kompetenzen entwickeln sich im Kontext der Interaktionen des Kindes mit seinen Eltern und anderen Kindern und sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche soziale Teilhabe, die Entwicklung von Freundschaften sowie das soziale und emotionale Wohlbefinden eines Kindes. Schwierigkeiten bei der Entwicklung dieser Kompetenzen sind mit einem erhöhten Risiko für die Ausbildung von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen assoziiert. Denham et al. (2014) fassen die verschiedenen Komponenten sozial-emotionaler Kompetenz, die zu einem hohen Status in der Gruppe, guten Beziehungen zu Gleichaltrigen und Erwachsenen und hoher Selbstwirksamkeit beitragen, zusammen (Abb. 1).
Abb. 1: Sozial-emotionale Kompetenz und soziale Beziehungen (nach Denham et al. 2014)
2.1Emotionswissen und -regulation
Die Entwicklung der emotionalen Kompetenzen umfasst das Emotionswissen und die Fähigkeiten zu Empathie und Emotionsregulation (Petermann / Wiedebusch 2016). Emotionale Kompetenz bedeutet die Fähigkeit, Emotionen in einer gesunden Weise zu erkennen, zu verstehen und auszudrücken. Kinder mit hoher emotionaler Kompetenz ertragen Frustrationen leichter, geraten weniger häufig in Streit, zeigen weniger zerstörerisches Verhalten, sind seltener einsam, dafür stärker fokussiert und haben langfristig in der Schule mehr Erfolg. Merkmale emotionaler Kompetenzen (Petermann / Wiedebusch 2016) sind:
■Wissen über eigenen mimischen Emotionsausdruck,
■Erkennen des mimischen Emotionsausdrucks anderer Personen,
■sprachlicher Emotionsausdruck,
■Emotionswissen und –verständnis und
■selbstgesteuerte Emotionsregulation.
Die Entwicklung von Emotionen beginnt bereits in den ersten Wochen nach der Geburt. Zunächst erlebt der Säugling noch undifferenzierte Gefühle der Unzufriedenheit und des Wohlbehagens, die sich dann in primäre Emotionen (Trauer, Freude, Angst / Furcht, Ärger / Wut) sowie sekundäre Emotionen (z.B. Scham, Stolz, Schuld) ausdifferenzieren. Für die Entstehung von sekundären Emotionen sind die Fähigkeit zur Beurteilung des eigenen Verhaltens, die Kenntnis von sozial anerkannten Verhaltensnormen oder die Fähigkeit zum sozialen Vergleich mit Gleichaltrigen notwendig. Sie entwickeln sich daher erst ab dem dritten Lebensjahr.
Die Fähigkeit, Emotionen anhand von Mimik, Körperhaltung, Gestik oder Ton der Stimme zu erkennen, ist für erfolgreiche soziale Interaktionen von großer Bedeutung. Zunächst werden Freude, später dann Trauer und Wut, danach erst Überraschung und Angst zuverlässig erkannt (Petermann / Wiedebusch 2016). Dies gelingt Kleinkindern zunächst bei vertrauten Erwachsenen und ihren Geschwistern, später auch bei fremden Personen und auf Fotos. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres verstehen sie auch die Bedeutung einfacher Emotionswörter (z.B. „traurig“, „froh“).
Ab diesem Alter lernen sie im Dialog mit den Erwachsenen, über emotionale Erfahrungen zu sprechen und die Gefühlswelt des anderen besser zu verstehen, um darauf entsprechend reagieren zu können. Die Differenzierung des sprachlichen Emotionsausdrucks ist somit eng mit der Entwicklung kommunikativer Fähigkeit verbunden. Studien haben gezeigt, dass der sprachliche Emotionsausdruck in den späteren Jahren umso differenzierter entwickelt ist, je mehr und je intensiver die Bezugspersonen mit Kleinkindern über Emotionen sprechen.
Zusätzlich zur Quantität und Qualität des emotionalen Austausches spielt die Bindungssicherheit zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen eine große Rolle. Sicher gebundene Kinder äußern häufiger positive Emotionen und weisen häufiger auf ihre eigene Befindlichkeit hin. Für die Entwicklung einer sicheren Bindung bedarf es der Feinfühligkeit der Eltern; sie müssen auf die Bedürfnisse des Kindes nach Schutz, Hilfe oder Trost prompt, passend und zuverlässig reagieren, damit das Kind erlebt, dass es sich in schwierigen Situationen auf ihre Unterstützung verlassen kann.
Im weiteren Verlauf der Entwicklung lernen Kinder dann, Ursachen und Auslöser von Emotionen zu erkennen und zu verstehen. Vorschulkinder können den primären Emotionen passende auslösende Situationen zuordnen und verstehen bereits, dass sich verschiedene Personen in ihren emotionalen Reaktionen auf eine Situation und ihre emotionalen Erfahrungen unterscheiden. Sie bilden quasi für jede Emotion eine Art „Skript“ aus, d. h. eine Vorstellung, mit welchen Ursachen und Folgen eine Emotion verbunden sein kann. Auch diese Entwicklung vollzieht sich im Rahmen der Eltern-Kind-Interaktionen bei Familiengesprächen am Tisch, beim Vorlesen von Bilderbüchern oder beim Erzählen von Geschichten sowie in der alltäglichen Interaktion mit ihren Geschwistern und Freunden – aber natürlich auch in der Kindertagesstätte.
Neben dem Wissen um Emotionen und der Fähigkeit, sie zu erkennen und einzuordnen, müssen Kinder lernen, ihre eigenen Emotionen zu regulieren. Um mit anderen Kindern (und Erwachsenen) gut zurechtzukommen, müssen sie z.B. lernen, sich wieder zu beruhigen, wenn sie frustriert sind, dass ihnen etwas nicht gelungen oder verwehrt worden ist.
Unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten ist dabei der Übergang von der externalen (d. h. von den Eltern gelenkten) zur internalen Regulation besonders bedeutsam. Während Kinder in den ersten beiden Lebensjahren noch stark auf die Unterstützung der Eltern bei der Regulation ihrer Affekte angewiesen sind, entwickeln sie am Ende des Kleinkindalters allmählich die Fähigkeit, diese Emotionen selbst zu regulieren.
Dabei spielt die Sprache als Mittel der „psychologischen Distanzierung“ von dem unangenehmen Erleben eine wichtige Rolle. Selbstinstruktionen (z.B. „Bleib ruhig.“, „Das schaff’ ich schon.“) oder die kognitive Bewertung einer Situation (z.B. „Das hat er nicht böse gemeint.“ oder „Nachher bekomme ich …“) tragen dazu bei, dass Kinder auch mit Ereignissen zurechtkommen, die sie als unangenehm empfinden.
Die Fähigkeit zum Ausdruck und zur Regulation eigener Emotionen ist wichtig für die soziale Anpassung im weiteren Verlauf des Kindesalters. Kleinkinder mit Schwierigkeiten im Bereich der Emotionsregulation zeigen in der Kita und später in der Schule weniger soziale Fertigkeiten und sind bei den Gleichaltrigen weniger beliebt. Gute Fähigkeiten, die eigenen Emotionen zu regulieren, sind entsprechend mit einem geringeren Ausmaß an Verhaltensauffälligkeiten assoziiert.
2.2Soziale Kompetenzen
Soziale Kompetenzen bestehen aus einzelnen Verhaltensweisen, die situations-spezifisch als relevant angesehen und eingesetzt werden, um ein Ziel im sozialen Kontext zu erreichen. Dazu gehören in der Kita die Fähigkeiten, Spielvorschläge zu machen, Spielsachen und andere Materialien miteinander zu teilen, sich beim Spiel abzuwechseln, den Spielkameraden zu helfen, sich für Missgeschicke zu entschuldigen und sich empathisch zu zeigen.
DEFINITION
Empathie bedeutet die Fähigkeit, sich in die Situation und die Gefühle einer anderen Person hineinzuversetzen und sie zu verstehen.
Soziale Kompetenz ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern das Ergebnis eines Lernprozesses. Sie umfasst alle Verhaltensstrategien, mit denen ein Kind ein Ziel in sozial verträglicher Weise verfolgt.
Dazu muss das Kind seine Aufmerksamkeit steuern und soziale Hinweisreize erkennen können, Absichten anderer Menschen zutreffend einschätzen und Zusammenhänge ihres Verhaltens verstehen. Es muss in der Lage sein, die Perspektive des anderen einzunehmen, Handlungsoptionen für die Lösung sozialer Konflikte kennen und eigene Wünsche und Vorschläge...
Erscheint lt. Verlag | 6.9.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Kindergarten • Kita • Verhalten • verhaltensauffällige Schüler • Verhaltensauffälligkeit • Verhaltensauffälligkeiten • Verhaltensstörung |
ISBN-10 | 3-497-61520-X / 349761520X |
ISBN-13 | 978-3-497-61520-9 / 9783497615209 |
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