Unser Haus steht längst in Flammen (eBook)
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01158-8 (ISBN)
Vanessa Nakate, geb. 1996 in Uganda, studierte Betriebswirtschaft an der Makerere University Business School. Im Januar 2019 wurde sie die erste Klimaaktivistin für Fridays For Future in Uganda und gründete das Rise Up Climate Movement (heute: Ponya Earth Foundation). Sie wurde mehrfach als eine der einflussreichsten Afrikanerinnen ausgezeichnet, sprach u. a. vor dem UN-Klimagipfel in Madrid und diskutierte mit Ban Ki-moon über die Rolle jugendlicher Aktivist:innen im Kampf gegen den Klimawandel. Twitter: (@vanessa_vash) Instagram:@vanessanakate1
Vanessa Nakate, geb. 1996 in Uganda, studierte Betriebswirtschaft an der Makerere University Business School. Im Januar 2019 wurde sie die erste Klimaaktivistin für Fridays For Future in Uganda und gründete das Rise Up Climate Movement (heute: Ponya Earth Foundation). Sie wurde mehrfach als eine der einflussreichsten Afrikanerinnen ausgezeichnet, sprach u. a. vor dem UN-Klimagipfel in Madrid und diskutierte mit Ban Ki-moon über die Rolle jugendlicher Aktivist:innen im Kampf gegen den Klimawandel. Twitter: (@vanessa_vash) Instagram:@vanessanakate1 Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen Autor:innen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.
Einführung
Ich war fassungslos angesichts dessen, was ich sah – besser gesagt, was ich nicht sah.
Es war ein klirrend kalter Januartag im Jahr 2020, und ich scrollte durch die Feeds meiner Social-Media-Kanäle. Ich hatte gerade mit anderen Klimaaktivist*innen zu Mittag gegessen. Wir waren nach Davos gekommen, um einige der dreitausend Wirtschaftsführer*innen, Finanziers, Politiker*innen, Meinungsmacher*innen, Celebrities und anderen Globetrotter, die sich zum jährlichen Weltwirtschaftsgipfel in der Schweiz versammelt hatten, mit Nachdruck auf den Ernst der Lage hinsichtlich der Klimakrise hinzuweisen. Wir hatten am Vormittag eine Pressekonferenz abgehalten, davor hatte ich mich gemeinsam mit vier anderen Aktivistinnen den Fotograf*innen gestellt und nach alldem die Kantine verlassen, um nachzusehen, wie die Medien auf unsere Botschaft reagierten.
Sofort stieß ich auf den ersten Link zu einem Artikel samt Foto aus der Serie zur Pressekonferenz. Mir wäre vor Schreck fast das Herz stehengeblieben. Ich war eindeutig Teil dieser Fotografie gewesen – ganz links am Rand war noch ein Stück meines Mantels zu sehen. Nur ich war nirgends zu finden. Ich war aus dem Bild geschnitten worden.
Ich durchlebte ein Wechselbad der Gefühle, war fassungslos, frustriert, wütend und betroffen. Ich betrachtete das Bild. Es war unmöglich, nicht zu bemerken, dass ich von den fünf Frauen, die sich den Fotograf*innen gestellt hatten, die einzige war, die nicht aus Europa kam, und außerdem die einzige, die Schwarz war. Sie hatten nicht nur mich herausgeschnitten. Zusammen mit mir war ein ganzer Kontinent eliminiert worden.
Ich war auf der Pressekonferenz an jenem Morgen in Davos die einzige Klimaaktivist*in aus Afrika gewesen (auf dem Weltwirtschaftsgipfel selbst waren noch ein paar andere von uns), und ich war nicht nur von dem Foto der Agentur Associated Press eliminiert worden, sondern auch aus dem zugehörigen Artikel, in dem über unsere Pressekonferenz berichtet wurde. «Heißt das, ich bin als Aktivistin unbedeutend oder dass die Bevölkerung Afrikas generell nicht von Bedeutung ist?», fragte ich in einem zehnminütigen Video, das ich noch am selben Tag per Livestream veröffentlichte. Die grausame Ironie, dass ausgerechnet die einzige Afrikanerin von dem Foto getilgt worden war, traf mich ins Mark. «Das haben wir nicht verdient», sagte ich. «Der afrikanische Kontinent verursacht die niedrigsten CO2-Emissionen und ist zugleich größter Leidtragender der Klimakrise.»
Zu dem Zeitpunkt organisierte ich in meiner Heimat Uganda seit einem Jahr Klimastreiks, um hinsichtlich des Klimanotstands sofortiges Handeln zu fordern – bei mir zu Hause, auf den Straßen von Kampala, der ugandischen Hauptstadt im östlichen Zentralafrika. Ich hatte mich online engagiert, hatte an internationalen Klimakonferenzen teilgenommen und war jetzt nach Davos gekommen, um dabei zu helfen, noch mehr Menschen für die Tatsache zu sensibilisieren, dass die Erderwärmung weder etwas Abstraktes ist noch ein theoretisches Ereignis, das unserem Planeten möglicherweise in ein paar Jahrzehnten drohen könnte.
Meine Botschaft war und ist simpel: Menschen in Uganda, in Afrika und überall im Globalen Süden verlieren jetzt ihr Zuhause, ihre Ernten, ihren Lebensunterhalt, manche sogar ihr Leben selbst und jede Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft.
Die Situation ist ebenso schlimm wie ungerecht. Obwohl Afrika 15 Prozent der Weltbevölkerung beheimatet, ist der Kontinent lediglich für 2 bis 3 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen verantwortlich.[1] Der Treibhausgasausstoß einer durchschnittlichen Afrikaner*in beträgt nur einen Bruchteil der Emissionen eines Bewohners der USA, Europas, Chinas, der Vereinigten Arabischen Emirate, Australiens oder vieler anderer Staaten. Eine Oxfam-Studie aus dem Jahr 2019 kommt zu dem Schluss, dass ein*e Bewohner*in Großbritanniens in den ersten beiden Wochen des Jahres 2020 mehr CO2 verursacht haben wird als jemand in Uganda oder einem von sechs weiteren afrikanischen Staaten im ganzen Jahr.[2]
Trotzdem muss Afrika laut der Afrikanischen Entwicklungsbank beinahe die Hälfte der Kosten der Anpassung an die Konsequenzen des Klimawandels schultern. Sieben der zehn Länder, die am anfälligsten für die gravierendsten Auswirkungen der Klimakrise sind, befinden sich in Afrika: der Südsudan, Nigeria, Äthiopien, Eritrea, Tschad, Sierra Leone und die Zentralafrikanische Republik.
Die Länder mit den geringsten Mitteln, die außerdem am wenigsten zu der Krise beigetragen haben, leiden unter den schlimmsten Konsequenzen: häufigere und heftigere Überflutungen, zunehmend längere Dürrezeiten, Perioden mit immer extremerer Hitze und steigende Meeresspiegel. Auch zunehmende Nahrungsmittelknappheit, Vertreibung und Flucht, wirtschaftliche Schäden und höhere Sterberaten betreffen überproportional People of Color, und zwar nicht nur quer durch Afrika und den Globalen Süden, sondern auch im Globalen Norden.[3]
Das ist meine Welt – eine Welt, in der die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits um 1,2 °C gestiegen ist. Eine Erderwärmung um 2 °C ist für Länder wie Uganda das Todesurteil. Trotzdem steuern wir, während ihr dies hier lest, auf Temperatursteigerungen zu, die weit jenseits der 2 °C-Marke liegen. Das bedeutet, viele weitere Millionen Menschen werden ihre Heimat verlieren, und extreme Wetterereignisse werden Gesundheits- und Wirtschaftssysteme bis an die Grenzen der Belastbarkeit strapazieren. Gleichzeitig werden die Weltmeere weiter verschmutzt, die Biodiversität bricht zusammen, und das Artensterben nimmt Ausmaße an, die gravierender sind als zu Zeiten der Dinosaurier.
Mit meinem Video erreichte ich Zehntausende Menschen rund um den Globus, darunter viele meiner Landsleute in Uganda, die meine Wut und meine Enttäuschung teilten. Genau wie mir, wurde ihnen klar, dass an diesem Bild wortwörtlich etwas nicht stimmte. Die Tatsache, dass man mich aus diesem Foto herausgeschnitten hatte, gab meinem Aktivismus und meinem Leben einen neuen Rahmen. Sie gab meinen Gedanken zu Ethnien, Geschlechterrollen, Teilhabe und Klimagerechtigkeit eine neue Ausrichtung; und sie führte schlussendlich dazu, dass ihr jetzt dieses Buch in Händen haltet.
In Unser Haus steht längst in Flammen zeige ich auf, weshalb dieses Foto und dieser Augenblick von Bedeutung waren, und weshalb es essenziell ist, dass im Kampf gegen den Klimawandel Stimmen wie meine gehört werden. Ich beschreibe meinen Weg zur Klimaaktivistin, meine Reise bis in die Schweizer Alpen und erzähle, was seitdem geschah. Ich zeige auf, dass das, was wir nur als Klimanotstand bezeichnen können, für Millionen von Menschen heute schon einen unmittelbaren, tagtäglichen Überlebenskampf bedeutet, auch in Afrika, und ich beleuchte den Zusammenhang zwischen der Aufheizung der Erdatmosphäre und dem daraus resultierenden Treibhauseffekt mit allem anderen: Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und die vielen Formen von Ungleichheit und Ungerechtigkeit – ethnisch, geschlechterspezifisch und geographisch.
Wie die meisten der jungen Klimaaktivist*innen, die mich inspiriert haben und mit denen ich mich zusammengeschlossen habe, lebe ich in einer tiefgreifend vernetzten Welt mit unmittelbarem Zugang zu enormen Mengen an Information (und Desinformation). Die Möglichkeiten, sich mit anderen zu verbinden, sind so gut wie nie zuvor. Diejenigen von uns, die wie ich um die Jahrhundertwende geboren wurden, sind im Schatten von HIV/Aids, Terrorismus, Weltfinanzkrisen und umstürzendem technologischen Wandel aufgewachsen. Wir wurden Zeug*innen einer zunehmend stärkeren Konzentration von Wohlstand und immer stärkeren Machtgefällen. Viele von uns bekommen am eigenen Leib zu spüren, wie die Ökosysteme unseres Planeten unter dem klimatischen Stress, der in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist, zusammenbrechen.
Vielleicht mehr als jede andere Altersgruppe stellen wir die Prämissen eines ökonomischen, sozialen und politischen Modells in Frage, das uns an den Rand eines Abgrunds geführt hat, jenseits dessen kein ökonomisches oder politisches System überleben wird. Diese Tatsachen haben uns zu der Erkenntnis geführt, dass wir und nachfolgende Generationen die Leidtragenden von zwei Jahrhunderten Verbrennung fossiler Energieträger sind, die Leidtragenden unseres verhängnisvollen Scheiterns, die fossilen Brennstoffe und das verbleibende CO2 im Boden zu belassen.
Darüber hinaus zeigt Unser Haus steht längst in Flammen die Arbeit und die Perspektiven einer neuen Welle Aktivist*innen, die der jungen Generation entstammen. Viele der von mir vorgestellten Aktivist*innen konzentrieren ihre Vision vor allem auf Afrika und agieren aus Afrika heraus, einem Kontinent, der viel zu lange ignoriert, seiner Stimme beraubt und ausgebeutet wurde. Wir sind davon überzeugt, dass nicht nur die ernst gemeinte Verpflichtung für Gerechtigkeit in Hinblick auf Ökologie, Ethnien und Klima im Mittelpunkt unserer Anstrengungen stehen muss, sondern Hand in Hand damit die Stärkung und Ermächtigung von Mädchen und Frauen, die noch unmittelbarer von der Krise betroffen sind und die in dem Bemühen, sie zu bekämpfen, an vorderster Front stehen. Ohne dem Klimawandel mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten, wird es uns weder gelingen, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erfüllen noch eine widerstandsfähige und nachhaltige Zukunft zu gestalten. Ich teile in diesem Buch außerdem die...
Erscheint lt. Verlag | 28.10.2021 |
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Übersetzer | Sabine Längsfeld |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Afrika • Biografie • CO2 Ausstoß • FFF • Fridays For Future • Greta Thunberg • Klimaaktivismus • klimabewegung • Klimawandel • Luisa Neubauer • Manifest • Memoir • Protest • Umwelt |
ISBN-10 | 3-644-01158-3 / 3644011583 |
ISBN-13 | 978-3-644-01158-8 / 9783644011588 |
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Größe: 2,4 MB
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