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Warum Deutschland es besser macht (eBook)

Ein bewundernder Blick von außen
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01038-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warum Deutschland es besser macht -  John Kampfner
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Die Deutschen sind Meister der Selbstkritik. Dabei macht das Land es besser, als viele denken, sagt John Kampfner. Der Autor ist Brite und zeigt, wie sehr sich das Deutschland-Bild im Ausland in den letzten Jahren verändert hat. Die deutsche Politik hält er fu?r vorbildlich: Finanz- und Flu?chtlingskrise - kaum ein anderes Land navigiere so erfolgreich und souverän durch schwierige Zeiten. Sogar die Corona-Bekämpfung hält er für größtenteils erfolgreich. Während anderswo autoritäre Politiker und Populisten regieren, sei Deutschland ein Bollwerk aus Anstand und Stabilität. Den Grund dafu?r sieht Kampfner vor allem in der soliden Politik Angela Merkels und in der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit; darin liegt fu?r ihn der Schlu?ssel zu einer sensiblen Demokratie. Eine erfrischend andere Geschichte der Bundesrepublik. «Ausgezeichnet und provokant, ein leidenschaftliches, aktuelles Buch.» Sunday Times

John Kampfner ist Journalist, Autor und Kommentator. Er war viele Jahre deutscher Auslandskorrespondent in Bonn, Ost-Berlin und Moskau und berichtete über den Mauerfall und den Kollaps der Sowjetunion von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Er schrieb und kommentierte u.a. für die Financial Times, BBC und war Chefredakteur des New Statesman Magazine. Seine Bücher 'Blair's Wars' und 'Why the Germans Do it Better' waren Bestseller in Großbritannien.

John Kampfner ist Journalist, Autor und Kommentator. Er war viele Jahre deutscher Auslandskorrespondent in Bonn, Ost-Berlin und Moskau und berichtete über den Mauerfall und den Kollaps der Sowjetunion von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Er schrieb und kommentierte u.a. für die Financial Times, BBC und war Chefredakteur des New Statesman Magazine. Seine Bücher "Blair's Wars" und "Why the Germans Do it Better" waren Bestseller in Großbritannien.

Kapitel 1 Wiederaufbau und Erinnerung


Wie sich Deutschland bis heute an seiner Vergangenheit abarbeitet


Weimar ist die Stadt von Goethe und Schiller, von Bach, Liszt und dem Renaissancemaler Cranach dem Älteren. In Weimar verliebte sich die Schriftstellerin und einflussreiche Salondame Madame de Staël in die deutsche Kultur, dort gründete Walter Gropius das Bauhaus als völlig neuartige Kunstschule.

Direkt vor meinem Hotel befindet sich eine Haltestelle der Buslinie 6, die vom Goetheplatz zum nahe gelegenen Konzentrationslager Buchenwald fährt. In Deutschland liegen die Schrecken der Geschichte immer gleich um die Ecke. In München braucht man nur 30 Minuten, um von der Endstation einer S-Bahn-Linie nach Dachau zu gelangen. Und in Berlin muss man zwar einige Male umsteigen, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln in den Norden der Stadt nach Sachsenhausen zu kommen, aber in gut einer Stunde schafft man es auch hier.

Ein halbes Jahrhundert übt sich Deutschland nun schon in umfassender, alle Lebensbereiche beherrschender Wiedergutmachung. Die große moralische Wachsamkeit der Deutschen beeinflusst noch immer viel von dem, was sie tun.

Der Historiker Fritz Stern meinte, die Deutschen hätten den Wunsch gehabt, an Hitler zu glauben, und er war überzeugt, dass sie sich dem Nationalsozialismus aus freien Stücken anschlossen. In seiner langen Wissenschaftskarriere beschäftigte sich Stern intensiv mit der Frage: «Warum und wie brach das menschliche Potenzial für das Böse so ausgeprägt in Deutschland aus?» Auch der britische Historiker Alan J.P. Taylor hielt noch in den letzten Kriegsmonaten fest: «Die Geschichte der Deutschen ist eine Geschichte der Extreme. Sie umfasst alles, nur nicht die Mäßigung – im Verlauf von 1000 Jahren haben die Deutschen alles erfahren, nur keine Normalität.»

Aus der Notwendigkeit der Erinnerung heraus etablierte sich allmählich ein ganz eigenes Vokabular: Vergangenheitsbewältigung, Vergangenheitsaufarbeitung, Erinnerungskultur und der äußerst umstrittene Begriff Kollektivschuld.

Dieses Begriffsinstrumentarium prägt den Blick auf die deutsche Geschichte, sogar jener vor dem 20. Jahrhundert. Im Unterschied zu Frankreich, England und anderen Ländern kennt das heutige Deutschland keine großen Nationalfeiertage, sieht man einmal vom 3. Oktober, dem noch jungen Tag der Deutschen Einheit, als eher zaghaftem Versuch dazu ab. Paraden gibt es allenfalls in folkloristischer Form oder bei kulturellen Veranstaltungen. Nirgends sieht man Prunk und Protz – was vielleicht die Leidenschaft insbesondere älterer Deutscher für die Königshäuser und Berühmtheiten anderer Länder erklärt.

Welches Land würde seiner eigenen Schande ein Denkmal setzen – und das auch noch direkt neben zweien seiner berühmtesten Wahrzeichen? Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ganz in der Nähe des Brandenburger Tors und des Reichstags lässt niemanden unberührt. Es ist das bekannteste Mahnmal für den Holocaust im heutigen Deutschland und auf dem Territorium des ehemaligen Dritten Reichs, aber es ist nur eines von vielen.

Im Jahr 1992 machte der Künstler Gunter Demnig mit einer Idee von sich reden. Heute, fast drei Jahrzehnte später, findet man mehr als 70000 Stolpersteine in 120 Städten und Orten von insgesamt über 24 Ländern in ganz Europa.

Solche Gesten der Erinnerung fielen den Deutschen nicht leicht, und sie waren auch nicht von Anbeginn Teil der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Die Bevölkerung Deutschlands brauchte nach dem Krieg fast zwei Jahrzehnte, um sich der ungebrochenen Wahrheit des Holocaust und anderer Gräuel zu stellen. Nach 1945 war ihre Stimmung von Schock und Demütigung geprägt. Die Strategie der Alliierten, die Moral der Bevölkerung durch Feuerstürme in ihren Städten zu brechen, hatte das Ende des Kriegs sicher beschleunigt. Sie lieferte den Deutschen im Ergebnis aber auch das Gefühl, ihrerseits Opfer zu sein, auch wenn sie das nicht laut aussprachen; es waren nicht wenige, die keinen moralischen Unterschied sehen wollten zwischen den Verbrechen der Nazis und dem schonungslosen Vorgehen der Alliierten.

Der Wiederaufbau war anfangs eine ganz konkrete Angelegenheit. Das Bild der Trümmerfrauen hat sich der deutschen Psyche stark eingeprägt. Viele Männer kehrten als Versehrte aus dem Krieg zurück, nicht wenige blieben vorerst in Gefangenschaft. Mehr als sechs Millionen Menschen waren ums Leben gekommen oder wurden vermisst, fast 10 Prozent der deutschen Bevölkerung, und mehr als die Hälfte des städtischen Wohnraums lag in Trümmern. Das Verkehrs- und Transportsystem war durch Bombenangriffe systematisch zerstört, ein Großteil der Versorgungsbereiche zusammengebrochen.

George Orwell beschrieb im März 1945 seine Eindrücke in Köln: «Die Herrenmenschen sind überall, sie kurven auf ihren Fahrrädern durch die Trümmerhaufen oder eilen mit Krügen und Eimern zu den Wasserwagen.» Man spürt seine beißende Wut, die für jene Zeit nicht untypisch war. Neil MacGregor stach ein anderes allgegenwärtiges Detail ins Auge: «Der Handwagen ist ein starkes und konkretes Sinnbild des Leids.» Und dieses Land musste nun über zwölf Millionen weitere Menschen ernähren, die vor den anrückenden Russen aus dem Osten geflohen waren. Es handelte sich um die vermutlich größte Flüchtlingswelle in der Geschichte.

Noch heute gibt es in Deutschland kaum eine Familie ohne einen persönlichen Bezug zu Menschen, die nach dem Zusammenbruch schwere Zeiten durchmachten. Dies ist ein lange verdrängter und viel zu wenig erforschter Aspekt der deutschen Geschichte. Ob es daran liegt, fragt sich MacGregor, dass «die Deutschen diese Ereignisse als gerechte Vergeltung für das Böse betrachten, das sie anderen antaten? Wenn ein Staat so viel Schlimmes angerichtet hat, wie reagieren wir dann auf das Leid seiner Bürger, das sich daraus ergibt? Wenn wir ihnen eine Kollektivschuld anrechnen, haben Einzelne dann überhaupt ein Anrecht auf Mitgefühl?»

In dem 2008 erschienenen Buch Kalte Heimat: Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 untersucht der Historiker Andreas Kossert den Umgang mit diesen unglücklichen Menschen aus dem Osten. Sie wurden von ihren Landsleuten keineswegs mit offenen Armen empfangen – ein bis heute heikles Thema in Deutschland. Selbst 70 Jahre nach Kriegsende, meint Kossert, wirke es noch in fast jeder Familie in Deutschland nach. Doch es setzte sich erst allmählich im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands durch, da dieses Thema bis in die jüngste Zeit von rechtsextremen Revisionisten besetzt gewesen sei. In vielen Familien würde bis heute nicht über die Verluste und die Trauer von Eltern und Großeltern gesprochen.

Die Besatzungsmächte hatten beschlossen, Deutschland durch Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Wiederaufbau einen Neustart zu ermöglichen. Die meisten Deutschen dieser Zeit sahen sich entweder als Opfer oder als ahnungslose Mitläufer. Eine wirklich ernsthafte Debatte über die Beteiligung und Mitschuld an den Verbrechen sollte erst zwei Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Herrschaft einsetzen. Bis dahin galt, was die Kriegsberichterstatterin Martha Gellhorn während einer Fahrt durch das besiegte Land in einer ironischen Reportage feststellte: «Niemand ist Nazi. Niemand ist je einer gewesen. Es hat vielleicht ein paar Nazis im nächsten Dorf gegeben … Oh, die Juden? Tja, es gab eigentlich in dieser Gegend nicht viele Juden. Zwei vielleicht, vielleicht auch sechs. Sie wurden weggebracht. Ich habe sechs Wochen lang einen Juden versteckt.» Sie fügte hinzu: «Man müsste es vertonen. Dann könnten die Deutschen diesen Refrain singen, und er wäre noch besser.»

Die Alliierten setzten in dieser Situation auf Pragmatismus. Sie gaben den Deutschen Wirtschaftshilfe und konzentrierten sich ansonsten mehr auf die Gefahren des Kommunismus als auf die Verbrechen des Faschismus. US-Präsident Harry Truman kam zu dem Schluss, dass Europa ohne eine massive Finanzspritze nicht wieder auf die Beine kommen könne. Sein Außenminister George Marshall formulierte es so: «Es ist logisch, dass die Vereinigten Staaten alles in ihrer Macht Stehende tun sollten, um zur Rückkehr der normalen wirtschaftlichen Gesundheit in die Welt beizutragen, ohne die es keine politische Stabilität und keinen gesicherten Frieden geben kann.» Das Europäische Wiederaufbauprogramm, auch als Marshallplan bekannt, griff 18 europäischen Ländern mit mehr als zwölf Milliarden Dollar unter die Arme, einer Summe, die heute mehr als 100 Milliarden Dollar entspräche. Den Löwenanteil erhielten das Vereinigte Königreich und Frankreich, gefolgt von Italien und Deutschland.

Viele Nazis aus der mittleren und sogar der höheren Führungsriege wurden wieder auf ihrem früheren Posten eingesetzt. Ein sogenannter US-Unbedenklichkeitsschein, im Volksmund Persilschein genannt, war unschwer zu bekommen – man brauchte sozusagen nur etwas historisches Waschpulver, um den Verdacht, den Nazis nahegestanden zu haben, wegzuwaschen. Es hieß, dass so mancher, der im braunen Hemd zur Entnazifizierung erschien, mit weißer Weste wieder herausspazierte. 1951 verabschiedete der Bundestag Artikel 131, der diesen Prozess formalisierte. Er ermöglichte es Beamten und Politikern, Richtern, Offizieren, Lehrern und Ärzten...

Erscheint lt. Verlag 21.4.2021
Übersetzer Barbara Steckhan, Thomas Wollermann
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Angela Merkel • Berliner Republik • Boris Johnson • Brexit • Bundesrepublik Deutschland • Corona • Deutschland • Europa • Großbritannien • Hitler • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-644-01038-2 / 3644010382
ISBN-13 978-3-644-01038-3 / 9783644010383
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