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Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute (eBook)

Die Einheit - eine Abrechnung

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00376-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute -  Daniela Dahn
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In sieben Büchern hat Daniela Dahn sich mit der Einheit und den Folgen befasst, ein achtes war nicht geplant. Nun hat sie es dennoch geschrieben, denn die Zeiten sind danach: Nach dreißig Jahren Vereinigung ist die innere Spaltung zwischen Ost und West so tief wie eh und je; und es haben sich sogar neue Klüfte aufgetan, die unser Gemeinwesen erschüttern. Sie haben damit zu tun, dass die vermeintlichen Sieger der Geschichte das Erbe der beitrittsgeprüften 'Brüder und Schwestern' komplett ausgeschlagen haben. Was hat die 'friedliche Revolution' den Menschen in Ost und West also gebracht? Viele Annehmlichkeiten, sicher, so Daniela Dahn, aber revolutioniert wurde nichts.Die Geschichte des Anschlusses der DDR ist eine Geschichte von Demütigungen, einer tätigen Verachtung ihrer Kultur, Literatur, Wirtschaft und sozialen Infrastruktur, die immer weiter fortwirkt. Dagegen steht eine geschichtsvergessene Ignoranz, die das Denken in Alternativen entsorgt hat. Erstmals beschäftigt sich die Autorin auch mit der Frage, wie das Ende des sozialistischen Systems die Welt verändert hat. Die 'siegreiche' Demokratie hat überall an Vertrauen verloren, weil sie von den Eliten, die sie tragen sollen, permanent entwertet wird. Und vor den großen Fluchtbewegungen der letzten Jahre stand die konsequente Weigerung, auch nur ein wenig von dem zurückzugeben, was der 'Raubmensch-Kapitalismus' sich zur Beute gemacht hat. Für das vereinigte Deutschland zeigt Daniela Dahn: Bevor der Rechtsextremismus die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, kam er aus der Mitte des Staates. Aus Teilen des Sicherheitsapparates, der Bundeswehr, der Verwaltung. Eine gemeinsame Erinnerungskultur, die sich beschönigender oder dämonisierender Legenden verweigert, gibt es in Deutschland noch nicht. Was müsste sie berücksichtigen? Daniela Dahn gibt hier, streitbar und kompromisslos wie immer, mehr als nur Anregungen dazu.

Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und war Fernsehjournalistin. 1981 kündigte sie und arbeitet seitdem als freie Schriftstellerin und Publizistin. Sie war Gründungsmitglied des «Demokratischen Aufbruchs» und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien. Sie ist Mitglied des PEN sowie Trägerin unter anderem des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises. Bei Rowohlt sind bislang vierzehn Essay- und Sachbücher erschienen, zuletzt «Im Krieg verlieren auch die Sieger» (2022).

Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und war Fernsehjournalistin. 1981 kündigte sie und arbeitet seitdem als freie Schriftstellerin und Publizistin. Sie war Gründungsmitglied des «Demokratischen Aufbruchs» und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien. Sie ist Trägerin unter anderem des des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises. Bei Rowohlt sind bislang elf Essay- und Sachbücher erschienen, zuletzt «Wir sind der Staat!».

Eine größere Misswirtschaft als die der Treuhand hat es nie gegeben


Wandel durch Restauration – das war letztlich selbstzerstörerisch. Die schon nicht mehr ganz so neuen Länder können ihren Bedarf immer noch längst nicht selbst erwirtschaften, woran sich aufgrund der vollzogenen Deindustrialisierung in den nächsten Jahrzehnten auch nichts ändern wird. Die Treuhand hat eine Gegend zurückgelassen, die aus eigener Kraft weniger lebensfähig ist als zuvor, wenn auch auf deutlich höherem Niveau. Auf die Alimentierung durch Sozialleistungen gibt es einen gesetzlichen Anspruch, am Osten sparen geht nicht. Die alt aussehenden Länder sitzen in der Transfer-Falle. Schon 2004 wollte laut Forsa jeder vierte Westdeutsche die Mauer wiederhaben, unter den Ostdeutschen waren es nur halb so viele, sie sehen sich mehrheitlich als Gewinner. Der Sieger muss zahlen, und sein Wertesystem bröckelt.

Nach 30 Jahren ist die Erinnerung an Vorgänge, die damals die Gemüter auf beiden Seiten erregten, verblasst. Die Jüngeren haben vermutlich nie davon gehört, wie von so vielem anderen auch nicht. So sei hier nur im Zeitraffer an die wohl größte Kriminalgeschichte auf dem ungepflasterten Weg zur Einheit erinnert: an die Veruntreuungen der Treuhand.

Da die Gefahr kommender Raubzüge absehbar war (privare heißt rauben), beschloss der DDR-Ministerrat der Regierung Modrow die Gründung einer «Anstalt zur Treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums». Die Bewahrung des Volkseigentums war oberstes Gebot, die Art von sozialistischer Marktwirtschaft, in der es sich bewähren sollte, blieb in der Eile vage. Diese Anstalt sollte der Volkskammer unterstehen, Eingriffe in die Geschäftsführung der Betriebe waren nicht erlaubt.

Doch am 18. März 1990 haben sich die Wähler mit großer Mehrheit für die blühenden Gärten in Kohlrabien entschieden. Die Fachleute aus der DDR, auch die DDR-Bürgerbewegung, waren damit abserviert. Sofort strömten Tausende westliche Wunderheiler als bestellte oder selbsternannte Berater ins Land. Unter deren heftiger Mitwirkung trat am 1. Juli 1990 der Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft. Nun bekamen die Ostdeutschen die ersehnte DM, aber die zentralen Verpflichtungen des Vertrages wurden nie erfüllt.

Statt die Wettbewerbsfähigkeit der DDR-Unternehmen, wie darin zugesagt, zu stärken, brachen 80 Prozent der DDR-Industrie zusammen. Statt den Bürgern «nach Möglichkeit» ein «verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermögen» einzuräumen, gab es nur ein Anteilsrecht an Schulden und nochmals Schulden. Statt «zu einem hohen Beschäftigungsstand» führte die überstürzte Währungsunion zum Abbau von vier Millionen Arbeitsplätzen, während zur selben Zeit in Westdeutschland zwei Millionen neue geschaffen wurden. Statt zu «außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum» brach die Außenwirtschaft bei stetigem Wirtschaftsschwund zusammen. Statt dass die Verträge mit den osteuropäischen Ländern des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe wie vereinbart «Vertrauensschutz» genossen und sogar ausgebaut werden sollten, sanken die Handelsumsätze ostdeutscher Betriebe mit den sogenannten Bruderländern von jährlich 50 Milliarden auf fünf Milliarden. Nach kurzer Zeit hatten westdeutsche Unternehmen den einstigen DDR-Export in diese Länder in vollem Umfang übernommen, hier klappte der Ausbau sehr lukrativ. Die osteuropäischen Märkte waren nicht weggebrochen, wie immer behauptet wird, sondern weggenommen.

Gleichzeitig mit diesem Bankrott-Vertrag für den Osten erließ die Volkskammer unter CDU-Ministerpräsident Lothar de Maizière ein neues Gesetz zur Treuhand. Diese unterstand nun nicht mehr dem Parlament, sondern der Regierung, Eingriffe in die Geschäftsführung der 8500 Betriebe waren weitgehend erlaubt, und das Ziel wurde auf den Kopf gestellt: Privatisierung des Volkseigentums. Dabei sollte nach Möglichkeit angestrebt werden, die enteigneten Bürger mit Anteilsscheinen zu entschädigen. Es war immerhin noch eine DDR-Regierung, die ein Bewusstsein dafür hatte, dass dieses Eigentum denen zustehen sollte, die es erarbeitet hatten. So kam die gute Absicht, beschmunzelt von den Wunderheilern, in den Einigungsvertrag.

Nach dem Beitritt zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990 wurde die Treuhand sofort dem Bundesfinanzministerium unterstellt. Ein Leitungsausschuss aus 100 westdeutschen Experten – wo immer diese plötzlich herkamen – begann umgehend, etwa 2000 Betriebe im Jahr abzuwickeln. Wie seriös die meist nur nach Aktenlage vorgenommene, betriebswirtschaftliche Prüfung ausfiel, mag erahnen, wer verstehen will, weshalb die leitenden Mitarbeiter der Treuhand von CSU-Finanzminister Waigel eine Freistellung vom Straftatbestand der «groben Fahrlässigkeit» bekamen.

Grob fahrlässig in staatlichem Auftrag – das war das eigentliche Programm der untreuen Hand. Ostdeutsche Interessen waren nur dazu gut, sie zu missachten. Der Einigungsvertrag wurde gebrochen, wo immer es ging. Oft genug wurden Betriebe dichtgemacht, die vollkommen intakt waren, aber als ökonomische oder kulturelle Konkurrenten störten. Wie etwa die Untreuhänder den Auftrag des Einigungsvertrages verstanden, die «kulturelle Substanz Ostdeutschlands» zu erhalten, beschrieb der Gründer des nach der Wende entstandenen Linksverlages, Christoph Links, in seiner Dissertation.

Die ostdeutschen Verlage «wurden nicht ausgeschrieben, sondern ohne Konsultation der Betroffenen nach unüberprüfbaren Kriterien ‹diskret› vergeben. Als zentrales Problem erwies sich dabei der vorrangige Verkauf an ihre direkten Konkurrenten im Westen des Landes. … Viele Verlage wurden für die symbolische eine Mark abgegeben», unter Auflagen, die weder kontrolliert noch eingehalten wurden. «Zu Beginn lag die Zuständigkeit für sämtliche DDR-Verlage bei einem einzigen Mitarbeiter, einem Bauingenieur. Ihm wurden – nach Protesten aus der Kulturwelt – zwei Teilzeitarbeiter für ein Jahr zur Seite gestellt.» Deutlicher konnte das Mutterland seine Verachtung der Kultur der beigetretenen, vaterlandslos gewordenen Gesellen nicht demonstrieren. Das Ergebnis war das erwünschte: Von den einstigen 78 DDR-Verlagen existieren heute noch 12. Von 6100 Arbeitsplätzen gingen 5500 verloren. Da sind die heimatlos gewordenen Autoren nicht mitgezählt. «Selbst mit den neugegründeten Verlagen zusammen werden in den ostdeutschen Bundesländern heute nur noch 2,2 Prozent der gesamten deutschen Buchproduktion erzeugt.» Leipzig, jahrhundertelang die «Nummer eins der deutschen Buchstädte, rangiert inzwischen auf Platz 16 hinter Göttingen, Saarbrücken und Heidelberg». Die Erinnerung an DDR-Kultur wurde so Gedanke um Gedanke ausgelöscht.

Innerhalb kürzester Zeit gelangten in derart kolonialer Manier 95 Prozent des Volkseigentums in die Hände westlicher Unternehmer. Dadurch wurden die Ostdeutschen zu der Bevölkerungsgruppe in Europa, der am wenigsten von dem Territorium gehört, auf dem sie lebt. Ihr Bodenreformland, die Betriebe und Großkombinate wurden unter Konditionen privatisiert, die sie selbst aus dem Prozess weitgehend ausschlossen. Weder gehörten sie zu dem vernetzten Filz, der jetzt zuschlug, noch hatten sie das nötige Geld, noch die Kreditwürdigkeit, noch die Vorzugsbedingungen, die Alteigentümern eingeräumt wurden. Egon Bahr kommentierte damals bitter: «In Ostdeutschland sind feudale, frühmittelalterliche Eigentumsstrukturen geschaffen worden, wie sie selbst in Afrika und im Orient vor zwei Generationen überwunden wurden.»

Es war schon erstaunlich, wie riesig das Kaufinteresse an als total marode beschriebenen Betrieben war. Natürlich wussten die östlichen Direktoren besser als alle anderen, wie heruntergekommen und veraltet ihre technische Ausrüstung teilweise war, aber auch, welche Anstrengungen und Devisen bereits erbracht worden waren, um zu modernisieren und auf elektronische Datenverarbeitung umzustellen.

Nebenbemerkung: Rostendes Bethlehem

Bald nach der Wende war mir in Bethlehem, im US-Staat Pennsylvania, ein riesiges, vor sich hin rostendes Stahlwerk aus den 20er Jahren aufgefallen, das bis vor kurzem produziert hatte. Ich machte damals aus naheliegendem Mitgefühl ein Rundfunkfeature mit entlassenen Arbeitern, deren Familien seit mehreren Generationen mit dem Werk verbunden waren. Dem einzigen größeren Anbieter von Arbeitsplätzen in der Region. Allzu gern hätten sie an den veralteten Hochöfen weitergearbeitet, schließlich wurde nicht dichtgemacht, weil alles so altmodisch und unproduktiv war, sondern weil die Nachfrage nach Stahl in den USA und weltweit drastisch zurückgegangen war. Erst da begann ich zu ahnen, dass es wohl nirgends auf der Welt, mit Ausnahme der Bundesrepublik natürlich, eine Wirtschaft gab, die nicht mit zum Teil veralteten Ausrüstungen produzierte.

Am Anfang der kurzen Rohwedder-Ära wurde der Gesamtwert des DDR-Volkseigentums noch zwischen 600 Milliarden und 1 Billion DM taxiert. Am Ende der Treuhandtätigkeit war es gelungen, den Wert einer gesamten Volkswirtschaft, mit ihren riesigen, exportstarken und nicht selten mit Westtechnik ausgerüsteten Kombinaten, mit dem schuldenfreien Grund und Boden und allen volkseigenen Immobilien zu einem Wert von minus 330 Milliarden DM herunterzufälschen. Eine größere...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte BRD • DDR • Deutsche Einheit • Geschichtsschreibung • Helmut Kohl • Integration • Joachim Gauck • Medien • Neoliberalismus • Westliche Werte
ISBN-10 3-644-00376-9 / 3644003769
ISBN-13 978-3-644-00376-7 / 9783644003767
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