Die Preise lügen2)
Leo Frühschütz
Die Lebensmittel in Deutschland sind so billig, dass sie oft nicht einmal die Kosten der Bauern und Bäuerinnen decken, die sie erzeugt haben. Doch selbst wenn Schlachtereien, Molkereien und Handelsketten faire Preise zahlen würden: Auf dem Kassenzettel stehen längst nicht alle Kosten, die bei der Herstellung dieser Lebensmittel angefallen sind. Wer zahlt, wenn aus überdüngten Wiesen Nitrat ins Trinkwasser sickert? Wenn Pestizide Menschen krank machen? Oder Treibhausgase aus der Landwirtschaft das Klima anheizen? Die Antwort ist so einfach wie bitter: Wir alle zahlen dafür – selbst wenn wir diese billigen Lebensmittel gar nicht kaufen. Denn diese Kosten finden sich in unserer Wasserrechnung wieder, in unseren Krankenkassenbeiträgen und den Steuern, die der Staat braucht, um Hochwasseropfern zu helfen oder höhere Dämme zu bauen.
»Externe Kosten« nennen das die ExpertInnen und meinen damit Kosten, die nicht von denen getragen werden, die sie verursachen. Eigentlich wäre es gerecht, wenn die Käufer dieser Lebensmittel die Schäden gleich auf dem Kassenzettel in Rechnung gestellt bekämen. Doch das ist gar nicht so einfach. Nur wenige Schäden lassen sich gut beziffern, andere müsste man grob abschätzen, und viele treffen nicht uns, sondern erst unsere Kinder und Enkel in 20 oder 30 Jahren.
Die Rechnung zahlen andere
Deutlich wird das an den Nitraten im Grundwasser. Egal, ob Weizen, Kartoffeln oder Mais: Pflanzen brauchen Stickstoff, um zu wachsen. Damit sie genug davon bekommen, fahren die LandwirtInnen stickstoffhaltige Gülle, Gärreste aus der Biogasanlage und Kunstdünger auf ihre Wiesen und Äcker. Doch so viel Stickstoff können die Pflanzen gar nicht aufnehmen. Ein Teil davon sickert als Nitrat in den Boden und hinab ins Grundwasser. Im vieh- und damit güllereichen Niedersachsen ist bereits jedes dritte oberflächennahe Grundwasservorkommen belastet. Und irgendwann trifft es auch die tiefer gelegenen Brunnen. Aus solchen Tiefbrunnen versorgt etwa der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) über 900 000 Menschen im Nordwesten Deutschlands mit Trinkwasser. »Noch ist es sauber und die Qualität gut«, sagt Gunnar Meister, der Pressesprecher des OOWV. Damit es so bleibt, investiert der Verband jedes Jahr 2,2 Millionen Euro in den vorbeugenden Grundwasserschutz, etwa indem er Flächen in Wasserschutzgebieten erwirbt und unter strengen Auflagen verpachtet. Sollte das Nitrat aber in die Tiefbrunnen durchbrechen, werde es richtig teuer, erklärt Meister.
In einem solchen Fall muss ein Wasserversorger unbelastetes Grundwasser aus großer Entfernung heranschaffen oder das Nitrat technisch aus dem Grundwasser entfernen. In manchen Gemeinden Deutschlands ist das schon passiert. »Im Extremfall könnte das pro Kubikmeter Wasser rund einen Euro mehr auf der Wasserrechnung bedeuten«, rechnet Maria Krautzberger vor, die Präsidentin des Umweltbundesamtes. Für eine vierköpfige Familie, deren Verbrauch bei rund 200 Kubikmetern im Jahr liegt, wären das 200 Euro mehr, eine Steigerung von gut 50 Prozent, bezogen auf den Trinkwasserpreis, der in Deutschland meist zwischen anderthalb und zwei Euro je Kubikmeter liegt.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht von Kosten zwischen 8 und 25 Milliarden Euro jährlich, wobei das in vielen Medien so klingt, als würde diese Summe schon jetzt fällig. Es handelt sich dabei jedoch um Schätzungen für Kosten, die anfallen, wenn flächendeckend auch die Tiefbrunnen nur noch nitrathaltiges Wasser liefern und die Wasserwerke dieses technisch aufbereiten müssten. Doch diese Kosten werden auf die VerbraucherInnen zukommen. Denn das Nitrat ist schon im Boden und reichert sich jeden Tag weiter an. Wegen des laschen Umgangs mit der Nitratbelastung hat die EU Deutschland bereits vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Doch selbst wenn der vorliegende Entwurf der Düngeverordnung in Kraft treten sollte, wird die Belastung weiter wachsen – nur etwas langsamer. Martin Weyand, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, fordert deshalb radikale Eingriffe: »Wo die Gefahr besteht, dass Nitratgrenzwerte im Grundwasser überschritten werden, muss automatisch ein Düngeverbot gelten.«
Die Vielfalt hat ihren Preis
Doch die Belastung des Grundwassers mit Nitrat ist nur ein Posten, der nicht auf dem Kassenzettel mit konventionellen Lebensmitteln steht. Josef Tumbrinck ist Vorsitzender des Naturschutzbundes Nordrhein-Westfalen. Seit 1989 bestimmt sein Verband zusammen mit den InsektenforscherInnen des Entomologischen Vereins Krefeld die Menge der Fluginsekten in dem Bundesland. »Unsere Beobachtungen sind beängstigend«, sagt er. In den letzten 15 Jahren sei die Menge der Fluginsekten um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. »Wenn uns die Fluginsekten fehlen, gerät die gesamte Nahrungskette in Gefahr. Blumen und Bäume werden nicht mehr bestäubt, und Mauerseglern und Schwalben fehlt die Nahrungsgrundlage«, beschreibt Tumbrinck (2016) die Folgen.
Bedroht von Pestiziden und intensiver Landwirtschaft sind nicht nur Insekten, sondern auch Feldhamster und Rebhuhn, Kornblume und Rittersporn, insgesamt Hunderte von Tier- und Pflanzenarten. Das Umweltbundesamt formuliert es so: »Mit der Intensivierung im Pflanzenbau und der Industrialisierung in der Tierhaltung zählt die Landwirtschaft heute zu den treibenden Kräften für den Verlust an biologischer Vielfalt.« Das Artensterben hat viele Auswirkungen, auch ökonomischer Art. Doch monetär bewerten lassen sie sich nicht so einfach, wie schon Frederic Vesters Beispiel mit dem Blaukehlchen zeigt (siehe Kasten). Oft halten sich die WissenschaftlerInnen nicht bei einer einzelnen Art auf, sondern beschreiben die Leistungen eines intakten Ökosystems und berechnen dann, was es kosten würde, diese Leistungen anderweitig zu erbringen. Artenreiches Grünland zum Beispiel speichert mehr CO2 als ein Maisacker und auch mehr Niederschlagswasser. Wird aus einer solchen Wiese ein Acker, verringert sich nicht nur die Vielfalt des Bodenlebens, sondern es werden auch 8300 Euro je Hektar an Kosten durch die CO2-Freisetzung verursacht, wie das Leibnitz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung berechnet hat (Reutter/Matzdorf 2011).
Mehr Zahlen gibt es für die Bestäubungsleistung, die Insekten erbringen. WissenschaftlerInnen der Universität Göttingen haben berechnet, dass der Landwirt durch die Bestäubung der Erdbeerblüten durch Insekten (zusätzlich zu Selbstbestäubung und Wind) einen Mehrertrag von rund 757 Euro je Hektar erwirtschaftet (Dewenter 2013). Aus solchen Berechnungen für verschiedenste landwirtschaftliche Erzeugnisse ergab sich schließlich auch eine Summe für die globale Bestäubungsleistung – sie liegt bei 300 Milliarden Euro im Jahr (Lautenbach et al. 2012).
Konventionelle Landwirtschaft macht krank
Zahlreiche Spritzgifte wirken beim Menschen krebserregend, sie können das Erbgut schädigen oder haben hormonelle Wirkungen. Auch die Gefahr akuter Vergiftungen besteht, etwa wenn der Wind die Pestizide beim Ausbringen in benachbarte Siedlungen weht. Noch häufiger sind Vergiftungen dort, wo LandarbeiterInnen und Kleinbauern und -bäuerinnen ohne Schutzkleidung mit Pestiziden hantieren. Die Weltgesundheitsorganisation ging schon 1990 von 25 Millionen Vergiftungsfällen und 20 000 Toten jährlich aus (WHO 1998). Schweizer WissenschaftlerInnen geben die jährlichen Gesundheitsschäden aus dem Pestizideinsatz in der Schweiz mit 22 bis 72 Millionen Euro an und bezeichnen das ausdrücklich als Mindestschätzung (Zandonella et al. 2014). Umgerechnet auf Deutschland, wären das 300 Millionen bis eine Milliarde Euro.
Um die Gesundheit geht es auch bei antibiotikaresistenten Keimen, die aus Mastställen über Abluft oder Gülle in die Umwelt gelangen können. Das Bundesgesundheitsministerium schätzt, dass sich jedes Jahr 40 000 bis 60 000 PatientInnen mit multiresistenten Keimen wie MRSA infizieren – und bis zu 1500 daran sterben. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts stammen bundesweit zwei Prozent der MRSA aus der Landwirtschaft. Weitaus höher ist ihr Anteil in den Hochburgen der Schweinemast. Dort kann er bis zu ein Fünftel betragen. Jede Patientin und jeder Patient verursacht Kosten von 3000 bis 20 000 Euro, schätzen die Universitäten Twente und Münster.
3) WirtschaftswissenschaftlerInnen haben übrigens mehrere Methoden entwickelt, um den Wert eines an sich unersetzlichen Menschenlebens statistisch erfassen zu können. Je nach Methode liegt dieser statistische Wert in Deutschland zwischen 1,2 und 7,4 Millionen Euro.
Kohlendioxid verursacht Milliardenschäden
Die Landwirtschaft heizt auch dem Klima ordentlich ein. Sie sei in Deutschland für 11 bis 14 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, schreibt die Umweltorganisation WWF. Ein Teil davon entfällt auf das klimaschädliche Lachgas, das freigesetzt wird, wenn LandwirtInnen zu viel düngen. Die Produktion von Kunstdünger und Pestiziden verbraucht zudem reichlich Energie und trägt damit ebenfalls zum Treibhauseffekt bei. Ebenso das Methan, das die Kühe ausstoßen, und die Sojafelder Südamerikas, auf denen das Futter für unsere Tiere wächst. Denn die ViehhalterInnen, die einst diese Flächen bewirtschafteten, wurden verdrängt und holzen jetzt Regenwald für neue Viehweiden ab. Da in den offiziellen Zahlen des Umweltbundesamtes nur ein Teil dieser Treibhausgasemissionen enthalten ist, fällt deren Anteil dort mit 7,3 Prozent niedriger aus.
Die Welternährungsorganisation FAO rechnet damit, dass jede Tonne freigesetztes Kohlendioxid Schäden von rund 100 Euro verursachen wird (FAO 2015). Das wären, bezogen auf die deutsche...