Kontextoptimierung (eBook)
284 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-60408-1 (ISBN)
Prof. Dr. Hans-Joachim Motsch, Lehrstuhl 'Sprachbehindertenpädagogik in schulischen und außerschulischen Bereichen' an der Universität zu Köln, Department Heilpädagogik und Rehabilitation.Vom Autor ist außerdem lieferbar: <a href="http://www.reinhardt-verlag.de/de/titel/52793/ESGRAF_4_8/978-3-497-02632-6/" target="_blank" class="blue">ESGRAF 4-8 Dr. Margit Berg,Sprachheilpädagogin, Mitarbeiterin in der Abteilung Sprachbehindertenpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, mehrjährige Erfahrung als Lehrerin und stv. Leiterin einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Sprache.
Prof. Dr. Hans-Joachim Motsch, Lehrstuhl „Sprachbehindertenpädagogik in schulischen und außerschulischen Bereichen“ an der Universität zu Köln, Department Heilpädagogik und Rehabilitation.Vom Autor ist außerdem lieferbar: <a href="http://www.reinhardt-verlag.de/de/titel/52793/ESGRAF_4_8/978-3-497-02632-6/" target="_blank" class="blue">ESGRAF 4-8 Dr. Margit Berg,Sprachheilpädagogin, Mitarbeiterin in der Abteilung Sprachbehindertenpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, mehrjährige Erfahrung als Lehrerin und stv. Leiterin einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Sprache.
Inhalt 5
Vorwort zur vierten Auflage 10
Einleitung 11
1Evidenzbasierung 15
1.1Graduelle Evidenz 15
1.2Stufen zum „Gold-Standard“?–?Interventionsergebnisse 17
2Erwerb grammatischer Fähigkeiten 22
2.1 Zusammenhänge mit dem frühen Spracherwerb und der Allgemeinentwicklung des Kindes 22
2.2Grammatikerwerb als mehrjähriger Lernprozess 24
2.3Wichtige Erwerbsschritte 27
2.3.1Erwerbsreihenfolge grammatischer Fähigkeiten 27
2.3.2 Verbzweitstellungsregel im Hauptsatz und Subjekt-Verb-Kontroll-Regel 30
2.3.3 Verbendstellungsregel in subordinierten Nebensätzen 35
2.3.4Kasusmarkierung 37
2.4Sprachliche Modalitäten 38
2.5Erklärungsansätze des Grammatikerwerbs 39
2.5.1Psychologische Spracherwerbstheorien 39
2.5.2Linguistische Spracherwerbstheorien 40
2.5.3Integrative Ansätze 41
2.5.4Gebrauchsbasierte Ansätze 43
2.5.5Modularer versus epigenetischer Grammatikerwerb 47
2.6Konsequenzen für die therapeutische Praxis 48
3 Störungen des Erwerbsprozesses grammatischer Fähigkeiten 50
3.1 Vom „Agrammatismus infantilis“ zur „Specific language impairment“ – Wandel in der Betrachtungsweise grammatischer Störungen 50
3.2Definition grammatischer Störungen 53
3.3Wichtige und weniger wichtige Störungsphänomene 53
3.4Bedingungshintergrund 62
3.5Konsequenzen für die therapeutische Praxis 71
4Diagnose grammatischer Störungen 72
4.1 Vom Auflisten von Defiziten zur Suche nach Lernblockaden 72
4.2Qualitätsstandards therapierelevanter Diagnostik 73
4.3Diagnostische Verfahren 76
4.3.1Screenings 76
4.3.2Subtests aus standardisierten (Sprach-)Entwicklungstests 78
4.3.3Rezeptive Verfahren 83
4.3.4Sprachanalysen 84
4.4 Diagnose grammatischer Störungen bei mehrsprachigen Kindern 88
4.5Konsequenzen für die therapeutische Praxis 90
5Therapiemethoden grammatischer Störungen 92
5.1Wie spezifisch muss grammatische Therapie sein? 92
5.2 Pattern practice (produktionsorientierte Satzmusterübungen) 94
5.3 Kompensatorische Methoden (reflexionsorientierte Hilfen) 95
5.4Inputmanagement (rezeptionsorientierte Angebote) 97
5.4.1Entwicklungsproximaler Ansatz 97
5.4.2Linguistische Inputtherapie 102
5.5Postdysgrammatische Phase trotz Sprachtherapie? 104
5.6Studien zur Methodeneffektivität 105
5.7Konsequenzen für die therapeutische Praxis 107
6 Grundlagen und Anwendung der Kontextoptimierung 108
6.1Konzeptentwicklung 108
6.2Therapiedidaktik 109
6.2.1Kontext 109
6.2.2Ziel der Kontextoptimierung 110
6.2.3Prinzipien der Kontextoptimierung 114
Kick-off (Startschuss) 114
Ursachenorientierung 115
Ressourcenorientierung („Finde selbst heraus, was Dir hilft!“) 119
Modalitätenwechsel 123
6.2.4Checkliste der Kontextoptimierung 128
6.3Therapieziele 128
6.3.1Verbzweitstellungsregel im Hauptsatz 128
Erwerbsaspekte und Bedeutung des Ziels 128
Diagnostische Erfassung des Fähigkeitenstandes 130
Essentials der Therapie 130
6.3.2Subjekt-Verb-Kontroll-Regel 136
Erwerbsaspekte und Bedeutung des Ziels 136
Diagnostische Erfassung des Fähigkeitenstandes 136
Essentials der Therapie 137
Therapeutische Kontexte 142
Unterrichtliche Kontexte 155
6.3.3Komplexe Syntax 159
Erwerbsaspekte und Bedeutung des Ziels 159
Diagnostische Erfassung des Fähigkeitenstandes 164
Essentials der Therapie 165
Therapeutische Kontexte 180
Unterrichtliche Kontexte 193
6.3.4Kasusmarkierung 202
Erwerbsaspekte und Bedeutung des Ziels 202
Diagnostische Erfassung des Fähigkeitenstandes 204
Essentials der Therapie 205
Therapeutische Kontexte 215
Unterrichtliche Kontexte 222
6.3.5Überwindung der Artikelauslassung und Genusmarkierung 228
6.3.6Pluralmarkierung 234
6.3.7Kontextoptimierung im Sekundarbereich 235
6.3.8Kontextoptimierung mit mehrsprachigen Kindern 242
6.3.9Sicherung des Therapieerfolges 246
7Materialien zur grammatischen Förderung 249
7.1 Griff in den Materialschrank oder individuelle Therapiegestaltung 249
7.2Kriterien zur Materialien- und Medienbewertung 250
7.3Kategorien der im Handel erhältlichen Materialien 251
7.3.1Einzelbildmaterial 251
7.3.2Bilderserien 252
7.3.3Arbeitsbücher 252
7.3.4Kartenspiele 253
7.3.5Brettspiele 253
7.3.6Spielsammlungen 253
7.3.7Aufgaben mit Selbstkontrolle 254
7.3.8PC-Software 254
8 Professionalität in der Therapie grammatischer Störungen 255
Literatur 259
Verzeichnis der Therapiematerialien 276
Sachregister 281
1 Evidenzbasierung
1.1 Graduelle Evidenz
Wenn Ihr Kind eine grammatische Störung hätte, wäre es dann nicht beruhigend, wenn Sie wüssten, dass sein Therapeut eine als erfolgreich bekannte Therapiemethode bei ihm anwenden würde? Wenn Sie dieser Therapeut wären, hätten Sie nicht auch selbst ein gutes Gefühl, eine effektive Therapiemethode zu kennen und anwenden zu können?
Suchodoletz (2002) forderte, dass gerade bei den hartnäckig persistierenden spezifischen Störungen der Sprachentwicklung die Effektivität der Therapiemethoden in methodisch anspruchsvollen und damit aussagekräftigen Studien nachzuweisen ist. Die Forderung ist nachvollziehbar: Es sollen nur noch Therapiemethoden zum Einsatz kommen, deren Wirksamkeit empirisch nachgewiesen ist. Von den wirksamen sollen die effektivsten Methoden eingesetzt werden, wobei hier auch Kriterien wie Dauer (Effizienz), Nebenwirkungen und Kosten einer Therapie Eingang finden. Im Sinne der Qualitätssicherung sollen zukünftig Entscheidungsprozesse vor einer sprachtherapeutischen Intervention evidenzbasiert sein (Ullrich / Romonath 2008).
Das Konzept der Evidenzbasierung wurde von Medizinern in den 1980er Jahren entwickelt. Dahinter steht der quantitativ-empirische Forschungsansatz und die Erwartung von großen untersuchten Versuchspersonengruppen im drei- bis vierstelligen Bereich. Überwunden werden soll die Praxis des „Erlaubt ist, was gefällt“.
„Eine Beweisführung, die sich auf Intuition, Generalisierung von Einzelbeobachtungen, plausible Ableitungen aus theoretischen Modellen oder auf Meinungen von allgemein anerkannten Autoritäten beruft, wird verworfen und abgelöst durch gezielte wissenschaftliche Untersuchungen mit experimenteller Anordnung“ (Suchodoletz 2002, 19).
Benötigt werden nicht nur experimentelle Studien, welche die Effektivität einer Methode kontrastierend zu einer Kontrollgruppe unbehandelter Kinder untersuchen, um Entwicklungseffekte auszuschließen, sondern methodenvergleichende Studien parallelisierter Gruppen, in denen die Über- oder Unterlegenheit einer Methode belegt werden könnte.
Abb. 1: Evidenzhierarchie des Oxford Centre für Evidence-based Medicine (2009, vereinfacht)
Dieser Standard wurde bezogen auf die Therapie grammatischer Störungen national wie international nicht erreicht. Allerdings ist auch die Medizin, 25 Jahre nach dieser Formulierung des Standards zur Qualitätssicherung, bei weitem nicht im Bereich aller Anwendungen evidenzbasiert (Baumgartner 2008, 313). Damit wird deutlich, dass die Frage nach Evidenzbasierung keine absolute ja – nein Frage ist. Vor diesem Hintergrund wird es zwingend, graduelle Stufen der Evidenzbasierung zu akzeptieren, die auf einem Kontinuum beginnend von schwacher Evidenz zur stärksten Evidenz führen. Die stärkste Evidenz wird in der Evidenzhierarchie des Oxford Centers mit dem Level I erreicht (siehe Abb. 1).
Eine randomisierte und kontrollierte Interventionsstudie gilt in der Forschung also als nachgewiesen bestes Studiendesign, um bei einer eindeutigen Fragestellung eine eindeutige Aussage zu erhalten und die Kausalität zu belegen. Deshalb wird auch vom „Goldstandard“ der Studienplanung gesprochen. Randomisierung bedeutet, dass die Zuordnung zu einer Behandlungsgruppe nach dem Zufallsprinzip erfolgt. Kontrolliert heißt eine Studie, wenn die Ergebnisse in der Experimentalgruppe mit denen einer Kontrollgruppe ohne Intervention oder mit denen einer Kontrollgruppe mit einer Kontrollintervention verglichen werden.
Bei aller Wünschbarkeit empirischer Effektivitätskontrolle darf dennoch hinterfragt werden, ob der Mehrwert quantitativer Mittelwertvergleiche so unbestritten sein muss. Sprachtherapie ist schwer vergleichbar mit einer Medikamenteneinnahme. Eine Mittelwertüberlegenheit einer Methode A auf hohem Signifikanzniveau kann verwischen, dass sich in der Gruppe der effektiveren Methodik Kinder befinden, die von dieser Methode A nicht oder nur wenig profitiert haben. Diese Kinder hätten aber unter Umständen von der konkurrierenden, unterlegenen Methode B mehr profitiert.
Die Therapeutenvariable darf zudem nicht vergessen werden. Zwei Therapeuten, die sich auf die gleiche Methode berufen, setzen diese nicht gleich um. Der Passung zwischen Methode-Therapeut-Kind kommt in der Sprachtherapie jenseits mittelwertgestützter Effektivität Bedeutung zu.
Die in der Sprachtherapie häufig anzutreffenden kasuistischen Darstellungen befinden sich auf Level IV der Evidenzbasierung. Aber gerade am Beispiel der One-Case-Studies kann gezeigt werden, dass selbst diese unterschiedliches Evidenz-Niveau haben können, das durch die Beantwortung folgender Fragen deutlich wird:
Gab es eine valide Prä-Post-Test-Messung des Fähigkeitenstandes?
Wurde die Stabilität der Effekte gemessen (Follow-up-Test)?
Wurde das Interventionskind mit einem Kontrollgruppen-Kind parallelisiert, um Zufalls- und Zeiteffekte auszuschließen?
Bewegt sich die statistische Analyse auf dem Niveau deskriptiver Statistik, oder wurde ein durchaus auch bei Einzelfallstudien möglicher Signifikanztest durchgeführt? (z. B. der exakte Fisher-Test)
Aus diesem Grund wurden die fünf Stufen der Evidenzhierarchie vom Oxford Centre immer differenzierter nochmals graduell unterteilt z. B. in Ia, Ib und Ic.
1.2 Stufen zum „Gold-Standard“ – Interventionsergebnisse
Trotz der berechtigten Bedenken an einer kritiklosen Übernahme des Standards evidenzbasierter Forschungsstrategien für die Sprachtherapieforschung und Sprachbehindertenpädagogik (Baumgartner 2008) wäre es geradezu fatal, den Anspruch des empirischen Nachweises der Effektivität und Effizienz sprachtherapeutischer Ansätze aufzugeben. Erforderlich ist eine Anpassung des evidenzbasierten Ansatzes an die Spezifität sprachtherapeutischer Realität in den unterschiedlichen Handlungsfeldern. Diese Anpassung kann als ein Durchlaufen unterschiedlicher Phasen dargestellt werden (Taylor 2007; Thomas / Pring 2004) oder als ein Hinaufsteigen auf den Stufen zum Gold-Standard.
Seit den ersten One-case-studies im Jahre 1999 haben wir versucht, im Forschungsprojekt FGS (Förderung grammatischer Fähigkeiten spracherwerbsgestörter Kinder) diese Stufen zum Gold-Standard hochzusteigen. Level I haben wir u. a. bereits dadurch erreicht, dass wir internationale Übereinstimmungen unter Experten feststellen konnten. Therapiemethoden, die in vergleichbaren Zeiträumen an unterschiedlichen Forschungsstätten auf der Basis empirischer Studien entwickelt wurden, haben höhere Evidenz als Methoden ohne internationale Übereinstimmung. So gibt es viele Übereinstimmungen zwischen den Prinzipien der Kontextoptimierung (Motsch 2002) mit den von Marc E. Fey und Mitarbeitern (University of Kansas City) 2003 publizierten zehn Prinzipien der grammatischen Therapie, die sich auf mehrere empirische Studien stützen.
In der ersten Phase haben wir mit 25 Einzelfallstudien, in denen das Therapieverfahren exakt auf die definierten individuellen Störungsbilder zugeschnitten werden konnte, Level II erreicht (Motsch 2006). Mit mehreren multiplen Fallstudien mit kleinen Gruppen unter detaillierter Kontrolle der Fallcharakteristika sind wir auf Level III gestiegen (Motsch / Seiffert 2008; Seiffert 2008; Motsch 2007; Motsch / Ziegler 2004; Fostiropoulos 2002). Im Rahmen des mehrjährigen Projektes führten wir drei große vergleichende Interventionsstudien durch, in denen jeweils unterschiedliche Therapieziele (grammatische Regeln) in unterschiedlichen Altersgruppen und in unterschiedlichen Settings untersucht wurden. In allen genannten Studien haben die Kinder in kurzer Zeit hoch signifikante Therapiefortschritte gemacht, die denen der Kontrollgruppe ohne spezifische Intervention oder mit anderer Therapiemethode überlegen waren. Während mit den beiden ersten Studien bereits Level II erreicht wurde, entspricht die dritte Studie den Standards einer RCT (Randomized controlled trial), einer randomisierten und kontrollierten Studie, bei denen die Nachtestungen der Kinder verblendet vorgenommen wurden, d. h., dass die Untersucher nicht wussten, zu welcher Untersuchungsgruppe das untersuchte Kind gehörte. Da alle Ergebnisse mittlerweile national und international publiziert wurden, beschränken wir uns hier auf eine Kurzcharakterisierung der Studien und ihrer Ergebnisse.
1. Interventionsstudie 2001 – 2002 (Berg 2007; Motsch / Berg 2003)
Therapieziel: Verbendstellungsregel im Nebensatz
Versuchspersonen und Setting: 61 Dritt- und Viertklässler aus sechs Sprachheilschulen in Baden-Württemberg mit Therapiebedarf im Bereich komplexer Syntax wurden in drei Gruppen unterteilt.
Experimentalgruppe 1 (n=14) erhielt kontextoptimierte Kleingruppentherapie, drei bis vier Therapieeinheiten (40 Minuten) pro Woche.
Experimentalgruppe 2 (n=27) erhielt unterrichtsintegrierte Therapiephasen (15 Minuten) viermal pro Woche.
Die Kontrollgruppe (n=20) erhielt sprachheilpädagogische Förderung ohne kontextoptimierte Therapie.
Während der Großteil der Kinder der Experimentalgruppen das Therapieziel nach der 12-wöchigen Intervention erreicht hatte, konnten bei der Kontrollgruppe keine Veränderungen nachgewiesen werden. Damit hat sich die Kontextoptimierung als effektive Methode zur Förderung der komplexen Syntax herausgestellt.
Entwicklung der Produktionsleistung im Gruppenvergleich
...Erscheint lt. Verlag | 13.3.2017 |
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Zusatzinfo | 52 Abb. 8 Tab. |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik | |
Schlagworte | Grammatikstörung • Kontextoptimierung • Logopädie • motsch • Sprachförderung • Sprachheilpädagogik • Sprachstörung |
ISBN-10 | 3-497-60408-9 / 3497604089 |
ISBN-13 | 978-3-497-60408-1 / 9783497604081 |
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