Gebrauchsanweisung für Schwaben (eBook)
224 Seiten
Piper ebooks in Piper Verlag
978-3-492-97283-3 (ISBN)
Anton Hunger, 1948 geboren, Volkswirt, Publizist und Journalist, war 16 Jahre Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung und dem Münchner Industrie-Magazin. Von 1992 bis 2009 war er Kommunikationschef bei Porsche in Stuttgart, wurde ausgezeichnet mit mehreren Journalistenpreisen und als PR-Manager des Jahres. Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher.
Es gibt bloß ein Stuttgart
Manche Menschen meinen, Schwaben und Stuttgart seien ein und dasselbe – ein Synonym sozusagen. Das mag bis 1945 gegolten haben, als man an den Ufern des Nesenbachs noch Schwäbisch redete und evangelisch betete. Inzwischen ist Stuttgart eher der suebische Sonderfall: groß, urban, geschäftlich wie kulturell vital, weltoffen und international, nicht nur was das Corps des Stuttgarter Balletts und die Fußballmannschaft des VfB angeht. Jedenfalls, vieles ist hier anders als im schwäbischen Hinterland.
In den Amts- und Ruhmestiteln der Stadt dominiert das Wörtchen »Haupt«. Jawohl, sie ist die Landeshauptstadt Baden-Württembergs, des einzigen Bundeslandes, das in der Geschichte der Republik den politischen und territorialen Zusammenschluss gewagt und geschafft hat. Jawohl, sie ist Hauptstadt des württembergischen Landesteiles, der – für Altschwaben ein Sakrileg – längst in zwei Regierungspräsidien aufgelöst wurde. Das für den nördlichen Landesteil sitzt in Stuttgart (schon wieder ein Haupt!), das für den südlichen in Tübingen. Und natürlich ist sie Hauptstadt der Region Stuttgart, die Metropolregion sein will. Diese Sammlung von Würden und Bürden stößt manchem badischen Landsmann noch immer hart auf. Allerdings nur so lange, bis man ihn daran erinnert, dass das »Stettlein« um das Jahr 1200 von einem badischen Markgrafen regiert und, sicherheitshalber, mit einer Mauer versehen wurde. Angeblich.
Ein Badener war es auch, der früh auf die Exklusivität dieser Stadt hinwies – der Regierungsrat und Historiker Hector Wilhelm von Günderode (1755 bis 1786). Er berichtete von einer Schwäbin, die Wien und andere europäische Großstädte besucht und danach, wieder daheim, gerührt festgestellt habe: »Es isch aber oineweg bloß oi Stuttgart.« Will heißen: Über Stuttgart geht nichts, trotz aller auswärtigen Pracht (oineweg!), wenigstens für seine eingeborenen Söhne und Töchter.
Dabei bildet die Stadt nicht nur den Kopf des Landes, in ihr liegt auch der Nabel Schwabens. Wir wollen nicht darüber philosophieren, wo denn die anderen Körperteile anzutreffen seien: der Brustkasten, wie man hierzulande die Frontpartie des Oberkörpers nennt, das Hinterteil, vulgo »Fiedle«, und die Achillesferse. Das Zentrum aber ist fixiert: Umbilicus Sueviae (Nabel Schwabens) hat der berühmte Architekt Paul Bonatz den Hauptbahnhof genannt, den er vor und nach dem Ersten Weltkrieg geplant und gebaut hat. Später haben seine Nachfahren das Werk als schönsten weltlichen Kirchenbau gerühmt. Nun ja, »Näbele« klingt ziviler. Und heute wollen viele – bei Weitem nicht alle – Stuttgarter ihr »Näbele« behalten und wehren sich noch immer mit Händen und Füßen gegen die Tieferlegung ihres Bahnhofs unter die Erde. So laut, dass zwischenzeitlich die ganze Welt ihre Schwaben nicht mehr verstand.
Auch der Name der Stadt selbst wirkt nur heroisch, wenn ihn Italiener aussprechen: Stoccarda. Mama mia! Die Schwaben aber können sich bis heute nicht recht entscheiden, wie sie ihre Heimstatt nennen wollen und sollen: Schduegert ist die gängige Version, benützt im Alltag von allem, was unterwegs ist. Allerdings gibt es da auch noch das gehobene »Schduggard« – einer Redeweise entsprungen, die ein Landeshistoriker »Dekansschwäbisch« genannt hat. Der erste Nachkriegs-Oberbürgermeister Arnulf Klett, ein begeisterter Porsche-Fahrer schon damals, sprach immer von Schduggard. Das hatte etwas Gehobenes, Würdiges. Die Jungen behelfen sich heutzutage mit einem coolen Stuggi-Town. Und dem Auswärtigen bleibt freigestellt, wie er mit diesem Problem umgehen will.
Zwischen Berg und Tal
Andere Städte mögen größer sein, mehr Einwohner haben, fettere Schlagzeilen machen. Doch bei aller landesüblichen Bescheidenheit wollen wir festhalten: Stuttgart hat seinen unübertrefflichen Superlativ. Nämlich: Auf keine deutsche Großstadt lässt sich leichter herunterschauen. Das hat weniger mit Herablassung zu tun als vielmehr mit der Topografie. Stuttgart ist schließlich kein langweiliger, breit gewalzter Pfannkuchen, der formlos-flach ins Land hinauswuchert. Nein, die Stadt sitzt, wie das Häslein in der Grube, in einer Kuhle zwischen mindestens sieben Bergen. Es sind keine hochragenden Felsmassive, sondern milde, zum Teil mit Wein bestockte Hügel mit schönen Namen wie Frauenkopf, Hasenberg, Birkenkopf, Killesberg, Uhlandshöhe, Kriegsberg oder Hoher Bopser. Und höher als die sieben römischen Hügel sind sie auch.
Von diesen Höhen aus haben die Bürger immer gern und ein bisschen stolz auf das Häuser- und Straßengewirr hinuntergeblickt. Die schönsten Aussichtspunkte sind nicht nur in der Silvesternacht, beim Neujahrsfeuerwerk, gut besucht. Da wäre, erstens und höchstens, die Aussichtsplattform des 217 Meter hohen Fernsehturms – jener 1956 errichteten, eleganten Stütze des Stuttgarter Himmels, die für viele TV-Nadeln in aller Welt zum Vorbild wurde. Dann vom Bismarckturm im Norden aus, der seit 1904 so heißt, obwohl der Name manche politischen Saubermänner stört. Drittens vom Eugensplatz aus. Dort kann man nicht nur das Stadtpanorama, sondern auch Stuttgarts eindrucksvollsten Damenhintern bewundern – das barocke Prachtgesäß der Brunnenlady Galatea. 1890 haben die wohlgeformten Backen dieser steinernen Nymphe einen Skandal verursacht, obwohl sie im Original nicht, wie vermutet, einer Hofgrazie gehörten, sondern einer Berliner Schuhmachertochter. Heute dienen sie jüngeren Damen im Gespräch mit ihren Begleitern allenfalls der Selbstvergewisserung: »Du, aber so oin han i net, gell!«
Den begehrtesten und am leichtesten, weil mit einem Fahrstuhl erreichbaren Ausblick bietet das Restaurant des neuen städtischen Kunstmuseums am Schlossplatz. Viele Schaulustige täuschen ihr Kunstinteresse nur vor, um rasch einen Platz in der ersten Reihe des Restaurants »Cube« zu ergattern – des Panoramas wegen. Viele gehen leer aus, denn die Reservierungsfrist liegt bei mehreren Wochen. Doch wer sein Ziel erreicht hat, dem bleibt nur ein beglücktes Seufzen: »Da liegt’s, onser Schduegert« – ein grünes Amphitheater mit Schlössern, Kirchtürmen, Bürgerhäusern, Parks und Wäldern. Einfach schee.
Vielen Auswärtigen bleibt es bis heute ein Rätsel: Wie konnte man in grauer Gründungsvorzeit eine Stadt in diesem stillen Winkel verstecken, in dem sich, manchmal noch heute, Fuchs und Has gute Nacht sagen? Wo man doch in Cannstatt, dem alten Römerkastell drunten am Neckar, einen Siedlungsplatz hatte, der sogar dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz noch im 17. Jahrhundert hauptstadtwürdig erschien?
Der Einheimische, der seine Landesgeschichte im Kopf hat, liefert gern die Erklärung. Die einstigen Grafen von Württemberg, womöglich aus Luxemburg eingewandert, hatten eines Tages schlicht genug. Genug davon, in ihrer erstmals 1083 genannten Burg auf dem Hausberg beim heutigen Stadtteil Rotenberg wie auf einem Präsentierteller zu thronen. Die Aussicht vom Württemberg herunter war zwar fabelhaft. Aber jede vorüberkommende Truppe, ob es die Kaiserlichen waren, die Esslinger oder andere Räuber, hielt sich für verpflichtet, die bescheidene Behausung zu überfallen – und die offizielle Grabstätte im nahen Beutelsbach zu schänden. Weil diese Grafen weder das Zeug zu Helden noch zu Märtyrern hatten und weil ihnen die Renovierungskosten auf die Dauer zu hoch schienen, suchten sie sich im 13. Jahrhundert einen ruhigen Winkel, ganz hinten, ganz drunten im Nesenbachtal. Dort hatten seit 950 die Pferde des sagenhaften Schwabenherzogs Ludolf friedlich das Gras des sumpfigen Stutengartens abgeweidet, wovon noch heute der Name und das Rössles-Wappen der Stadt zeugen. Inzwischen war dort eine Siedlung entstanden, weit ab vom Schuss – aber das war den Württembergern »grad recht wie’s Wildbad«. Hier fühlten sie sich in ihrem neu angelegten Wasserschloss sicher. Die geografische Wahl entwickelte sich von nun an zum prägenden Element der Stadt, in positiver wie in negativer Hinsicht.
Stäffelesrutscher und Maulwürfe
Als Segen empfinden die Stuttgarter und ihre Besucher den Umstand, dass die Stadt grün ist. Ja, neuerdings sogar politisch, aber vor allem botanisch und landschaftlich: eichengrün, birkengrün, tannengrün, grasgrün, buschgrün, moosgrün. Das »Beispiel einer Spaziergehstadt« hat ein Schriftsteller sie genannt. Wo gibt es das noch, dass die Hälfte einer Großstadtgemarkung aus Wald, Wiesen, Äckern und Parks besteht? Und aus Weinbergen, die Stuttgart nach wie vor zur weinseligsten aller Großstädte machen? Dass an einer Straße, die seit alten Zeiten Weinsteige heißt, noch Reben wachsen, ist in Württemberg Ehrensache. Dass die Karlshöhe noch bestockt ist und die Mönchhalde dazu, freut den Trollinger-Süffier. Den Höhepunkt aber bildet der Kriegsberg, nur ein paar Hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Der Rebensaft, den ausgerechnet die Industrie- und Handelskammer auf diesem Hang exklusiv erzeugt, ist vielleicht nicht der edelste, aber mit Sicherheit der teuerste der Welt. Man muss nur die exorbitanten Quadratmeterpreise der Stuttgarter City anlegen, um jedes Gläschen Riesling wie flüssiges Gold zu genießen.
Es grünt also üppig in Stuttgart: vom Höhenpark Killesberg hinunter bis zum Schloss Rosenstein – und in Form eines großen U bis hinein in die Innenstadt, vor das Neue Schloss. Ehrgeizige Planer wollen jetzt sogar das ganze Neckartal von Plochingen bis Besigheim zu einem Flusspark entwickeln. »Neckaribik« heißt das peppige Stichwort, und bei Cannstatt schlürfen junge Leute schon zur Sommerzeit ihren Mojito auf einem eigens angelegten Sandstrand. Umfragen, von...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2016 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber |
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ISBN-10 | 3-492-97283-7 / 3492972837 |
ISBN-13 | 978-3-492-97283-3 / 9783492972833 |
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